Komplexitätsmanagement

Wie isst man einen Elefanten?

01.03.2017 von Hauke Thun
Je größer und aufwändiger eine Unternehmung ist, desto mehr Probleme können sich einschleichen. Doch wie verhindern Projektmanager, dass ihr Projekt aus dem Ruder läuft?

Wie isst man einen Elefanten? „Indem man ihn in mundgerechte Häppchen zerlegt“ sollte die richtige Antwort wohl lauten. Beim Komplexitätsmanagement geht es zum Glück nicht darum, ein großes Tier zu zerlegen, sondern vielmehr um ein umfangreiches Projekt.

So wie der gewaltige Körper eines Elefanten aus vielen Teilen besteht, setzen sich auch große Projekte aus vielen, oft unübersichtlichen Bereichen zusammen. Grundsätzlich gilt: Die Komplexität von Projekten kann nicht ohne eine Änderung des Projektgegenstands - Verzicht auf Lieferbestandteile oder wesentliche Eigenschaften - reduziert werden. Ganz im Gegenteil nimmt die Komplexität immer mehr zu – ob bei groß angelegten Infrastrukturvorhaben oder technologischen Innovationsprojekten.

Das Management der Komplexitäten ist eine riesige Herausforderung, der die meisten Organisationen auf Anhieb nicht gewachsen sind. Entsprechend häufig scheitern solche Großprojekte. Die vielen Schnittstellen, Stakeholder und Prozesse lassen sich nicht wegzaubern, doch sie lassen sich managen. Das Komplexitätsmanagement setzt sich zum Ziel, von Anfang an Transparenz in Projekten zu schaffen, diese in viele Einzelstücke zu zerlegen und methodisch zu managen. Diese Portionierung des Projekts ist ein erster wichtiger Schritt, um die einzelnen Bestandteile und notwendige Entscheidungen übersichtlicher und besser darstellbar zu machen.

Evaluation ermöglicht frühe Auseinandersetzung mit Projektbestandteilen

Je größer und aufwändiger eine Unternehmung ist, desto mehr Probleme können sich einschleichen. Doch wie verhindern Projektmanager, dass ihr Projekt aus dem Ruder läuft? Sie müssen Transparenz über die einzelnen Projektbestandteile schaffen und die Kompetenzen der eigenen Organisation realistisch einschätzen. Das ist nicht immer ganz leicht. Voraussetzung ist ein methodisches Komplexitätsmanagement, das sowohl Projekte als auch ihre Umfelder von Anfang an bestmöglich aufstellt.

