IT am Körper vereinfacht Arbeit und Freizeit

Wir sind die Borg

08.01.2009 von Simon Hülsbömer
"Wearable Computing" erscheint vielen noch wie Science-Fiction. Doktorand Kai Kunze beweist das Gegenteil.

CW: Was genau ist Wearable Computing?

Kunze: Die Idee dahinter ist, Alltagssituationen durch bewegungsgesteuerte Computer zu erleichtern. Weg vom Desktop hin zu proaktiven Systemen, die den Benutzer beispielsweise im Beruf oder daheim unterstützen. Der Mensch trägt die Technik direkt am Körper und kann so Aufgaben erledigen, die im Normalfall nicht möglich wären.

CW: Zum Beispiel?

Kunze: Ein Nutzer, der eine Diät macht, programmiert sein System entsprechend mit dieser Information. Über ein Mikrofon im Ohr werden die Kaugeräusche aufgezeichnet. So weiß das System, wann, wie viel und auch wie der Anwender gegessen hat. Es ist sogar vorstellbar, durch Vergleiche und mit einer Datenbank festzustellen, was gerade gegessen wird. Wenn beispielsweise das prägnante Kaugeräusch von Kartoffelchips festgestellt wird, bekommt der Nutzer einen Hinweis, dass diese Kalorienbomben für den Verzehr eher ungeeignet sind. Zugegeben, ein ziemlich extremes Beispiel - aber es zeigt, was mit allgegenwärtigen Systemen ("pervasive systems") möglich ist.

CW: Warum haben Sie kürzlich mit Handy und Notebook bewaffnet ein Möbelhaus besucht?

Kunze: Ich habe mein Handy auf verschiedene Oberflächen gelegt und den Vibrationsalarm ausgelöst. Die Resonanz ist je nach Untergrund unterschiedlich, die Vibration hört sich immer anders an. Diese Geräusche habe ich aufgezeichnet und das System mit den Daten gefüttert.

CW: Wozu?

Kunze: Direkt ein praktisches Beispiel dazu - ältere Menschen, die aus dem Haus gehen, vergessen ganz gerne einmal ihr Handy. Tragen Sie eines unserer Systeme am Körper, prüft dieses beim Verlassen der Wohnung, ob sich das Handy am Körper befindet. Wenn nicht, wird es angefunkt. Es löst die Vibration aus und meldet sich mit einer bestimmten Art von Geräusch zurück. Das tragbare IT-System erkennt nun sofort, auf was für eine Art Untergrund das Handy liegt, und informiert den Nutzer im Idealfall genau darüber, wo im Haus oder in der Wohnung das Handy vergessen wurde.

30 Millionen Euro aus Europa

CW: Das hört sich alles sehr theoretisch an. In welchen Branchen kommt Wearable Computing schon zum Einsatz?

Kunze: Im Gesundheits- und Produktionsbereich sind wir mit unseren Forschungen weit fortgeschritten. Automechaniker erhalten in ersten Pilotversuchen schon heute während der Montage wertvolle Hilfe durch ein tragbares System, das darauf achtet, dass kein Einzelteil vergessen oder falsch montiert wird. Vor vier Jahren haben wir gemeinsam mit der ETH Zürich und über 50 Industriepartnern wie SAP und Microsoft das von der EU mit rund 30 Millionen Euro geförderte Projekt "Wear IT @Work" auf den Weg gebracht. Es trägt erste Früchte, die für den praktischen Einsatz geeignet sind. Umfragen haben ergeben, dass viele Angestellte unsere Lösungen als Bereicherung für ihre tägliche Arbeit empfinden. Langfristig ist ein Einsatz auch beispielsweise im Rettungsdienst denkbar. So hat die Pariser Feuerwehr mit tragbaren Systemen geprobte Löscheinsätze effizienter und sicherer machen können. Die Möglichkeiten sind noch lange nicht ausgeschöpft.

CW: Wo bleibt der Datenschutz? Wenn jeder Mensch immer mehr IT direkt am Körper trägt, können wir uns den implantierten Chip unter der Haut fast schon schenken.

Kunze: Das Wearable Computing birgt wie jede Technik große Risiken für die Privatsphäre. Wir müssen die Menschen über die Gefahren aufklären und einen bewussten Umgang mit der IT schaffen. Eine andere Lösung weiß ich leider auch nicht.

Zur Person

Kai Kunze promoviert an der Universität Passau im Team von Informatikprofessor Paul Lukowicz über neue Methoden, körpergesteuerte IT-Systeme in den (Arbeits-)Alltag zu integrieren.