Digitale Revolution des Autos

Wie sich Manager für die mobile Zukunft rüsten

04.03.2015 von Jörg Hönemann
Die Digitalisierung macht das Auto zu einem anderen Produkt. Die Folge: Automobilmanager müssen sich verändern – speziell die IT-Manager.
Der Industrie 4.0-Ansatz kann vor allem der Automobil-Industrie mit der Vielzahl von Zulieferanten und der Massenproduktion in vielfältigen Ausstattungsvarianten große Vorteile bringen.
Foto: BMW Group

Die mobilen Zeiten ändern sich rasant - und stellen durch die digitale Revolution des Mobilitätssektors ganz besondere Ansprüche an die Qualitäten des Managements. Wieviel Gen-Y muss im Top-Management von heute stecken? Welche Mobilitätskonzepte, neue Partnerschaften und veränderte Mitarbeiterprofile braucht es, damit die deutsche Autoindustrie weiter sagen kann: "Mobilität kann keiner so gut wie wir."

Immer und überall online

Angesichts der digitalen Revolution im Automobil- beziehungsweise Mobilitätssektor geht es heute für die Unternehmen und jeden einzelnen Manager im Kern darum, offen zu sein für neue Ideen, Wege und Methoden. Dabei hilft es überraschender Weise, sich auf Altbewährtes zu besinnen - auf das, was deutsche Automobilmanager besser beherrschen als alle anderen. Und das ist die Fähigkeit, unterschiedliche Partner zusammenzubringen, die gemeinsam und effizient ein exzellentes Produkt schaffen.

Auf dem Automobilmarkt tummeln sich immer mehr Unternehmen etwa aus der IT- und Telekommunikationsbranche, die ursprünglich nichts mit Automotive zu tun hatten. Denn die Digitalisierung innerhalb und außerhalb des Autos schreitet im Galopp voran. Google hat als erstes Unternehmen eine Straßenzulassung für autonome Fahrzeuge erhalten - in Nevada. Die Hersteller haben längst erkannt, dass man nur zusammen mit den Telekommunikationsanbietern und nicht gegen sie kundengerechte Konzepte umsetzen kann. Darüber hinaus gelingt es so künftig, auch trotz der im Vergleich zu Smartphones deutlich längeren Modellzyklen, immer die neueste Kommunikationstechnologie im Auto nutzbar zu machen. Nicht umsonst dreht sich aktuell auf allen Computermessen vieles um die Vernetzung von Auto und Smartphone. Das Auto hat das analoge Zeitalter verlassen und wird zum Smartcar.

Moderne Mobilität wird durch Digitalisierung erst möglich

Künftig werden auch andere Verkehrsmittel wie Busse, Bahnen, Flugzeuge, Taxi und Carsharing verstärkt in die individuelle Routenplanung einbezogen. Die multi-modale Mobilität - also die integrierte Nutzung verschiedener Verkehrsträger - wird erst bequem plan- und nutzbar, seitdem es geeignete Apps gibt, die uns die optimalen Verbindungen und Kosten der Kombinationen verschiedener Verkehrsangebote anzeigen. Aufwändiges Planen und stundenlanges Analysieren von Fahrplänen verschiedener Anbieter und Städte entfällt.

Die allseitige Verfügbarkeit von Smartphones macht somit die Intermodalität salonfähig und die Verbreitung des Carsharings im Massenmarkt möglich. Darüber hinaus ermöglichen Telematik-Dienste überhaupt erst autonomes Fahren und die sinnvolle Nutzung von Elektromobilität.

Die Gen-Y teilt alles

Junge Städter der westlichen Welt legen immer weniger Wert auf klassiche Statussymbole. In der Gen-Y geht dieser Wertewandel mit dem selbstverständlichen Teilen von Eigentum beziehungsweise Gebrauchsgegenständen einher. In der Folge haben das Automobil und insbesondere der Besitz eines eigenen Autos nicht mehr den gleichen Stellenwert wie noch Ende der 90er Jahre.

Das Smartphone hat sich aufgemacht, dem Automobil im digitalen Zeitalter als "liebstes Spielzeug" den Rang abzulaufen. Darauf deutet auch hin, dass die Zahl der Führerscheinbesitzer in den Megacities kontinuierlich abnimmt und die Markentreue im Volumensegment sinkt. Daraus folgt eine wichtige Einsicht: Jedes Land dieser Erde, jede gesellschaftliche Gruppe stellt unterschiedliche Anforderungen, die sich an den individuellen Rahmenbedingungen orientieren. Wer Kundenwünsche in einem einzigen Geschäftsmodell abbildet, nur ein kleines Fahrzeugportfolio bietet, fährt in die Sackgasse. Folgerichtig steigt die Anzahl der sogenannten Nischenmodelle. Hersteller müssen die Frage beantworten, wie fein sie ihre Kundensegmente clustern und wie individualisierbar ihre Fahrzeuge sind.

