Chefs müssen zuhören

Wie das Jahresgespräch Mitarbeiter motiviert

22.09.2013 von Ingrid  Weidner
Gut vorbereitet, profitieren Führungskräfte und Mitarbeiter gleichermaßen von Jahresgesprächen. Sie sind ein brauchbares Instrument, um gemeinsame Arbeitsziele festzulegen.

Die Liste mit unerledigten Aufgaben wird zum Jahresende für viele Führungskräfte immer länger. Besonders Mitarbeitergespräche schieben Vorgesetzte gern vor sich her. "Viele sehen das als Zeiträuber und lästige Pflicht an", meint Martina Bandoly. Viele Jahre führte die ehemalige IT-Managerin selbst solche Gespräche, heute berät und coacht sie Menschen, die sich beruflich neu orientieren wollen. Die Vorteile des Gesprächs überwögen: "Es ist ein mächtiges und wichtiges Instrument, das den Führungsalltag vereinfachen kann."

Martina Bandoly, Coach: "Viele Chefs sehen das Jahresgespräch mit den Mitarbeitern als Zeitfresser und lästige Pflicht an."
Foto: Bandoly

Entscheidend für den Erfolg der Gespräche sind eine gute Vorbereitung und genügend Zeit. "Rückblick halten, Erfolge thematisieren, aber auch besprechen, was nicht so gut lief, sind Standard in einem Mitarbeitergespräch", sagt Bandoly. Gerade wenn Projektteams vor Ort beim Kunden arbeiten und sich die Kommunikation über lange Phasen des Arbeitsjahres auf E-Mail und Telefon beschränkt, birgt ein persönliches Gespräch unter vier Augen viele Vorteile. Die Führungskraft verschafft sich auf diese Weise ein facettenreiches Stimmungsbild des Teams und des Auftraggebers. Mitarbeiter liefern oft wichtige Informationen aus dem Arbeitsalltag, die auch für den Projekt-Manager wichtig sind.

Bandoly ist überzeugt, dass Führungskräfte mit einem gut vorbereiteten und professionell geführten Gespräch ihre Angestellten motivieren können. Sie widmen ihnen Zeit und zeigen persönliche Wertschätzung. So stärkt die Unterredung die Loyalität zwischen Chef und Angestellten. Zudem liefert sie Ideen, wie Aufgaben noch besser erledigt werden können. Transparenz und eine Diskussionsebene auf Augenhöhe sind notwendig, damit beide Seiten in der skizzierten Weise profitieren.

Leitfaden für Gespräche

Viele Unternehmen nutzen für Jahresgespräche selbst erarbeitete oder standardisierte Leitfäden. Kerstin Aigner, Ausbildungsleiterin und Koordinatorin für Personalentwicklung, führte vor einigen Jahren einen solchen Gesprächsbogen beim IT-Dienstleister Materna ein. "Jüngere Führungskräfte waren dankbar, erfahrene Chefs waren dagegen anfangs weniger begeistert", räumt Aigner ein. "Die Praxis zeigt aber, dass die Qualität der Gespräche durch den Leitfaden steigt und die vorgegebene Struktur viel Freiraum lässt."

Kerstin Aigner, Materna: "Wir haben das Notensystem wieder abgeschafft, weil es zu komplex war."
Foto: Materna

Für die über 1300 Mitarbeiter an unterschiedlichen Standorten garantiere der Leitfaden einheitliche Standards für die Jahresgespräche. Diese sind bei Materna in zwei Blöcke unterteilt: Neben einem Rückblick auf das vergangene Jahr und der Frage, wie zufrieden Mitarbeiter und Führungskraft mit der Arbeitsleistung waren, legen beide Seiten Ziele fest. In einem Orientierungsteil muss sich der Mitarbeiter selbst einschätzen, seine soziale Kompetenz anhand von Beispielen aus dem Arbeitsalltag belegen. Eine Bewertungsskala erwies sich als wenig praktikabel: "Wir haben das Notensystem wieder abgeschafft, weil es zu komplex und kleinschrittig war", sagt Aigner. Im zweiten Teil des Fragebogens dreht sich alles um Perspektiven und die Weiterentwicklung. Auf diesen Gesprächsteil legt Materna großen Wert, "dafür sollte genügend Zeit sein", so Personalerin Aigner: "Manchmal hilft es, zwischen den Themenblöcken eine Pause einzulegen und einen Kaffee zu trinken." Ums Geld geht es im Mitarbeiterjahresgespräch bei Materna nicht, für Gehaltsverhandlungen gibt es eine separate Unterredung.

