Das waren die 2000er Jahre

Wie Ebay und Google unser Leben veränderten

08.10.2009
Was prägte die 2000er Jahre? Eine jede Menge Technik, vom Blackberry über iPod bis Google. Ein erster Rückblick in Häppchen.
Vor allem die Digitalisierung der Menschen prägte die ersten Dekade des neuen Jahrtausends. (Quelle: Destonian / Fotolia.com)
Foto: Destonian / Fotolia.com

Das erste Jahrzehnt nach dem Millenium ist fast vorbei, Zeit für die Wirtschaftsjournalistin Judith-Maria Gillies, eine erste Bilanz zu ziehen. In ihrem Buch "Unsere Nullerjahre. Das Jahrzehnt der Bagels, Blogs und Billigflieger" fragt sie, welche Moden, Macken und Marken die 2000er Jahre prägten. Ihren Rückblick serviert die Autorin zeitgerecht in 200 vergnüglichen Texthäppchen, schließlich hat der Leser heute nicht mehr viel Zeit. Für die COMPUTERWOCHE hat sie Trends herausgesucht, die zeigen, wie Computer, Internet und Co. unser Leben veränderten.

1. Blackberry: Managerspielzeug der 2000er

Ein Mann mit Blackberry - da war sich die Businesswelt einig - besaß Einfluss, Macht und Lässigkeit. Ein Blackberry machte selbst den Vertriebsleiter Südpfalz zu James Bond. Denn die elektronische Brombeere hatte alles, was Männerherzen höherschlagen ließ: ein stylisches Design, eine elegante Silhouette, ein großes Display, eine für Männerfinger geeignete Tastatur und natürlich allerlei technische Funktionen wie Web, Mail, Telefon, Instant Messaging, Kamera, Media Player, Organizer.

Ein Alleskönner im Pocket-Format: klein genug, um in der Sakkotasche zu verschwinden, groß genug, um beim Herausholen auf den ersten Blick erkannt zu werden. Und darum ging es schließlich. Hier, so signalisierte das Handheld, war einer, der gehörte zum Club der Wichtigen. Zum Club der Auserwählten, die ihr Leben in Business Lounges verbrachten und ihr Büro in der Jackentasche mit sich herumtrugen. Leider gehörte ein Blackberryaner auch zum Club der jederzeit Erreichbaren. Zum Club derer, die immer und überall vom Chef oder von Geschäftspartnern gestört werden konnten: im ICE, auf dem Tennisplatz, in der Badewanne. Feierabend war gestern. Schnell mal mit dem Click Wheel gescrollt, um zu sehen, wer da wieder etwas von einem wollte …

Vom Dauer-Scrollen holte sich mancher eine Sehnenscheidenentzündung. Blackberry-Hand statt Tennisarm. Doch solch ein kleines Zipperlein nahm man in Kauf. Nur ein einziger Knopf bereitete den meisten Nutzern ein echtes Problem: der zum Ausschalten.

