Leistung, Kreativität und Emotion

Wie Sie Kennzahlen kombinieren

23.12.2019 von Andreas Slogar
Lesen Sie, wie agile Organisationen Kennzahlen auf drei verschiedenen Ebenen nutzen können, und wie Unternehmen sowie Mitarbeiter nachhaltig davon profitieren.

Kennzahlen fristen in Unternehmen zumeist ein bedauerliches Dasein. Jeder benötigt sie, aber keiner weiß sie wirklich zu schätzen. Im Umfeld agiler Collaboration werden Kennzahlen oft als überflüssig abgetan. Aber so wie man den Stand des eigenen Bankkontos oder die letzten Blutwerte ganz selbstverständlich als Kennzahlen betrachtet, sollte sich das Verständnis dafür auch im Geschäftsleben ändern.

Ohne Kennzahlen ist es nämlich unmöglich, den "Gesundheitszustand" eines komplexen Systems, wie beispielsweise eines Unternehmens, festzustellen, zu erhalten und weiter zu verbessern. Kennzahlen ermöglichen eine sachliche Diskussion notwendiger Maßnahmen zum Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit und Funktionsfähigkeit einer agilen, das heißt anpassungsfähigen Organisation.

Objectives and Key Results, kurz OKRs, sind Kennzahlen, die im Rahmen eines kreativen Prozesses angestrebt werden.
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Bei der Suche nach passenden Kennzahlen zur Unterstützung der Selbstorganisation und Selbststeuerung agiler Teams oder ganzer Organisationseinheiten soll folgender Kompass behilflich sein. Er erleichtert die Identifikation und die Entscheidung bei der Auswahl benötigter Kennwerte mithilfe von drei simplen Ebenen.

Drei Ebenen

Drei Messebenen für Kennzahlen anpassungsfähiger Organisationen
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Kennzahlen kann man für (fast) jeden Prozess in einem Unternehmen erheben, sammeln, in einen Report packen und damit per E-Mail unzählige Mailboxen fluten. Diese Form der Kennzahlenberichtspraxis ist sicher weltweit in jedem Unternehmen etabliert. Mittlerweile wird aber oft vergessen, zu welchem Zweck und zur Beantwortung welcher Fragen die Kennzahlen ursprünglich im Unternehmen erhoben wurden.

Weil die zuständigen Verantwortlichen befürchten, es könne etwas übersehen werden, dürfen Kennzahlen oft ein jahrzehntelanges Eigenleben führen. Dabei kann dieser Schatz an Erkenntnissen - gerade von agilen Teams und Organisationen - effektiv und effizient genutzt werden. Dazu sollten Kennzahlen in drei grundlegende Ebenen oder Kategorien unterteilt werden. Jede dieser Ebenen kann sowohl individuell als auch im Zusammenhang genutzt und verstanden werden, da sie einander beeinflussen.

Performance - Leistungsebene

Diese Ebene ist in fast allen Unternehmen bekannt und wird mit den meisten Kennzahlen erhoben. Die Verfügbarkeit von IT-Anwendungen wird ebenso mit Kennzahlen zu Service-Level-Agreements beschrieben wie die Menge an Vertragsabschlüssen pro Monat oder die Anzahl und Qualität von Kundenbeschwerden, die im Call-Center bearbeitet werden.

Geschäftsprozesse erlauben es, Durchlaufzeiten, Störungen, Kosten oder die Produktivität zu messen und zu dokumentieren. Aus der Betriebswirtschaft wird diese Form der Kennzahlenerhebung gerne mit Hilfe von Balanced Scorecards beschrieben und gesteuert. Diese operativen Messwerte sind ausgesprochen relevant, um die bestehende Effizienz und Effektivität etablierter Geschäftsprozesse mit dem notwendigen Niveau zu vergleichen. Aus den Abweichungen lässt sich erkennen, ob und an welcher Stelle gehandelt werden muss, um Produktionskosten und Produktivität im Gleichgewicht zu halten.

Für eine Analyse der Leistungsebene ist es wichtig, die Kennzahlen nicht nur isoliert zu interpretieren. Aussagekräftige Erkenntnisse sind nur aus dem Kontext und der Fragestellung zur Wechselwirkung verschiedener (Mess-)Faktoren zu gewinnen. Stellt man beispielsweise fest, dass sich die Produktivität auf dem erwarteten Niveau befindet, ignoriert aber die Kennzahlen für Überstunden und Krankenstand der Mitarbeiter, kommt es zu Problemen.

