Offshoring Teil 1, Ausschreibung

Wie Sie die Risiken reduzieren

14.09.2009 von Ronald Paschen
Bereits in der Ausschreibung werden die Weichen für die Zusammenarbeit mit dem Offshore-Provider gestellt.

Wer Offshoring betreibt, erhofft sich vor allem geringere Kosten. Die Offshore-Ressourcen der globalen IT-Dienstleister beschränken sich dabei längst nicht mehr auf Commodity-Services wie einfache Programmierarbeiten und Softwarewartung, sondern umfassen auch geschäftskritische Dienstleistungen im Applikationsumfeld. Deren Komplexität erfordert allerdings einen professionellen Vergabeprozess, um die Offshoring-Risiken zu minimieren (siehe auch "Offshoring-Tipps" im CW-Wiki).

Know-how-Transfer

Die Grundlagen für die Auswahl des Providers sowie für eine reibungslose Zusammenarbeit werden in der Ausschreibung gelegt. Hier gibt der Offshore-Anbieter einen Überblick über die Skills und Sprachkenntnisse seiner Mitarbeiter und deren Erfahrungen mit Geschäftsprozessen und Projekten. Dadurch kann der Anwender abschätzen, inwieweit das vorhandene Personal seinen Anforderungen gerecht wird. Extrem wichtig ist bei Offshore-Vorhaben das Thema Know-how-Transfer sowie die Art und Weise, wie der Provider diesen dokumentiert: ob und wie er gegebenenfalls vorhandene Lücken ergänzt, ob er solche Ergänzungen vom Kunden erwartet und ob eine Übersetzung aus einer anderen Sprache vonnöten ist. Am besten ist es, den Know-how-Transfer-Prozess sowie die Verfügbarkeit von Ressourcen, die dem Skill-Profil entsprechen, über einen Service-Level abzusichern. Zudem sollte der Anwender folgendes klären: Wie lange dauerte der Transferprozess? Wie wird die Qualität des Transfers sichergestellt? Wie gehen die Verantwortlichen mit Qualitätslücken in der Dokumentation der Services um?

Nicht zu unterschätzen ist dabei auch rechtliche Aspekt - etwa wenn ein Mitarbeitertransfer in Deutschland nach §613a BGB vom Kunden zum Provider vorgesehen ist. Entscheidend ist immer, dass die Phasen von Mitarbeiter-Bestandsschutz und Know-how-Übertragung aufeinander abgestimmt werden. Häufig kann das Offshore-Vorhaben erst nach Beendigung des Bestandschutzes beginnen. Zudem ist zu klären, ob und wann die Offshore-Mitarbeiter in den Know-how-Transfer beim Kunden vor Ort eingebunden werden und ob sie ein Visum und eine Arbeitserlaubnis benötigen. Es ist daher ratsam, die lokalen Behörden rechtzeitig einzuschalten.

Tipps für die Ausschreibung

  • Sorgen Sie dafür, dass der Offshore-Provider den Know-how-Transfer ausführlich dokumentiert. Im Idealfall ist der Transferprozess durch einen Service-Level abgesichert.

  • Klären Sie im Vorfeld, ob und wann welche Offshore-Mitarbeiter für den Know-how-Transfer zum Kunden reisen müssen und ob sie ein Visum/eine Arbeitserlaubnis benötigen.

  • Bestehen Sie darauf, dass die in Frage kommenden Provider ihre Delivery-Modelle und erste Ideen zur Team-Organisation aufzeigen.

  • Prüfen Sie, ob das Delivery-Modell des bevorzugten Anbieters Ihren Datenschutzanforderungen gerecht wird und ob die Connectivity-Lösungen leistungsfähig genug sind.

  • Achten Sie darauf, dass das Delivery-Modell an Ihre Schnittstellen anpassbar und gleichzeitig stark standardisiert ist.

  • Bitten Sie den Provider im Vorfeld um eine Bewertung der Standortrisiken.

  • Wählen Sie einen Provider, der über nachweisbare Referenzen verfügt.

Delivery-Modell

Der Anwender sollte darauf bestehen, dass der Provider in der Ausschreibung sein Delivery-Modell aufzeigt und erste Ideen zum Aufbau des Delivery-Teams liefert - etwa wie Onshore- und Offshore-Ressourcen zusammenarbeiten und wie die Verantwortlichkeiten verteilt sind. Werden kritische beziehungsweise komplexe Services ausgelagert, sollte Auftraggeber einen Einblick in diese Planung erhalten. Außerdem muss das Delivery-Modell die jeweiligen Datenschutz-Anforderungen berücksichtigen. So gibt es in einigen europäischen Ländern landesspezifische Regelungen, die den Umgang mit personenbezogenen Daten von Offshore-Standorten sehr restriktiv handhaben. Bei der Offshore-Verlagerung von Anwendungsservices ist ein Dokument ratsam, das für jede Applikation die Informationen enthält, die der Provider zur Konzeption seines Delivery-Modells und zur Kalkulation seines Angebotspreises benötigt. Hierzu gehören unter anderem Angaben zur Kritikalität der Anwendung fürs Business sowie zu ihrer Sensibilität in puncto Datensicherheit.

