Bloß keine Konzerne

Wir wollen anders arbeiten

28.01.2010 von Anja Dilk
Hierarchien schrecken sie ab, feste Arbeitszeiten auch. Die Generation der 20-Jährigen definiert Arbeit neu. Beim Workshop "Palomar 5" entwarfen Absolventen aus aller Welt ihre Zukunft.

Auf der Bühne brennt die Luft. Eddie, Maryanna, Jay, Arpuv, Brad und Valentin peitschen ihre Ideen über das Publikum in der dicht gefüllten Fabrikhalle. Sie stellen Innovationen vor, die sie in den vergangenen Wochen erdacht haben: zum Beispiel ein virtuelles Büro, über das Unternehmen Expertenwissen kaufen oder eigene Entwicklungen beurteilen lassen können (Inspire Bureau). Oder ein Datenverarbeitungsprogramm, über das sich Informationen suchen, sammeln, remixen und verteilen lassen - in Form von Geschichten (Data DJ). Und ein mobiles Holodeck für mehr Entspannung im Arbeitsalltag (The Egg). Applaus.

Absage an das Nine-to-Five-Konzept

Berlin, Bessemer Straße. Weit hinten im oft vergessenen Stadtteil Tempelhof, irgendwo zwischen TÜV, Ikea und Bauhaus, liegt das alte Backsteingemäuer der Malzfabrik. Sechs Wochen lang haben 28 Menschen zwischen 20 und 30 Jahren hier zusammengelebt, gedacht, gearbeitet. 28 Menschen aus aller Welt, die an Eliteuniversitäten in Harvard, Princeton oder Oxford studierten, Ehrenmitglieder bei Organisationen wie der exklusiven Online-Ideenschmiede Ted sind, teils schon mehrere Startups auf die Beine gestellt haben und im Internet zu Hause sind wie einst in ihren Kinderzimmern. Ihr Name: Palomar 5. Ihr Auftrag: neue Ideen für die Arbeitswelt von morgen entwickeln.

Auf dem Abschlussgipfel stellen sie nicht nur ihre Projekte vor, sondern machen den 300 Gästen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur auch klar: Sie wollen anders arbeiten. Sie wünschen sich mehr Teamarbeit über die Grenzen hinweg, mehr bunte Gruppen anregender Leute mit anderen Sichtweisen, Erfahrungen und Ideen. Sie fordern mehr Projektarbeit und Flexibilität, mehr Möglichkeiten, sich auszuleben, Wissen zu teilen, Ideen weiterzugeben und aufzunehmen, ohne sich an große Unternehmen andocken zu müssen. "Auch wenn Konzerne uns haben wollen, werden wir nicht kommen. Das Nine-to-Five-Konzept interessiert uns nicht. "

Die Mitarbeiterin aus der BMW-Personalabteilung schüttelt ihre blonden Locken: "Erstaunlich, was diese Leute hier auf die Beine gestellt haben." Sie ist gekommen, weil BMW das Projekt unterstützt, "um mehr darüber zu erfahren, was die junge Generation von der Arbeitswelt erwartet". Mehr Flexibilität und Telearbeit - das hört auch sie als Personalerin neuerdings öfter. Aber Topabsolventen, die ganz andere Arbeitsformen jenseits der Konzernmauern im Kopf haben? "Die klopfen bei uns nicht an."

Es lebe die kreativität
Wie wollen wir in Zukunft arbeiten?
neue Antworten auf diese Frage suchten 28 Absolventen aus aller Welt in Berlin. Sechs Wochen lang dauerte der Workshop "Palomar 5". Foto: Palomar 5/ Carolin Seeliger
Sie haben Palomar 5 organisiert:
Philippa Pauen, Dominik Wind, Jonathan Imme, Hans Raffauf, Simon Wind, Mathias Holzmann (von links nach rechts)
600 Menschen aus aller Welt haben sich beworben....
....28 Absolventen, die unter anderem an Eliteuniversitäten in Harvard, Oxford oder Princeton studierten, wurden schließlich nach Berlin eingeladen. Foto: Carolin Seeliger
Denken ohne Grenzen
Sechs Wochen lebten die Kreativen in einer alten Berliner Malzfabrik und entwarfen Konzepte für ein neues Arbeiten. Foto: Norbert Ittermann
Nur der Schlafplatz war begrenzt.
Jeder Teilnehmer musste sich in einer drei Quadratmeter großen Koje aus Spanbretter betten. Foto: Norbert Ittermann
Ansonsten boten die einstigen Fabrikräume...
viel Platz für die Suche nach Ideen. Foto: Norbert Ittermann
Teamarbeit ohne Grenzen...
...ist für die jungen Generation ganz wichtig. Im Workshop praktizierte sie sie auch täglich.Foto: Norbert Ittermann
Rückzugsorte...
...fanden sich natürlich trotzdem. Foto: Carolin Seeliger
Achtung Auftritt..
..hieß es beim Abschlussgipfel, als alle Teams ihre Ideen präsentierten. Darunter ein mobiles Holodeck für mehr Entspannung im Arbeitsalltag (The Egg). Foto: Carolin Seeliger
300 Gäste aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur.
..hörten sich die Ideen der jungen Wilden an, die anders arbeiten wollen. Ohne Hierarchien, ohne feste Arbeitszeiten und nicht in Konzernen. Foto: Carolin Seeliger