das waren die 2000er
Der Blackberry...
war das Managerspielzeug der 2000er Jahre. Ein Blackberry machte selbst den Vertriebsleiter Südpfalz zu James Bond. Denn die elektronische Brombeere hatte alles, was Männerherzen höherschlagen ließ: ein stylisches Design, eine elegante Silhouette, ein großes Display, eine für Männerfinger geeignete Tastatur und natürlich allerlei technische Funktionen wie Web, Mail, Telefon, Instant Messaging, Kamera, Media Player, Organizer.
Partnersuche auf Knopfdruck
Datingbörsen wie Datingcafé, neu.de oder parship sorgten dafür, dass wirklich jeder ein Date haben konnte. Welch wunderbare neue Form sich zu verlieben! Modern und unverbindlich. Wer denn den großen Schritt ins Café um die Ecke gewagt hat, erlebte nicht selten eine harte Landung.
Fotohandys
Die Kamera war auf einmal überall dabei. Sie passte in jede Hosentasche. Seitdem erleben wir überall dasselbe Bild, wo Päpste, Prinzen oder Popstars auftauchen. Jubelnde Zuschauer hielten ihre Arme hoch. Zum Winken und Händeschütteln, klar aber eben auch zum Fotografieren.
Google
Mit der weltgrößten Suchmachine (hier die Google-Gründer Brin und Page mit Google-Chef Schmidt) fanden wir plötzlich in Sekundenschnelle Antworten auf Fragen, von denen wir früher nicht gewusst hätten, wie und wem wir sie überhaupt stellen sollten. Äußerst beliebt war das Eintippen des eigenen Namens in die Suchmachine. Ego-Googeln mutierte zum Volkssport. Mancher wurde dabei rot, denn das Internet - und hier vor allem die Bilderssuche - hatte ein besseres Gedächtnis als alle Tiere bei Elefant, Tiger und Co. zusammen.
iPod
Das Lieblings-Gadget der Nuller wurde zum Erkennungszeichen unserer Generation – wie einst der Zauberwürfel in den Achtzigern oder die Tamagotchis in den Neun­zigern. iPod, das war Nuller-Zeitgeist to go! Mit dem Kultplayer konnte man definitiv seinen Sinn für Stil unter Beweis stellen – übrigens selbst dann, wenn man Eminem oder Yvonne Catterfeld hörte.
Navigationssysteme....
waren unsere liebsten Beifahrer. Sie nahmen keinen Platz weg, konnten Karten lesen und redeten nur das Nötigste. Mit ihnen wurden selbst Ortsunkundige zu Insidern. Frauen auch ohne Orientierungssinn erreichten ihr Ziel. Welch Wohltat, wenn man Strecken, für die man einst 90 Minuten eingeplant hattte, plötzlich ganz entspannt in 55 Minuten erreichte.

2. Blogger: Wortführer im Web 2.0

Vom Exhibitionisten bis zum Experten: In der Blogosphäre hatten sie alle ein Forum. Ihre Posts wurden gelesen, verlinkt und kommentiert. Blogger waren die neuen Meinungsmacher. Nun ja, nicht alle hatten sich unbedingt gleich eine Prominenz erbloggert wie Stefan Niggemeier (Bildblog), Robert Basic (Basic Thinking Blog) oder René Walter (Nerdcore Blog). Aber dafür hatten sie alle endlich eine neue Möglichkeit gefunden, ihr Mitteilungsbedürfnis auszuleben. Ohne jegliche Zensur, dafür aber mit einer potenziellen Leserschaft von mehr als einer Milliarde Menschen. Da konnte selbst ein Bild-Zeitungsredakteur neidisch werden.

Tausende persönlicher Internet-Logbücher stillten unser aller Neugier. Bemerkenswert Claudias Blog unter www.giesen-familie.info. Eintrag vom 27.1.2009: »Toll, dass Charlotte heute Nacht über 5 Stunden am Stück geschlafen hat. Um kurz nach fünf wurde sie gestillt. Und ich war danach fast zwei Stunden wach.*örks*.« Und am 25. November 2008 stand bei »Dem Chris sein Blog« (so der Name) unter blog.im-pott.de: »Meine - ’tschuldigung - Fresse, war das glatt gestern! Als ich morgens aus dem Haus raus bin, fing es grade an zu schneien. Auf dem Schnee habe ich richtig Tempo verloren, da ich mich ja nicht langmachen wollte.(…)« Noch Spannenderes erfuhr der geneigte Leser im Eintrag vom 1. Dezember 2007 im bluebaby.blog.de: »(…) Ich verwende in der Regel ein Bügeleisen, das ca. 80 € kostet und ein bis zwei Jahre brauchbar ist. Wenn es dann wegen Verkalkung kaputt geht, hat es sein Geld verdient und kann ohne Zögern durch ein neues preisgünstiges Dampfbügelgerät ersetzt werden.(…)«

Keine Frage: In Weblogs fand das wahre Leben statt. Die Themen drehten sich um alles, was die Menschheit beschäftigte: von Winterreifen bis Frühlingsrollen, von Pingpong bis Pingback, von Gürtelrose bis Guantanamo. Schon bald überschwemmten Spezialjournale das Web: Kunstinteressierte informierten sich in Artblogs, Erleuchtete in Esoterikblogs, Forscher in Wissenschaftsblogs - und Eisbärfreunde in Knuts Blog.

