Wie die IT den permanenten Wandel meistert

14.10.2004 von Christian Zillich
Rund 40 CIOs diskutierten auf dem zweiten Executive Forum der COMPUTERWOCHE in Rottach-Egern zentrale IT-Strategiefragen. Im Mittelpunkt standen Vorgehensweisen, mit denen sich die Zusammenarbeit von IT und Business verbessern lässt, sowie der Umgang mit Legacy-Systemen.

Rund 40 Chief Information Officers (CIOs) aus dem deutsprachigen Raum fanden am 17. Mai dieses Jahres den Weg und die Zeit, um miteinander die größten IT-Herausforderungen und Lösungswege zu erörtern. Anders als bei Kongressen, die sich in exzessiven Powerpoint-Schlachten erschöpfen, bot das Executive Forum viel Raum für Diskussionen und anregende Kontroversen.

Mit ihren zehn Thesen zur IT-Strategie lösten Jürgen Maidl und Professor Hubert Österle lebhafte Diskussionen aus.

Teils provokante Thesen zur IT-Strategie vertraten Jürgen Maidl, CIO der BMW Group, und Professor Hubert Österle, Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen. Sie lösten damit gleich lebhafte Diskussionen aus. Maidl eröffnete den Vortrag mit der These: "Der Kundenprozess ist der Motor des Wandels." Als Beispiel nannte er die erfolgreiche Einführung des Build-to-Order-Verfahrens bei BMW: "Unser Ziel war es, die Auslieferungszeiten für bestellte Wagen zu reduzieren und es den Kunden möglichst lange zu erlauben, ihre individuell gewählte Ausstattung noch zu ändern." Dabei habe sich das IT- zu einem Business-Projekt entwickelt, das große Auswirkungen von der Produktentwicklung bis zur Fertigung gehabt habe. "Für die IT hatte das Folgen bis in die Backend-Systeme hinein", so Maidl.

Aus dem Publikum kam sogleich die Anmerkung, dass es für IT-Migrationen auch viele Treiber jenseits von Kundenprozessen gebe. Dazu zählten beispielsweise Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Außerdem seien es häufig interne Prozesse, mit deren Verbesserung sich viel Geld sparen ließe. Wissenschaftler Österle konterte, dass sich große IT-Projekte fast ausschließlich mit konkreten Anforderungen von Geschäftsseite umsetzen ließen: "Die letzte IT-Migration, die technisch begründet war, war der Jahr-2000-Wechsel und selbst das wurde häufig genutzt, um Geschäftsprozesse zu transformieren."

Damit leitete der Professor zur zweiten These über: "Geschäftsprozesse sind wettbewerbsentscheidend." Während im Backend oft Standardisierungsprojekte die Migration voranbrächten, sollten sie, was die Unterstützung von Geschäftsprozessen betrifft vorsichtig bewertet werden. Hier komme es vielmehr darauf an, agil zu bleiben, um auf geänderte Anforderungen rasch reagieren zu können.

Maidl leitete daraus die Erkenntnis ab: "Integration ist die Voraussetzung für das Echtzeitunternehmen." "Die Integrationsfähigkeit der IT ist eine Schlüsselqualifikation, die keinesfalls ausgelagert werden darf", so der BMW-CIO. Seine Einschätzung, dass Unternehmen dazu tendierten, eher zu viel an Dienstleister zu vergeben, erhielt viel Zustimmung von den Zuhörern. "Das sind häufig Verzweiflungstaten, weil es viele Firmen intern nicht schaffen", so ein CIO aus dem Publikum. Den Einwurf eines anderen, Integration behindere die Agilität der IT eher, beantwortete Österle mit der Feststellung, dass ohne Integration früher oder später Chaos herrsche, was die Flexibilität noch mehr hemme.

"Prozessstandardisierung läuft nicht ohne Prozessmodellierung": Den Referenten zufolge ist die Prozessmodellierung eine zwingende Voraussetzung, um Abläufe zu standardisieren, und erlaubt darüber hinaus die Erkennung von Gleichteilen wie wiederverwendbaren Softwarekomponenten. Allerdings bestehe die Gefahr einer Prozessbürokratisierung, was wiederum die Agilität einschränke. "In der Praxis tendieren Unternehmen dazu, ihre Prozessdaten nicht aktuell zu halten", beschrieb Österle ein weiteres Problem. "Wenn man Prozessmodellierungs-Tools nutzt, muss man dazu stehen und es auch durchsetzen", ergänzte Maidl. Enterprise-Application-Integration-(EAI-)Projekte gäben ohne Prozessbeschreibungen keinen Sinn.