Michael Rebstock kann das bestätigen. "Wer ganz andere Arbeitsformen sucht, kommt nicht zu uns", sagt der BMW-Sprecher. Doch stellt er fest, dass junge Bewerber verstärkt nach Telearbeit, flexiblen Arbeitszeiten, wechselnden Projekteinsätzen und flachen Hierarchien fragen. "Wir reagieren darauf. Wenn ein Mitarbeiter mal schnell zum Sport geht oder das Kind vom Kindergarten abholt, dafür abends entsprechend länger bleibt, ist das kein Problem für uns." Beim bayerischen Autobauer nehmen jährlich 2500 Mitarbeiter ein Sabbatical oder an einem Programm teil, das ihnen 20 zusätzliche Urlaubstage im Jahr bringt. Auch zehn Prozent der Führungskräfte schlagen ein. Wie jener Chef, der sich nach Abschluss der heißen Phase für den neuen Siebener-BMW eine Auszeit gönnte. "Das geht natürlich nicht immer, sondern muss sich mit den Unternehmensinteressen verbinden lassen."

Das Märchen vom Hierarchieabbau

Ein guter Anfang. Die Schweizer Management-Beraterin Betty Zucker bleibt nach ihren Erfahrungen mit den Wirtschaftsetagen in Deutschland skeptisch: "Viele Unternehmen pflegen die Rhetorik von Flexibilität und meinen damit oft nur die Beweglichkeit, die sie von den Mitarbeitern erwarten. Sie werben bei den Jungen mit einer leistungsorientierten Kultur jenseits von Hierarchie- und Zeitdiktaten. Die Neulinge müssen dann bald erleben, dass vielerorts zum Beispiel die Parkplätze nach Hierarchie- und Senioritätskriterien vergeben werden." Ohnehin reiche ein smarter Flexibilisierungskurs kaum aus, um die nachwachsende Generation dauerhaft zu binden.

Die 20-Jährigen sind aufgewachsen in einer Zeit, in der Wandel der Normalzustand, Globalisierung Realität und die digitale Welt Alltag ist. Sie sind vertraut mit Joystick und sozialen Netzen, geprägt vom Denken in Links statt in Hierarchien und an Feedback per Mausklick gewöhnt. Darum suchten sie in der Tat mehr Freiheit und andere Führung. Zucker: "Sie wollen schnellen Wechsel, ehrliches, häufiges Feedback, klare Rahmenbedingungen für Budgets, Ziele, Termine, aber maximale Autonomie für den Weg zum Ziel. Sie suchen Autoritäten, die fachlich oder persönlich Vorbilder sind, statt Autoritäten, die nur auf Hierarchien gründen."

Drang zu neuer Freiheit

Den Drang zu neuer Freiheit nennt der Politologe und Autor Markus Albers "Easy Economy". In seinem Buch "Morgen komm ich später rein" plädiert er für mehr Selbstbestimmung in den Unternehmen. Die Mitarbeiter sollten selbstbewusst ihre Freiheiten einfordern: Wann und wie oft sie kommen, wie sie ihre Aufgaben organisieren, um die Ziele zu erreichen. Die Idealform ist eine Art Hybrid zwischen Angestelltem und freiem Mitarbeiter, der "Freiangestellte", wie Albers sagt. Blanke Theorie? Der Autor hat sich in Unternehmen umgeschaut. "Viele entdecken, dass ihre Mitarbeiter produktiver und kreativer sind und nicht so oft kündigen, wenn man sie nicht mehr jeden Tag ins Büro zwingt. Firmen sind bereit, den Mitarbeitern zunehmend Freiräume einzuräumen."

Palomar 5

Die Idee zu einem offenen Innovationshaus der jungen Generation hatte der Musikstudent Jonathan Imme schon lange. Auf dem Digital-Natives-Gipfel der Deutschen Telekom nahm sie Gestalt an. Mit Unterstützung der Telekom gründeten der 25-Jährige und seine fünf Mitstreiter das Projekt Palomar 5. Sie wollten drei Dutzend Internet-affine, hochqualifizierte Kreative aus aller Welt zusammentrommeln, die in einer renovierten Fabriketage sechs Wochen lang mit Unterstützung hochkarätiger Experten Ideen für die Arbeitswelt von morgen entwickeln sollten. Wie das Sternen-Cluster Palomar durch die Milchstraße kreuzt und sie dadurch verändert, sollte Palomar 5 durch die Arbeitswelt schießen und seine Spuren hinterlassen.

