Witt: Die Katalogproduktion im Griff

07.08.2003 von Jan Ebell
Der Versandhandel ist ein hochkompetitives Geschäft, dessen Erfolg auf einer marktgerechten Sortimentspolitik gründet. Doch entscheidend für eine gesunde Ertragssituation und planbares Wachstum ist ein adäquates Prozess-Management, das Einkauf, Logistik, Werbung - hier besonders die Katalogproduktion - und das Zielgruppen-Management steuert.

Fotos: Witt Weiden

Der etablierte und sehr erfolgreiche Spezialversender für Wäsche und Damenoberbekleidung Witt Weiden - 2001 ausgezeichnet als "Versender des Jahres" - setzt traditionell auf starke Unterstützung des Prozess-Managements mittels IT. In einem Kerngeschäftsprozess des Versandhandels, der Katalogerstellung, erfolgt die Synthese der verschiedenen Geschäftsprozesse von Einkauf, Verwaltung der mehr als 30.000 Artikel, Werbung, Zielgruppen-Management und Marketingkommunikation. So gilt es heute, pro Saison 90 Kataloge in mehr als 200 Varianten zu produzieren.

Das bedeutet breite Unterstützung durch verschiedene Spezialanwendungen und muss mit einem leistungsfähigen Prozess-Management der Dynamik schnell wechselnder Anforderungen genügen.

Geschliffene Geschäftsprozesse

Witt Weiden setzt seit 1996 auf die werkzeuggestützte visuelle Geschäftsprozessmodellierung (GPM), um komplexe Prozesse mit allen Beteiligten in verschiedenen Fachbereichen und der DV übersichtlich darzustellen. Dabei stieß der IT-Bereich schon früh auf die Notwendigkeit einer zentralen, einheitlichen Datenbasis, um einzelne Produktionsschritte und Prozessketten mit Standard- und Individualapplikationen zu unterstützen: Eine Vielzahl beteiligter Akteure und die sehr heterogenen, umfangreichen Daten in Artikelstamm und Bildarchiven sollten nicht nur verwaltet, sondern in einen dynamischen Prozess eingebunden werden. Natürlich sind bei Witt von jeher Datenbank-Management-Systeme im Einsatz.

Doch es existierten auch noch Prozesse ohne Systemunterstützung - etwa die Pflege verschiedener Artikeldaten auf einer so genannten Artikelkladde. Diese Prozesse erstreckten sich selten über Bereichsgrenzen hinweg. Die hieraus resultierenden Mehrfachaufwände führten naturgemäß zu einer sehr zeitintensiven und fehlerbehafteten Fallbearbeitung, wie zum Beispiel bei Preisänderungen oder Sonderverkaufsaktionen.

Also initiierte der DV-Bereich gemeinsam mit dem Fachbereich Werbung/Katalogproduktion 1999 das Projekt Diamant (Digitale Anwendung Medienneutraler Artikel- und Nutzerdaten-Transfer) um eine konsistente Datenhaltung zu realisieren und redundante Prozesse in der Katalogerstellung zu vermeiden und wiederkehrende Tätigkeiten zu automatisieren. Darüber hinaus sollte eine durchgängige Integration der Geschäftsprozessmodelle eine schnelle und korrekte Umsetzung fachlicher Anforderungen aus den Bereichen Einkauf, stationärer Handel oder Marketing in der IT garantieren.

Die Aufgabenstellung konzentrierte sich deshalb auf zwei Schwerpunkte: Die heterogene Datenbasis sollte konsolidiert werden, die Geschäftsprozesse verfeinert und in die Entwicklung überführt werden bis zur Unterstützung in der Laufzeitumgebung.

Ein Auswahlverfahren sollte die passende Werkzeugunterstützung für das Projekt identifizieren. Bald favorisierte das Team eine Lösung des Nürnberger Softwarehauses MID: Dessen integrierte Tool-Familie Innovator unterstützt die GPM und sichert eine konsistente Umsetzung sowohl nach objektorientierten als auch strukturierten Methoden. Die Re-Engineering-Möglichkeiten, die Bereitstellung einer API-Schnittstelle und die flexible Anpassbarkeit unter Verwendung der Tool Command Language (TCL) versprachen den schnellen und wirkungsvollen Einsatz des Tools in der bestehenden Umgebung.

Bereits damals war die Unterstützung der UML ein von der DV gefordertes Kriterium, dem die Tool-Familie auch gerecht wurde.

Keine Trennung zwischen Fach- und DV-Bereich

Mit dem Einsatz von Innovator im Jahre 2000 sollte ein umfassendes Prozess-Management etabliert werden, welches eine konsistente Übernahme der fachlichen Vorgaben in die komplexe Entwicklungsumgebung bei Witt Weiden ermöglicht.