Mit der These "Harmonisierung erfordert starke Governance" ernteten Maidl und Österle viel Zustimmung bei den Zuhörern. Maidl gab zu bedenken, dass ein CIO den Aufbau und die Umsetzung von IT-Governance-Strukturen nicht alleine stemmen könne. Wenn es nicht gelinge, hier die IT und das Business einzubinden, endeten entsprechende Versuche in unproduktiven Diskussionsschlachten. Hilfreich sei es, IT-Steuerkreise zu etablieren, die mit entsprechenden Genehmigungsrechten ausgestattet sind.

Zwei weitere Thesen von Maidl und Österle stellten den Endanwender in den Mittelpunkt: "Der Benutzer beherrscht nicht mehr Portale als Fremdsprachen." Dies, so der BMW-CIO, lasse sich unter anderem daran erkennen, dass Zulieferer durch die Vielfalt von für sie relevanten Portalen häufig überfordert seien. Auch die schnelle Implementierung von internen Portallösungen habe ihre Tücken, da sie meist aufwändige Integrationsprojekte nach sich ziehe.

Professor Walter Brenner, Direktor des Instituts Information Management der Universität St. Gallen.

Beim Management von Veränderungsprozessen sieht es laut Österle in vielen Unternehmen ebenfalls düster aus: "Change-Management ist nur entlang der Strategie möglich" - eine klare Unternehmensstrategie existiere in vielen Firmen jedoch gar nicht. "Häufig begnügen sich die Firmen mit der mehr oder weniger deutlichen Skizzierung von Visionen", so der Professor. Der Aufwand für die Einführung neuer Geschäftslösungen werde oft unterschätzt, da vergessen werde, die Anwender einzubinden. "Hier gilt die Binärregel: Setzen Sie bei der groben Kalkulation für die Hardware den Kostenfaktor eins an, für die Software den Faktor zwei, für die Prozesse vier und für die Köpfe den Faktor acht."

Um die Überforderung der User in Grenzen zu halten, müssen IT-Abteilungen umsichtig vorgehen: "Permanenter Wandel, aber in Releases", lautete daher eine weitere Forderung der Referenten. "Auch wenn das Business schnelle Anpassungen verlangt, sollten die Anwender nur mit einem neuen Release pro Jahr belastet werden", schloss Österle den Vortrag. Selbst falls Agilität ein wichtiges Ziel sei, dürfe nicht zu viel Unruhe in die Geschäftsprozesse gebracht werden.

Legacy-Systeme ohne Zukunft?

Eine weitere Präsentation beschäftigte sich mit der Frage "Wohin mit den Legacy-Systemen?" Die Referenten, Steffen Roehn, CIO von T-Mobile Deutschland GmbH, und Professor Walter Brenner, Direktor des Instituts Information Management der Universität St. Gallen, stellten dazu ebenfalls eine Reihe von Thesen zur Diskussion. Sie eröffneten ihren Vortrag mit einer Weisheit der Dakota-Indianer: "Wenn du merkst, dass du ein totes Pferd reitest - steig ab!" Der T-Mobile-CIO gab allerdings zu bedenken, dass man Legacy-Systeme zuerst genau analysieren müsse, wobei das Ergebnis nicht immer deren Ablösung zur Folge haben müsse. "Für den Umgang mit geschäftskritischen Legacy-Systemen gibt es keinen Königsweg, und die Migration ist sozusagen ein Dauerzustand ", so Roehn.

Steffen Roehn, CIO der T-Mobile Deutschland GmbH.

Die wichtigsten Treiber für entsprechende Projekte lägen in den hohen Kosten für den Betrieb und die Wartung von Altsystemen, im wachsenden Risiko und der gruppenweiten Konsolidierung von IT-Systemen. Brenner ergänzte, dass die Diskussionen über Ablösung oder Weiterentwicklung von Altsystemen oft von technischen Aspekten getrieben seien, anstatt die Kostenfragen in den Vordergrund zu stellen.

"Die Strategie zur Weiterentwicklung leitet sich aus der Positionierung des Legacy-Systems ab", so ein weiterer Grundsatz der Referenten. Zentral ist dabei laut Brenner die Frage, ob es sich um strategische Anwendungen mit einem hohen Individualisierungsgrad handelt oder um so genannte Commodities - auch wenn diese Kernprozesse abbilden. Ein Zuhörer warf an dieser Stelle ein, dass der Begriff Commodity gefährlich sei, weil die Business-Seite häufig glaube, dass man sich damit nicht mehr beschäftigen müsse.