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Stärkere Lokalisierung
Fertigungsunternehmen werden künftig noch wesentlich stärker ausdifferenziert und verteilter sein. Kleinere, aber dafür mehr Standorte sorgen dann dafür, dass sie einen besseren Zugang zu lokalen Ressourcen haben und auf neue Marktanforderungen direkt vor Ort reagieren können. Das ermöglicht ihnen, ihre Supply Chains zu optimieren, agiler zu sein und die Lieferzeiten deutlich zu verkürzen. Daneben wird es aber auch weiterhin sehr große Fertigungsstandorte geben, an denen die Unternehmen ihre größten und wichtigsten Teile herstellen oder montieren.
Fortschreitende Digitalisierung
Durch die stärkere Lokalisierung der Supply Chain spielt die Informationstechnologie in Zukunft eine noch größere Rolle, als das in der Branche ohnehin schon der Fall ist. Ein Beispiel dafür ist der 3D-Druck. Er wird es etwa ermöglichen, dass ein lokaler Vertriebsstandort zumindest bei kleineren Ersatzteilen einfach die Blaupause herunterlädt und sie direkt vor Ort druckt. Darüber hinaus wird die zunehmende Verbreitung von Cloud Computing und des Internets der Dinge eine neue Generation intelligenter Objekte hervorbringen, die Fertiger mit Echtzeitdaten versorgen können. Sensoren von Anlagen und Maschinen, die bei Kunden installiert sind, liefern den Herstellern dann beispielsweise selbstständig wertvolle Informationen für die Wartung und Instandhaltung, mit deren Hilfe sich bessere After-Sales-Services erbringen lassen.
Ausweitung von Kooperationen
Produktionsunternehmen gehen künftig deutlich mehr Partnerschaften ein und arbeiten wesentlich enger zusammen, als sie das heute tun. Zum einen werden sie Partnerschaften mit Universitäten schließen, um sich frühzeitig die besten Talente zu sichern. Aber auch untereinander werden sie stärker kollaborieren. In ersten Ansätzen hat dies beispielsweise der britische Hersteller von Transportverpackungen Loadhog bereits realisiert. Er hat mit einem seiner wichtigsten Zulieferer ein Austauschprogramm für Auszubildende ins Leben gerufen, von dem beide Unternehmen profitieren.
Flexiblere Konfigurierbarkeit
Die Fertigungsstandorte werden immer häufiger so konzipiert sein, dass sich ihre Strukturen schneller und flexibler an neue Marktanforderungen anpassen lassen. Die Elemente von Werkstätten und Produktionshallen – vom einzelnen Arbeitsplatz bis hin zu den Maschinen – sind heute meist noch sehr starr organisiert. In Zukunft werden sie aber zahlreiche unterschiedliche "Konfigurationen" ermöglichen, die jeweils ideal zu den konkreten Anforderungen passen.
Kultureller Wandel
Mit den genannten Änderungen einher geht auch ein Wandel der Unternehmenskultur. Die Außenwelt wird Fabriken nicht länger als staubige und ölverschmierte, sondern vielmehr als offene und stark vernetzte Orte wahrnehmen. Diese Entwicklung hat bereits begonnen und so erinnern viele Fabriken den Betrachter heute schon stärker an einen Bürokomplex als an eine klassische Fertigungsstätte.

Revolution in der Produktion: Industrie 4.0 und 3-D-Druck

Auch die Produktion steht vor einer Revolution. Durch die Vernetzung von Maschinen, etwa deren Anbindung an das Internet, kommunizieren Maschinen untereinander (Industrie 4.0). Das ermöglicht die Entwicklung hocheffizienter und hochflexibler (Großserien-)Produktionsverfahren. Gerade in der Automobilindustrie, mit der extrem hohen Variantenvielfalt, ergeben sich große Potentiale, beispielsweise kann so die Anbindung der Zulieferer in die Just-in-Time- beziehungsweise Just-in-Sequence-Produktion der Automobilhersteller ebenso optimiert werden wie die laufende (Fern-)Überwachung von Produktions- und Qualitätskennziffern.

