Einführung von Business-Software

Wo es bei ERP-Projektleitern und -Herstellern hakt

10.11.2008 von Reiner Martin
Obwohl es Methoden und Werkzeuge für die ERP-Einführung gibt, werden sie in der Praxis nicht konsequent genutzt. Grund dafür sind Interessenkonflikte, mangelndes Verständnis und heimliche Stillhalteabkommen zwischen Anbieter und Anwender. Aber auch die Qualität der Tools lässt zu wünschen übrig.

Da Unternehmen in der Regel alle fünf bis 15 Jahre ein ERP-System einführen, stellen solche Vorhaben eine große Herausforderung dar. Firmen nehmen daher oft umfassende Dienstleistungen bei einem ERP-Anbieter/-Einführungspartner in Anspruch. Einerseits soll dieser das nötige Fachwissen mitbringen, andererseits dafür sorgen, dass das Projekt nicht ausufert.

Für die ERP-Einführung verwenden die Dienstleister/Hersteller spezielle Methoden und Werkzeuge (M&W). Mit deren Qualität befasste sich eine zweiteilige Studie. Die erste Stufe beschrieb die vorhandenen M&W. In der zweiten wurden anschließend die in der Praxis verwendeten M&W analysiert. Die erste Stufe der Studie, deren Ergebnisse in der Computerwoche 18/2006 sowie online vorgestellt wurden, zeigte, dass die Anbieter meist über umfassende M&W verfügen, diese jedoch primär auf ihre eigenen Belange und weniger auf die der Anwenderunternehmen ausgelegt sind. Daneben taten sich bei genauer Betrachtung bei den meisten Herstellern inhaltliche Schwächen auf: Die M&W "lernen" aus abgeschlossenen Projekten zu wenig, sie sind nur ausgerichtet auf die Realisierung der Systemfunktionen, nicht aber auf den Kundennutzen. Einige Tools sind zudem unvollständig, beispielsweise fehlten Referenzprozesse und Testwerkzeuge, und sie sind zu wenig mit dem ERP-System verzahnt.

ERP-Projekt-Management mit Methode?

Ungeklärt blieb in der ersten Stufe der Studie, ob die M&W das ERP-Projekt-Management tatsächlich prägen. Nur wenn alle Beteiligten die Konzepte leben, zeigen sie Wirkung. Ob das so ist, sollte der zweite Teil der Studie zutage fördern. Hierzu wurden zunächst die 16 ERP-Anbieter aus dem ersten Studienteil angesprochen und mit erfahrenen Projektleitern der Anbieter teilweise mehrstündige Interviews geführt. Die Projektleiter benannten anschließend jeweils zwei Kundenprojekte, deren Leiter auf Anwenderseite ebenso ausführlich befragt wurden. Somit schilderte sowohl der Anwender als auch der Anbieter seine Erfahrungen im Projekt.

Die Befunde (siehe Abbildung) knüpfen nahtlos an die Ergebnisse des ersten Teils der Studie an. In der Abbildung ist der Einsatz der M&W nach Angaben der Anbieter- und Anwenderprojektleiter angeführt, die Rangliste wurde anhand der Differenz der Einsatzangabe gebildet.

Anwender lassen Einführungswerkzeuge oft links liegen

Wie die Erhebung zeigt, werden die M&W von den Anwenderunternehmen viel weniger genutzt. An vier hier herausgegriffenen Aspekten, Kostenüberwachung (in der Grafik ist das Punkt eins), Projektdokumentenverwaltung (Punkt zwei) und Geschäftsprozessanalyse/-optimierung (Punkt drei) und Referenzprozesse (Punkt fünf) soll dies nachfolgend verdeutlicht werden.

Ist die Entscheidung für ein neues ERP-System gefallen, so geht es zunächst darum, ein Konzept zu erstellen und zu klären, wie die neue Software die Prozesse abbilden soll. Um ein Feinkonzept zu erstellen, sind hier zunächst die Geschäftsprozessanalyse/-optimierung (Punkt drei) und Referenzprozesse (Punkt fünf) von Belang.