"Technische Alternativen und Sourcing sind einander gegenüberzustellen". Laut Brenner werden häufig große Ressourcen in die Weiterentwicklung von Legacy-Systemen gesteckt, ohne dass günstigere Alternativen untersucht würden. Eine Möglichkeit biete das Outsourcing. Damit war das Auditorium zu großen Teilen nicht einverstanden. Ein CIO brachte es auf den bekannten Nenner: "Niemals Systeme auslagern, die man nicht 100-prozentig im Griff hat."

Professor Hubert Österle, Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik der Universität St. Gallen.

Bei der Weiterentwicklung oder Ablösung von Altsystemen wird Roehn zufolge häufig ein wichtiger wirtschaftlicher Aspekt nicht ausreichend beachtet: "Die Lebenszyklus- und nicht die Projektkosten sind entscheidend." Daher müssten im Vorfeld unbedingt die künftigen Betriebskosten berechnet werden, so der T-Mobile-CIO: "Es ist erschreckend, wie viele Verantwortliche keinen Schimmer haben, welche Folgekosten sie produzieren."

Großen Anklang fand folgende These: "IT-Architekturen liefern den Rahmen für die systematische Entscheidungsfindung." "Deren Einführung im Unternehmen ist ein langwieriges Geschäft", warnte Brenner. Zudem sei das Thema auf Business-Seite wenig beliebt und habe sich schnell erledigt, wenn man nicht innerhalb von ein bis zwei Jahren Erfolge vorweisen könne.

Ein CIO ergänzte, er habe in diesem Zusammenhang gute Erfahrungen mit Shared Services gemacht. Diese steigerten die Bereitschaft der Fachbereiche, sich auf gemeinsame Vorgehensweisen und Anwendungen zu einigen, was letztendlich die Architekturdiskussionen wesentlich erleichtere. Brenner pflichtete bei, dass sich darüber große Chancen böten, technisch und auch kostenseitig voranzukommen. Allerdings warnte auch er davor, die dabei schwierigen Change-Management-Prozesse nicht zu unterschätzen.

CIOs unter Druck

Wie die Krise der vergangenen Jahre auf das Tätigkeitsfeld der IT-Chefs durchgeschlagen hat, beschrieb Jörg Jeschke, Vice President bei Capgemini. Insbesondere der oft unvermeidliche Personalabbau habe IT-Verantwortliche dazu gezwungen, die Anforderungen aus dem Business zu sammeln und konsequent zu priorisieren.

Jürgen Maidl, CIO der BMW Group.

Den IT-Organisationen in den meisten Unternehmen sei es nicht gelungen, der anhaltenden Kostendiskussion zu entkommen. "In einer unserer Studien gaben 30 Prozent der befragten IT-Chefs an, dass in ihrem Unternehmen die IT ausschließlich unter Kostenaspekten betrachtet wird", so Jeschke. Die IT habe es also noch immer nicht geschafft, dem Vorstand und den Fachabteilungen den Nutzen der IT - neudeutsch Business Value - überzeugend zu vermitteln. Geringere Probleme hätten dabei gut aufgestellte IT-Organisationen, die in der Lage sind, Aufwand und Nutzen transparent zu machen und die Kosten den internen Auftraggebern in Rechnung zu stellen. "Wenn es gelingt, Prozesse mittels IT zu verbessern, fließen die Einspareffekte in die Zahlen des jeweiligen Fachbereichs ein", so Jeschke. Andererseits sei die Gefahr groß, beim Scheitern von Projekten vom Fachbereich die Verantwortung zugeschoben zu bekommen, selbst wenn der Misserfolg in dessen mangelnder Beweglichkeit wurzle.

So sieht Jeschke das Hauptproblem in der Abstimmung zwischen Business und IT. Häufig beginnen demnach die Missverständnisse bereits mit unklar formulierten Aufträgen an die IT-Organisationen. "Das Business weiß oft selbst nicht genau, was es will", pointierte ein CIO aus dem Auditorium. Laut Jeschke hilft hier nur eine klare Definition der Verantwortlichkeiten sowie ein intensiver Dialog der IT mit den internen Kunden. In vielen Unternehmen habe sich die Einrichtung von ständigen Steering Committees bewährt, in denen auch der Vorstand vertreten sein sollte. Als wichtige Voraussetzung nannte auch der Capgemini-Vice-President die Durchsetzung einer durchgängigen IT-Governance, weil dies die Ausrichtung des Projektportfolios und der IT insgesamt sowohl an den technischen als auch den unternehmensstrategischen Vorgaben und Zielen letztlich erst ermögliche.