"Wir halten uns strikt an die Spielregeln"

19.07.2004
Karstadt-Quelle konnte seine IT-Betriebskosten deutlich senken. Zudem plant der Konzern, einen Teil seiner IT-Tochter Itellium auszulagern. Warum der Handelsriese sein IT-Budget dennoch erhöht hat, erläutert Vorstand Peter Gerard im Gespräch mit CW-Redakteur Robert Gammel .

Als Vorstand der Karstadt-Quelle AG verantwortet Peter Gerard die Ressorts IT, Neue Medien, Dienstleistungen, Touristik, Controlling, Einkauf und Logistik.

CW: Wie haben sich die IT-Budgets des Konzerns in den vergangenen Jahren entwickelt?

GERARD: Für den reinen IT-Betrieb sind die Kosten auf Stückkostenbasis jedes Jahr zwischen fünf und zehn Prozent gesunken. Durch diese Kostenreduktion konnten wir das Mengenwachstum überkompensieren, so dass wir im Saldo 2004 einen leichten Rückgang zu verzeichnen vermochten. Diese Entwicklung wird sich auch in den nächsten Jahren fortsetzen.

Im Bereich der IT-Projekte sind die Budgets im Vergleich zum Vorjahr höher. Das wird bis zum Abschluss mehrerer strategischer Projekte, insbesondere in der Warenwirtschaft, sicher noch so bleiben. Insgesamt sind die IT-Budgets also gestiegen, weil die Einsparungen die hohen Investitionskosten nicht ausgleichen konnten. Ab 2005 werden wir uns voraussichtlich auf einem stabilen Niveau bewegen.

CW: Berichten zufolge überlegt Karstadt-Quelle, Teile seiner IT-Tochter Itellium auszulagern. Wie sieht die Zukunft von Itellium aus?

GERARD: Wir werden den Infrastrukturbereich auslagern. Die zukünftige Itellium wird als rein handelsorientiertes Beratungs- und Systemintegrationshaus bestehen bleiben. Der Fokus liegt dabei auf der Verbesserung der Prozesse innerhalb des Konzerns. Itellium wird aber auch fertige Lösungen wie die neu entwickelten Kassensysteme außerhalb des Konzerns anbieten.

CW: Ist die Gründung eines Joint Ventures von Itellium mit einem IT-Dienstleister damit vom Tisch?

GERARD: Durch den Verbleib des Beratungsteils im Konzern gibt es viele strategische Möglichkeiten, auch die eines Joint Ventures. Wir werden das ständig prüfen, verfolgen heute aber keine konkreten Pläne in dieser Richtung.

CW: Die Rechenzentrums- und Netzsparte wird also klassisch an einen Outsourcing-Partner vergeben?

GERARD:So ist es. Ein Teil des Infrastrukturbereichs, der Druck, ist bereits an (die Bertelsmann-Tochter, Anm. d. Redaktion) Arvato ausgelagert worden. Davon sind 70 Mitarbeiter betroffen. Für die anderen Teile werden wir jedoch in den kommenden Wochen eine Entscheidung treffen.

CW: Wie viele Itellium-Mitarbeiter müssen dann den Arbeitgeber wechseln?

GERARD: Wir reden über eine Größenordnung von zirka 800 Mitarbeitern.

CW: Für Handelsunternehmen ist die Beziehung zu den Kunden ein wesentliches Thema. Wie sind Sie mit den Ergebnissen des Happy-Digits-Programms zufrieden?

GERARD: Happy Digits hat sich mit über 21 Millionen ausgegebenen Karten und mehr als zwei Drittel aktiven Teilnehmern hervorragend entwickelt. Für Karstadt-Quelle ist dieses Multipartnernetzwerk hocheffizient. Die Zahl der zugeführten Kunden hat sich im Jahr 2003 mehr als verdoppelt, die Kundentreue konnte durch eine systematische Kommunikation deutlich gestärkt werden. Die Personalisierung der Kundenbeziehung und die intelligente Analyse des Kundenwerts mittels Happy Digits werden wesentliche Erfolgsfaktoren bleiben.

CW: Welche IT-Systeme nutzen Sie zur Auswertung der Kundendaten?

GERARD: Wir verwenden hier Standardsoftware von SAS. Die Daten mit einem Umfang von mehreren Terabyte werden zuerst in mehrdimensionalen Datenwürfeln konsolidiert und anschließend mit verschiedenen statistischen Verfahren ausgewertet. Mit den so gewonnenen Erkenntnissen planen wir insbesondere Marketing-Maßnahmen und messen deren Erfolg.

CW: Wie begegnen Sie den Vorwürfen von Datenschützern, es sei zu intransparent, was mit den Daten geschehe, und es gebe keine geeigneten Kontrollinstanzen?

