Wie sich Quereinsteiger in der IT-Branche halten können

07.03.2003 von Helga Ballauf
Die Computerwirtschaft steckt in der Krise - höchste Zeit für IT-Spezialisten ohne formalen Berufsabschluss, ihr Know-how zu dokumentieren und zu erweitern.

Jörg Menno Harms, Vizepräsident des IT-Branchenverbands Bitkom, mahnte Ende vergangenen Jahres: "Es wird schwer für Seiteneinsteiger, zumal traditionelle Tätigkeiten abgebaut werden." Wolfgang Müller, IT-Experte der IG Metall, warnte: "Der Kahlschlag in vielen Unternehmen trifft keineswegs nur Quereinsteiger oder Umschüler mit geringer Berufserfahrung." Andrea Bächle, Mitinhaberin der Unternehmensberatung Imaka, differenziert: "Keiner verliert derzeit den Job allein deshalb, weil er IT-Quereinsteiger ist."

Drei Sichtweisen, die sich gerade auch wegen der Unschärfe des Begriffs "Quereinstieg" voneinander unterscheiden. Nach offizieller Lesart gelten 80 Prozent der 1,6 Millionen IT-Beschäftigten in Deutschland als Seiteneinsteiger. Das heißt: Sie haben weder eine duale IT-Ausbildung noch ein Informatikstudium abgeschlossen. Eine Definition des Quereinstiegs, die in einer jungen Wirtschaftssparte ohne Berufsbildungstradition und mit dem Anspruch, auch bei der Qualifizierung neue Wege zu gehen, mehr verwirrt als erklärt. Griffiger ist es, unter IT-Quereinsteigern jene zu verstehen, die für die Arbeit mit Rechnern und Netzwerken lediglich angelernt wurden, schnelle Umschulungen absolviert haben, mit sozial- oder geisteswissenschaftlichen Studienabschlüssen in der Informationstechnik landeten oder sich als Autodidakten ihr IT-Wissen aneigneten.

Internationale Abschlüsse

So verschieden die Zugänge und Voraussetzungen, so unterschiedlich fällt die Antwort auf die Frage aus: Wie kann ich mich in Krisenzeiten in der IT-Wirtschaft halten? IT-Fachfrau und Unternehmensberaterin Bächle bringt es auf den Punkt: "Die Branche braucht weiter gute Programmierer. Wer aber nicht fähig ist, sich in ein Umfeld einzufügen und zu kommunizieren, scheitert in Krisenzeiten leichter als andere." Immer häufiger verlangen Hard- und Softwareindustrie sowie Anwenderunternehmen von den Beschäftigten eine Kombination aus IT- und Branchenwissen: Wer informationstechnische Systeme für Banken entwickelt, sollte im Umgang mit hochsensiblen Kundendaten vertraut sein. Wer die Produktionssteuerung in einem Werk der Prozessindustrie entwickelt, muss die stofflichen Umwandlungsvorgänge bei der Herstellung verstanden haben.

Fast alle, die in diesen "IT-Mischberufen" arbeiten, starten als Quereinsteiger: Entweder sind sie Informatikspezialisten und müssen sich das Branchen-Know-how aneignen oder umgekehrt. Berufsbegleitende Qualifizierungsangebote helfen, einschlägige Kenntnisse zu vertiefen und zu verzahnen. Ein Beispiel dafür ist der Bachelor-Studiengang "IT and Financial Services", den das Weiterbildungsinstitut Bonner Akademie anbietet. Gemeinsam mit den Fachhochschulen in Gelsenkirchen und Köln hat das Institut ein Konzept entwickelt, das Beschäftigten im IT-Umfeld von Finanzdienstleistern hilft, in 36 Monaten neben der Arbeit den international anerkannten akademischen Titel zu erwerben.

Der Versicherungskaufmann Peter Nedesovski beispielsweise hatte sich selber IT-Wissen beigebracht und begann, beruflich beide Bereiche zu verbinden. Das Bachelor-Studium nützt ihm nun in doppelter Hinsicht: Was er neu lernt, kann er in der täglichen Berufsarbeit bei der Qualitätssicherung von Versicherungssoftware anwenden. Und: "Da ich keine Ausbildung für IT-Berufe habe, war es für mich sehr wichtig, dass ich eine allgemein anerkannte Qualifikation erhalte - gerade in der aktuellen Wirtschaftslage." Er rät allen Quereinsteigern, "eine Weiterbildung zu wählen, die an bereits Erlerntes anknüpft".

