Agiles Unternehmen

Wie Organisationen beweglich werden

23.02.2017 von Klaus Kissel
Den meisten Unternehmenslenkern ist heute klar, dass sie flexibel und agil sein müssen, wenn sie auf Dauer erfolgreich sein wollen. Unklar ist jedoch oft, welche strukturellen und kulturellen Veränderungen dafür nötig sind.
  • Führungskräfte müssen sich von "Command and Control" verabschieden
  • Eine Wertediskussion ist die Basis für einen konzernweiten Aufbrauch
  • Besonders schwierig: Was wird aus dem mittleren Management?

Im Oktober 2016 verkündete Dieter Zetsche, der Vorstandsvorsitzende des Daimler-Konzerns, das Leitbild einer neuen agilen Organisation für sein Unternehmen. Spätestens seitdem ist klar: Agilität ist ein Megatrend, der alle Branchen erfasst. Zunehmend wächst in den Unternehmen die Erkenntnis, dass die oft von einer pyramidenartigen Hierarchie geprägten Strukturen zu starr sind, um die Herausforderungen der VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) zu meistern. Die Kommunikations- und Entscheidungswege, sind zu träge und langsam, um schnell genug auf die zahllosen Veränderungen zu reagieren und die nötige Innovationskraft und -geschwindigkeit zu entfalten.

Neue Arbeitsformen kollidieren mit alten Strukturen

Führungskräfte, die agil sein wollen, müssen sich nicht gleich verbiegen. Oft reicht es, die eigene Rolle in Frage zu stellen und den Mitarbeitern mehr zu vertrauen.
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Ein großer Teil der Mitarbeiter spürt das Tag für Tag. Faktisch werden ja schon heute viele Kernleistungen bereichs- und standort-, zuweilen sogar unternehmensübergreifend in Team- und Projektarbeit erbracht. Die Außengrenzen der Unternehmen werden durchlässiger - auch weil zunehmend "Mitarbeiter auf Zeit" das Bild prägen. Das können Berater sein, Interims-Manager oder auch Dienstleister, die Teilaufgaben übernehmen.

Firmen agieren mit ihren Mitarbeitern also zunehmend in netzwerkartigen Strukturen. Diese kollidieren aber mit starren Kommunikations- und Entscheidungswegen und einer von traditionellen Hierarchien geprägten Kultur. Eine Ursache dafür ist, dass Führungskräfte die neuen Herausforderungen mit alten Management-Methoden meistern wollen - aus Gewohnheit, aus Unkenntnis moderner Alternativen oder schlicht aus Angst, die Kontrolle zu verlieren.

"Alte Zöpfe" müssen abgeschnitten werden

Dieses Verhalten beeinträchtigt die Motivation engagierter, zur Veränderung bereiter Mitarbeiter. Nicht selten kommt es in den Belegschaften insgesamt zu einer Orientierungslosigkeit. Jeder spürt: Irgendwie passt das alles nicht mehr zusammen.

Oft machen Unternehmen den Fehler agile Methoden einzuführen, ohne ihre Ablauforganisationen zu ändern. So bleibt das tradierte Berichts- und Kontrollwesen weiterbestehen. Führungskräfte behalten die Entscheidungshoheit und die Gestaltungsmacht. Gleichzeitig propagiert die Unternehmensleitung, die Verantwortung müsse sich auf die operative Ebene verlagern.

Die mittleren und oberen Führungskräfte wünschen sich in diesen Fällen möglichst viel Flexibilität und Innovation an der Basis, sind aber nicht gewillt, ihre Macht beziehungsweise Teile davon abzugeben. Sie haben Angst, Pfründe und Privilegien zu verlieren, oder sie glauben nicht an die Kompetenz und Loyalität der Mitarbeiter. Ihr tief verinnerlichtes Credo lautet: "Die Mitarbeiter können mit mehr Autonomie nicht verantwortlich umgehen, das hat die Vergangenheit gezeigt."