Dann ist davon auszugehen, dass sich die Organisation auf dem direkten Weg in eine Krisensituation befindet, die unerkannt bleibt. Die Schlüsselbegriffe für die Analyse und Interpretation von Kennzahlen auf der Leistungsebene sind Stabilität und Balance. Weisen Kenndaten wiederkehrende Extremwerte auf, so ist dies ein wertvoller Warnhinweis auf eine bestehende oder sich abzeichnende Instabilität im operativen Ablauf der Organisation.

Top-10-Faktoren der Jobmotivation
Top 10 Faktoren der Jobmotivation
Die Studie der ManpowerGroup hat die zehn wichtigsten Faktoren der Motivation im Arbeitsalltag identifiziert.
1. Gutes Arbeitsverhältnis zu Kollegen und Vorgesetzten
Der menschliche Faktor zählt: 65 Prozent der Befragten sind motivierter im Job, wenn sie mit Kollegen und Chefs gut auskommen. 2014 waren es noch 77 Prozent.
2. Flexible Arbeitszeiten
Gleitzeit oder ein Arbeitszeitkonto bleiben wichtige Motivatoren, sind allerdings auf dem Rückzug. Nur jeden zweiten Arbeitnehmer (50 Prozent) spornt flexibles Kommen und Gehen an. Im Vorjahr war dies noch bei 67 Prozent der Fall.
3. Freundschaftliches Verhältnis zu Kollegen
Für 42 Prozent der Deutschen ist es wichtig, auch nach Feierabend den Kontakt zu anderen Kollegen zu pflegen und gemeinsam etwas zu unternehmen. Letztes Jahr war es 45 Prozent.
4. Kostenlose Getränke vom Arbeitgeber
Geringer Aufwand, große Wirkung: Für 33 Prozent Arbeitnehmer sind kostenlose Getränke am Arbeitsplatz motivierend für den Job – ein Prozent mehr als bei der Vorjahresbefragung.
5. Teamarbeit
33 Prozent der Arbeitnehmer haben mehr Spaß im Job, wenn sie häufig in Gruppen arbeiten. „Die Arbeitnehmer schätzen zwar den Kontakt zu ihren Kollegen – doch ständige Meetings und Arbeitsgruppen empfinden zwei Drittel eher lästig als motivierend“, sagt Herwarth Brune, Vorsitzender der Geschäftsführung der ManpowerGroup Deutschland.
6. Ansprechende Raumgestaltung
Die Büroatmosphäre hat auf ebenso wenig Befragte eine motivierende Wirkung. 32 Prozent arbeiten aus eigener Sicht produktiver, wenn die Optik im Büro stimmt. Das bedeutet drei Prozentpunkte Einbuße im Vergleich zum Vorjahr.
7. Betriebliche Gesundheitsförderung
Beratung durch den Betriebsarzt und vom Arbeitgeber bezahlte Präventionskurse sind gut für die Motivation. 31 Prozent der Mitarbeiter arbeiten befreiter, wenn sie wissen, dass ihr Unternehmen die Gesundheit der Angestellten fördert. 2014 waren es 38 Prozent.
8. Guter Kaffee
Augen auf beim Kaffeekauf: Für 28 Prozent der Mitarbeiter fördert die Qualität des Koffeingetränks die Motivation am Arbeitsplatz. Guter Kaffee rutscht damit in die Top 10 der Arbeitsmotivatoren und holt im Vergleich zu 2014 fünf Prozentpunkte auf.
9. Pflanzen im Büro
Grünpflanzen heben die Stimmung und sorgen für ein besseres Raumklima. Ein Prozent mehr als letztes Jahr, nämlich 27 Prozent der Befragten, können besser arbeiten, wenn Zimmerpflanzen im Büro stehen.
10. Motivation durch Büromöbel
Mit Investitionen in moderne Bürowelten können Arbeitgeber punkten: 25 Prozent der Arbeitnehmer lassen sich durch zeitgemäßes, ergonomisches Design motivieren – vier Prozent mehr als 2014.

Innovation - kreative Ebene

Die Ausführungen zu den Kennzahlen auf der Leistungsebene klingen sehr vertraut. Auf der kreativen Ebene betreten wir ungewohntes Terrain. Beispielweise durch solche Fragen, die ebenso naheliegend wie irreführend sind:

• Wie soll man Kreativität messen?

• Sollte Kreativität überhaupt mit Kennzahlen "vermessen" werden?

• Sind 25 Innovationen pro Jahr ein guter oder nur ein ausreichender Wert für ein Unternehmen?

• Ist ein Budget von vier Millionen Euro für die Kooperation mit Startups angemessen oder Verschwendung?