Hakan Cetinkaya machte nach einem Tourismusstudium eine achtmonatige Umschulung zum Anwendungsentwickler. Vom Studium an der Bonner Akademie erhofft er sich "eine größere Chance für den beruflichen Aufstieg" sowie bessere Verdienstmöglichkeiten. Der berufsbegleitende Bachelor-Studiengang "IT and Financial Services" ist ein offen zugängliches Angebot, lebt aber von der Zusage der Zürich-Versicherungsgruppe, regelmäßig Kandidaten wie Nedesovski und Cetinkaya zum Unterricht zu schicken. Beide profitieren davon, dass ihr Arbeitgeber die vollen Lehrgangskosten übernimmt, zusätzliche Urlaubstage zum Lernen gewährt und die Möglichkeit einräumt, während des Studiums die Arbeitszeit zu verkürzen. Ein Spaziergang ist der Weg zum akademischen Titel dennoch nicht: "Das Studium verschlingt sehr viel Freizeit", sagt Nedesovski, und Cetinkaya ergänzt: "Ohne Disziplin kein Erfolg."

Ratgeber in Anspruch nehmen

Einen hohen persönlichen Einsatz verlangt auch die "arbeitsprozessorientierte IT-Weiterbildung" den Quereinsteigern ab (www.apo-it.de). Die Aussicht: ein öffentlich anerkanntes Zertifikat auf Spezialistenebene. Die Voraussetzung: ein Vorwissen, das sich inhaltlich, von den Erfahrungen her und lerntechnisch mit dem vergleichen lässt, was Absolventen der dualen IT-Ausbildung an Können erworben haben. Das Verfahren: Das Lernen erfolgt im Rahmen realer betrieblicher Aufträge, die in ihrer Relevanz an Referenzprojekten gemessen werden. Die Hürde: Die Vorgesetzten müssen davon überzeugt sein (oder werden), dass man das Zeug für die berufsbegleitende Spezialistenqualifikation hat (alle Profile unter: www.kib-net.de). Da dieser neue Weiterbildungsweg in den Personalabteilungen der Firmen noch wenig bekannt ist, rät Irmhild Rogalla vom Fraunhofer-Institut Software- und Systemtechnik (ISST) interessierten Quereinsteigern: "Es ist auf jeden Fall den Versuch wert, Vorgesetzte und gegebenenfalls den Betriebsrat davon zu überzeugen, dass man diesen Weg gehen will."

Nach wie vor stehen bei Quereinsteigern aber auch Kompaktschulungen zu fachlichen und inhaltlichen Themen hoch im Kurs. Sie bieten "nebenbei" die Möglichkeit, Kollegen kennen zu lernen, die ähnliche Aufgabenfelder beackern - eine gute Grundlage, um später in Fachforen das informelle Voneinander-Lernen zu pflegen. Es ist eben ein Unterschied, ob man einen Tipp ausprobiert, der von einem anonymen Internet-Schreiber stammt, oder ob zum Ratgeber eine fachliche und persönliche Vertrauensbasis besteht. Bisher ist es oft schwierig, im Bedarfsfall die nebenbei erworbenen Kenntnisse nachzuweisen. Das soll sich künftig mit dem "Europäischen Lebenslauf" ändern, in dem der Einzelne alle persönlichen und beruflichen Fähigkeiten nach einem europaweit einheitlichen Schema dokumentieren kann (mehr unter: www.cedefop.eu.int/transparency).

Wissen ausbauen

Ob sie einen Bachelor an der Bonner Akademie anstreben, eine arbeitsprozessorientierte Weiterbildung zu einem IT-Spezialistenprofil beginnen oder neue Formen des informellen Lernens pflegen - die Motive der Quereinsteiger laufen in die gleiche Richtung: vorhandenes Wissen ausbauen, um das Alltagsgeschäft effektiver zu bewältigen. Und: neue Kompetenz entwickeln, um flexibler einsetzbar und in Krisenzeiten besser vor Arbeitsplatzverlust geschützt zu sein.