GERARD: Wir geben die Daten von 21 Millionen Karten und 30 Millionen Haushalten nicht an Partnerunternehmen oder gar an Dritte weiter. Sie liefern die Grundlage, um Services und Warenangebote zu optimieren und entsprechend den Kundenwünschen zu entwickeln. Wir halten uns strikt an die Spielregeln. Dazu zählen der vertrauensvolle Umgang mit den Daten, die strikte Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen sowie der offene Dialog zu Fragen der Datennutzung. Umfragen zufolge halten über die Hälfte die Bedenken der Verbraucherschützer gegenüber Bonuskarten für übertrieben. Wir haben einen regelmäßigen Austausch mit der Datenschutzbehörde.

CW: Mit der Karstadt-Quelle Information Services GmbH (KQIS) haben Sie eine Tochtergesellschaft gegründet, die sowohl Kundendaten als auch externe Informationen aufbereitet und entsprechende Dienstleistungen anbietet.

GERARD: Schon vor Gründung der KQIS gab es im Konzern mehrere Ansätze, Synergien im Bereich Informationsdienstleistung zu bilden, um diese Leistungen auch extern zu vermarkten. 2001 wurde das tatsächlich angegangen und die Weichen für KQIS gestellt. Es folgte die Entscheidung zur Ausgründung einer eigenen Gesellschaft, die aus Einheiten der Stammhäuser Karstadt, Quelle und Neckermann besteht. Im Januar 2002 nahm die KQIS den operativen Betrieb auf. Ziel der Gesellschaft ist die Vermarktung von Dienstleistungen im Bereich Marketing, Risiko- und Forderungs-Management/Inkasso.

CW: Wie klassifizieren Sie dort die Kunden?

GERARD: Unsere Datenbestände bilden mit 33 Millionen Haushalten nahezu die gesamte Bevölkerung Deutschlands ab. KQIS verfügt über das Know-how sowie modernste technische Systeme zur fundierten und trennscharfen Analyse der Kundeninformationen. Eine Selektionstiefe bis zu 2000 Kriterien erlaubt eine treffsichere Segmentierung und Klassifizierung der richtigen Zielgruppe nach unterschiedlichsten Gesichtspunkten.

CW: Welche Werkzeuge setzten Sie hier ein?

GERARD: Wir haben die Daten in DB2-Datenbanken abgespeichert und bearbeiten sie mit SAS-Software. Zum Teil nutzen wir auch selbst entwickelte Tools.

CW: Setzen Sie für die Analyse auch geospezifische Systeme ein?

GERARD: Wir arbeiten in diesem Bereich mit dem von uns entwickelten Adress-Tool "Microdialog". Die Mikrogeografie nutzt statistische Informationen und Strukturdaten und baut auf dem Gedanken auf, dass es in benachbarten Wohnstrukturen in der Regel auch ähnliche Konsum- und Informationsgewohnheiten gibt. Nach diesem Grundsatz werden die Haushalte in Deutschland zu Zellen zusammengefasst. Aus datenschutzrechtlichen Gründen bestehen diese Zellen aus mindestens fünf Haushalten. Innerhalb dieser homogenen Strukturen sammeln wir Informationen über die Wohnsituation, Kaufverhalten und Soziodemografie.

CW: Können Sie ein konkretes Anwendungsbeispiel nennen?

GERARD: Nehmen wir einen Energieversorger, der Probleme mit einer zu hohen Kündigungsquote hat. Durch den Vergleich von verlorenen mit aktiven Kunden lassen sich Muster erkennen. Auf Basis dieser Analyse können potenzielle Kündiger im Kundenbestand entdeckt und durch gezielte Maßnahmen von der Abwanderung abgehalten werden.

CW: Karstadt-Quelle ist ein Vorreiter bei der Nutzung von Collaborative Planning, Forecasting and Replenishment (CPFR), also der IT-gestützten gemeinsamen Planung und Bestandsführung mit Lieferanten. Wie ist der aktuelle Stand?

GERARD: Derzeit sind mehr als ein Dutzend CPFR-Collaborationen im stationären Handel und im Versand live. Die beteiligten Lieferanten stammen aus den verschiedensten Produktbereichen. Durch die erhöhte Transparenz entlang der Lieferkette und das gemeinsame Bestands-Management erzielen wir deutliche Kostenvorteile. Die Durchschnittsbestände konnten wir um zehn bis 70 Prozent senken, die Wiederbeschaffungszeiten nahmen zwischen 33 und 50 Prozent ab und entgangene Umsätze wurden um 21 Prozent reduziert. Wir sind dabei, zügig weitere Collaborationen umzusetzen, und bereiten derzeit viele Projekte vor.

CW: Wie viele Lieferanten wollen Sie insgesamt über CPFR anbinden?

