Cirquent-Chef Thomas Balgheim

"Wir schaffen die Basis für Wachstum"

28.11.2011
Cirquent firmiert künftig als NTT Data. Thomas Balgheim, Vorsitzender der Geschäftsführung der Cirquent GmbH, erläutert im Gespräch mit CW-Redakteur Joachim Hackmann die Hintergründe des Vorhabens.
Foto: Cirquent GmbH

CW: NTT Data hat Cirquent vor drei Jahren übernommen. Warum kommt die Integration erst jetzt?

Balgheim: NTT Data hat im Zuge der Präsentation der aktuellen Quartalszahlen Anfang November angekündigt, den Auslandsumsatz weiter steigern zu wollen. Zudem wurde bekannt gegeben, dass man ein Projekt gestartet hat, um die Auslandsaktivitäten stärker zu harmonisieren und zu integrieren. Im Rahmen dieses Projekts werden wir die Aktivitäten schrittweise unter einem einheitlichen Markennamen zusammenführen. In den vergangenen Jahren hat NTT Data einige Auslandsakquisitionen betrieben. Jetzt ist der Zeitpunkt erreicht, zu dem man genügend kritische Masse hat, um aus diesen verschiedenen Aktivitäten Synergieeffekte zu ziehen. Die internen Vorbereitungen für das Internationalisierungsprojekt wurden Mitte dieses Jahres gestartet.

CW: Welche Synergien werden konkret angestrebt?

Balgheim: Wir orientieren uns in den Planungen daran, was der Kunde von uns verlangt. Unser Fokus liegt auf großen Konzernen und international agierenden Unternehmen. Sie erwarten einen IT-Dienstleister, der sie vor Ort betreut und überall dort Markt-, Rollout- und Implementierungskenntnisse zu bieten hat, wo sie mit weltweiten Niederlassungen aktiv sind.
Zudem wollen die Kunden in der Produktion der Leistung einen Mix aus Onshore, Nearshore und Offshore. Das haben wir bei Cirquent bislang mit Hilfe von Partnern angeboten. Hier hat sich der Markt weiterentwickelt, die Kunden wollen das lieber aus einer Hand haben.

CW: NTT Data ist als dezentral organisiertes Unternehmen bekannt, dessen Auslandsniederlassungen eigenständig agieren. Das ist kaum mit einer straffen, nahtlos integrierten globalen Servicelieferkette vereinbar. Wie wollen Sie den Widerspruch auflösen?

Balgheim: Die dezentrale Kompetenz ist eine Stärke von NTT Data. Die Anwender schätzen es, wenn sie einen Ansprechpartner haben, der Entscheidungen treffen kann. Unsere Kunden arbeiten beispielsweise gerne mit Cirquent zusammen, weil wir gemeinsam schnelle und pragmatische Lösungen finden. Das ist besonders wichtig, da wir viele Innovations- und Differenzierungsprojekte betreiben. In solchen Vorhaben weiß man nie genau, welche Änderungen sich während der Laufzeit ergeben.
Klar ist, dass wir den einen oder anderen Prozess stärker zentralisieren und harmonisieren müssen: Das Offshoring bringt nur dann etwas, wenn es Standards in den Abläufen und in der Vorgehensweise gibt. Gleichzeitig müssen wir die Entscheidungsgewalt und Kompetenz beim Kunden vor Ort bewahren. Hier die richtige Balance zu finden, wird die große Herausforderung in der Integration sein.

NTT Data verspricht langfristiges Engagement

CW:Cirquent war eine der ersten bedeutenden Auslandsakquisitionen von NTT Data. Ein Internationisierungsprojekt in Deutschland zu starten ist ungewöhnlich, üblicherweise wählen Konzerne den großen angloamerikanischen Markt oder Großbritannien, allein schon wegen der geringeren Sprachbarrieren. Warum Deutschland?

