Wincor Nixdorf lehrt Oracle deutsches CRM

19.03.2002 von Martin Ottomeier
MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Um die Service-Aktivitäten auszubauen und den Kunden stärker in den Mittelpunkt zu rücken, hat Wincor Nixdorf die CRM-Software von Oracle eingeführt. Eine Anbindung an SAPs R/3 garantiert durchgängige Prozesse. Doch trotz Standardsoftware und -Schnittstelle waren umfangreiche Anpassungen nötig, die den Zeit- und Kostenrahmen strapazierten.

Der Eingang zur Paderborner Zentrale von Wincor Nixdorf   Foto: Wincor Nixdorf

Wincor Nixdorf, Paderborn, ist zwar aus der früheren Siemens Nixdorf AG hervorgegangen. Mit dem Siemens-Konzern ist der deutsche Marktführer für Kassensysteme und Geldausgabeautomaten aber nur noch über intensive Geschäftsbeziehungen verbunden. Zum 1. Oktober 1999 ist das Unternehmen aus dem Mutterkonzern herausgelöst worden. Die neu gewonnene Freiheit wurde auch gleich dazu genutzt, das Geschäft auszuweiten.

Einen Schwerpunkt bilden dabei die Bereiche Service, Consulting und Software. Erst 1999 wurde eine eigene Service-Division aufgebaut, die ihr Leistungsportfolio mittlerweile kontinuierlich ausgebaut hat und heute zum Beispiel umfassende Dienstleistungen aus einer Hand rund um Geräte anderer Hersteller anbietet. Der Kunde soll bei Wincor Nixdorf mehr im Mittelpunkt stehen. Dazu wurde auch ein eigenes Customer Care Center in Paderborn aufgebaut.

Kundenzentriert statt produktionsorientiert

Um diese Aktivitäten zu unterstützen, machte sich das Unternehmen im Jahr 2000 daran, eine Software für das Customer-Relationship-Management (CRM) zu suchen. Der traditionell produktionsorientierte Ansatz von Wincor Nixdorf, mit jeweils eigenen Ansprechpartnern für Kunden in den Bereichen Vertrieb, Installation und Support, sollte durch ein kundenzentriertes Modell ersetzt werden, bei dem die Durchgängigkeit der Prozesse im Vordergrund steht. Ein weiteres Ziel war es, die verschiedenen organisatorischen und IT-technischen Inseln im Unternehmen wie Vertriebsregionen und verschiedene Softwarelösungen zusammenzuführen.

Wincor Nixdorf

Wincor Nixdorf ist einer der führenden Anbieter von IT-Lösungen und -Produkten für Handel und Banken und offeriert damit verbundene Service- und Consulting-Leistungen. Für Banken verfügt das Unternehmen über ein komplettes Lösungsangebot von Selbstbedienungsgeräten für den Zahlungsverkehr wie Geldautomaten, Serviceterminals und Kontoauszugsdrucker. Dem Handelsbereich bietet das Unternehmen Hard- und Softwarelösungen für die gesamte Wertschöpfungskette: von der Filiale bis zur Zentrale - vom Kassensystem, Electronic Cash and Selfscanning bis zu Lösungsangeboten für die gesamte zentrale Abwicklung der Geschäftsvorgänge. Sowohl für Banken als auch für Handelsunternehmen hält Wincor Nixdorf ein modulares Portfolio von Serviceleistungen für den Rollout, die kostenoptimierte Integration und den Betrieb komplexer IT-Lösungen bereit. Im Geschäftsjahr 2001 (Ende 30. September) machte das Unternehmen einen

Umsatz von rund 1,46 Milliarden Euro - rund die Hälfte davon wurden im Ausland erzielt. Weltweit beschäftigt der Anbieter rund 4400 Mitarbeiter.

