IFA-Chef im Interview

"Wir mussten traditionelle Denkmuster aufbrechen"

29.01.2010 von Heinrich Vaske
Unterhaltungselektronik neben Kühlschränken - Kritiker zweifelten, ob die Internationale Funkausstellung (IFA) in Berlin mit dieser Mischung erfolgreich sein kann. IFA-Chef Jens Heithecker erklärt, warum die Rechnung aufging.

CW: Während die CeBIT sich als Allround-Messe positioniert, hat sich die IFA immer auf Consumer Electronics konzentriert und B-to-B-Themen außen vor gelassen. Warum so bescheiden?

Heithecker: Das Hauptziel der IFA ist es, die Consumer-Electronics-Industrie mit ihren Produkten in den Vordergrund zu stellen. Damit sind wir für den Handel, die Medien und die Endverbraucher attraktiv - und darum geht es uns. Im kommunikativen Mittelpunkt der IFA stehen die Produkte und Marken unserer Aussteller für die breite Öffentlichkeit.

IFA-Chef Heithecker setzt auf den Handel.
Foto: Messe Berlin

Das impliziert aber auch, dass immer mehr Fachleute aus benachbarten Industrien auf die IFA kommen, weil die Spezialisten der großen Elektronikkonzerne aus Korea, Japan oder Taiwan alle in Berlin sind. Damit ist die IFA auch interessant für die Zuliefer- und die Halbleiterindustrie.(Siehe auch "IFA beflügelt Stimmung der Industrie")


CW: Auf der IFA gab es nun schon zum zweiten Mal auch Kühlschränke und Waschmaschinen zu sehen. Was sucht die weiße Ware auf der Messe?

Heithecker: Der Grund ist relativ simpel: Die IFA ist marktgetrieben, insbesondere handelsgetrieben. Der durchschnittliche Händler bietet heute das gesamte Produktspektrum - von der weißen bis zur braunen Ware. In Wirklichkeit unterscheidet die Ware ja keine Farbe mehr, sondern ist zunehmend gemeinsam digital, elektronisch. Händler sind unsere vorrangige Zielgruppe, entsprechend wichtig waren uns deren Wünsche.

CW: Müssen sich Großmessen inhaltlich möglichst breit aufstellen, um nicht an Bedeutung zu verlieren?

Heithecker: Ja und nein. Wir konnten unser Topniveau auf der IFA in 2009 ausbauen - und das haben wir sicher auch der Integration der weißen Ware zu verdanken. Besucher- und Ausstellerzahlen sowie Medienpräsenz zeigen, dass diese Entscheidung richtig war.

Der Konsument hat sich in seinen Bedürfnissen verändert. Er unterscheidet nicht mehr zwischen Telekommunikation, Consumer Electronic, Computertechnik etc. Er sieht Produkte und Lösungen. Und er erwartet von seinem Händler, dass der alle Produkte liefern kann - online oder im stationären Geschäft. Die IT-Industrie war zuerst skeptisch hinsichtlich der weißen Ware auf der IFA, doch dann hat sie gesehen, welch moderne Produktwelten dazugekommen sind. Genauso hatten die Anbieter der weißen Ware Angst, dass Consumer Electronic, TV etc. sie überstrahlen könnte. Das ist auch nicht geschehen. Beide Bereiche fanden das Interesse der Besucher und Medien. Ich muss aber zugeben, wir haben wirklich traditionelle Denkmuster aufbrechen müssen.

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Keine Autos auf der IFA

CW: Wenn die Digitalisierung die Klammer ist, dann müssten beispielsweise auch Autos auf der IFA zu sehen sein. Elektronik macht dort einen rasant wachsenden Anteil der Wertschöpfung aus.

Heithecker: Wir adressieren in erster Linie den Handel. Die Vermarktung von Autos und Consumer Electronics funktioniert bisher völlig unterschiedlich. Wenn man alles auf die Messe bringen wollte, was intelligente Elektronik an Bord hat, dann müssten dort auch Lichttechnik, bestimmte Möbel, Wellness-Produkte und vieles mehr stattfinden.

Uns geht es um eine homogene Gesamtstruktur, die wir mit der weißen Ware bewahrt haben, mit Autos aber noch verletzen würden. Die Frage ist, was ist der Kern der IFA und was sind die ergänzenden Bereiche, die wir gerne mit aufnehmen, sofern sie dazu passen. Energiespeicher, Energieeffizienz sind Themen, die aufkommen. Aber sie sind nicht der Kern der IFA.

CW: Das klassische Geschäftsmodell aller großen Messen basiert darauf, Platz zu vermieten. Die Aussteller wollen aber vor allem Kontakte knüpfen und Leads generieren. Wäre eine erfolgsabhängige Abrechnung des Messeauftritts nicht logischer?

Heithecker: Natürlich wäre es verlockend, der gesamten CE-Branche zu sagen, wir wollen nicht die Standmiete, sondern einen Anteil an dem, was wir an Geschäft verursachen. Aber unabhängig von den Berechnungsschwierigkeiten - was zählt man? Das konkret abgeschlossene Geschäft? Man müsste auch den PR-Effekt, der sich in der Zahl der Veröffentlichungen, der Fernsehzuschauer etc. ausdrückt, berechnen. Die erfolgsabhängige Abrechnung ist theoretisch interessant, praktisch aber nicht umsetzbar. Außerdem gibt es keinen Grund, hier fundamental etwas zu verändern. Wir sind ja mit unserem vielleicht belächelten traditionellen Messegeschäft sehr erfolgreich, auch in Zeiten der Wirtschaftskrise. Das beweist doch, dass dieses Modell nicht tot ist. Letztendlich geht es nur darum, eine Messe sauber und richtig aufzustellen.