Wichtig sind auch Vorgaben und Regelungen zur Anbindung der Provider-Infrastruktur an die des Kunden. Um Offshore-Standorte zu integrieren, sind extrem leistungsfähige Connectivity-Lösungen erforderlich, die den IT-Sicherheitsanforderungen des Anwenderunternehmens gerecht werden. Auch das Ende der Vertragsbeziehung sollte schriftlich geregelt werden. Ein Passus zur Rückabwicklung und zum Know-how-Transfer vom Provider zurück zum Kunden beziehungsweise auf einen neuen Provider gehört unbedingt in die Ausschreibung hinein, um spätere, meist kostspielige Nachbesserungen zu vermeiden.

Preisgestaltung

Für Offshore-Einsteiger eignen sich vor allem Verträge auf der Basis von Time & Material, bei denen die Mitarbeiter des IT-Dienstleisters flexibel an die Kundenanforderungen angepasst werden. Als effektiver hat sich dagegen das Festpreismodell erwiesen, bei dem die Arbeitspakete - wie beim klassischen Outsourcing - klar definiert werden. Voraussetzung hierfür sind allerdings präzise formulierte Anforderungen und eine Due Diligence auf Kunden- und Provider-Seite. Dabei geht es auch um die Frage, auf welcher Basis die erbrachten Offshore-Leistungen abgerechnet werden. Die so genannte Rate Card beinhaltet in der Regel einen Preismix aus Onsite- und Offshore-Ressourcen. Dadurch wird berücksichtigt, dass sich die Offshore-Quote über die Vertragslaufzeit schrittweise erhöht und der Preis damit über die Laufzeit hinweg sinkt.

Aus Gründen der Transparenz wünschen viele Kunden aber eine Trennung von Offshore- und Onshore-Raten. In diesem Fall gilt es, den Offshore-Anteil durch Quoten abzusichern, die über die Jahre ansteigen. Der Umgang mit Preissteigerungsraten an den Offshore-Standorten sollte ebenfalls Teil des Vertrags sein, um späteren Diskussionen mit dem Provider entgegenzuwirken. Grundsätzlich gilt dabei, dass der Anwender kein Währungsrisiko tragen sollte, das im Hoheitsbereich des Providers begründet ist. Schließlich wählt der Anbieter die Delivery-Standorte aus - nicht der Kunde. Trotzdem empfiehlt es sich, in Sachen Standortauswahl auf einer Risikobewertung durch den Anbieter zu bestehen. Eine Checkliste kann dabei helfen (siehe Kasten "Checkliste Standortrisiken").

Checkliste Standortrisiken

  • Was ist die Landessprache, und welche Fremdsprachen beherrschen die Offshore-Mitarbeiter?

  • In welcher Zeitzone liegt der Offshore-Standort?

  • Passt die "Kultur" der Offshore-Region zu der des Landes, aus dem der Kunde agiert?

  • Werden die Offshore-Ressourcen den Qualitätsansprüchen des Anwenders gerecht?

  • Welche Kostenvorteile bietet der Offshore-Standort konkret?

  • Wie hoch ist das Ausbildungsniveau?

  • Wie entwickelt ist die Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur?

  • Wie groß ist der Arbeitsmarkt, und wie verfügbar sind IT-Fachkräfte?

  • Ist das Land politisch und wirtschaftlich stabil?

Auswahl des Offshorers

Ein Offshore-Provider sollte über ein globales und durchgängiges Delivery-Modell verfügen, das durch entsprechende Tools unterstützt wird. Es sollte sich einerseits an die Schnittstellen des Kunden anpassen lassen, um dessen speziellen Anforderungen gerecht zu werden. Andererseits sollten die Organisation - also die Größe und Zusammensetzung der Teams -, die Rollenverteilung der Mitarbeiter sowie die Service-Prozesse selbst so stark standardisiert sein, dass die erwarteten Kostenvorteile möglich werden. Wichtig sind zudem die Skills der Offshore-Mitarbeiter - vor allem wenn die Applikationen auf wenig gängigen Software-Plattformen laufen. In Europa ist spezifisches Legacy-Know-how teilweise noch stark verbreitet. In Indien gelten entsprechende Skills dagegen als "Exotenwissen".

Der Offshorer sollte seine Kompetenzen und Erfahrungen durch nachweisbare Referenzen aus ähnlich gelagerten Projekten belegen können. Ratsam ist darüber hinaus, dass nicht nur der Provider eine Due Diligence beim Kunden vornimmt, sondern dass sich auch der Anwender vor Ort ein Bild von der Offshore-Organisation des Providers macht ("Reverse Due Diligence").

Fazit

Eine Ausschreibung stellt nicht nur hohe Anforderungen an die nachweisbare Offshore-Lieferfähigkeit des Providers, sie fordert auch vom Anwender Präzision bei der Formulierung seiner Anforderungen - bei der Leistungsbeschreibung sowie bei der Erhebung des Datenmaterials, das er dem Provider für die Angebotskonzeption zur Verfügung stellt. (sp)