Von Anfang an war klar, dass für diesen umfassenden Ansatz nur ein großer CRM-Anbieter infrage kam, der weltweit präsent und wirtschaftlich stark ist, um später auch die Landesgesellschaften von Wincor Nixdorf unterstützen zu können. Daher konzentrierten sich die Verantwortlichen auf die Softwarehersteller Oracle, SAP und Siebel. Deren Lösungen verglichen sie in Hinblick auf Kosten, Funktionalität und Unterstützung durch den Anbieter.

„SAPs CRM-Lösung fehlten damals noch wichtige Funktionen“, begründet Achim Sieren, Geschäftsführer der Wincor Nixdorf Retail Consulting, die damals getroffene Entscheidung gegen die Walldorfer - obwohl Wincor Nixdorf die SAP-Software R/3 konzernweit in fast allen Bereich einsetzt. Unter anderem werden die Module für Rechnungswesen (FI), Controlling (CO), Materialwirtschaft (MM) sowie Marketing und Vertrieb (SD) genutzt. Nach Einschätzung von Sieren hat sich SAP allerdings weiterentwickelt: „Damit hätte auch SAP heute eine Chance.“

Bis zuletzt war die Auswahl zwischen Oracle und Siebel offen. „Siebel war aber aufwändiger zu installieren und zu wenig in R/3 integriert“, begründet Eckard Heidloff, Geschäftsführer der Wincor Nixdorf Holding GmbH, die Absage. Im Funktionsumfang war die Software dagegen Oracle ebenbürtig.

So entschied sich das Unternehmen schlussendlich für Oracles CRM-Lösung. „Sie zeichnet sich durch eine viele Bereiche umfassende Funktionalität und eine gute Erweiterbarkeit aus“, erläutert Sieren. Letzteres war sehr wichtig, da eine Reihe von benötigten Funktionen fehlten - auch in den SAP- und Siebel-Programmen - und daher nachträglich entwickelt werden mussten. „Die hohe Aufmerksamkeit, die wir als bedeutender Referenzkunde bei Oracle erfahren würden, hat daher bei der Auswahl eine große Rolle gespielt“, erläutert Sieren - und sieht sich darin auch bestätigt. Denn der Aufwand, der bei der Einführung getrieben werden musste, war enorm. 

Wurzeln im amerikanischen Markt

Rund ein Jahr hat die Einführung gedauert - und damit länger als geplant. Teilweise haben 100 Entwickler an der Erstellung neuer Funktionen mitgewirkt. „Die besonderen Anforderungen haben auch Oracle vor große Herausforderungen gestellt“, konstatiert Heidloff. Im Bereich Service waren vor allem Schnittstellenanpassungen vorzunehmen. Hier mussten Daten mit R/3 ausgetauscht und das Call-Center angebunden werden. Das Vertriebsmodul hatte dagegen seine Wurzeln eindeutig im amerikanischen Markt. „Die Verkaufslogik war aus europäischer Sicht zu sehr auf Standardprodukte und ein hierarchisches Organisationsmodell ausgerichtet“, beschreibt Heidloff die Knackpunkte.

Die notwendigen Anpassungen und Erweiterungen haben zu Verzögerungen und Kostensteigerungen geführt. „Die Investitionen waren höher als zunächst angenommen“, resümiert Heidloff. Rund zehn bis 15 Millionen Euro hat das Projekt im Endeffekt gekostet. Im August 2000 fiel die Entscheidung für Oracle. Ein halbes Jahr später sollte die Software in Deutschland produktiv gehen. Mit den Sales-Modulen ist das Unternehmen tatsächlich im Juli 2001 gestartet, das Going-life mit den Servicekomponenten folgte im Oktober 2001.

Keine Individuallösung gewünscht

Foto: Wincor Nixdorf

Allerdings haben beide Seiten von der intensiven Zusammenarbeit und den Erweiterungen profitiert. Das starke Customizing soll nämlich nun in das Standardprodukt einfließen. „Oracle hat uns zugesagt, dass die bei uns entwickelten neuen Funktionen im Kernprodukt berücksichtigt werden“, berichtet Heidloff, „das ist für uns auch enorm wichtig, denn sonst wären wir nicht in der Lage, Upgrades auf neuere Versionen vorzunehmen, und damit von der Weiterentwicklung abgehängt.“ Eine Individuallösung wollte Wincor Nixdorf wegen des enormen Pflegeaufwands gerade nicht.