GERARD: Das hängt mit der Größe der Lieferanten ab. Wenn es nur um geringe Losgrößen geht, lohnt sich CPFR nicht. Alle Lieferanten mit einem kritischen Bestellvolumen kommen jedoch in Frage.

Der Konzern Die Karstadt-Quelle AG ist mit rund 100.000 Mitarbeitern Europas größter Warenhaus- und Versandhandelskonzern. Im Jahr 2003 erzielte er einen Umsatz von 15,3 Milliarden Euro. Davon entfallen 52,5 Prozent auf den Versandhandel, der stationäre Einzelhandel trägt 45,7 Prozent zum Gesamtumsatz bei. Steigende Bedeutung erlangt der Dienstleistungssektor mit einem Umsatzanteil von 9,4 Prozent. Darunter fallen beispielsweise die Aktivitäten der Karstadt-Quelle Information Services GmbH. Dort bündelt der Konzern alle Aktivitäten rund um das Thema Kundeninformationen und Kundenbeziehungs-Management und bietet diese Leistungen am Markt an. Zur Dienstleistungssparte zählen außerdem die IT-Tochter Itellium und die gemeinsam mit der Deutschen Telekom gegründete Betreibergesellschaft für das Bonusprogramm Happy Digits, CAP Customer Advantage Program GmbH. Zu den Konzerntöchtern gehören neben den Kernmarken Karstadt, Quelle und Neckermann auch

Wertheim, Hertie, KaDeWe und WOM sowie zahlreiche Spezialversender.

CW: Wie steht es um Ihre Bemühungen, mehr Transparenz über Ihre Zulieferer zu erlangen?

GERARD: Dafür haben wir das Projekt Konzern-Konditionen-Management (KKM) aus der Taufe gehoben. Die Lieferantendaten von acht Teilgesellgesellschaften wurden harmonisiert, konsolidiert und in ein neues Masterdata-Management-System migriert. Dabei kamen Daten von 140000 Lieferanten mit über einer Million verschiedenen Einzelkonditionen zusammen. Jeder Einkäufer kann nun nachprüfen, ob seine Konditionen tatsächlich so gut waren, wie die Lieferanten es versprochen haben. Er kann strategisch bestellen, weil er jetzt weiß, wann die nächsthöhere Rabattstaffel gilt.

CW: Wie stark konnten Sie darüber Ihren Lieferantenstamm verringern?

GERARD: Signifikant.

CW: Sie haben vor einiger Zeit mit SAP eine Entwicklungspartnerschaft für eine Retail-Lösung abgeschlossen. Wie weit sind Sie mit deren Einführung?

GERARD: Alle Stammdaten der Warenwirtschaft sind bereits auf das neue System migriert. Auf dieser Basis haben wir die Performance erfolgreich getestet und die spätere Produktivumgebung eingerichtet. Das erste Funktionsmodul für die warenwirtschaftliche Planung ist in der Testphase und wird im dritten Quartal 2004 in den Pilotbetrieb gehen. Im kommenden Jahr werden wir die Planungsprozesse parallel mit der bisher eingesetzten Eigenentwicklung und dem neuen Planungs-Tool betreiben, um Erfahrungen zum Verhalten des neuen Moduls zu sammeln.

CW: Wie sieht es auf Ihrer zweiten Großbaustelle, der Einführung eines neuen Kassensystems bei Karstadt, aus?

GERARD: Karstadt wird künftig in allen Filialen die Standardsoftware "Beanstore" des englischen Anbieters PCMS einsetzen. Damit werden sowohl die Kassen selbst ausgestattet als auch Kunden- und Filialbestellungen abgewickelt. Das geht also über normale Kassensysteme weit hinaus. Man kann die Lösung auch als lokales Warenwirtschaftssystem bezeichnen. Sie besticht durch eine Java-basierende offene Architektur und konnte deshalb von Itellium unproblematisch an die speziellen Anforderungen des Warenhausgeschäfts angepasst werden. In Zukunft arbeiten sowohl große Filialen wie das KaDeWe mit über 350 Kassen als auch kleine Shops mit einer einheitlichen Software. Das wird den Wartungs- und Betreuungsaufwand für die etwa 6500 in den Jahren 2004 und 2005 zu erneuernden Kassen kräftig verringern. Da Beanstore komplett plattformunabhängig ist, konnte sich Karstadt-Quelle für eine Installation auf Linux-Basis entscheiden. So können wir auch die

Systemkosten für Hard- und Software senken.

CW: Wie weit sind Sie mit dem Rollout?

GERARD:In vier Filialen ist die neue Kassenlösung bereits erfolgreich in Betrieb. Den flächendeckenden Rollout wollen wir im dritten Quartal 2004 angehen.

CW: Wie groß sind die erwarteten Einsparungen durch den Linux-Einsatz?

GERARD:Die Einsparungen betragen rund 30 Prozent pro neue Kasse.