Taugen ERP-Hersteller zum Prozessberater?

Doch was kann ein Anwendungsunternehmen an Unterstützung bei der Prozessmodellierung von einem ERP-Anbieter erwarten? Letztlich kann der Softwarelieferant nur bedingt helfen: Ein ERP-Hersteller kann Prozessberatung nicht neutral und unabhängig vom eigenen Produkt anbieten. Der Anbieter wird, da er sich in einem Rollenkonflikt befindet, nur Lösungen vorschlagen, die mit seinem ERP-System im Rahmen der vereinbarten Dienstleistungen zu realisieren sind. Zum anderen verfügen die Berater der Softwarehäuser oft nicht über das hierfür erforderliche Prozess-Know-how und Erfahrung. Meist sind diese Experten auf die Konfiguration eines ERP-Moduls spezialisiert.

Prozessverbesserungen muss der Chef einfordern

Anwender und ERP-Einführungspartner haben über die Verwendung von Methoden und Werkzeugen während des Projekts unterschiedliche Wahrnehmungen.

Zumindest diese Studie ergab, dass vor allem dann Geschäftsprozesse verbessert wurden, wenn die Geschäftsführung dies explizit eingefordert hat. Hilfreich war hier zudem, wenn das Anwenderunternehmen einen unabhängigen Berater hinzuzog. Bereits vor der Systemauswahl wurden die Sollprozesse beschrieben und bildeten auch den Maßstab für die Beurteilung der Software im Auswahlprozess (siehe auch "Bei der ERP-Auswahl böse Überraschungen vermeiden").

Sollkonzept im ERP-System abbilden

Basierend auf diesen Vorarbeiten sollte sich der ERP-Anbieter in der Feinkonzeptionsphase darauf konzentrieren, so effizient wie möglich die konkrete Umsetzung der Sollprozesse mit seinem ERP-System zu definieren. Im Rahmen der Interviews wurde ermittelt, welche Werkzeuge beziehungsweise Vorlagen die Projektbeteiligten hierfür einsetzten, ob und in welchem Umfang sie Referenzprozesse verwendeten.

ERP-Hersteller vernachlässigen Referenzprozesse

In Sachen Prozessverständnis haben Anbieter und Anwender stark unterschiedliche Wahrnehmungen. So gaben 80 Prozent der Projektleiter der Softwarefirmen an, Referenzprozesse zu verwenden, während die Anwenderseite weit weniger zustimmte. Meist liegen diese Referenzprozesse nur für wenige Prozesse und in einer ungeeigneten Detaillierung vor, oder es wird gar nur ein Modellierungswerkzeug wie beispielsweise Visio vorgehalten. Ein ernüchterndes Ergebnis, bedenkt man, dass Referenzprozesse für das Projektteam unabdingbar sind, um sich zu orientieren. Anhand solcher Beispiele können Kunden Standardabläufe schnell begreifen und darauf aufbauend individuelle Anforderungen formulieren. Eine Prozessmodellierung, bei der nur die Modellierungskonventionen und Objekte vorgehalten werden, überfordert hingegen das Abstraktionsvermögen und das Zeit- und Kostenbudget der meisten Kunden.

Für die Feinkonzeption zeigte sich ferner, dass unstrukturierten Workshops ohne detaillierte Vorlagen zur Prozessabbildung im ERP-System spätestens bei Inbetriebnahme der Software für böse Überraschungen sorgen. Bei einem derartigen Vorgehen weiß zwar am Ende der Berater, wie er die ERP-Applikation zu konfigurieren hat, die Anwender haben jedoch nach solchen Workshops keine Vorstellung von der Abbildung ihrer Geschäftsprozesse in der neuen Software (siehe auch "ERP-Software hält oft nicht, was sie verspricht").

Methoden und Werkzeuge zur ERP-Einführung

Die MQ Result Consulting AG, eine von ERP-Anbietern unabhängige Management-Beratung, begleitet ERP-Projekte von der Prozessanalyse über die Produktauswahl und Einführungsphase bis hin zur Nutzenoptimierung nach der Inbetriebnahme.