CW: Und was sind dafür die Erfolgsfaktoren?

Heithecker: Es muss gelingen, den Nutzen für den einzelnen Aussteller eindeutig zu erzeugen. Dabei geht es um die Konzeption, die Realisierung der Kundenbeziehungen und die Organisation. Nur weil wir hier gut aufgestellt waren, ist es uns 2009 gelungen, die internationale Leitstellung auszubauen.

Die entscheidende Frage ist: Was sind die Geschäftsmodelle der Kunden und entspricht unser Konzept ihren Bedürfnissen? Wir adressieren beispielsweise sehr unterschiedliche Handelsformen, die etwa von Dixon aus England, Fry‘s aus den USA, Amazon.com, Karstadt oder den erfolgreichen Verbundgruppen verfolgt werden. Sie unterscheiden sich untereinander massiv in ihren Strukturen und Zielen. Trotzdem müssen wir verstehen, wie sie sich positionieren, wer ihre Nachfrager sind und was diese Märkte treibt. Es gibt schließlich erhebliche Umbrüche in den Märkten, die sich auf Messen niederschlagen.

Geheimrezept: auf die Kunden hören!

CW: Von welchen Umbrüchen sprechen Sie?

Heithecker: Nehmen Sie SAP, um im IT-Markt zu bleiben: Deren Marktumfeld hat sich massiv geändert. Wenn eine SAP nun auf eine große IT-Messe geht, um den Mittelstand zu erreichen, dann müssen sich die Veranstalter etwas einfallen lassen. Welche Lösungen haben sie für solche Aussteller? Das ist schwierig, aber eine Pflichtaufgabe für jede Messegesellschaft, das herauszufinden.

CW: Vieles von dem, was auf einer Messe läuft, lässt sich auch im Netz erreichen. Haben virtuelle Messen eine Chance?

Heithecker: Ich wehre mich gegen den Begriff. Messe heißt für mich Menschen zusammenzuführen. Das kann ein virtuelles Produkt nicht. Es führt Informations- und Kommunikationswege zusammen, aber keine Menschen. Es ersetzt keine Messen, ich kenne kein erfolgreiches Beispiel.

Man braucht zur Messe additiv einen guten Webauftritt, damit der unterstützende Zugriff auf relevante Informationen einfach und transparent erfolgen kann. Wir haben ein erfolgreiches Modell mit unserem Virtual Marketplace aufgebaut. Während der IFA erfüllt es die normalen Informationsbedürfnisse: Wo finde ich welchen Aussteller mit welchen Produkten in welcher Halle? Eine Matchmaking-Komponente ist ebenfalls enthalten und in den Zeiten zwischen den IFAs bieten wir an, dass jeder seine Informationen dort einstellen kann, aktuell und kostenfrei. Das ersetzt aber keine Messe, es unterstützt sie lediglich.

Es ist auch nicht der erste Gedanke, wenn jemand Informationen über ein Unternehmen oder Produkte sucht, auf die Homepage der Messen zu gehen. Da gibt es andere Sites und Portale, die das beherrschen.

CW: Hat die IFA mit ihrem Consumer-Fokus einen Vorteil gegenüber klassischen B-to-B-Messen wie der CeBIT?

Heithecker: Nein, Messen sind grundsätzlich wichtig, denn kreative Ideen entstehen nur, wenn Menschen zusammenkommen. Nur elektronisch zu kommunizieren wird irgendwann schwierig, vor allem wenn es darum geht, Kontakte zu verstetigen. Der direkte Kontakt in den Märkten ist nicht zu ersetzen. Zurzeit müssen in den Unternehmen wahnsinnig Kosten gespart werden - bei den Ausstellern und den Besuchern. Umso wichtiger ist es, dass man Plattformen für den Austausch von Ideen schafft, face to face. Das geht. Je virtueller das Produkt, desto mehr persönliches Vertrauen in den Partner brauchen Sie.

CW: Demnach müsste ja das Münchner Modell der Discuss & Discover, das nicht besonders viele Besucher angezogen hat, prinzipiell richtig gewesen sein.

Ein bisschen Kongress darf sein

Heithecker: Zusammenkommen, Themen diskutieren, gemeinsame Lösungen finden - das ist immer wichtig. Liegt der Fokus aber zu stark auf dem Kongress, wird es schwierig. Ein Kongress kann eine Messe ergänzen, aber nicht ersetzen.

CW: Was ist dann der richtige Ansatz im B-to-B-Bereich? Kongress plus Messe oder Messe plus Kongress?

Heithecker: Für uns als Messegesellschaft, die wir hohe Infrastrukturkosten haben, ist eine Messe plus Kongress das bessere Geschäftsmodell. Wir erzielen nach wie vor die Haupteinnahmen über Standmieten. Müssten wir die Messe allein über Eintrittsgelder finanzieren, hätten wir ein Problem. Niemand wird mehrere Tausend Euro für die Teilnahme an einer Kongressmesse zahlen. Das Empfinden, für dieses Geld einen adäquaten Nutzen zu erzielen, ist nicht gegeben.

Im Prinzip läuft es auf einer Messe ja so, dass der Aussteller dem Besucher die Kommunikationsmöglichkeit finanziert. Der Messeveranstalter hilft ihm dabei, mehr Anreize zu bieten als einen reinen Messestand. Da muss man schauen, was ist das beste Format? Die conhIT zum Beispiel, unserer IT-Messe für die Healthcare-Branche, wird einen halben Tag mehr oder weniger geschlossen, damit Aussteller und Besucher gemeinsam an Kongressen, Seminaren und Workshops teilnehmen können.