SAP-Kunden fordern

"Wir wollen die alte SAP wiederhaben"

11.12.2008 von Martin Bayer
Die jüngsten Querelen rund um den aufgezwungenen Enterprise Support sind nur die Spitze des Eisbergs. Viele IT-Leiter ärgern sich offenbar schon seit Jahren über die schlechter werdende Qualität von Produkten und Support aus dem Hause SAP.

"Wir begrüßen den Schritt der SAP, die Kündigung der bestehenden Wartungsverträge zurückzunehmen", feiern die Gegner des umstrittenen Enterprise Support (ES) die jüngste Entscheidung des Softwarekonzerns. Einen Tag bevor die Initiative "Kein-ES" mit ihren Anliegen an die Öffentlichkeit ging, waren die SAP-Verantwortlichen zurückgerudert und hatten die Änderungskündigung widerrufen, die Tausenden von IT-Leitern in Deutschland und Österreich Anfang Juli dieses Jahres ins Haus geflattert war.

Die Entscheidung könne allerdings nur ein erster Schritt sein, machen die grollenden CIOs klar. Die Konzernspitze in Walldorf habe zwar einen großen Stein aus dem Weg geräumt. Es gebe jedoch noch eine Menge Diskussionsbedarf. Die Preiserhöhung, die SAP vor allem den mittelständischen Kunden im Zuge des Enterprise Supports aufzwingen wollte, sei nur der Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Die Kritik vieler IT-Leiter geht weiter. Sie monieren vor allem einen schleichenden Qualitätsverfall der SAP-Produkte sowie eine deutliche Verschlechterung des Umgangs der SAP mit ihren Kunden.

"SAP ist nicht mehr sexy"

Viele Kunden hätten in der Vergangenheit eigene SAP-Ressourcen aufgebaut, weil sie mit der Support-Qualität von SAP unzufrieden gewesen seien, berichtet Werner Schwarz, IT-Chef der Gerolsteiner Brunnen GmbH. Er habe in den vergangenen zwölf Monaten über 300 SAP-Probleme intern gelöst, lediglich 22 Fälle habe ihm der SAP-Support abnehmen können. An diesem Verhältnis werde auch der Enterprise Support nichts ändern, glaubt der CIO. "Wir müssten auch in Zukunft immer noch viel selbst machen."

Johannes Truttmann, CIO Krombacher Brauerei: "SAPs Support-Modell rechnet sich nicht für die Kunden."

"Außerdem rechnet sich das Support-Modell nicht", ergänzt Johannes Truttmann, CIO der Krombacher Brauerei. Jede der zwölf Meldungen an SAP aus dem vergangenen Jahr habe ihn umgerechnet auf die Wartungsgebühren einen fünfstelligen Euro-Betrag gekostet. Der Kundenwert müsse deshalb wieder stärker im Vordergrund stehen, fordert der IT-Leiter. Die Partnerschaft mit SAP sollte den Kunden nutzen. Dazu müsse der Partner "sexy" sein, "doch das ist SAP heute nicht mehr."

Mit dem neuen Support stiegen die Anforderungen und der Aufwand für die Kunden, kritisiert Thorsten Steiling, IT-Leiter der EJOT Holding GmbH & Co. KG. Beispielweise schrieben die neuen Supportregeln vor, alle Fehlermeldungen in Englisch zu dokumentieren - obwohl das SAP-System diese auf Deutsch ausgebe. "Wir sehen keine Vorteile, sondern nur Mehraufwand", sagt der CIO. "Wir wollen den Standardsupport auf Augenhöhe und in deutscher Sprache."

Michael Rödel, CIO von Bionorica, moniert die schlechte Supportqualität. Im Rahmen der laufenden CRM-Implementierung habe er 21 Meldungen an SAP abgesetzt, berichtet der IT-Leiter. Alle Fehler seien derart massiv gewesen, dass kein produktiver Betrieb möglich gewesen sei. Trotz dieser hohen Priorität habe SAP bis zu drei Wochen gebraucht, die Probleme aus der Welt zu schaffen. "SAP sollte weniger Geld in TV-Werbung investieren", macht Rödel seinem Ärger Luft, "sondern mehr Geld in die Qualitätssicherung von Produkten und Support stecken".

