Gartner Symposium 2014

"Wir brauchen Ethiker und Psychologen in der IT"

11.11.2014 von Karin Quack
Alles dreht sich um Digitalisierung - und damit um den Menschen. Das hat Folgen für die IT, aber auch fürs ganze Unternehmen. Mit dieser Botschaft stiegen die Analysten von Gartner in ihr jährliches Symposium in Barcelona ein.

Junge Menschen unter 25 Jahren empfinden ein eigenes Auto überwiegend als Belastung. Sie nutzen eines, wenn sie es brauchen, oder sie suchen sich eine Mitfahrgelegenheit. Die Bindung sei schwach, anders als beim Smartphone. Dem digitalen Begleiter widmet die junge Generation ihre volle Aufmerksamkeit - vom ersten "digitalen Moment" am Morgen bis zum letzten schläfrigen Blick in der Nacht. So beschrieb Gartner-Chef Peter Sondergaard das "Digital-First-Individuum".

Foto: Gartner

Diese Generation sei die Hauptzielgruppe für das digitale Business. Oder wie Sondergaard es in seiner Keynote-Rede ausdrückte: "Digitale Menschen definieren die neuen Möglichkeiten." Unternehmen, die das Thema ernst nähmen, müssten ihre Angebote für diese Menschen entwerfen, umsetzen und ausliefern, so der Global Head of Gartner Research weiter. Dazu seien nicht nur neue Business-Modelle, sondern auch andere Prozesse notwendig.

Vor allem in drei Beziehungen werde sich die Fokussierung der Firmen auf das Digital Business auswirken, so Sondergaard:

Die Machtverschiebungen kämen daher, dass immer mehr Geschäftseinheiten wie Start-ups agierten, so der Gartner-Chef. Sie hätten einen völlig unbelasteten Zugang zum "Nexus of Forces", den Gartner im vorletzten Jahr postulierte, und der sich wohl am besten mit Konvergenz innovativer Technologien übersetzen lässt. Und sie bezahlten die genutzte Technik oft aus eigenem Budget: "38 Prozent der IT-Investitionen werden heute schon außerhalb der IT getätigt." In Zeiten, da die IT-Budgets kaum mehr im einstelligen Bereich wachsen, hätten das mittlerweile auch die Anbieter mitbekommen und verkauften direkt ans Business.

Doch auch die konventionellen IT-Budgets werden sich in ihren Strukturen verändern, prognostizierte Sondergaard: Anstelle langfristiger Dienstleistungsabkommen werden sich die Unternehmen immer häufiger für schnell zugängliche Services aus der Cloud entscheiden. Statt großer ERP-Systeme, die zum Zeitpunkt des kompletten Rollout schon Wartungskosten in doppelter Höhe der Anschaffung gekostet haben, werden Firmen zunehmend modularisierte SaaS-Angebote nutzen. Und die Rechenzentren werden zunehmend aus integrierten Infrastrukturpaketen zusammengestellt.

Last, but not least wird sich laut Sondergaard die Digitalisierung der Welt auch auf die Personalstruktur der Unternehmen auswirken. Damit sprach der Analyst nicht nur den häufig zitierten War for Talents an, sondern auch Phänomene wie Crowdsourcing. Als ein Beispiel nannte er die dänische Saxo Bank: Sie hatte festgestellt, dass einige ihrer Kunden intelligenter Geld anlegen als die hauseigenen Experten. Folglich nutzt die Bank nun deren Strategien als Entscheidungshilfe für einen Teil ihrer Investments.

Gartner Symposium 2014
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Digitalisierung ist Teamwork

Nach wie vor werden Unternehmen eine "traditionelle" IT brauchen: solide, sicher, stabil, verlässlich. Aber wenn Gartner in seinen Umfragen feststellt, dass der Aufwand, den CIOs für den operativen Bereich treiben, immer noch steigt statt zu sinken, ist das laut Sondergaard kein gutes Zeichen. Es bedeute, dass die IT noch immer keine Zeit habe, um sich mit der Gestaltung der Prozesse, Architekturen und des gesamten digitalisierten Unternehmens zu beschäftigen.

Zwischen Selbst- und Außenwahrnehmung der CIOs bestehe eine Diskrepanz, so der Gartner-Mann. Jeder zweite CIO sei der Ansicht, er sei der Digital Leader im Unternehmen. Von den CEOs will das aber nur jeder siebte glauben. Die Unternehmenslenker halten die Digitalisierung für Teamwork, das sich auf viele Schultern verteilt. Wenn der CIO hier mitspielen will, muss er sich nach der Decke strecken.

Das bimodale Unternehmen

Der CIO müsse die "bimodale IT" beherrschen, den soliden Modus eins und den eher flüchtigen Modus zwei. Ein Beispiel dafür beschrieb Vice President und Gartner Fellow Tina Nunno: Das Informationssystem des Honkong Transit System MTR sorge einerseits dafür, dass die Züge pünktlich fahren (Modus eins), könne aber auch ad hoc Taifun-Warnungen ausgeben und die notwendige Kommunikation mit den Passagieren übernehmen (Modus zwei).