Ab jetzt konnte jeder Computerbesitzer ein Journalist sein. Und zugleich sein eigener Chefredakteur und Herausgeber. Auch hier toppten die Online-Schreiber wieder jeden Bild-Reporter um Längen. Wie viele Kindheitsträume gingen da in Erfüllung! Blogger bildeten eine neue Gegenöffentlichkeit, von der Leserbriefschreiber oder Graffiti-Sprayer nur träumen konnten. Das bekamen auch die Unternehmen schmerzlich zu spüren. Denn Blogger waren immer auch Kunden. Und wenn sie sich in ihren Postings ganz ungeniert und unzensiert über miese Produkte, unverschämten Service oder schlechte Arbeitsbedingungen Luft machten, war manch eine Firma nicht wirklich amüsiert. Also installierten einige aufgeschlossene unter ihnen eigene Blogs, in denen die Mitarbeiter ihre Beiträge posten durften. Und die Firmenleitung merkte sogleich, dass so viel Meinungsfreiheit ganz schön wehtun konnte - zumal unter Bloggern eine schnodderige Schreibe zum guten Ton gehörte.

3. Datingbörsen: Partnersuche auf Knopfdruck

Wer sich in den Nullern verabredete, der hatte ein Date und traf seine Verabredungen online. Datingcafe, Neu.de, Parship und viele andere Plattformen sorgten dafür, dass wirklich jeder ein Date haben konnte. Welch eine wunderbar neue Form, sich zu verlieben! Modern und unverbindlich und nicht mehr so peinlich wie die Partnerschaftsanzeigen, von denen man niemandem erzählen mochte außer der besten Freundin.

Andererseits war Online-Dating gewöhnungsbedürftig. Man musste ein Foto einstellen und ein Profil über sich anlegen. Das mit dem Foto war für manche Zeitgenossen schon eine Herausforderung für sich. Das mit dem Profil aber eine noch viel größere, wie die User schnell feststellen konnten. Ihnen war vorher gar nicht bewusst, dass sie von so vielen »Schmusekatzen« und »Traumprinzen« umgeben waren!

Dank Dating-Börsen im Internet konnte wirklich jeder ein Date haben.
Foto: Monkey Business - Fotolia.com

Manch eine Plattform versuchte, den Singles Hilfestellungen bei der Selbstbeschreibung zu geben, indem sie als Leitfaden Fragen stellte: »Was essen Sie am liebsten zum Frühstück?«, »Wie sieht Ihr perfekter Tag aus?« »Ihr Lebensmotto?« Doch auch das half nicht beim Herausarbeiten der Persönlichkeit. Die Antworten offenbarten nämlich, dass ganz Deutschland morgens am liebsten bei Milchkaffee und Croissants im Bett kuschelte, abends mit einem Glas Rotwein am Strand den Sonnenuntergang betrachtete und als Lebensdevise »Carpe diem« wählte. Und egal, wie alt die Kontaktsuchenden waren, sie waren auf jeden Fall »jünger aussehend«. Wie zum Beweis stand ein zehn Jahre altes Porträtfoto neben dem Text.

Überhaupt bot das Internet-Dating viele Möglichkeiten zum Schummeln. »Geschieden« schien da für manch verheirateten Mann die rechte Umschreibung seines Familienstands zu sein. Und manch eine Frau mit Kleidergröße 44 hat das Wort »schlank« als treffende Umschreibung ihrer Figur gesehen.

Doch es gab auch die anderen. Die Ehrlichen. Die auf der Suche nach dem schnellen Kick. Und natürlich die auf der Suche nach dem großen Glück. Wenn die dann den großen Schritt vom Datingcafé ins Café um die Ecke gewagt hatten, erlebten sie nicht selten eine harte Landung. Die virtuelle Wolke sieben konnte sich schneller verziehen, als man dachte.

4. Ebay: Neues Hobby, in das wir uns reinsteigerten

Irgendwann saß jeder von uns mal am PC und vertickte was: gut erhaltene Babykleidung, originalverpackte Star-Wars-Figuren, antike Stühle. Bei Ebay wurde man einfach alles los. Beim Ausmisten des Kellers oder Speichers ließ sich plötzlich richtig Geld machen. Und wer auf der Suche nach Raritäten war, für die er alle Flohmärkte der Welt abgesucht hatte, wurde hier mit einem Klick fündig. Die seltene Porzellanuntertasse, die vergriffene Jerry-Cotton-Ausgabe, das Vintage-Dior-Kleid? Maximalgebot eintippen, bieten, warten. Selbst Adelstitel, die eigene Jungfräulichkeit oder das freie Tätowierrecht auf dem Rücken des Verkäufers waren im Angebot. Aufgeweckte Hausfrauen hatten als Powerseller fortan den idealen Nebenjob gefunden - inklusive super Verdienstmöglichkeiten, individuellen Arbeitszeiten und ohne meckernden Chef.