Das Team hinter Palomar 5 ( von links): Philippa Pauen, Dominik Wind, Jonathan Imme, Hans Raffauf, Simon Wind, Mathias Holzmann

Aus 600 Bewerbungen suchten Imme und sein Team 28 Teilnehmer unter 30 Jahren heraus. Der bunte Mix aus Computer-Nerds, Ingenieuren, Bankern, Künstlern, Philosophen, Entwicklern, Freiberuflern, Studenten, Unternehmern und Festangestellten fand sich im Oktober und November 2009 sechs Wochen zum Workshop-Camp in der Malzfabrik zusammen. Seit Abschluss des Projekts besteht Palomar 5 als Netzwerk weiter. In diesem Jahr geht das Camp in eine zweite Runde.

Arbeiten, wann man will

Freilich steht Deutschland erst am Anfang. Die USA sind da weiter. Rowe (Results-only Work Environment) nennt sich die Bewegung, die ein ergebnisbezogenes Arbeitsumfeld im Blick hat, das den Bedürfnissen des netzaffinen Nachwuchses gerecht werden soll. Ein Beispiel ist die US-amerikanische Firma Best Buy. Die Elektronikmarkt-Kette mit 4000 Beschäftigten hat sich dank des Rowe-Konzepts aus einer Unternehmenskrise gearbeitet. Arbeitsbeginn ist nicht mehr um acht Uhr. Heute ist es egal, ob, wann und wie lange jemand ins Büro kommt. Hauptsache, die Arbeit wird gemacht. Seitdem stieg die Produktivität, und weniger Mitarbeiter kündigten. Drückeberger mussten gehen, ihren Arbeitsalltag in der Hängematte konnten sie nicht mehr durch Daueranwesenheit kaschieren. Nur noch die Ergebnisse zählten. Albers: "So ein Konzept ist ein hervorragendes Recruiting-Instrument. Denn gerade junge High Potentials suchen solche Freiheiten."

So weit, den Mitarbeitern das Kommen und Gehen komplett selbst zu überlassen, würde Georg Bachmaier wohl nicht gehen, auch wenn bei Microsoft Vertrauensarbeitszeit Prinzip ist. Natürlich müssen interne Meetings oder Termine beim Geschäftskunden organisiert sein. Aber die Vorstellungen der 20-Jährigen hat der Leiter Recruiting bei Microsoft Deutschland im Blick: Sie sind freiheitsliebend, auf der Suche nach Flexibilität und schnell wechselnden Aufgaben, flachen Hierarchien und einem "digitalen Workstyle". "Diese Klientel bewirbt sich bei uns, weil sie weiß, dass wir das leben", behauptet er.

Feste Jobs sind noch die Regel

Digitale Technologien prägen das Miteinander im Unternehmen, die interne Kommunikation läuft über einen in den Laptop integrierten "Communicator", der alle auf Kopfdruck vernetzt. Heimarbeitstage sind ebenso üblich wie interne Wikis und Weblogs. Besonders stolz ist Bachmaier auf die Unternehmenskultur: Alle Mitarbeiter duzen sich, die Führungsmannschaft sitzt in einem offenen Büro im dritten Stock, gerade erst hat Microsoft-Geschäftsführer Achim Berg die neuen Trainees begrüßt: "Ihr könnt immer zu uns hochkommen. Wenn ihr merkt, dass etwas nicht so läuft, schreibt einfach eine Mail."

Dass ein Teil des internationalen Top-Nachwuchses wie die Palomar-Crew ihm trotzdem durch die Lappen gehen könnte, schreckt Bachmaier nicht: "Unsere Marke als Arbeitgeber ist so gut, dass wir überzeugen. Wer sich nicht fest binden will, dem können wir Projektverträge an verschiedenen Standorten in der Welt oder freie Mitarbeit bieten. Noch wollen aber die meisten in der IT-Branche einen festen Job - ich sehe nicht, dass sich das in absehbarer Zeit ändert."