15 Probleme beim Projektmanagement
1. Unklare Arbeitslast
Bryan Fagman vom Anbieter Micro Focus sagt, dass viele Projekte an einem nicht klar umrissenen Arbeitsaufwand scheitern. Schleichen sich hier Unschärfen ein, leidet das ganze Projekt. Im schlimmsten Fall bleibt undefiniert, wann es überhaupt abgeschlossen ist. Fagman mahnt deshalb an, Ziele im Dialog mit den Kunden klar zu benennen.
2. Undefinierte Erwartungen
Alle Beteiligten müssen von Beginn an wissen, welche Anforderungen ein Projekt stellt und welche Erwartungen zu erfüllen sind – sonst droht ein Fiasko. Tim Garcia, CEO des Providers Apptricity, nennt zwei entscheidende Dinge, die alle Team-Mitglieder vorab wissen sollten: was getan wird und wie man weiß, wann das Projekt abgeschlossen ist. „Ohne eine dokumentierte Vereinbarung, die Antworten auf diese beiden Fragen liefert, ist ein Projekt von Anfang an in Gefahr“, sagt Garcia.
3. Fehlende Management-Unterstützung
Die Unterstützung aus der Firmenspitze sollte unbedingt gesichert sein. Befindet man sich dahingehend mit der Chef-Etage nicht in Einklang, mindert das die Erfolgsaussichten beträchtlich, meint Brad Clark vom Provider Daptiv.
4. Methodik nach Schema F
Im Projekt-Management wird gemeinhin mit standardisierten Schlüsselaufgaben und Leistungen gearbeitet. Darin lauert nach Einschätzung von Robert Longley, Consultant beim Beratungshaus Intuaction, aber auch eine Gefahr. Die Standard-Ansätze seien meist auf Projekte einer bestimmten Größe ausgerichtet. Sie passen möglicherweise nicht mehr, wenn man sich an größere Projekte als in der Vergangenheit wagt.
5. Überlastete Mitarbeiter
„Team-Mitglieder sind keine Maschinen“, sagt Dan Schoenbaum, CEO der Projekt-Management-Firma Teambox. Projekte können auch daran scheitern, dass Mitarbeiter mit Arbeit überfrachtet werden. Vermeiden lässt sich das, indem man sich vorab ein klares Bild über die Stärken der Team-Mitglieder macht und auf eine sinnvolle Verteilung der Aufgaben achtet.
6. Ungeteiltes Herrschaftswissen
Projekte leben davon, dass Informationen nicht monopolisiert, sondern miteinander geteilt werden. Das geschieht oft dann nicht, wenn Ergebnisse erst nach langer Anlaufzeit geliefert werden müssen. Tim Garcia von Apptricity rät deshalb dazu, Projekt in kurze Phasen einzuteilen. An deren Ende sollte es jeweils Resultate geben, mit denen das ganze Team weiterarbeiten kann.
7. Unklare Entscheidungsfindung
Im Verlauf eines Projektes sind Änderungen der ursprünglichen Roadmap oft unvermeidbar. Es sollte beim Change Management aber klar dokumentiert werden, wer wann was geändert hat und wie die neue Marschrichtung aussieht.
8. Fehlende Software
Exel-Spreadsheets nötigen Projekt-Manager zu manuellen Korrekturen und führen oft zu Problemen bei der Status-Aktualisierung. Insofern ist es befreiend, mit Project Management Software zu arbeiten, die für automatische Updates sorgt und von lästigen manuellen Berichten entlastet. Dazu rät Brian Ahearne, CEO des Anbieters Evolphin Software.
9. Gefahr des Ausuferns
Change Requests sind alltäglich im Projekt-Leben, aber sie haben leider oft einen unerfreulichen Nebeneffekt: den Hang, Fristen und Budget-Rahmen immer weiter auszudehnen und auf Dauer zu Demotivation und Frust auf allen Seiten zu führen. Um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten, sind neben klaren Zielvorgaben auch tägliches Monitoring und ein definierter Prozess für gewünschte Veränderungen sinnvoll. Das empfiehlt in jedem Fall Sandeep Anand, der beim Software-Entwicklungshaus Nagarro für Project Governance verantwortlich ist.
10. Nicht "Nein" sagen können
Im Sinne des Unternehmens sei es manchmal nötig, Anfragen abzulehnen, sagt Markus Remark vom Provider TOA Technologies. Gut sei es deshalb zu wissen, wie man "nein" sagt. Am besten habe man für solche Fälle auch gleich eine konstruktive alternative Lösung parat.
11. Mangelnder Zusammenhalt
Projektarbeit ist Team-Arbeit. In der Praxis gerieren sich manche Projekt-Teams aber wie in Eifersüchteleien gefangene Sportmannschaften ohne Erfolg, beobachtet Berater Gordon Veniard. Der Fokus auf das eigentliche Ziel gehe verloren. Stattdessen beschuldigen sich Grüppchen gegenseitig, für Probleme und schlechte Leistungen verantwortlich zu sein. Um das zu verhindern, ist Führung durch den Projekt-Manager gefragt. Und der sollte es verstehen, sein Team mitzunehmen und in Entscheidungen einzubinden. Ohne Kommunikation sei das Desaster programmiert, so Hilary Atkinson vom Provider Force 3.
12. Vergessener Arbeitsalltag
Hilary Atkinson hat nach noch einen weiteren Kommunikationstipp parat: Projekt-Manager sollten nicht vergessen, ihre alltäglichen Aufgaben zu erledigen. Wer als Verantwortlicher keine Meeting-Termine verkündet, Status-Berichte vergisst und E-Mails unbeantwortet lässt, riskiert unnötige Verzögerungen.
13. Zu häufige Meetings
Meetings, in denen der Status Quo besprochen wird, können nerven – vor allem dann, wenn sie zu oft stattfinden oder zu lange dauern. Wichtige Informationen lassen sich durch Collaboration Tools häufig besser an die Team-Mitglieder bringen, meint Liz Pearce, CEO des Providers LiquidPlanner. Ihr Tipps: Meeting auf die Entscheidungsfindung beschränken. In ihrem Unternehmen gebe es lediglich zweimal in der Woche ein Treffen, um neue Aufgaben zu verteilen und Prioritäten zu definieren.
14. Gut genug ist nicht immer gut
Sergio Loewenberg vom IT-Beratungshaus Neoris macht Nachlässigkeiten in der Qualitätssicherung als Problem aus. Es sei günstiger, Fehler zu vermeiden anstatt Geld und Zeit ins Ausmerzen ihrer negativen Folgen stecken zu müssen. Wer auf hohe Qualitäts-Standards achte, vermeide späteres Nacharbeiten und die Gefahr eines schlechten Rufes.
15. Nicht aus Fehlern lernen
Liz Pearce mahnt außerdem an, mit Hilfe entsprechender Tools eine mehrstündige Analyse nach Ende des Projektes durchzuführen. Nur Teams, die sich des ständigen Lernens verschreiben, seien dazu in der Lage, die Fehler der Vergangenheit in der Zukunft zu vermeiden.
15 Fehler beim Projektmanagement
Es gibt unzählige Wege, ein IT-Projekt an die Wand zu fahren. Unsere amerikanische Schwesterpublikation CIO.com hat 15 davon gesammelt – und verrät dankenswerterweise auch, wie man die Probleme beheben kann. Diese Tipps sind in der Bilderstrecke zu finden.