Die Regeln des elektronischen Bietens mussten wir uns anfangs erst aneignen. Aber wir lernten schnell. Zum Beispiel, dass man nicht ständig sein Angebot erhöhen musste, sobald man - pling! - überboten wurde. Oder dass sich Profis erst kurz vorm Ende einschalteten. Und außerdem lernten wir noch eins: zu verlieren. Denn meist hieß es ja: »Drei, zwei, eins - seins!« In letzter Sekunde wurde man wieder ausgestochen.

Vor allem aber lernten wir, unser selbst gesetztes Limit nie, wirklich niemals zu überschreiten. Was wir natürlich trotzdem machten - um auch mal den Zuschlag zu erhalten. Als wir dann das gelieferte Paket fünf Tage später in Empfang nahmen, spürten wir den inneren Triumph. Ha! Gewonnen! Ich! Und dass wir für das Zeug einen weit überhöhten Preis gezahlt hatten, war egal. Und zwar völlig. Wenn’s nicht passte, konnten wir es wieder bei Ebay reinstellen - und hoffen, dass ein anderer Freak noch mehr dafür bot.

5. Fotohandys: Der schnelle Klick für jedermann.

Schuhtick, Potsdamer Platz. Pumps im Sonderangebot. Klick. Senden an: Christiane. Text: »Kaufen??? Nur 65,90! Schnäppchen! Jule«. Kreißsaal, Werthmannstraße. Neuer Erdenbürger angekommen. Klick. Senden an: alle. Text: »Leon ist da. 50 cm, 3350 g. Wir können unser Glück noch gar nicht fassen! Monika und Georg«.

Das Fotohandy war überall dabei, egal, ob wir auf Prinzen, Päpste oder Popstars trafen.
Foto: Samsung

Die Kamera war auf einmal überall mit dabei. Sie passte in jede Hosentasche. Seitdem erlebten wir überall dasselbe Bild, wo Prinzen, Päpste oder Popstars auftauchten. Jubelnde Zuschauer hielten ihre Arme hoch. Zum Winken und Händeschütteln, klar, aber eben auch zum Fotografieren. Klick. Dokumentation per Telefon. Ich war dabei - alles klar?! Selbst die Fraktion der Foto-Nostalgiker kam auf ihre Kosten. Auf den Mobiltelefonen konnten sie eine besondere Einstellung aktivieren: Beim Druck auf den Auslöser ertönte dann der Summer aus guten alten Analogtagen.

6. Googeln: Simplify your life mit einem Klick.

Mit der weltgrößten Suchmaschine fanden wir plötzlich in Sekundenschnelle Antworten auf Fragen, von denen wir früher nicht gewusst hätten, wie und wem wir sie überhaupt stellen sollten. Und dazu brauchten wir nur ein paar Buchstabenkombinationen in den PC einzutippen. »BMI ausrechnen«, fertig. Oder »Schni Schna Schnappi«. Oder »Ich-AG gründen«, »Zack die Bohne«, »Mindestlohn Zeitarbeit«, »Facebook Log-in«, »Personal Trainer Nürnberg«, »Rezept Zitronengras«, »Bohlen Penisbruch«, »Vogelgrippe Symptome«, »Ohoven Schlauchboot« und so weiter … Google brachte einfach in allen Lebenssituationen schnell Klarheit.

Verständlich, dass die globale Webgemeinde Google schnell zu ihrer Nummer eins machte. In Deutschland adelte der Duden 2004 sogar das Wort googeln, indem er es in seine 23. Ausgabe und damit in den allgemeinen Wortschatz aufnahm. Und ausgerechnet Google selber protestierte. Weil nach Ansicht der Firma der Begriff auch dann gebraucht wurde, wenn andere Suchmaschinen im Spiel waren. So what?, fragte sich da Otto Normal-User staunend. Zumal hierzulande Googles Befürchtung sowieso nicht zutraf. Bei uns hatte das amerikanische Unternehmen bis 2008 bereits einen Marktanteil von 90 Prozent erobert. Yahoo folgte mit läppischen drei Prozent weit abgeschlagen auf Platz zwei.