beliebte Arbeitgeber
Siemens
Vor einigen Jahren war Siemens noch der Traumarbeitgeber für den IT-Nachwuchs. Nach massivem Stellenabbau im IT- und TK-Bereich nur noch Rang 8 für den Konzern.
Brigitte Hirl-Höfer, Microsoft Deutschland
Die Personalchefin muss sich keine Sorgen machen: Der Softwarehersteller behauptet seit Jahren seinen Platz unter den beliebtesten Arbeitgebern (Platz 7).
Der iMac von Apple
Auch Apple fällt durch seine Produkte auf. Der Mac-Hersteller verbessert sich von Platz 8 auf Platz 4.
Blizzard Entertainment: World War Craft
Neueinsteiger Blizzard Entertainment landet auf Anhieb auf Platz Vier und belegt damit die große Anziehungskraft der Spieleindustrie auf junge Absolventen.
Die SAP Zentrale Campus Walldorf
Die Softwareschmiede SAP verliert weiterhin: Nachdem die Walldorfer in den vergangenen Jahren Platz eins und zwei belegt hatten, müssen sie sich nun wieder mit dem zweiten Platz begnügen.
Christoph Grandpierre, IBM
Christoph Grandpierre ist Personalgeschäftsführer von IBM und kümmert sich wie auf der CeBIT selbst um die Bewerber. Mit Erfolg: das größte IT-Unternehmen der Welt verbessert sich von Platz drei auf Platz zwei in diesem Jahr.
Google Microkitchen
And the winner is...erneut Google. Der Suchmaschinenbetreiber besticht auch dieses Jahr nicht nur durch ungewöhnliche Niederlassungen wie hier in Zürich,....
Google Meeting Informal
...sondern auch durch Innovation. Die Mitarbeiter dürfen ein Fünftel ihrer Arbeitszeit kreativ sein und wie hier in der Hängeschaukel neuen Ideen nachhängen.

Jürgen Rohrmeier ist anderer Ansicht. Der auf die IT-Branche spezialisierte Personalberater bei der Pape Consulting Group in München stößt bei der Personalsuche immer wieder auf junge IT-Profis, die "komplett anders denken". "Sie sind von einer neuen Internet-Kultur mit ihren sozialen Netzwerken geprägt und wünschen sich äußerst autonome und netzwerkorientierte Arbeitsformen - wie etwa nach dem amerikanischen Rowe-Konzept."

Arbeiten in Netzwerken beschleunigt Innovationen

Bereits vor drei Jahren hat der amerikanische Internet-Forscher und Chef der Beratungsfirma "New Paradigm", Don Tapscott, neue Formen der Zusammenarbeit aufkeimen sehen: "Wikinomics", die Wiki-Wirtschaft, hat er sie getauft und damit eine freie, Web-basierende Art der Kooperation über die Unternehmensgrenzen hinweg mit Hilfe der Wiki-Technik beschrieben. "Unternehmen können plötzlich auf der ganzen Welt nach Personal suchen. Alte Überzeugungen, dass Talente innerhalb einer Firma aufgespürt werden müssen, dass man Mitarbeiter im Unternehmen weiterbilden muss, damit sie bestimmte Probleme lösen, sind anachronistisch geworden", sagt Tapscott. "Unternehmen der Zukunft bedienen sich stattdessen nach Bedarf an dem globalen Talentpool."

Firmen wie der Markenartikelhersteller Procter & Gamble (P&G) machen es vor. In seiner Branche hat sich das Innovationstempo in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. Die 9000 Chemiker, die P&G beschäftigt, können das allein nicht mehr schaffen. Deshalb können über das Netzwerk Innocentive Externe nach Belieben ins Unternehmen treten und sich beteiligen. Experten organisieren sich in Netzwerken, entwickeln gemeinsam Ideen und lösen Probleme. Seitdem ist das Innovationstempo kräftig gestiegen. Ähnliches macht die deutsche SAP, die die virtuelle Entwicklungsgemeinschaft SDN auf die Beine gestellt hat, auf der sich 1,3 Millionen User aus 200 Ländern über knifflige technische Fragen austauschen.

Die Grenzen der Flexibilität

Kienbaum-Personalberater Markus Krahforst lacht: "So weit sind wir in den meisten Unternehmen allerdings noch nicht." Immer wieder merkt er, wie eng die Grenzen der Flexibilität gesteckt sind. Schon wenn ein hochqualifizierter Bewerber lieber an einem anderen Standort des Unternehmens arbeiten möchte als ursprünglich geplant, ist oft Schluss. Doch er ist sicher, dass Stempelkarte und feste Arbeitsplätze überholt sind. Der Siegeszug der Telearbeit in den vergangenen Jahren habe gezeigt, wie sehr die Arbeitsformen im Wandel seien. "Die Jungen lassen sich ihren Wunsch nach mehr Freiheiten nicht mehr so leicht abkaufen", glaubt Krahforst. "Menschen, wie sie sich bei Palomar 5 getroffen haben, sind vermutlich die Speerspitze einer machtvollen Entwicklung, vor der deutsche Unternehmen nicht die Augen verschließen können." Noch hänge Deutschland zwar im internationalen Vergleich hinterher. "Doch die IT-Industrie hat das Zeug, Vorreiter des Wandels zu werden."