Im Kontext von Innovationen und kreativen Prozessen versagen die klassischen Denk- und Messmodelle der Leistungsebene. Hier geht nicht darum, die Produktivität kreativer Arbeit über Kennzahlen zu messen und zu beurteilen. Kennzahlen auf dieser Ebene sind vielmehr als Orientierungshilfe zu verstehen. Und sie sind notwendig. Innovationen oder sogar Inventionen sind in ihren Ergebnissen und auch hinsichtlich des Zeitpunkts, an dem eine neue Idee geboren wird, nicht plan- oder errechenbar. Dennoch sind Kennzahlen nützlich, um kreativer Arbeit eine übersichtliche Struktur zu geben. Sie helfen dabei, die für die Entwicklung neuer Ideen und Lösungen nötigen Aktivitäten aufzunehmen, zu verfolgen und auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen.

Ein für diesen Anwendungszweck geeignetes Kennzahlenkonzept stellen die sogenannten Objectives and Key Results dar, kurz OKRs. Dabei handelt es sich um Zielsetzungen (Englisch: Objectives), die im Rahmen eines kreativen Prozesses angestrebt werden sollen. Beispielsweise geht es um die Entwicklung eines neuen Produkts. Jeder Zielsetzung werden bis zu fünf Schlüsselergebnisse - sogenannte Key Results - zugeordnet. Anschließend daran werden die nötigen Aktivitäten definiert, die für die Erreichung der Key Results erforderlich sind.

Der Entwicklungs- und Umsetzungsfortschritt dieser Kaskade von Zielen, Schlüsselergebnissen und Aktivitäten werden in regelmäßigen Intervallen, beispielsweise wöchentlich, besprochen. Darüber hinaus werden sie alle vier Wochen überprüft und alle drei Monate nötigenfalls angepasst. Über diesen Rhythmus wird eine übergreifende Kommunikation der Mitglieder innerhalb eines Teams sichergestellt, die an der Produktentwicklung arbeiten. Alle weiteren Personengruppen, für die der Fortschritt relevant ist, werden in den Austausch einbezogen.

Stellt man den Schulterschluss zwischen der kreativen und der Leistungsebene hinsichtlich der Kennzahlen und der Kommunikation sicher, ergeben sich daraus Möglichkeiten: Die entwickelten Innovationen können in den späteren operativen Ablauf der Geschäfts- und Produktionsprozesse integriert werden. Die Koppelung der Kennzahlen auf diesen beiden Ebenen verbessert somit die Kooperation der gesamten Organisation. Das geschieht nur, wenn sie bewusst als Werkzeug für eine transparente Zusammenarbeit eingesetzt werden.

Diese Koppelung ermöglicht natürlich auch den umgekehrten Weg. Von der Leistungsebene können über die verfügbaren Kennzahlen Erkenntnisse für die Entwicklung von Innovationen verwendet werden. In dem Moment beispielsweise, in dem ein erneutes Redesign von Geschäftsprozessen nicht mehr ausreichend wirksam ist, sollte im Rahmen eines kreativen Prozesses nach einem neuen, vielleicht auch radikalen Ansatz gesucht werden. So ist es möglich, der traditionellen Falle zu entkommen, in der immer wieder Energie für immer gleiche Lösungswege investiert wird.

Kultur - emotionale Ebene

Wirklich rund, vollständig und aussagekräftig werden Kennzahlen erst, wenn auch die emotionale Seite der Organisation einbezogen wird. Produktivitäts- oder Umsatzzahlen lassen beispielweise darauf schließen, dass sich Profitabilität und Wettbewerbsfähigkeit auf einem positiven Niveau befinden. Erst die ergänzenden Ergebnisse einer Mitarbeiterbefragung decken auf, ob dieser Zustand aus Sicht der Mitarbeiter durch eine dauerhafte Überlastung erreicht wird.

Werden beispielsweise permanent Konfliktsituationen ausgelöst? Oder: Sind die Mitarbeiter mit ihrer Arbeitssituation tatsächlich zufrieden? Nur wenn die Sachebene der Leistungskennzahlen mit der emotionalen Ebene der Mitarbeiter übereinstimmt, kann von einem ausbalancierten und somit stabilen Zustand der Organisation ausgegangen werden. Wird die kulturelle Dimension der Organisation übersehen oder gar ignoriert, befindet man sich in einem riskanten, halb blinden Informationszustand.