Vom Autohaus zum Erlebniskauf

Der (digitale) Wandel macht aber auch vor Vertriebschefs, Verkäufern und Marketingfachleuten nicht halt. Um Zielgruppen besser zu verstehen und die Zielgruppenansprache zu verbessern, empfiehlt sich für die deutschen Autobauer ein Blick über den Tellerrand: Was machen branchenfremde Top-Performer wie Internetfirmen oder Erlebniskonzerne anders und richtig?

Vom Thinking outside the Box über das Perfektionieren des Kundenerlebnisses, der Kaufemotion, bis hin zum Antizipieren von Kundenwünschen: Die Digitalisierung unserer Lebens- und Erfahrungswelt stellt auch den Vertriebsmanager vor neue Aufgaben - und eröffnet ihm zugleich neue Möglichkeiten. Auf der einen Seite kommen potenzielle Kunden heute sehr viel besser und umfassender informiert in den Store, weil sie alle wichtigen Online- und Offlinemedien bereits vor dem Verkaufsgespräch genutzt haben. Aufgabe des Vertriebes ist es, alle relevanten Kanäle, über die Kunden zum Produkt gelangen können und wollen, auch zur Verfügung zu stellen. Zukünftig geschieht dies idealerweise nicht mehr nach dem Multi-Channel-Ansatz, bei dem jeder Kanal - zum Beispiel der Händler vor Ort oder das Smartphone - für sich steht und agiert. Die Autohersteller werden sich dem Omni-Channel-Ansatz öffnen, der alle Vertriebs- und Marketing-Kanäle gleichberechtigt integriert und ein einheitliches Kundenerlebnis bietet. Das bedeutet für die Zukunft auch eine engere strategiegeleitete Zusammenarbeit von der F&E bis ins Autohaus.

Die drei großen deutschen Premiumhersteller haben bereits neue Vertriebskonzepte initiiert und umgesetzt. So können Kunden beispielsweise in einem neu gestalteten Schauraum am Kurfürstendamm mithilfe neuster digitaler Techniken ihr Wunschfahrzeug konfigurieren und die Marke als Lifestyle-Faktor kennenlernen. Ein anderer Hersteller geht mit seinem Future Retail-Konzept einen ähnlichen Weg: Moderne, architektonisch eindrucksvolle Brand-Stores stärken das Markenerlebnis des Kunden; Design, Lifestyle und Kauferlebnis rücken noch stärker in den Mittelpunkt.

Für die Zukunft gut gerüstet

Automobilmanager müssen die vielen neuen Ideen in Geschäftsmodellen operationalisieren. Da geht es ans Eingemachte: Für die IT-Manager in den Automobilkonzernen heißt das zunächst, dass sie das technische Rückgrat bilden müssen, das die Unternehmen in der neuen digitalen Mobilitätswelt wettbewerbsfähig macht. Dazu gehört, dass die CIOs und ihre Mitarbeiter dafür sorgen, dass Strategen und Innovationsmanager das Potenzial der neuen Data Analytics auch wirklich voll ausschöpfen können.

Die neuen Geschäftsmodelle haben darüber hinaus üblicherweise andere Treiber als das klassische volumengetriebene Automobilgeschäft. So braucht die Unternehmenssteuerung andere Kennzahlen. Dabei handelt es sich jetzt zum Beispiel um Clicks, Downloads, Nutzer, Zeit auf einer Webpage, Mietdauern statt der bloßen Anzahl verkaufter Autos. Darauf muss das Reporting und Performance Management angepasst werden.

Auch andere Mitarbeiterprofile werden gesucht. Es macht einen Unterschied, ob der Verkäufer eine Produkt von mehreren tausend Euro verkauft, oder eine Dienstleistung wie Car-Sharing, das schon für wenige Euro erhältlich ist. Es müssen Geschäftsprozesse umgestellt, IT-Systeme angepasst und Organisationsstrukturen neu geschaffen werden. Es gibt viele weitere Beispiele - die Digitalisierung und Transformation zieht sich durch alle Abteilungen. Gesucht sind Profile, die eine gesamthafte Digitalisierungsstrategie denken und in die Tat umsetzen mit der die neuen Potentiale für alle Funktionen systematisch realisiert werden und gleichzeitig die sich ergebenden neuen Risiken, etwa im Bereich des Datenschutzes und der IT-Sicherheit, reduziert oder idealer Weise ganz vermieden werden. Damit die deutsche Automobilindustrie auch künftig ihre weltweite Spitzenposition behält, gilt es diese Aufgaben nun intelligent anzugehen. (bw)