So lange dieses Denken das Führungshandeln bestimmt, ist eine nachhaltige Veränderung nicht möglich. Wer eine neue fluide Organisation mit flexiblen Strukturen aufbauen möchte, muss den Mut haben, alte Zöpfe abzuschneiden.

Eine agile Struktur und Kultur entwickeln

Beim Entwickeln einer agilen Unternehmensstruktur und -kultur stellen sich unter anderem folgende Fragen, die teilweise einen Paradigmenwechsel erfordern.

  1. Welchen Werten entspringt unser neuer Führungsgedanke? Was heißt das für unsere Rituale und unser Handeln? Damit eine neue Kultur entstehen kann, braucht es einen neuen Wertekodex, der hierarchieübergreifend entwickelt werden sollte. Diesen gilt es dann in gemeinsamen Ritualen mit Leben zu füllen.

  2. Welche Daseinsberechtigung hat das mittlere Management noch? In einer fluiden Organisation werden die Kernleistungen weitgehend von Teams erbracht. Diese benötigen eine projekthafte Führung, die das kurzfristige Entstehen, aber auch Auflösen von Teams fördert. Hieraus erwächst die Frage: Welche Funktion haben dann die Team-, Abteilungs- und Bereichsleiter noch? Inwieweit sind sie überhaupt noch nötig?

  3. Wie messen und entlohnen wir künftig die (individuelle) Leistung? Wenn die Leistung in Teams beziehungsweise Beziehungsnetzwerken erbracht wird, stellt sich die Frage, wie die individuelle Leistung erfasst und gerecht entlohnt werden kann. Auch in einer fluiden Organisation muss sichergestellt sein, dass jeder Mitarbeiter seine Leistung einbringt und sich nicht Einzelne auf Kosten des Teams "ausruhen". Hier gilt es Transparenz zu schaffen.

    Im digitalen Zeitalter ist eine solche Kontrolle aber nicht mehr durch die Führungskraft nötig. Sie kann auch mittels einer digitalen Messlatte erfolgen, die ähnlich wie im privaten Bereich der Konto-Auszug einer Bank anzeigt: Wie groß ist mein "Haben", und wie weit ist mein Überziehungskredit ausgereizt? Es braucht dann jedoch auch ein daran gekoppeltes wirksames Konsequenzen-Management.

  4. Welche Funktion hat Führung in agilen Strukturen? Klar ist: Führungskräfte müssen in vernetzten Strukturen mehr Beziehungs- als Schnittstellenmanager sein. Außerdem müssen sie sich, wenn sich die fachliche Entscheidungskompetenz auf die operative Ebene verlagert, vom fachlichen Mentor zum Coach beziehungswiese Agilitäts-Coach entwickeln.

  5. Wie sehen die Arbeitsräume/-plätze künftig aus? Wie erzeugen wir ein Feel-Good-Klima? Die Arbeitsumgebung und das Arbeitsequipment sind wichtig. Sie müssen den neuen Anforderungen angepasst werden. Nötig sind unter anderem Meetingräume und flexible Arbeitsplätze, die jederzeit auf- und abbaubar sind. Fachkräfte und Spezialisten werden für Unternehmen immer bedeutsamer, zumal sie die volle Kundenverantwortung übernehmen. Deshalb muss im Betriebsalltag sichergestellt sein, dass sich die Führungskräfte mit Leidenschaft um ihre Mitarbeiter kümmern. Sie müssen ein Art Feel-Good-Management betreiben, um die Mitarbeiter zu binden.

Die neue Hülle mit Leben füllen

Richard Branson, der Gründer der Virgin Group, sagte einmal: "Clients do not come first. Employees come first. If you take care of your employees, they will take care of the clients." Dieses Denken müssen Führungskräfte verinnerlichen.

Eine wirklich flexible Organisation entsteht erst, wenn die Leitungsebene eines Unternehmens sich mit diesen Fragen befasst, individuelle Antworten findet und diese auch sichtbar umsetzt. Erst dann wird das Unternehmen zu einer Hülle, in der Bewegung entstehen kann.