Konstruktive Konflikte in agilen Teams schaffen
Konstruktive Konflikte und Kritik erzeugen
"Konflikt" muss nicht zwingend negativ sein. Er kann sich auch positiv auswirken, wenn er in einem agilen Team konstruktiv zur Anwendung kommt. IT-Management-Berater Ivan Kovynyov gibt Tipps, wie Führungskräfte gezielt eine positive Konfliktkultur im Team schaffen und damit Leistung und Projekterfolg verbessern können.
Heterogenes Team bilden
Man braucht ein heterogenes Team. Denn würde beispielsweise das Team ausschließlich aus weißen Männern mittleren Alters bestehen, so ist es abzusehen, dass sie alle einen ähnlichen Denkstil haben werden.
Konfliktfreies Teambuilding
Teammitglieder sollten sich bereits kennengelernt und miteinander gearbeitet haben. Es wäre kontraproduktiv, die Teambuilding-Phase mit einem konstruktiven Konflikt zu beginnen.
Hindernisse beseitigen
Barrieren für freie Meinungsäußerung im Team müssen identifiziert und beseitigt werden: irrationale Harmoniebedürftigkeit, zu starke Konsensorientierung, starke Meinungsmacher, Lagerbildung, autoritäre Projektleiter oder Product Owner, Null-Fehler-Toleranz, Zielvorgaben enthalten Lösungsweg etc.
Den richtigen Weg einschlagen
Der Mittelweg ist nicht immer der beste Weg: wenn einer links am Baum vorbei will und der andere rechts, ist der Weg durch die Mitte offensichtlich nicht der beste.
Konsensregeln definieren
Einen qualifizierten Konsens suchen: Für Situationen in denen das Team zu keiner Übereinkunft kommt, müssen Regeln definiert werden. Zum Beispiel ruft das Team einen unabhängigen Experten oder der Projektleiter oder der Product Owner entscheiden.
Gemeinsames Ziel festlegen
Gemeinsame Ziele als Nordstern: Debatten können Teilnehmer eines agilen Teams leicht weiter voneinander entfernen. Gemeinsames Verständnis des Ziels und der Mission des Teams schafft das Gegenteil und wirkt balancierend.
Humorvoller Umgang
Wenn alle Stricke reißen: Humor hilft immer!

Die Wechselwirkungen zwischen den Ebenen Innovation und Performance sind auch aus emotionaler Sicht relevant. Teams, die an innovativen Ideen arbeiten, sind oft hoch motiviert. Das mündet jedoch häufig in Selbstausbeutung. Überstunden fallen in diesen Situationen gerne an, werden von den Mitarbeitern aber positiv bewertet oder sogar als notwendig gerechtfertigt. Eine Überlastung und damit ein potenztelles "Ausbrennen" der kreativen Teams ist aber unbedingt zu verhindern.

Daher ist es wichtig, die nötige Balance zu gewährleisten. Mitarbeiter, die aus purer Euphorie Raubbau an ihrer eigenen Substanz betreiben, sind langfristig gefährdet und können ihrer Kreativität schaden. Zusätzlich verhindert die Integration der kreativen Ebene mit der Leistungsebene über die Beachtung der Kulturebene das Entstehen einer Zwei-Klassen-Gesellschaft innerhalb der Organisation. Kennzahlen, wie zum Beispiel OKRs, sind wertvolle Werkzeuge, um derartige Entwicklungen frühzeitig sichtbar zu machen und gegenzusteuern.

Nur das Nötigste messen

Nicht alles muss gemessen werden, nur weil es gemessen werden kann. Ein gesundes Augenmaß ist unerlässlich, wenn es darum geht, einen verhältnismäßigen Aufwand für die Erhebung und Auswertung von Kennzahlen zu betreiben. Die Auseinandersetzung mit Kennzahlen kostet Zeit und Energie und führt zu Frustrationen unter den Erstellern wie auch den Nutzern, wenn sie keinen Erkenntnisgewinn enthalten. Der gesunde Menschenverstand sollte als Berater stets den Nutzen von Kennzahlen bewerten und diese konsequent verwerfen, wenn sie keine Frage beantworten können oder nicht dabei helfen, Probleme zu erkennen.

Fazit

Nutzt man Kennzahlen als Quelle des Erkenntnisgewinns und nicht als Gängelbank zur Mitarbeiterkontrolle, so wandeln sie sich von einer ungeliebten Last zu einem wertvollen Werkzeug der Selbstorganisation. Das gilt vor allem in agilen, also anpassungsfähigen Organisationen.

Werden Kennzahlen zusätzlich mit Feedback-Mechanismen kombiniert und der Zustand der eigenen Kooperation im Unternehmen nicht nur aus operativer, sondern auch aus strategischer und normativer Sicht geprüft, entsteht ein umfassendes 360-Grad-Panoramabild der gesamten Organisation.

Die hier beschriebenen Ebenen können dabei unterstützen, die wesentlichen Kennzahlen von unnützen zu unterscheiden und die relevanten Fragen zum Gesundheitszustand des Unternehmens und seiner Teams zielführend zu beantworten.