Laufend krank - trotzdem Weiterbeschäftigung

Wie viele Fehlzeiten muss der Arbeitgeber hinnehmen?

18.10.2010 von Renate Oettinger
Eine Kündigung wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen darf nur als Ultima Ratio eingesetzt werden, sonst ist sie "sozial ungerechtfertigt", sagt das LAG Baden-Württemberg.
Bild: Bildquelle: Fotolia, ArtmannWitte
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In einem Urteil vom 08.10.2009 hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg darauf verwiesen, dass die Kündigung eines Arbeitnehmers wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen nur als "ultima ratio" anzusehen sei. Darauf verweist de Geislinger Fachanwalt für Arbeitsrecht sowie Bau- und Architektenrecht André Daniel Steck vom VdAA - Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. mit Sitz in Stuttgart unter Hinweis auf das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg (LAG) vom 08.10.2009, Az.: 6 Sa 10/09.

Der Fall

In dem Fall stritten die Parteien um die Zulässigkeit einer ordentlichen Kündigung wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen des Arbeitnehmers. Diese betrugen im Jahr 2006 insgesamt 16 Arbeitstage, im Jahre 2007 bereits 58 Arbeitstage und dann im Jahre 2008 bis zur Kündigung 54 Arbeitstage. Aber auch derart häufige Fehlzeiten, so betont Steck, reichen nach Ansicht des LAG für sich allein genommen noch nicht als Grund für eine ordentliche Kündigung aus.

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Irrtum 1: Ein krankgeschriebener Arbeitnehmer kann nicht gekündigt werden.
Eine Krankheit kann den Ausspruch einer Kündigung nicht verhindern. Ein Arbeitgeber kann grundsätzlich auch während einer Krankschreibung eine Kündigung aussprechen; dies macht die Kündigung nicht "per se" unwirksam.
Irrtum 2: Jede Kündigung muss eine Begründung enthalten.
Eine Kündigung muss nicht begründet werden. Aus Arbeitgebersicht ist es sogar eher unklug, eine Begründung in die Kündigung aufzunehmen, da dies in der Regel "Angriffsfläche" in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess ergibt. Gekündigte Arbeitnehmer hingegen sollen unverzüglich um Rechtsrat nachsuchen, ob die ausgesprochene Kündigung auch wirksam ist.
Irrtum 3: Eine Kündigung kann auch mündlich ausgesprochen werden.
Arbeitsverträge kann man zwar mündlich abschließen, aber nicht beenden. Es bedarf nach dem Gesetz immer einer schriftlichen Kündigung. Vorsicht ist auf Arbeitgeberseite im Übrigen auch geboten bei Kündigungen per Mail oder per SMS, während Arbeitnehmer, die eine Kündigung in dieser Form erhalten, ebenfalls sofort um Rechtsrat nachsuchen sollten. Dies sollte unverzüglich erfolgen.
Irrtum 4: Vor der Kündigung muss immer drei Mal abgemahnt werden.
Eine sog. verhaltensbedingte Kündigung setzt nur eine Abmahnung voraus. Dabei gilt des Weiteren, was häufig verkannt wird: Ist in dem Betrieb ein Betriebsrat installiert, muss dieser einer Kündigung nicht etwa zustimmen; er muss nur angehört werden. Dieser kann der Kündigung zwar widersprechen. Dies führt aber nicht zu einer Unwirksamkeit der Kündigung.
Irrtum 5: Gekündigte Mitarbeiter haben stets einen Anspruch auf eine Abfindung.
Das Kündigungsschutzgesetz ist in erster Linie ein "Bestandsgesetz". Damit richtet sich der Schutz zunächst auf den Erhalt des Arbeitsplatzes. Zwar enden in der Tat tatsächlich viele Kündigungsschutzverfahren letztendlich mit dem Abschluss eines Abfindungsvergleichs. Bestehen allerdings Gründe für die Kündigung. greift diese rechtlich auch durch, und der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine Abfindung zu zahlen.

Die ausgesprochene Kündigung sei unwirksam, da sie sozial ungerechtfertigt sei. Darüberhinaus sei sie hier unverhältnismäßig. Bei einer krankheitsbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzzeiterkrankungen sei nicht auf einen "starren" Prognosezeitraum von drei Jahren abzustellen. Bei kürzeren Prognosezeiträumen, hier 18 Monate, sei die gesundheitliche Entwicklung des Arbeitnehmers nach Ausspruch der Kündigung zu berücksichtigen.

In den Fehlzeiten für 2008 seien hier auch 28 Krankheitstage enthalten, die für die Durchführung einer Kur verwandt wurden. Diese hätten bei der Zukunftsprognose außer Acht zu bleiben, da es sich bei einer Kur um eine Maßnahme der medizinischen Versorgung oder Rehabilitation handele. Damit sei für die Kündigung auch die zweite Stufe des Prüfungsmaßstabes, nämlich erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen, noch nicht erfüllt gewesen, da der Arbeitgeber bis zum Ausspruch seiner Kündigung nur für 28 Tage Entgeltfortzahlung leisten musste, also noch unterhalb des zumutbaren Rahmens von 30 Kalendertagen im Jahr.

Alle gleichwertigen Arbeitsplätze müssen einbezogen werden

Schließlich komme eine Kündigung auch immer nur als "letztes Mittel" in Betracht, wenn der Arbeitgeber zuvor alle zumutbaren Möglichkeiten zu ihrer Vermeidung ausgeschöpft habe. Ansonsten sei diese unverhältnismäßig. Dabei komme bei einer krankheitsbedingten Kündigung nicht nur eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen, freien Arbeitsplatz in Betracht. Der Arbeitgeber habe vielmehr alle gleichwertigen, leidensgerechten Arbeitsplätze, auf denen der betroffene Arbeitnehmer unter Wahrnehmung des Direktionsrechts einsetzbar wäre, in Betracht zu ziehen und ggfs. auch "freizumachen".

Steck empfiehlt, dieses Urteil zu beachten und in Zweifelsfällen rechtlichen Rat einzuholen, wobei er u. a. dazu auch auf den VdAA Verband deutscher ArbeitsrechtsAnwälte e. V. (www.vdaa.de) verweist.

Weitere Informationen und Kontakt:

André Daniel Steck, Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht, Kanzlei Kellner & Kollegen, Karlstraße 11, 73312 Geislingen a.d. Steige, Tel.: 07331 9328-0, E-Mail: steck@kanzlei-kellner.com, Internet: www.kanzlei-kellner.com