Wincor Nixdorf hat dafür den Vorteil einer Lösung, die sehr gut auf die spezifischen Anforderungen bei dem Unternehmen abgestimmt ist. So arbeitet der Vertrieb mit den Modulen Angebotserstellung, Kundenverwaltung und sogar in dem komplexen Bereich der Produktkonfiguration. Bei Letzterer bestand die besondere Herausforderung darin, die im SAP-System abgelegten Merkmalsstrukturen und Beziehungen in das Oracle-CRM zu überführen. Zum Beispiel gibt es Geldautomaten in verschiedenen Farben und mit verschiedener Zahl von Geldfächern. Aber nicht in allen Kombinationen oder in allen Ländern sind auch alle Varianten verfügbar. Die Varianten und deren Abhängigkeiten untereinander müssen abgebildet werden. Dazu reicht es nicht, einfach nur die Daten aus R/3 zu übernehmen und anzupassen. Auch die unterschiedliche Vorgangslogik muss zwischen Oracle und SAP angepasst werden. „Zwar bietet Oracle eine Standard-Schnittstelle zu R/3 an, aber die musste noch sehr stark an

unsere SAP-Landschaft angepasst werden“, erläutert Kirsten Dorsch, CIO bei Wincor Nixdorf.

Die Frage des führenden Systems ist noch offen

Auch die verteilte Datenhaltung bringt neue Herausforderungen mit sich. So erfolgt zum Beispiel die Angebotserstellung durch den Vertriebsmitarbeiter mit Hilfe von Oracle. Die Abwicklung wird dagegen von Mitarbeitern übernommen, die mit R/3 arbeiten. Daher ist es notwendig, eine Reihe von Daten in beiden Systemen vorzuhalten, zum Beispiel Kundenstammdaten oder den Auftragsstatus, der auch in den Servicemodulen aktuell vorliegen muss. Um Replikationskonflikte zu vermeiden, also Fehler, die dadurch entstehen, dass die gleichen Daten in beiden Systemen modifiziert werden, sind Änderungen immer nur in einem System erlaubt. Die Frage, welches das jeweils führende ist, war zeitraubend und ist noch immer nicht bis ins letzte Detail entschieden.

Eine weitere Anforderung stellt die Verbindung zu den Servicepartnern. Die SBS-Mitarbeiter, die einen Großteil der Wincor-Nixdorf-Services erbringen, arbeiten mit Siebel. Ihnen kann kaum zugemutet werden, für Wincor-Nixdorf-Kunden zusätzlich die Oracle-Software einzusetzen. Auch hier müssen Lösungen, das heißt Schnittstellen, gefunden werden. Daneben gibt es kleinere Partnerfirmen, die womöglich noch gar keine CRM-Software nutzen und denen die Serviceinformationen irgendwie zugänglich gemacht werden müssen.

Die Verbindung der Systeme realisiert Wincor Nixdorf mit Oracles „Internet Application Server“ (iAS). Damit ist Dorsch zufrieden: „Die Bedienung ist technisch sehr einfach.“ Trotz aller Anpassungen soll die Schnittstelle versionsfest sein, das heißt, sie sollte nach einem Release-Wechsel bei R/3 oder CRM ohne einschneidende Änderungen weiterarbeiten. Wieweit dieses Versprechen eingelöst wird, wird sich schon bald zeigen: Wincor Nixdorf plant nämlich den Umstieg von R/3 4.0 auf 4.6.