Äußerst beliebt war zudem das Eintippen des eigenen Namens in die Suchmaschine. Ego-Googeln mutierte zum Volkssport. Nach einer Umfrage des Branchenverbands Bitkom im Jahr 2008 suchte bereits mehr als ein Drittel aller Deutschen im Web nach sich selbst. Manche davon wahrscheinlich nicht, ohne rot zu werden. Denn das Internet - und hier vor allem die Bilder-Suche - hatte ein noch besseres Gedächtnis als alle Tiere bei Elefant, Tiger & Co. zusammengenommen. Das wussten auch mehr und mehr Personalchefs. Und so klopften sie gern ihre Kandidaten vor dem persönlichen Kennenlernen per Suchmaschine ab. Man konnte ja nie wissen - aber Google schon! Eigentlich könnte man sagen: Wer beim Googeln nicht fündig wurde, dem konnte kaum noch geholfen werden. Höchstens mit einem Stoßgebet zum Heiligen Antonius.

7. iPod: Walkman reloaded

Das Lieblings-Gadget der Nuller wurde zum Erkennungszeichen unserer Generation - wie einst der Zauberwürfel in den Achtzigern oder die Tamagotchis in den Neunzigern. iPod, das war Nuller-Zeitgeist to go! Und alle wollten dabei sein. So wurde der tragbare Hit-Abspieler zum absoluten Verkaufshit. Schon im Frühjahr 2007 verkaufte Apple das 100-Millionenste Exemplar. Bis Ende des Jahrzehnts kamen mehr als 60 Millionen weitere dazu.

Die weißen Ohrhörer des tragbaren Mediaplayers bestimmten ab sofort unser Stadtbild in den Citys dieser Welt - von der Fifth Avenue über die Wangfujing bis zur Leopoldstraße. Wenn man in der U-Bahn locker an seinem ClickWheel oder an der Kabelfernbedienung herumspielte oder wenn man mit der Shake-to-Shuffle-Funktion den iPod touch einfach schüttelte, um den Zufallsgenerator auszulösen: So cool waren wir noch nie. An dieses Gefühl kam höchstens noch das Marlboro-Feeling vergangener Zeiten heran, als man vor dem Anzünden der Zigarette lässig die Streichholzschachtel schüttelte. (Damals im letzten Jahrtausend, als man noch öffentlich rauchen durfte.)

In den 2000ern konnten alle mit dem Kultplayer ihren Sinn für Stil unter Beweis stellen - übrigens selbst dann, wenn sie gerade Eminem oder Yvonne Catterfeld hörten - oder Charlotte Roches Hörbuch Feuchtgebiete. Mit unserem kleinen Outdoor-Begleiter schindeten wir automatisch Eindruck. Bis zu 36 Stunden konnten wir angeblich damit nonstop Musik von der Playlist hören - oder alternativ sechs Stunden Video gucken. Ausprobiert hatten wir das noch nicht. Meist reichte ja die halbe Stunde bis zur Arbeit und zurück aus. Na ja, oder die paar Stunden beim Shoppen. Oder die auf dem Weg in die Lounge, in den Coffeeshop, zum Public Viewing …

Apple bot jedem Musikfan das passende Modell: Puristen reichte möglicherweise der Shuffle mit 1 GB Speicher. Frauen konnten den Nano passend zum jeweiligen Outfit wählen - in einer der Regenbogenfarben aus der PACE-Flagge. Und mit dem Modell Touch konnten sich Techies auch Musikvideos und Kurzfilme anschauen. Jogger freuten sich, dass sie mit den neuen Leichtgewichten weniger als 100 Gramm mit sich rumtragen mussten - und nicht mehr einen dicken Discman. Ganz besonders froh werden Nordic Walker über diese Innovation gewesen sein. Schließlich hatten sie ja gar keine Hand frei. Für Groupies von U2 oder Xavier Naidoo gab es Sondereditionen, ebenso wie für Harry-Potter-Fans und Johann-Sebastian-Bach-Liebhaber. Und mit dem iPod Product Red ist Apple ein besonders genialer Marketing-Schachzug gelungen. Die Käufer konnten mit dem knallroten Teil nicht nur High-End-Songs hören, sondern gleichzeitig auch noch High-End-Gutes tun. Bei dem Charity-iPod flossen nämlich zehn Dollar des Kaufpreises an die Aidsstiftung. Ultimativ Nuller! Denn Charity war mega-in. Und zusätzlich gab der knallrote Player auch optisch tausendmal mehr her als die abgegriffenen Aids-Schleifen.