Durch stringente Evaluationsprozesse vor Projektbeginn an und ein konsequentes Änderungsmanagement im laufenden Projekt lassen sich die zahlreichen komplexitätssteigernden Faktoren bewältigen. So schaffen die Verantwortlichen Transparenz über alle Entscheidungsschritte und Änderungsvorgänge.

Initiale Evaluationsprozesse zwingen Unternehmen schon vor Beginn eines Projekts dazu, sich mit den einzelnen Bestandteilen und Schnittstellen ihrer Projekte intensiv auseinanderzusetzen. Das House of PM setzt hierfür einen an die Unternehmung angepassten Complexity Score zur Bewertung aller Projektaspekte und möglicher Alternativen ein. Diese Bewertung betrachtet Aspekte wie verwendete Materialien und gegebene Produktionsprozesse, Innovationsgrade, Anzahl der Schnittstellen, Expertise der Projektmanager und Kompetenzen der Zulieferer. Die Bewertungskriterien vergleichen auch mögliche Alternativen im Projekt, um zu eruieren, ob damit Komplexitäten reduziert werden können, beispielsweise durch den Verzicht auf innovative Materialien.

Die zusätzliche Bewertung der erfolgreichen und gescheiterten Projekte aus der Projekthistorie der Unternehmung verdeutlicht, wie hoch die Fähigkeiten des Betriebs sind, komplexe Aufgabenstellungen zu bewältigen. Aus der Analyse von über 15 bis 20 Kriterien und der Unternehmensprojekte ergibt sich für das Unternehmen oder für einzelne Abteilungen eine „Komplexitätskennzahl“, die anzeigt, bis zu welchem Schwierigkeitsgrad Projekte erfolgreich umgesetzt werden können und ab wann sie die Fähigkeit der Organisation überfordern.

Erfassungsblatt der Komplexitätskennzahl
Foto: House of PM

Ausschreibungen erfordern Erfahrung in der Lieferantenauswahl

Präzise Planung und Evaluation ist gerade bei der Auswahl der Lieferanten für komplexe Vorhaben entscheidend. Hier ist besondere Expertise und methodisches Vorgehen notwendig, denn Ausschreibungssysteme bergen die Gefahr, dass die Professionalität der Lieferanten nicht frühzeitig bewertet werden kann, beziehungsweise nicht konkretisiert in der Ausschreibung und der Bewertung der Lieferanten wiederzufinden ist. Mögliche mangelnde Erfahrung und zu frühe, falsche Zusagen können so nicht ausreichend berücksichtigt werden. Stattdessen gewinnt bei Ausschreibungen häufig der kostengünstigste und schnellste Anbieter.

Organisationen in hochspezialisierten und globalisierten Branchen reagieren auf dieses Dilemma, indem sie ihre Aufträge nur noch an Zulieferer vergeben, die einen nachweislich hohen beziehungsweise zur eigenen Unternehmung auf Augenhöhe stehenden Reifegrad haben. Sie legen Wert darauf, dass bei allen Zulieferern ein Prozesssystem implementiert ist, das ein hochentwickeltes Projektmanagement beinhaltet. Systemlieferanten, die für ihre Auftraggeber Komponenten entwickeln, dokumentieren und konstruieren, müssen entsprechend nachvollziehbare Prozesse nutzen und sowohl nachhaltige als auch gleichbleibende Lieferqualität leisten.

