Als Marktforschungsinstrument, Marketing-Tool, Sourcing-Plattform und Knowledge-Management-System - Facebook und andere Community-Umgebungen können den Unternehmen in vielfacher Hinsicht nützlich sein. Deshalb widmete die Hochschule St. Gallen (HSG) dem Thema "Social Media" einen eigenen Track ihres diesjährigen "Business Engineering Forum". Der Kongress in Bregenz stand unter dem Motto: "Die digitale Revolution der Konsumenten".
Unternehmen wie der FC Bayern oder der Konsumgüterproduzent Beiersdorf demonstrierten eindrücklich, wie sich über Soziale Medien Öffentlichkeit herstellen und beeinflussen lässt. Die Kundenbindung via Facebook & Co. gestaltet sich als Inbound-Marketing (auch bekannt als Permission-based Marketing) mit den Möglichkeiten des Newsletter-Versands, der Einladung zur Mitgliedschaft im Kunden-Club oder dem Erzeugen von kunden generierten Inhalten. Auf demselben Weg lassen sich die Kunden aber auch für weiterführende Werbeformen begeistern (Outbound Marketing).
Der Nutzer als Co-Star von Rihanna
Einige Unternehmen experimentieren bereits damit. Die Werbekampagne zur 100-Jahr-Feier der Flaggschiff-Marke Nivea habe Beiersdorf insgesamt eine Milliarde Euro gekostet, und zehn Prozent davon seien in digitale Medien geflossen, so Ansgar Hölscher, Vice-President Brand Strategy and Research. Derzeit hat Nivea die Pop-Sängerin Rihanna eingespannt, die auf ihrer Facebook-Seite unglaubliche 45 Millionen Fans vereint. Jüngster Webe-Gag der Nivea-Marketiers ist eine Video-Anwendung auf der Schweizer Facebook-Seite, die den Nutzer als Rihannas "Co-Star" ins Bild setzt. Das kostet ihn allerdings einen Klick auf den "Like"-Button.
Beiersdorf nutzt die Community aber auch als Rückkanal: "Das Internet liefert uns phantastisches Möglichkeiten, Konsumentenwissen zu generieren", sagte Hölscher - und verwies auf das jüngste Produkt der Nivea-Marke: Das Deo "Black & White" sei auf Anfrage und durch Mitwirkung der Kunden entstanden.
Allerdings räumte Hölscher ein, dass die Sozialen Medien auch für Beiersdorf noch "eine Investition in die Zukunft" sein. Mit anderen Worten: Der Return on Investment lässt sich bislang nicht berechnen.
Vor allem aber dürften die Voraussetzungen und die Gefahren nicht außer Acht gelassen werden. "Immens wichtig" sei ein erstklassiges Daten-Management - im eigenen Haus und beim Händler. Kaufinteressenten werden von den Nivea-Sites auf die Seiten der Händler umgeleitet. Deshalb müssen auch dort immer die aktuellsten Produktinformationen vorliegen.
Last, but not least müssen die meisten Unternehmen erst einmal lernen, mit der Unmittelbarkeit und Geschwindigkeit der neuen Medien umzugehen. Sonst können sie eine böse Überraschung erleben.
18 Stunden, bis die Botschaft anrief
Nivea lernte das auf die harte Tour. Und das kam so: Auf der Liste der verfügbaren Landesseiten fehlte die israelische, weil sie sich, so Hölscher, noch im Aufbau befand. Einer Jüdin aus den USA stieß das unangenehm auf, und sie legte einen digitalen Flächenbrand. "Es dauerte keine 18 Stunden, bis die israelische Botschaft bei uns anrief", erinnert sich der Markenstratege.
Eine ähnliche Erfahrung machte der Bergsportausrüster Mammut Sports Group. Er erlebte das, was in der Social-Media-Szene als Shitstorm bekannt ist: eine Lawine von negativen Meinungsäußerungen in den unterschiedlichsten Sozialen Medien. Mammut hatte - offenbar ohne groß darüber nachzudenken - eine Kampagne unterzeichnet, die sich gegen ein Gesetz zur Verschärfung der Schadstoffbestimmungen wandte.
Die Twitter-Community reagierte empört. Das Unternehmen konterte zunächst mit Marketing-Sprüchen. Das fachte den Sturm zusätzlich an. Er tobte so lange, bis sich der Sportartikelhersteller entschloss, seine Unterstützung für die fragliche Kampagne zurückzuziehen.
Aus dem Shitstorm gelernt
Dann schlug die Stimmung allerdings genauso schnell wieder ins Positive um, berichtete Christian Gisi, Leiter Marketing und Kommunikation bei Mammut. Er habe daraus sechs Dinge gelernt:
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Es braucht nicht viele Leute, um einen Shitstorm zu entfesseln. In diesem Fall waren es nicht mehr als 40 User.
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Wer mit Sozialen Medien arbeitet, muss sie ständig beobachten.
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Schnell reagieren ist essenziell. Wer sich erst absichern muss, hat schon verloren. Das bedeutet viel Verantwortung.
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PR-Geschwurbel ist der falsche Weg, um mit der Community zu reden. Man muss auf Augenhöhe kommunizieren.