8. Navigationssysteme: Unsere liebsten Beifahrer

Lisa, Werner, Katrin oder George nahmen keinen Platz weg, konnten Karten lesen und redeten nur das Nötigste. Mit ihnen wurden selbst Ortsunkundige zu Insidern. Männer mussten sich die Blöße geben und nach dem Weg fragen. Frauen erreichten ab sofort auch ohne jeglichen Orientierungssinn mühelos jedes Ziel. Und Berliner Taxifahrer konnten den Satz »Wo is’n ditte?« aus ihrem Wortschatz streichen.

Navigationsgeräte sind perfekte Begleiter, sie wissen immer den Weg und reden nur das Nötigste.
Foto: TomTom

Die Anweisungen der mobilen Wegweiser befolgten wir alle nur zu gern. »Nach 200 Metern rechts abbiegen.« Kein Problem. »Im Kreisverkehr die dritte Ausfahrt nehmen.« Aber gerne. »Bei der nächsten Möglichkeit bitte wenden.« Huch! »Bei der nächsten Möglichkeit bitte wenden.« Jaha, es gab hier auf der verdammten Schnellstraße doch keine Linksabbieger … »Nach 70 Metern haben Sie Ihr Ziel erreicht.« Puh.

Welch Wohltat, wenn man Strecken, für die man einst 90 Minuten eingeplant hatte, plötzlich ganz entspannt in 55 Minuten erreichte. Navigationssysteme sparten definitiv Zeit und - noch wichtiger - Nerven. Zumal die neuesten Versionen nicht nur den Weg wussten, sondern noch viel mehr. Der Fahrspurassistent half uns beim Einordnen. Der Tempowarner sagte uns früh genug, wo Blitzer standen. Und TMC, der Traffic Message Channel, lotste uns am Stau vorbei.

So viel elektronische Unterstützung machte allerdings auch einige Zeitgenossen zuweilen unaufmerksam. Das Navi schien sich ja um alles zu kümmern. Wenn beim Rechtsabbiegen an der Ampel ein Fußgänger vors Auto sprang, wunderte sich manch einer, dass er nicht vorgewarnt worden war (»In 200 Metern einem Fußgänger ausweichen.«). Ansonsten aber genossen wir die Fahranweisungen rundum.

Wer Abwechselung zu seiner mitgekauften Navi-Stimme haben wollte, kam auch auf seine Kosten. Für einen schlappen Zehner ließ sich das Mitfahrgerät auf lustige Alternativstimmen umrüsten. So führte uns Bruce Willis mit seiner rauen Art knallhart über die Highways (»Gib Gas, Schweinebacke!«). Chantal wickelte ihre Zuhörer mit französischem Charme ein (»Wir ärraischen dein Ziehl in … Aah, wir aben dein Ziehl ärraischt!«). Und Ali zeigte den Fans von Erkan und Stefan den Weg (»Ey, kommt de krasse U-Törn, kuckst du vor dir!«). Wer hätte gedacht, dass Autofahren ohne Plan (und ohne ADAC-Atlas) so lustig und entspannt sein konnte? Der Weg war das Ziel. Definitiv.

9. Soziale Netzwerke: Abhängen im Web 2.0

Früher, als die Kids noch Jugendliche hießen, waren sie vielleicht im Fußballclub oder im Schüt-zenverein. Nicht unbedingt nur, um zu kicken oder zu trinken. Mehr, um mit anderen Spaß zu haben, was in den 2000ern ins Netz verlagert wurde. Und wenn man Glück hatte, dann kamen bei StudiVZ oder Facebook, bei Wer-kennt-wen, MySpace oder Lokalisten die Freunde auch nicht unbedingt nur aus Oberkirch, sondern auch aus Ohio oder Odessa - oder zumindest schon mal aus Offenbach. Die Web-Communitys bescherten einem mit einem Klick eine unüberschaubare Zahl neuer Bekannter. Okay, die hatte man alle noch nie getroffen, aber ihre Profile sahen doch oberhip aus. Allein beim weltweit größten Netzwerk Facebook hatte man Ende des Jahrzehnts die Auswahl aus 200 Millionen potenziellen Freunden. Fett, oder?