Balgheim: NTT Data hat im Lauf der Zeit eine Vielzahl von nationalen Spezialisten und Champions gekauft. Nun sollen sie zusammen gebracht werden, um so einen Mehrwert zu schaffen. Diese Strategie verlangt ein langfristig angelegtes Vorgehen, damit die über Jahre aufgebauten Werte der nationalen Spezialisten nicht zerstört werden.
Deutschland ist ein sehr starker Markt. Wir verkaufen unsere Dienstleistungen aber nicht an einen Markt, sondern an Kunden. 90 Prozent unserer Kunden treffen die großen Investitionsentscheidungen im Headquarter. Also müssen sie einen Markt nicht im Sinne von Volkswirtschaften bewerten, sondern mit Blick auf Unternehmenszentralen. Wenn man sich unter dieser Voraussetzung Europa ansieht, dann ergibt sich ein neues Bild mit anderen regionalen Schwerpunkten. Das war einer der Gründe dafür, in Deutschland zu starten. Das war übrigens auch ein wesentlicher Grund dafür, dass NTT Data mit Value Team ein Unternehmen zugekauft hat, dass in der Wirtschaftsregion Mailand vertreten ist.
Es gibt einen weiteren wesentlichen Grund: Bei einer internationalen Expansion spielt die Kultur eine wichtige Rolle. Auch wenn uns die japanische Kultur bisweilen exotisch anmutet, so gibt es doch im Vergleich zu anderen Ländern viele Ähnlichkeiten, etwa in der vom Ingenieurswesen geprägten Unternehmenskultur.

CW: Welche weiteren europäischen Aktivitäten werden unter dem NTT-Data-Dach integriert?

Balgheim: Wir haben zurzeit zwei europäische Headquarter, die an der ersten Integrationsphase teilnehmen, vertreten durch Cirquent in München und Value Team in Mailand. Hinzu kommen die Europa-Aktivitäten der amerikanischen Unternehmen Keane und Intelligroup, die zum NTT-Data-Verbund gehören. Ziel ist eine gemeinsame Organisationsstruktur für diese vier Unternehmen und ein einheitlicher Brand.

CW: Wo wird die europäische Zentrale sein?

Balgheim: In der heutigen Welt sind virtuelle Organisationen Gang und Gäbe. Es wird einen juristischen Headquarter-Sitz geben, dort müssen aber nicht zwangsläufig alle Funktionen zentralisiert werden. Wie das im Einzelnen aussehen soll, wird derzeit noch entwickelt.

CW: Einer muss den Hut aufhaben. Wer wird das sein?

Balgheim: Das Projekt wurde gerade erst gestartet, es gibt noch keine Ergebnisse über diesbezügliche Ziele. Der aktuelle Stand ist, dass ich die Aufgabe übernommen habe, das Integrationsvorhaben zu leiten, das die vier europäischen Firmen in Europa zusammenführen soll.

Im Frühjahr 2012 steht der Fahrplan

CW: Wie sieht der Zeitplan aus?

Balgheim: Wir werden im ersten Quartal 2012 Details bekannt geben. Das gilt auch für die Umfirmierung.

CW: Wie groß wird das Unternehmen sein?

Balgheim. Der Jahresumsatz wird etwa 600 Millionen Euro umfassen. Wir werden Niederlassungen in England, Deutschland, Schweiz, Österreich, Italien, Dänemark, Frankreich und der Türkei haben. Außerdem führt die europäische Dependance die Niederlassungen in Brasilien und Argentinien sowie im mittleren Osten. Ingesamt werden wir über 5000 Mitarbeiter beschäftigen.

CW: Welche Services betreiben Sie für welche Branchen?

Balgheim: Die Akquisitionen wurden so betrieben, dass die Unternehmen komplementär sind. Das betrifft auf der einen Seite die Branchenstärke. Besonders gut aufgestellt sind wir in Europa in den Märkten Financial Services, Telekommunikation und durch Cirquent auch im Automotive-Sektor. Value Team ist zudem stark in der Energieversorgung verankert. Keane und Value Team haben ausgeprägte Kompetenzen in der Logistikbranche, ein Bereich, den auch Cirquent immer stärker adressiert hat. In Großbritannien ist Keane zudem in der öffentlichen Hand ein anerkannter Anbieter.
Alle Firmen fokussieren auch auf Portale und mobile Lösungen für das Customer Management. Ziel insbesondere auch von Cirquent ist es, unser Kunden darin zu unterstützen, dass sie sich mit Hilfe neuer Techniken vom Wettbewerb differenzieren und Werte schaffen. Das ist auch eine klare Kernkompetenz von NTT Data in Tokio sowie von Value Team und Keane.
Cirquent hat die dafür erforderlichen Frontends gebaut. Wir waren aber nicht so gut darin, diese Frontends, die im Lauf des Lebenszyklus zu Commodity werden, in einen dauerhaften, kostengünstigen Betrieb zu überführen. Das ist ein Geschäftsmodell, das Keane und Intelligroup betreiben. Wir haben nun Zugriff auf etwa 10 000 Offshore-Ressourcen in Indien, die darauf spezialisiert sind, sehr individuelle Anwendungen zu betreuen. Dadurch ergeben sich Synergieeffekte.