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Die Öffentlichkeitsarbeit und die Verantwortlichen für Soziale Medien sollten sich intern gut abstimmen.
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Generell muss das Unternehmen sehr vorsichtig mit politischen Äußerungen im Internet sein.
Migros mit eigener Social-Plattform
Die Schweizer Handelsgenossenschaft Migros versucht, die digitale Öffentlichkeit unter Kontrolle zu halten, indem sie sie auf eigene Soziale Medien lockt. Seit einem Jahr betreibt sie die eher produktbezogene Site www.migipedia.ch, und im kommenden Jahr will sie eine Community für sozialpolistische Themen starten. "Wenn Menschen etwas über Migros sagen wollen, dann sollen sie es auf unseren eigenen Plattformen tun", sagte Monica Glisenti, Chefin des Kommunikationsbereichs. Bei zwei Millionen Genossenschaftlern ist eine kritische Masse schnell erreicht. Laut Glisenti verzeichnet Migipedia bereits drei Millionen Seitenaufrufe und 40.000 Kommentare sowie 250.000 Facebook-Fans.
Wie die Kommunikationschefin stolz berichtet, hat die Plattform auch schon Wirkung gezeigt. Der beliebt "Ice Tea" werde auf Anregung der Nutzer jetzt auch in der PET-Flasche angeboten. Außerdem habe die Internet-Gemeinde durchgesetzt, dass Migros nach anfänglicher Ablehnung nun doch "Vanilla Coke" verkauft - und das mit finanziellem Erfolg.
Wichtige Fragen unbeantwortet
Derartige Erfolgsbeispiele dürfen allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Nutzung der Sozialen Medien noch in den Kinderschuhen steckt. Die neuen Plattformen verlangen auch nach neuen Ansätzen. Wesentliche Fragen sind bislang unbeantwortet.
Die wichtigsten dieser Fragen drehen sich um das Thema Integration. Wie Peter Zwyssig, CEO des Beartungsunternehmens Foryouandyourcustomers, betonte, sind die Sozialen Medien ja nur einer von vielen Kanälen, über die Kunden mit Anbietern kommunizieren. Wie müssen sich die Unternehmen aufstellen, um Multichannel-fähig zu werden? So fragte er sich und das Autditorium. Welches Mitglied des Topmanagements soll für das Multichannel-Management verantwortlich zeichnen? Brauchen wir künftig Multichannel-Manager? Und wie lassen sich qualitative und quantitative Ziele auch hinsichtlich der neuen Kanäle definieren?
Auch der Business-Engineering-Experte Reinhard Jung, Professor an der HSG, verwies auf das ungelöste Problem, wie sich die neuen Informations- und Vertriebskonäle in Geschäftsstrategien und -prozesse integrieren lassen. "Brauchen wir künftig ein Social-Media-Controlling?", so fragte er: "Darüber werden wir uns relativ bald Gedanken machen müssen."
CW-Kommentar: Nun macht mal schön!
Ohne IT sind heute weder Marketing noch Vertrieb denkbar; IT steckt in den Produkten, und erst die IT haucht den Prozessen Leben ein. Aber immer häufiger werden Produkte, Prozesse und sogar Anwendungen ohne die IT konzipiert. Das gilt vor allem für die kundennahen Prozesse. Hier fühlen sich die Fachbereiche zuständig. Die IT wird vor vollendete Tatsachen gestellt und mit einem "Nun macht mal schön!" an die Arbeit geschickt.
"Die IT muss unsere Wünsche erfüllen", so brachte die Kommunikations-Chefin des Schweizer Retail-Riesen Migros, Monica Glisenti, ihre Auffassung von einer funktionierenden Informatikabteilung auf den Punkt. "Ich habe ja früher auch nicht den Drucker gefragt, welches redaktionelle Konzept ich entwickeln soll", so die ehemalige Journalistin. Aus ihrer Sicht ist es ein "Riesenfehler", wenn Techniker über Inhalte entschieden.
Da mussten die anwesenden IT-Fachleute erst einmal schlucken. So unverblümt haben sie ihre Rolle als ausführendes Organ selten zugewiesen bekommen. Manch einer fühlte sich zu Unrecht in die Ecke des reinen Dienstleisters gedrängt.
Selber schuld! Möchte man ihm zurufen. Ziehen Sie sich den Schuh einfach nicht an. Wenn jemand seine Kompetenz allein auf der technischen Seite unter Beweis stellt, braucht er sich nicht zu wundern, dass er auf die Technik reduziert wird.
Selbstverständlich darf sich der CIO nicht anmaßen, mehr über den Vertrieb zu wissen als der Sales-Vorstand. Aber er sollte unbedingt genug darüber wissen, um beurteilen zu können, mit welchen neuen Techniken sich der Verkauf wie unterstützen lässt. Und mit diesem Wissen hinter dem Berg zu halten wäre unklug.
"Manchmal kommt die IT selbst mit Ideen", räumt denn auch Glisenti ein. Aber "manchmal" heißt wohl: "viel zu selten". Denn wer oft genug mit guten Ideen kommt, den kann man irgendwann nicht mehr ignorieren - selbst wenn das in einigen Unternehmen schon mal etwas länger dauert.
Karin Quack