Wie isst man einen Elefanten? „Indem man ihn in mundgerechte Häppchen zerlegt“ sollte die richtige Antwort wohl lauten. Beim Komplexitätsmanagement geht es zum Glück nicht darum, ein großes Tier zu zerlegen, sondern vielmehr um ein umfangreiches Projekt.
So wie der gewaltige Körper eines Elefanten aus vielen Teilen besteht, setzen sich auch große Projekte aus vielen, oft unübersichtlichen Bereichen zusammen. Grundsätzlich gilt: Die Komplexität von Projekten kann nicht ohne eine Änderung des Projektgegenstands - Verzicht auf Lieferbestandteile oder wesentliche Eigenschaften - reduziert werden. Ganz im Gegenteil nimmt die Komplexität immer mehr zu – ob bei groß angelegten Infrastrukturvorhaben oder technologischen Innovationsprojekten.
Das Management der Komplexitäten ist eine riesige Herausforderung, der die meisten Organisationen auf Anhieb nicht gewachsen sind. Entsprechend häufig scheitern solche Großprojekte. Die vielen Schnittstellen, Stakeholder und Prozesse lassen sich nicht wegzaubern, doch sie lassen sich managen. Das Komplexitätsmanagement setzt sich zum Ziel, von Anfang an Transparenz in Projekten zu schaffen, diese in viele Einzelstücke zu zerlegen und methodisch zu managen. Diese Portionierung des Projekts ist ein erster wichtiger Schritt, um die einzelnen Bestandteile und notwendige Entscheidungen übersichtlicher und besser darstellbar zu machen.
Evaluation ermöglicht frühe Auseinandersetzung mit Projektbestandteilen
Je größer und aufwändiger eine Unternehmung ist, desto mehr Probleme können sich einschleichen. Doch wie verhindern Projektmanager, dass ihr Projekt aus dem Ruder läuft? Sie müssen Transparenz über die einzelnen Projektbestandteile schaffen und die Kompetenzen der eigenen Organisation realistisch einschätzen. Das ist nicht immer ganz leicht. Voraussetzung ist ein methodisches Komplexitätsmanagement, das sowohl Projekte als auch ihre Umfelder von Anfang an bestmöglich aufstellt.
Durch stringente Evaluationsprozesse vor Projektbeginn an und ein konsequentes Änderungsmanagement im laufenden Projekt lassen sich die zahlreichen komplexitätssteigernden Faktoren bewältigen. So schaffen die Verantwortlichen Transparenz über alle Entscheidungsschritte und Änderungsvorgänge.
Initiale Evaluationsprozesse zwingen Unternehmen schon vor Beginn eines Projekts dazu, sich mit den einzelnen Bestandteilen und Schnittstellen ihrer Projekte intensiv auseinanderzusetzen. Das House of PM setzt hierfür einen an die Unternehmung angepassten Complexity Score zur Bewertung aller Projektaspekte und möglicher Alternativen ein. Diese Bewertung betrachtet Aspekte wie verwendete Materialien und gegebene Produktionsprozesse, Innovationsgrade, Anzahl der Schnittstellen, Expertise der Projektmanager und Kompetenzen der Zulieferer. Die Bewertungskriterien vergleichen auch mögliche Alternativen im Projekt, um zu eruieren, ob damit Komplexitäten reduziert werden können, beispielsweise durch den Verzicht auf innovative Materialien.
Die zusätzliche Bewertung der erfolgreichen und gescheiterten Projekte aus der Projekthistorie der Unternehmung verdeutlicht, wie hoch die Fähigkeiten des Betriebs sind, komplexe Aufgabenstellungen zu bewältigen. Aus der Analyse von über 15 bis 20 Kriterien und der Unternehmensprojekte ergibt sich für das Unternehmen oder für einzelne Abteilungen eine „Komplexitätskennzahl“, die anzeigt, bis zu welchem Schwierigkeitsgrad Projekte erfolgreich umgesetzt werden können und ab wann sie die Fähigkeit der Organisation überfordern.
Ausschreibungen erfordern Erfahrung in der Lieferantenauswahl
Präzise Planung und Evaluation ist gerade bei der Auswahl der Lieferanten für komplexe Vorhaben entscheidend. Hier ist besondere Expertise und methodisches Vorgehen notwendig, denn Ausschreibungssysteme bergen die Gefahr, dass die Professionalität der Lieferanten nicht frühzeitig bewertet werden kann, beziehungsweise nicht konkretisiert in der Ausschreibung und der Bewertung der Lieferanten wiederzufinden ist. Mögliche mangelnde Erfahrung und zu frühe, falsche Zusagen können so nicht ausreichend berücksichtigt werden. Stattdessen gewinnt bei Ausschreibungen häufig der kostengünstigste und schnellste Anbieter.