"SAP hat seine Prinzipien über Bord geworfen"

Laut Werner Schwarz, CIO Gerolsteiner Brunnen, ist die immer dicker werdende Preisliste ein Beleg für die wachsende Komplexität der SAP-Produkte.

Der Ärger sitzt tief bei vielen SAP-Kunden. Offenbar gärt es schon seit Jahren innerhalb der SAP-Klientel. Begonnen habe es mit dem Abschied aus der R/3-Welt und dem von SAP erzwungenen Neukauf von Mysap-Lizenzen, berichtet Gerolsteiner-CIO Schwarz. In der Folge hätten sich die Walldorfer von dem integrierten Produktansatz der Vergangenheit mehr und mehr verabschiedet. Benötigten die Anwender zusätzliche Funktionen, müssten sie diese heute kaufen, kritisiert der IT-Leiter. Zusätzlich steige mit diesem modularisierten Produktansatz auch noch die Komplexität. Deutlich werde dies beispielsweise an der Preisliste des Softwareherstellers. Umfasste diese im Jahr 2002 noch rund 70 Seiten, so seien es heute fast 220. "Fast so dick wie der Otto-Katalog", vergleicht der Schwarz mit einem Schmunzeln, "nur dass Otto deutlich günstiger ist."

Vor allem die wachsende Komplexität der Systeme macht den CIOs zu schaffen. Die SAP-Landschaften müssten wieder beherrschbar werden, fordern sie. Vor Jahren hatte ihr Softwarelieferant alles in einem Paket integriert. Damit hätten sie die Systeme im Griff gehabt, berichten die IT-Leiter. Diesen Pfad habe der Konzern jedoch verlassen. "SAP hat seine Prinzipien über Bord geworfen", beklagt Michael Kranz, CIO der Krones AG. Heute biete SAP viele unterschiedliche Systeme, Module und Funktionen an, kritisieren die CIOs - noch dazu jedes mit einem eigenen Preisschild. Die Komplexität wächst, lautet ihr Fazit. "Wir kämpfen mit einem Zoo an Systemen." Für die Argumentation der SAP-Verantwortlichen, eben wegen dieser wachsenden Komplexität die Supportgebühren erhöhen zu müssen, haben die IT-Leiter nur ein Kopfschütteln übrig: "SAP hat die Architektur der gelieferten Systeme ständig komplizierter gestaltet und damit die Anforderungen an den Support selbst fortlaufend erhöht."

Trotz aller Kritik wollen die CIOs nicht mit SAP brechen. Wir sind auf eine langfristige und konstruktive Zusammenarbeit angewiesen, sagt Krones-CIO Kranz. Viele Unternehmen seien bis in die Haarspitzen von SAP durchdrungen. Daher wären sie grundsätzlich auch an einer starken SAP interessiert. Das funktioniere jedoch nur mit den Kunden, nicht gegen sie, stellt Kranz klar. Sollte SAP diese Abhängigkeit der Kunden und die daraus resultierende Monopolstellung weiter missbrauchen und das Vertrauen der Anwender brechen, gebe es kaum eine Basis für eine künftige Partnerschaft, so das Fazit der Kein-ES-Vertreter.

Die Wartung muss flexibler werden

Die Forderungen der CIOs für eine gemeinsame Zukunft mit SAP sind eindeutig: ein flexibles Angebot von Wartungsleistungen, aus dem die Kunden je nach Bedarf wählen können, sowie eine beherrschbare Systemlandschaft, um nachhaltig die Betriebskosten senken zu können.

Volker Merk, Deutschland-Chef SAP: "Die Kunden haben die Kündigung sehr emotional aufgenommen."