48 Prozent der von Gartner befragten CIOs verfügten über keinen zweiten Modus, sorgt sich Nunno. Sie hätten ihre Karriere auf dem Modus eins - sicher, verlässlich, akkurat - aufgebaut und seien nur schwer in der Lage, sich umzustellen. Das müssten sie aber. Denn es gehe am Ende nicht nur um die bimodale IT, sondern um das bimodale Unternehmen.

Gute CIOs geben anderer Leute Geld aus

Der von Sondergaard beschriebene Trend, wonach IT-Investitionen immer häufiger aus den Fachbereichen heraus initiiert und bezahlt werden, ist aus Nunnos Sicht nicht negativ zu bewerten. Ein guter CIO verstehe sich ohnehin nicht als Chef einer Abteilung, sondern als Leiter eines abteilungsübergreifenden Teams. "Dann ist er auch nicht auf das IT-Budget beschränkt. Er kann quasi anderer Leute Geld ausgeben."

Allerdings müsse man gerade das Marketing bisweilen bremsen, weil es gern über das Ziel hinausschieße, räumte die Analystin ein. Trotzdem müsse der CIO eine Atmosphäre schaffen, in der sich niemand gezwungen fühle, etwas vor ihm zu verstecken: "Sonst ist diese Innovation ja für ihn verloren." Nötig sei eine abgestimmte Kontrolle: "Monitoren Sie, ermutigen Sie die Leute, und stecken Sie einen Rahmen ab."

Gartner Symposium 2014
Foto: Gartner

Risiko-Management - mit den Haien schwimmen

Wichtig sei, wie die CIOs ihre digitalen Teams aufstellten, ergänzte Nunno. Hier sei mehr Miteinander und weniger Hierarchie gefragt: "Die IT kommt nicht vom anderen Stern - es sei denn in einigen Unternehmen, die traditionell in Silos organisiert sind."

Wie viel Modus zwei sie sich leisten könnten und müssten, sollten die Unternehmen genau abwägen, schickte Nunno hinterher. Nicht zuletzt, weil mit den neuen Möglichkeiten auch Risiken verbunden seien. 89 Prozent der CIOs sehen im Digitalen Business bislang Gefahren und Risiken von unbekanntem Ausmaßen auf sich zukommen. "Im Wasser gibt es immer Haie", bestätigte Nunno, aber ein Haiangriff sei oft die Reaktion auf die eigene Unvorsichtigkeit oder Dummheit.

In der Konsequenz rät Nunno den Unternehmen, das Risiko nicht zu vermeiden, sondern es zu managen: "Diejenigen, die sagen, sie wollten allen Risiken aus dem Weg gehen, werden aus dem Geschäft herausfallen; diejenigen, die jedes Risiko in Kauf nehmen, werden sich selbst hinauskatapultieren." Wer in einer risikoaversen Organisation arbeite, habe immer noch die Möglichkeit, erst einmal klein anzufangen mit der Digitalisierung.

Humanisten statt Maschinisten

Die neuen technischen Möglichkeiten sind ja nicht für alle Menschen faszinierend. Manche empfinden sie als furchterregend, andere zumindest als unheimlich, führte Frank Buytendijk, Research Vice President bei Gartner aus. Er untermauerte die von Sondergaard angerissene These, wonach das Digital Business ein Human Business sei.

"Der digitale Business-Moment ist ein zutiefst menschlicher Moment", sagte der Gartner-Analyst, "im Gegensatz zu einem Maschinenmoment". Angesichts dieser Tatsache sollten sich die Unternehmen die Frage stellen: Wie viele unserer Projekte haben eigentlich einen funktionalen Fokus? Und wie viele drehen sich darum, den Menschen zu berühren? Letztere hätten meist auch einen ethischen Aspekt, den es herauszuarbeiten gelte. "Werden Sie digitale Humanisten", forderte Buytendijk die Zuhörer auf, "keine digitalen Maschinisten".

Das digitale Business-Manifest

Selbstverständlich komme auch der digitale Humanismus nicht ohne Automatisierung aus, räumte der niederländische Gartner-Manager ein. Ohne eine sorgfältige Infrastruktur funktionierten nicht einmal "humane" Anwendungen. Aber der Mensch als Nutzer dürfe nicht hinter der Maschine verschwinden.

Dazu hat Buytendijk sein "digitales Business-Manifest" formuliert. Es besteht aus drei Punkten:

  1. Stellen Sie die Menschen in den Mittelpunkt. Fragen Sie nicht, was die Leute wollen, beobachten Sie, was sie tun. Und setzen Sie Ihre eigenen Leute dort ein, wo die Action ist.

  2. Erwarten Sie das Unerwartete. Hören Sie zu, beobachten Sie, und halten Sie sich zurück, wenn etwas gut läuft.

  3. Respektieren Sie Freiräume. Praktizieren Sie Privacy by Design - über den vollen Lebenszyklus vom Anfang bis zum Ende des Prozesses.

Künftig würden in der IT nicht nur Techniker benötigt, prognostizierte Buytendijk: "Wir brauchen Philosophen, Ethiker, Psychologen und Leute, die eine Geschichte erzählen können."