Probleme bereitet allerdings noch die Performance - vor allem im hochvolumigen Servicebereich. Beispielsweise ist es nicht sinnvoll, die gesamten Informationen der Call-Abwicklung im Customer Care Center in das SAP-System zu übertragen. Diese Informationen werden daher kumuliert übermittelt. Auch die Frequenz des Datenabgleichs wollen die IT-Spezialisten bei Wincor Nixdorf noch verbessern.

Bei den CRM-Modulen müssen die Techniker noch die Leistungsfähigkeit der Erweiterungen erhöhen. Doch das bereitet Heidloff kein Kopfzerbrechen: „Wir haben selbst Erfahrungen aus großen IT-Projekten bei unseren Kunden - vieles wird erst in einem zweiten oder dritten Schritt optimiert. Für uns hatte Priorität, die gewünschten Funktionen zu implementieren.“ Nun geht es daran, die Fehler zu beheben, die Stabilität zu erhöhen und die Performance zu verbessern - eine reine Fleißaufgabe.

„Es gibt noch zu viele Instanzen, und wir brauchen noch zu viel Hardware“, beschreibt Heidloff die Aufgaben. Zurzeit beschäftigt das Programm inklusive iAS für die SAP-Schnittstelle vier HP9000-Server einschließlich Test- und Entwicklungsinstanz mit folgender Ausstattung: eine Produktivinstanz mit zwei HPN 4000 mit vier Prozessoren und 4 GB Hauptspeicher; beide Maschinen greifen auf 500 GB Festplattenplatz zu. Als Datenbank kommt Oracle 8i zum Einsatz - wie bei R/3.

Akzeptanz notfalls über Incentive-Modelle

Doch nicht nur die Technik erfordert noch Aufmerksamkeit, auch die unternehmensinterne Einführung beschäftigt Heidloff: „Es ist schwer, Vertriebsmitarbeiter von etwas zu überzeugen, das ihnen zunächst keinen konkreten Nutzen bringt.“ Rund 300 Mitarbeiter im Vertrieb und 200 im Service arbeiten mit der Oracle-Software. Vor allem die Sales-Leute müssen die Software akzeptieren und die notwendigen Daten einpflegen, damit der Vorteil der integrierten Lösung zur Geltung kommt. „Wir werden aber dafür sorgen, dass CRM bei uns ein Erfolg wird - gegebenenfalls über Incentive-Modelle oder Ähnliches“, stellt Heidloff klar. „Kundenorientierung ist für uns ein Muss.“

Daneben verspricht sich Heidloff durch die neue Software auch eine Verbesserung des Profits: Wincor Nixdorf will sein kontinuierliches Wachstum der Vorjahre fortsetzen. Mit Hilfe der neuen Software hofft Heidloff, dieses Wachstum ohne signifikanten Ausbau der Mitarbeiterzahl zu realisieren.

Die Erfahrungen im technischen und organisatorischen Bereich sind für Wincor Nixdorf aber nicht nur lästiges Beiwerk eines IT-Projekts. Das Unternehmen konnte durch die CRM-Einführung wertvolles Know-how für eigene Kundenprojekte gewinnen. „Vor allem für Banken ist das Thema Front-Office von enormer Bedeutung“, stellt Heidloff klar. Hier sieht der Geschäftsführer ein großes Potenzial für das eigene Softwaregeschäft.

Daneben gehen die internen Arbeiten weiter. Zunächst steht der R/3-Release-Wechsel an. Danach soll die CRM-Software weltweit in 28 Ländern eingeführt werden. „Wir haben dafür konservativ drei Jahre veranschlagt“, sagt CIO Dorsch. Darüber hinaus ist die Evaluierung des Marketing-Moduls aus der CRM-Suite von Oracle geplant. Wichtig ist, eine insgesamt runde Lösung in der gemischten SAP-Oracle-Welt zu finden, denn SAP bleibt die Kernanwendung von Wincor Nixdorf. Ein kompletter Umstieg auf Oracle ERP kommt für Heidloff nicht in Frage. Mit den Schnittstellen wird das Unternehmen also leben müssen.