Aus Walldorf gibt es bis dato keine Antwort auf die Forderungen der Kunden. Allem Anschein war man in der Konzernzentrale zunächst darauf bedacht, die Situation nicht weiter eskalieren zu lassen. Einen Tag bevor die Rebellen an die Öffentlichkeit gingen, versuchte SAP, die Diskussion zu entschärfen. Deutschland-Chef Volker Merk verkündete, das der Konzern die Kündigung der alten Supportverträge zurücknehme. "Die einseitige Vertragskündigung wurde als Kündigung der Partnerschaft missverstanden", sagte der SAP-Manager. "Die Kunden haben die Kündigung sehr emotional aufgenommen." In Zukunft könnten die Bestandskunden nun zwischen dem Standard und dem Enterprise Support wählen.

Ob sich die Beziehungen zwischen SAP und den Kunden schnell wieder normalisieren, ist fraglich. Zunächst dürfte es für die Anwenderunternehmen darum gehen, den notwendigen Support wieder rechtlich abzusichern. Aktuell befinden sich viele Firmen in einem vertragslosen Zustand, berichtet Salim Siddiqi, CIO von Yazaki Europe Limited HQ Cologne. Es werde vermutlich bis weit in 2009 hinein dauern, bis der Supportrahmen wieder stehe.

Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten:

Experten wie Helmuth Gümbel von Strategy Partners raten den Verantwortlichen in den Unternehmen, die Konditionen genau unter die Lupe zu nehmen und mit den alten Verträgen zu vergleichen.

SAP hat bereits angekündigt, 2010 die Preise für den Standardsupport erhöhen zu wollen. In welchem Rahmen dies geschehen wird, konnte oder wollte Deutschland-Chef Merk nicht sagen. "Wir wissen nicht, in welchen vertraglichen Situationen sich die Kunden genau befinden", räumte der Manager ein. Das müsse SAP zunächst analysieren. In den bestehenden Verträgen gibt es eine Preisanpassungsklausel, die es SAP erlaubt, die Wartungssätze gemäß der Steigerung des Lohnindex der Angestellten im Handel, Kredit- und Versicherungsgewerbe für Deutschland zu erhöhen. Nach Angaben von Anwendervertretern sei die Klausel in der Vergangenheit jedoch nicht angewandt worden. Sofern die Altverträge wieder Gültigkeit erlangen und der Passus auch in neuen Verträgen Eingang findet, hätte SAP damit allerdings eine rechtliche Grundlage für Preiserhöhungen.

Neuer Ärger vorprogrammiert?

Neuer Zündstoff also für die Beziehungen zwischen SAP und den Anwendern? Die Vertreter von Kein-ES wollen jedenfalls in den Bemühungen nicht nachlassen, ihre Anforderungen und Wünsche gegenüber der SAP zu vertreten. "Wir müssen darauf achten, dass weiter Druck im Kessel bleibt", sagt Krones-CIO Kranz. Allerdings sieht er die Initiative rund nicht in vorderster Front. Die Schnittstelle zur SAP auf Anwenderseite bleibe die Deutschsprachige SAP-Anwendergruppe (DSAG). Hier müssten alle Forderungen zusammengetragen und gebündelt werden. Kein-ES werde sich jedoch in Zukunft als Korrektiv positionieren, einmal der SAP gegenüber, sollten Anwenderinteressen wieder einmal mit Füßen getreten werden, aber auch der DSAG gegenüber, sollten dort die Forderungen verschleppt werden.

Ein guter Tag

"Gestern war ein guter Tag für die SAP-Kunden und auch für die SAP", kommentierte Andreas Oczko, stellvertretender DSAG-Vorsitzender, die Entscheidung der SAP-Verantwortlichen, die Kündigung zurückzunehmen. SAP habe die Steine aus dem Weg geräumt. Nun gebe es wieder eine Basis für Gespräche darüber, wie die künftige Zusammenarbeit aussehen soll und muss. "Das sind hervorragende Startbedingungen." Allerdings verschließt der DSAG-Mann nicht die Augen vor den Problemen der vergangenen Monate. "Die Beziehungen haben gelitten." Es blieben Wunden und Narben zurück. Allerdings könne eine Partnerschaft auch an einer Krise wachsen, gibt sich Oczko zuversichtlich.