Organisationen in hochspezialisierten und globalisierten Branchen reagieren auf dieses Dilemma, indem sie ihre Aufträge nur noch an Zulieferer vergeben, die einen nachweislich hohen beziehungsweise zur eigenen Unternehmung auf Augenhöhe stehenden Reifegrad haben. Sie legen Wert darauf, dass bei allen Zulieferern ein Prozesssystem implementiert ist, das ein hochentwickeltes Projektmanagement beinhaltet. Systemlieferanten, die für ihre Auftraggeber Komponenten entwickeln, dokumentieren und konstruieren, müssen entsprechend nachvollziehbare Prozesse nutzen und sowohl nachhaltige als auch gleichbleibende Lieferqualität leisten.
Voraussetzung für einen zielführenden Evaluationsprozess ist eine realistische Bewertung der Kompetenzen eines Unternehmens. Die Projektmanager müssen erkennen, welche Komplexität ihre Organisation und auch wichtige Lieferanten leisten können. Konsequenterweise kommen sie dann manchmal auch zum dem Schluss, dass die Komplexität eines Projekts ihre Expertise überschreitet. Entsprechend müssen sie dann entscheiden, das Projekt so nicht durchzuführen beziehungsweise Änderungen am Projektinhalt oder an den eigenen Kompetenzen und Kapazitäten vorzunehmen, zum Beispiel durch Vorstudien oder Einkauf externer Kompetenz.
Erfolgsschlüssel Änderungsmanagement
Im laufenden Projekt bietet ein stringentes Änderungsmanagement den Schlüssel, um Projekte zum Abschluss zu bringen, ohne dass die Kosten explodieren. In der Praxis sind es nämlich insbesondere Änderungen und deren nicht komplett verstandene Auswirkungen, die ein Vorhaben schnell teurer machen. Davon betroffen sind etwa öffentliche Prestigeprojekte, insbesondere Infrastrukturvorhaben. Wenn die Politik oder andere fachfremde Stakeholder laufend neue oder andere Anforderungen definieren – „unser Leuchtturmprojekt muss schöner, schneller fertig und größer werden“ – steigt der Druck von außen und verleitet zu kostspieligen Fehlentscheidungen. Entsprechend wichtig ist die transparente Gestaltung der Prozesse für das Änderungsmanagement. Die Projektmanager müssen klar benennen, welche Auswirkungen Änderungen an welcher Stelle auf Dauer, Kosten und Qualität des Projekts haben.
Um die Prozesse für das Änderungsmanagement von Anfang an konsequent zu installieren, arbeiten viele Unternehmen mit einem sogenannten Change Control Board. Die Aufgabe dieses aus Fachexperten zusammengesetzten Gremiums ist es, genau zu analysieren, welche Konsequenzen Änderungen zu welchem Zeitpunkt haben. Entscheidet sich zum Beispiel ein Stakeholder zu einem späten Zeitpunkt für die Verwendung neuer Anlagen oder Oberflächenmaterialien, hat dies direkte Auswirkungen auf eine Reihe von Schnittstellen, die Projektdauer und die Kosten. Hier ist es Aufgabe des Boards, genau zu verstehen, welche Kosten und Verzögerungen dadurch entstehen und entsprechend fundierte Empfehlungen auszusprechen.
Dazu gehört auch, Entscheidungen eines Vorstands oder der Politik zu hinterfragen. Aufgabe des Control Boards ist es, diese Entscheidungen in Abhängigkeit zueinander zu bringen und den Vorstand über Auswirkungen von Änderungs- und Anforderungsprozessen zu informieren. Um die Entscheidungsträger zu überzeugen, müssen die Projektmanager aufgrund ihrer Erfahrungen und ihres Fachwissens stichhaltige Fakten und Daten präsentieren. Es ist ihre Aufgabe, ganz klar zu belegen, was in welcher Zeit möglich ist.
Agile Methoden sind eine gute Basis, um mögliche Abweichungen in der Erwartungshaltung der Stakeholder zu minimieren und darüber hinaus ein stärkeres Bewusstsein für kritische, stark ineinandergreifende Projektentscheidungen zu schaffen. Sie bieten durch ihren partizipativen Ansatz gute Voraussetzungen, um alle Stakeholder schon früh in die Projekte einzubinden und sie in die Lage zu versetzen, in Abstimmung mit dem ganzen Projektteam die richtigen Entscheidungen zu treffen.
Fazit
Das richtige Management komplexer Vorhaben hat viel mit Erfahrung zu tun. Organisationen, die über viele Jahre Fachwissen und Praxiserfahrung im Umgang mit ihren Projekten aufbauen konnten, erreichen grundsätzlich die höchsten Erfolgsraten bei der Umsetzung. Die Erfahrung hilft ihnen, festzulegen, welche Entscheidungen wann getroffen werden können und wie sie die Projektziele am realistischsten definieren.
Die Organisationen lernen, kontinuierlich besser zu planen und bessere Vorgaben in den einzelnen Fachbereichen zu machen. Am Anfang erfolgreich abgeschlossener Projekte steht immer eine entscheidende Einsicht: Die Komplexität von Projekten kann nicht reduziert werden, ohne den Inhalt des Projekts zu ändern. Doch indem Projektmanager Transparenz über die diversen Projektbestandteile schaffen und die Kompetenzen ihrer Organisation realistisch einschätzen, tragen sie entscheidend dazu bei, auch komplexe Vorhaben zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. (haf)