Voraussetzung für einen zielführenden Evaluationsprozess ist eine realistische Bewertung der Kompetenzen eines Unternehmens. Die Projektmanager müssen erkennen, welche Komplexität ihre Organisation und auch wichtige Lieferanten leisten können. Konsequenterweise kommen sie dann manchmal auch zum dem Schluss, dass die Komplexität eines Projekts ihre Expertise überschreitet. Entsprechend müssen sie dann entscheiden, das Projekt so nicht durchzuführen beziehungsweise Änderungen am Projektinhalt oder an den eigenen Kompetenzen und Kapazitäten vorzunehmen, zum Beispiel durch Vorstudien oder Einkauf externer Kompetenz.

Erfolgsschlüssel Änderungsmanagement

Im laufenden Projekt bietet ein stringentes Änderungsmanagement den Schlüssel, um Projekte zum Abschluss zu bringen, ohne dass die Kosten explodieren. In der Praxis sind es nämlich insbesondere Änderungen und deren nicht komplett verstandene Auswirkungen, die ein Vorhaben schnell teurer machen. Davon betroffen sind etwa öffentliche Prestigeprojekte, insbesondere Infrastrukturvorhaben. Wenn die Politik oder andere fachfremde Stakeholder laufend neue oder andere Anforderungen definieren – „unser Leuchtturmprojekt muss schöner, schneller fertig und größer werden“ – steigt der Druck von außen und verleitet zu kostspieligen Fehlentscheidungen. Entsprechend wichtig ist die transparente Gestaltung der Prozesse für das Änderungsmanagement. Die Projektmanager müssen klar benennen, welche Auswirkungen Änderungen an welcher Stelle auf Dauer, Kosten und Qualität des Projekts haben.

Um die Prozesse für das Änderungsmanagement von Anfang an konsequent zu installieren, arbeiten viele Unternehmen mit einem sogenannten Change Control Board. Die Aufgabe dieses aus Fachexperten zusammengesetzten Gremiums ist es, genau zu analysieren, welche Konsequenzen Änderungen zu welchem Zeitpunkt haben. Entscheidet sich zum Beispiel ein Stakeholder zu einem späten Zeitpunkt für die Verwendung neuer Anlagen oder Oberflächenmaterialien, hat dies direkte Auswirkungen auf eine Reihe von Schnittstellen, die Projektdauer und die Kosten. Hier ist es Aufgabe des Boards, genau zu verstehen, welche Kosten und Verzögerungen dadurch entstehen und entsprechend fundierte Empfehlungen auszusprechen.

Dazu gehört auch, Entscheidungen eines Vorstands oder der Politik zu hinterfragen. Aufgabe des Control Boards ist es, diese Entscheidungen in Abhängigkeit zueinander zu bringen und den Vorstand über Auswirkungen von Änderungs- und Anforderungsprozessen zu informieren. Um die Entscheidungsträger zu überzeugen, müssen die Projektmanager aufgrund ihrer Erfahrungen und ihres Fachwissens stichhaltige Fakten und Daten präsentieren. Es ist ihre Aufgabe, ganz klar zu belegen, was in welcher Zeit möglich ist.

Agile Methoden sind eine gute Basis, um mögliche Abweichungen in der Erwartungshaltung der Stakeholder zu minimieren und darüber hinaus ein stärkeres Bewusstsein für kritische, stark ineinandergreifende Projektentscheidungen zu schaffen. Sie bieten durch ihren partizipativen Ansatz gute Voraussetzungen, um alle Stakeholder schon früh in die Projekte einzubinden und sie in die Lage zu versetzen, in Abstimmung mit dem ganzen Projektteam die richtigen Entscheidungen zu treffen.

Fazit

Das richtige Management komplexer Vorhaben hat viel mit Erfahrung zu tun. Organisationen, die über viele Jahre Fachwissen und Praxiserfahrung im Umgang mit ihren Projekten aufbauen konnten, erreichen grundsätzlich die höchsten Erfolgsraten bei der Umsetzung. Die Erfahrung hilft ihnen, festzulegen, welche Entscheidungen wann getroffen werden können und wie sie die Projektziele am realistischsten definieren.

Die Organisationen lernen, kontinuierlich besser zu planen und bessere Vorgaben in den einzelnen Fachbereichen zu machen. Am Anfang erfolgreich abgeschlossener Projekte steht immer eine entscheidende Einsicht: Die Komplexität von Projekten kann nicht reduziert werden, ohne den Inhalt des Projekts zu ändern. Doch indem Projektmanager Transparenz über die diversen Projektbestandteile schaffen und die Kompetenzen ihrer Organisation realistisch einschätzen, tragen sie entscheidend dazu bei, auch komplexe Vorhaben zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. (haf)