Seine Projekterfahrungen nahm das Unternehmen zum Anlass für die Studie über Methoden und Werkzeuge. Die erste Stufe erschien 2006, der vorliegende zweite Teil der Studie 2007. Sie wurde vom Autor dieses Beitrags wissenschaftlich geleitet, mit Unterstützung von Sebastian Wilhelm, Diplomand der Hochschule für Technik Wirtschaft und Gestaltung (HTWG) Konstanz.

Weitere Informationen zur Studie finden Sie hier.

Projektdokumentation ist verbesserungswürdig

Im Vergleich zu den Geschäftsprozessen mutet bei einer ERP-Einführung die Projektdokumentenverwaltung fast schon simpel an. Doch auch hier schlummern Verbesserungspotenziale. Nur selten machen Projektleiter auf Seiten der Anwender davon Gebrauch, und wenn, dann nur halbherzig. Zur Projektdokumentierung reicht es nicht aus, auf einem File-Server eine Projektordnerstruktur einzurichten. Vielmehr bedarf es eines leistungsfähigen Dokument-Management-Systems, das Versionierung, Sperrung von bearbeiteten Dokumenten und eine automatische Benachrichtigung bei Änderungen bestimmter Schriftstücke erlaubt. Ferner sollten alle Projektteilnehmer - interne wie externe - auf einfache Weise auf Inhalte zugreifen können, was eine Web-basierende Lösung nahelegt. Obwohl es zahlreiche Produkte hierfür gibt, finden sie in ERP-Projekten nur wenig Beachtung: Keines der in der Studie befragten Unternehmen setzt ein solches System ein. Erst langsam erkennen die ERP-Anbieter die Vorteile von Web-basierenden Projekt-Management-Werkzeugen und richten erste Projektportale ein, beispielsweise auf Grundlage von "Microsoft Sharepoint". Damit haben die Beteiligten leichten Zugriff auf die Dokumente und können je nach eingesetztem Werkzeug auch Projektdokumente mit Projektaktivitäten verknüpfen, Projekt-Meetings ansatzweise steuern und die oben erwähnten typischen Dokumenten-Management-Funktionen nutzen.

Tools für ERP-Projektkostenüberwachung: Viele Daten, wenig Integration

Ein wie die Projektdokumentation eher einfacher Projekt-Management-Aspekt ist die Kostenüberwachung bei der ERP-Einführung. Hier nutzen Anbieter- und Anwenderprojektleitung ganz unterschiedliche Werkzeuge (siehe Abbildung). Alle interviewten Projektleiter beim Anbieter setzen Software ein, um die Kosten im Blick zu haben, doch nur in einem Fall arbeitete der Projektleiter des Kunden mit dem gleichen Programm. Das Softwarehaus überwacht in der Regel nur die eigenen Kosten und fühlt sich für die Gesamtkosten des Projekts aus Kundensicht nicht verantwortlich. Dieser von vielen Projektleitern auf Anbieterseite geäußerten Meinung ist grundsätzlich zuzustimmen, doch das rechtfertigt noch lange nicht deren Abschottungsmentalität.

Das ideale Kosten-Management-System

Um die anfallenden Kosten eindeutig zuordnen zu können, sollte eine Struktur synchron zu den vertraglichen Kostenvereinbarungen aufgesetzt werden. Dies gestattet dem Anbieter wie dem Kunden eine einheitliche Sicht auf die geplanten Leistungen nach Vertrag und den bislang im Projekt fakturierten Leistungen. Auch Tätigkeitsnachweise sollten elektronisch vorliegen und für den Auftraggeber einsehbar sein. Darüber hinaus kann das Kostenüberwachungssystem Funktionen enthalten, die dem Kunden nicht zugänglich sind.