Über die Online-Netzwerke chattete man mit ihnen, postete Bulletins, veröffentlichte oder las Blogs, plante gemeinsame Events, lud Fotos, Videos und Musik hoch oder gab Kleinanzeigen an virtuellen Schwarzen Brettern auf. Vor allem aber bastelte und feilte man an seinem eigenen Profil. Die Arbeit lohnte sich, denn was man einmal im Netz von sich preisgegeben hatte, war ja für immer der Nachwelt erhalten. Da lohnte sich das Frisieren am eigenen Leben(slauf) doch mal. Und auf den eigenen Fotos sah man natürlich auch immer gut (und vor allem viel jünger) aus. Einen Bad Hair Day brauchte bei MySpace niemand zu fürchten - ganz zu schweigen von einem abgebrochenen Studium oder gar einem beeindruckenden Vorstrafenregister. Stattdessen konnte man sich nach Lust und Laune selbst inszenieren - beliebt war dabei beispielsweise die Facebook-Rubrik 25 random things about me. Die Mitteilungsfreude der User im Netz musste daran gelegen haben, dass sie sich alle gerade den Pony lang wachsen ließen. Sonst hätten sie einen Friseur gehabt, dem sie das alles hätten erzählen können.

Fest stand auf jeden Fall, dass einem als sozialer Netzwerker niemals mehr langweilig war. Und außerdem hatte man massenhaft Kontakte. Um allerdings die vielen Kontakte zu pflegen, musste man schon reichlich Zeit vor dem Rechner verbringen, das stimmte. Aber - hey - was sollte man auch sonst machen? Im Fußballclub oder Schützenverein hätten die einen wegen mangelnder Übung sowieso nicht mehr haben wollen.

10. Youtube: Kurzfilmfestival im Web 2.0

Youtube machte jeden, der eine Videocam besaß, zum Regisseur, Kameramann, Schauspieler und Produzenten. Vier Traumjobs in einem und das ganz ohne jegliches Casting. Klar, dass da viele Möchtegern-Spielbergs ihre Chance sahen und (durch-)drehten. Und wie. Natürlich nicht nur bei Youtube, sondern auch bei Clickfish, MyVideo oder anderen Nachahmern. In gefürchteter C-Movie-Qualität erschienen auf den Plattformen Videoblogs und Nachrichten, Propaganda und Parodien, Trash und Trailer, Sex-Clips und Commercials, Musikvideos und Konzeptkunst, Borat und Paris Hilton, professionelle Filmemacher und peinliche Filmchen à la Pleiten, Pech und Pannen. Die Internetgemeinde verfolgte auf Youtube Bilder vom Weltwirtschaftsgipfel in Paris und Aufnahmen vom Tsunami in Südostasien. Sie sah, wie vier Monate lang weltweit ein Sinfonieorchester gecastet wurde, wie ein britischer Opa vom Krieg erzählte (Geriatric1927) und eine neuseeländische Schauspielerin sich in gefakter Ta-gebuchmanier als unverstandenes Lonelygirl15 ausgab. Und ganz ganz selten gelangen auch echte Kunstwerke - wie der Simpsons-Vorspann, der von TexMachina im echten Leben nachgestellt wurde.

Ansonsten gab es wenig Aufregendes, aber immer mal wieder was Lustiges. Das Konzept war perfekt geschaffen für die Mittagspause: einfach anklicken, abschalten, ablachen. Und auf jeden Fall effektiver als diese mobilen Massagen, mit denen uns die Chefs im New-Economy-Zeitalter verwöhnen wollten.

Die Texte sind entnommen aus dem Buch Judith-Maria Gillies: "Unsere Nullerjahre. Das Jahrzehnt der Bagels, Blogs und Billigflieger", Eichborn 2009, 224 Seiten, 14,95 Euro.