CW: Wird das Outsourcing demnach eine wichtigere Rolle für Sie spielen?

Balgheim: Cirquent erzielt heute 90 Prozent des Umsatzes im Projektgeschäft, zehn Prozent mit Betriebsdiensten. Das wird sich dahingehend verschieben, dass wir mittelfristig ein Verhältnis von 80 zu 20 anstreben. Die strategische Ausrichtung sieht ein Verhältnis von 70 zu 30 und später 60 zu 40 vor. Wobei der Schwerpunkt immer auf innovativen und individuellen Applikationslandschaften liegt.

CW: Betreiben Sie Rechenzentren in Europa?

Balgheim: NTT Data ist Teil des NTT-Konzerns, unter dessen Dach die NTT Communications firmiert. Sie betreibt Rechenzentren auch für Cloud-Anwendungen. Auf diese Kapazitäten haben wir Zugriff.

Wachsen durch weitere Akquisitionen

CW: Welche Konsequenzen ergeben sich für die Mitarbeiter?

Balgheim: Die unmittelbare Konsequenz für Mitarbeiter ist vernachlässigbar. Sie bleiben bei der Cirquent GmbH angestellt, irgendwann wird die Firma in eine NTT Data GmbH umbenannt. Es wird keine neuen Arbeitsverträge und keine neuen Kundenverträge geben.
Wir werden künftig mehr internationale Projekte anbieten. Für die Mitarbeiter ergibt sich damit eine internationale Karriereperspektive.

CW: Wie haben die Mitarbeiter auf die bevorstehende Integration reagiert?

Balgheim: In unseren Mitarbeiter-Befragungen haben wir auch die Meinung zur NTT-Data-Akquisition erhoben. Insgesamt gibt es eine sehr hohe Zustimmung, wohl auch deshalb, weil NTT Data seit der Akquisition im Jahr 2008 gezeigt hat, dass man an einem langfristigen Engagement interessiert und sehr sorgsam mit Cirquent umgegangen ist.
Ziel der Integration ist auch, dass wir unsere Rolle als internationaler Player betonen, der seinen Ursprung nicht im anglo-amerikanischen Raum hat. Die ersten Akquisitionen hat NTT Data weder in den USA noch in Großbritannien betrieben. Damit hat man auch ein Signal gesandt, dass man andere kulturellen Werte pflegen und betonen möchte: Das sind insbesondere die Mitarbeiterorientierung und die langfristige Kundenbeziehung.

CW: Wurden die Kunden über die Pläne informiert?

Balgheim: Unsere großen Kunden wissen, dass wir den Weg verfolgen. Sie begrüßen die Integration und zeigen zum Teil eine gewisse Ungeduld. Gerade die großen Unternehmen fordern sowohl internationale Größe als auch lokale Ansprechpartner ein. Dieser Anspruch ist für uns auch Mahnung, unsere Agilität und Flexibilität zu bewahren.

CW: Was sagt BMW dazu, immerhin hält der Konzern noch über 25 Prozent der Cirquent-Anteile?

Balgheim: BMW begrüßt das Vorhaben. Seit 2008 müssen wir uns in allen Projekten wie ein ganz normaler IT-Dienstleister gegen den Wettbewerb behaupten. Das hat dem Verhältnis gut getan. Wann und wie mit der Minderheitsbeteiligung umgegangen wird, ist Sache der Anteilseigner und für das operative Geschäft ohne Relevanz.

CW: Was bringt die Zukunft, sind etwa weitere Akquisitionen geplant?

Balgheim: Die Synergieeffekte schaffen die Basis für weiteres Wachstum, wir haben die feste Absicht, das Geschäft auszubauen. Die Integration ist Grundlage für organisches und anorganisches Wachstum.