Die rein visuelle Modellierung ist hierfür nicht geeignet, denn die Erfahrung zeigte, dass Anforderungen nicht oder nur unvollständig in die technische Umsetzung zu übertragen waren. Durch Verwenden der eindeutig verständlichen Standard-Notation UML bereits in der Prozessmodellierung überwand man die Trennung zwischen der Geschäftsprozess- und Systemmodellierung. Unterschiedliche Prozesse einer Prozesskette, wie etwa die marktbedingte Preisänderung eines Produktes im Ausland, werden nun gemeinsam von Fachverantwortlichen und Systemarchitekten live am Bildschirm modelliert. Diese Arbeiten erfolgen auf dem Online-Repository von Innovator, welches sicherstellt, dass alle Projektbeteiligten in allen Bereichen und allen Phasen des Projektes auf dem gleichen Entwicklungsstand agieren. Eine Arbeitsweise, die sowohl in den Fachabteilungen, wie auch bei den Softwarespezialisten schnell akzeptiert wurde.

Die Verfeinerung der Prozesse bis zur Implementierung erfolgt konsistent bis in die Entwicklungsumgebung des Unternehmens. Wegen der sehr differenzierten Aufgabenstellungen sind hier verschiedene Werkzeuge mit hohem Spezialisierungsgrad im Einsatz, zum Beispiel Powerbuilder und Borlands Jbuilder für Java. Die bestehenden Applikationen wurden zu einem hohen Grad wiederverwendet und in eine neue mit modernen objektorientierten Methoden entwickelte Anwendungslandschaft integriert.

Parallel hierzu wurden bereits modellierte Prozesse verfeinert und weitere Optimierungsmöglichkeiten lokalisiert. Mit einem Re-Engineering bestehender Assetts wurden Sub-Prozesse sichtbar gemacht und Integrationspotenziale identifiziert. Außerdem nahm man eine Analyse und eine Designoptimierung der Legacy-Anwendungen vor und realisierte die Bereitstellung von Daten aus einer zentralen Datenbank. Die horizontale Zusammenführung dieser Daten in einer Oracle 8i UDB in der ersten Phase des Projektes war bereits ein großer Sprung.

Die Konsolidierung der Daten- und Applikationsbasis vereinfachte die Aktualisierung der Kataloginformationen und senkte die Fehlerquote bei Änderungen der Informationen dramatisch. Zusätzlich implementierte man ein dynamisches Änderungs-Management, mit dem sich nun Katalogvarianten noch schneller und effizienter produzieren lassen.

Hierzu sollten fachliche Modelle nicht nur eins zu eins in die IT überführt werden. Man wollte bereits in der Phase der fachlichen Modellierung die Systemleistungen berücksichtigen, um Ressourcen optimal zu nutzen. Innovator unterstützt hierbei mit umfangreichen Mapping-Funktionen die Abbildung und Übernahme unterschiedlicher Modelle zwischen GPM und Case nach objektorientierten und strukturierten Vorgaben. Diese komplexen Funktionen sind für fachliche Bearbeiter weitgehend "unsichtbar". Vielmehr erfolgt die Modellierung für diesen Personenkreis auf einer intuitiv zu bearbeitenden Oberfläche.

Messbare Effekte

Der Launch des neuen Systems zur Katalogerstellung verlief erfolgreich. Das Projekt Diamant bewirkte messbare Effizienzgewinne, die den Einsatz von bis zu zehn Mitarbeitern über einen Zeitraum von fast drei Jahren mit einem Aufwand von 15 Mannjahren Entwicklungszeit rechtfertigten: So konnte in dem erwähnten Prozess einer Auslandspreisänderung beispielsweise ein Vorgehen realisiert werden, das einzelne Tätigkeiten unterschiedlicher Beteiligter parallelisiert und nur vier Arbeitsschritte benötigt. Vor Implementierung des Systems waren dies neun.

Zu Projektbeginn betrug der Output an Katalogseiten etwa 8000 Seiten pro Jahr. Bedingt durch die internationalen Aktivitäten des Unternehmens sowie die feinere Segmentierung der Zielgruppen stieg die Produktion aktuell auf jährlich 16.000 Seiten. Mit dem neuen System ist Witt in der Lage, diesen Output in gleicher Qualität mit der gleichen Anzahl von Mitarbeitern zu produzieren.

Natürlich bedingt konsequentes Geschäftsprozess-Management ein neues Verständnis in der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Teams in den verschiedenen Abteilungen. Der Gewinn für alle Beteiligten ist eine permanente Verbesserungs- und Entwicklungsarbeit, die zu managen eine große, aber mit Tool-Unterstützung machbare, Herausforderung darstellt.