In der Realität gibt es eine solche integrierte Kostenüberwachung praktisch nicht. Vielmehr strotzen die verwendeten Werkzeuge nur so vor redundanten Informationen. Meist erfassen die Anbieter die Kostendaten mehrfach im Tätigkeitsnachweis, der Reisekostenabrechnung und im Projekt-Management-System, und für die Fakturierung müssen sie die Angaben nochmals gesondert zusammentragen. Für den Kunden sind die Kostendaten erst mit dem Rechnungserhalt einsehbar. Um die Forderungen zu prüfen, muss er die Kosteninformationen wieder in sein eigenes Projektkostenüberwachungssystem eingeben.

Auch für die Kostenkontrolle bietet sich eine Web-basierende Umgebung an. Somit empfiehlt sich insgesamt ein zentrales, integriertes Web-basierendes Projekt-Management-Werkzeug. Dieses Tool sollte neben den Projektdokumenten die Projektaktivitäten so verwalten, dass sich die Projektarbeiten inhaltlich, terminlich, ressourcenbezogen und bezogen auf das Budget damit führen lassen.

ERP-Kosten bei SAP und Oracle

Neben den Lizenzen, die nur einen kleinen Teil der Gesamtkosten ausmachen, gilt es zu betrachten, was Unternehmen in den Betrieb der Applikationen, deren Wartung, Update und Erweiterung investieren müssen. Das ist zwar jedem klar, doch wie sich die einzelnen Kostengrößen strukturieren, darüber gab es bisher keine vergleichende Betrachtung.

Genau diesen Aspekt untersuchen die Marktforscher von Raad in den kommenden Monaten. Im Rahmen einer umfassenden Studie, die die COMPUTERWOCHE als Medienpartner begleitet, analysieren Experten die Strukturen der Betriebskosten von ERP-Systemen bei mittelständischen und großen Unternehmen. Die ERP-Studie betrachtet dabei Nutzer von Geschäftsapplikationen der Softwarekonzerne SAP und Oracle.

Mehr zur Studie, wie Sie teilnehmen sowie wie Sie an die Ergebnisse kommen können, erfahren Sie hier.

Stillhalteabkommen zwischen ERP-Hersteller und -Anwender

Bei der hohen Diskrepanz bei der Anwendung der M&W durch Anbieter und Anwender sollten eigentlich die Interviews mit den Projektleitern der Auftraggeber eine geringe Zufriedenheit erwarten lassen, doch dies war erstaunlicherweise nicht der Fall. Ein möglicher Grund mag die relativ geringe Projekt-Management-Erfahrung mit ERP-Vorhaben auf Kundenseite sein. Offensichtlich wissen viele Anwender zudem zu wenig über die verfügbaren Methoden und Werkzeuge. Damit ist das gängige Erfolgsrezept der Anbieter, bei der Verbesserung ihrer ERP-Systeme sehr genau auf ihre Kunden zu hören, bei der Weiterentwicklung der M&W zur ERP-Einführung nicht ausreichend. Zu allem Überfluss entsteht vermutlich zwischen dem Projektleiter auf Anbieter- und Anwenderseite ein unbewusstes Stillhalteabkommen: Möglicherweise wollen beide Parteien sich nicht durch ein konsequentes Bekenntnis zu Methoden und Werkzeugen selbst unter Erfolgsdruck setzen. Denn der Werkzeugeinsatz erfordert viel Disziplin und verpflichtet die Teilnehmer (siehe auch "Wie Anwender ERP-Projekte begleiten").

Rollenkonflikt der Projektleitung des ERP-Herstellers

Ein weiteres Problem beim Einsatz von M&W sind Rollenkonflikte beim Anbieter. Bei den Aspekten Kosten-Management und Qualitätssicherung treten sie besonders deutlich zutage. Der Projektleiter des Softwarehauses stellt im Zweifelsfall eher die Belange seines Arbeitgebers und nicht die des Anwenders in den Vordergrund.

Wie die Erfahrung zeigt, tragen verschiedene Faktoren dazu bei, dass die M&W bei der ERP-Einführung in der Praxis nur zögerlich verwendet werden:

Doch Verbesserungen sind hier aufgrund der hohen Anforderungen von ERP-Projekten zwingend geboten. (fn)