Anerkennung für Entwickler

Dass auch kleinere Unternehmen von systematisch betriebenen Jahresgesprächen profitieren können, zeigt Projektron aus Berlin. Als Patricia Rezic, verantwortlich für Personal und Controlling, vor drei Jahren dort einstieg, brachte sie auch das Thema Mitarbeiterjahresgespräch mit. Die Zahl der Angestellten hat sich von damals 30 auf heute 60 verdoppelt. Seit zwei Jahren gibt es regelmäßige Feedbackgespräche. Rezic entwickelte zusammen mit Kollegen einen auf die Firma abgestimmten Leitfaden sowie einen Gesprächsbogen. Neben Feedback und einer Leistungsbeurteilung werden die Ziele für die kommenden Monate festgelegt. Auch Fragen und Wünsche zum Gehalt sowie das Arbeitszeitmodell kommen bei dieser Gelegenheit auf den Tisch. Anders als in vielen anderen Unternehmen finden diese Mitarbeitergespräche alle sechs Monate statt, festgelegte Zeiträume wie Jahresanfang oder Jahresmitte gibt es nicht. Während der Probezeit sind die Abstände zwischen den Feedback-Runden noch kürzer. Nach einem, drei und fünf Monaten sprechen die neuen Kollegen mit ihren Vorgesetzten. "Die Mitarbeiter empfinden das als sehr hilfreich", sagt Rezic.

Persönliches Feedback, wie es die Mitarbeiter etwa im Jahresgespräch mit ihrem Vorgesetzten bekommen, ist eine wichtige Form der Anerkennung.
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Gerade in einer sich schnell verändernden Arbeitswelt stehen Führungskräfte immer wieder vor der Frage, ob ihre Mitarbeiter für die anstehenden Aufgaben ausreichend qualifiziert sind. "In den Gesprächen sollte auch besprochen werden, ob sich jemand unter- oder überfordert fühlt. Manche Mitarbeiter sind mit ihrer Position zufrieden, andere wollen mehr Verantwortung übernehmen", liefert Martina Bandoly ein weiteres Argument für regelmäßige Gespräche. Auch mit schwierigen Situationen oder Mitarbeitern sollten Vorgesetzte umzugehen wissen. Längst nicht immer stimmt die Einschätzung des Gegenübers mit der eigenen überein. Dann helfen Gesprächstechniken weiter, um gemeinsam eine neue Sichtweise zu entwickeln. "Führungskräfte gehen von sich aus und erwarten meist dieselbe sehr gute Leistungsbereitschaft von ihren Angestellten. Dabei vergessen viele, dass es genauso wichtig ist, mittelmäßige und gute Mitarbeiter im Team zu haben. Sie bilden das Fundament", sagt Bandoly. Noch einen Tipp hat die Beraterin parat. Gute Entwickler beherrschen meist das Selbst-Marketing nicht so gut wie ihre Vertriebskollegen und sehen sich selbst zu kritisch: "Viele machen sich enormen Druck. Gerade sie brauchen viel Anerkennung von außen und die Bestätigung, dass ihre Arbeit geschätzt wird."

tipps für chefs
So klappt die Zusammenarbeit in der Firma
Damit es im Unternehmen "funktioniert", sollten Führungskräfte einige Regeln befolgen. Stefan Bald stellt sie vor.
Tipp 1
Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Mitarbeitergespräche und bereiten Sie sich gut darauf vor.
Tipp 2
Hören Sie Ihren Mitarbeitern zu; achten Sie auch auf leise Zwischentöne.
Tipp 3
Vereinbaren Sie mit Ihren Mitarbeitern realistische Ziele.
Tipp 4
Erläutern Sie Ihren Mitarbeitern auch, warum das Erreichen der Ziele für das Unternehmen/Ihren Bereich wichtig ist.
Tipp 5
Sprechen Sie mit ihnen auch darüber, wie sie diese erreichen können und welche Schritte hierfür nötig sind.
Tipp 6
Klären Sie mit Ihren Mitarbeitern auch, was sie brauchen, damit sie die vereinbarten Ziele erreichen und die übertragenen Aufgaben erfüllen können.
Tipp 7
Denken Sie stets daran, dass Sie als Führungskraft für die Leistung Ihrer Mitarbeiter verantwortlich sind. Ihre Leistung wird an der Leistung Ihrer Mitarbeiter gemessen. Setzen Sie diese deshalb so ein, dass sie ihr Potenzial entfalten können.
Tipp 8
Kontrollieren Sie regelmäßig, ob Ihr Mitarbeiter sich noch auf dem richtigen Weg zum Erreichen der (Zwischen-)Ziele befinden.
Tipp 9
Würdigen Sie die Leistung Ihrer Mitarbeiter angemessen.
Tipp 10
Kritisieren Sie ein registriertes Fehlverhalten zeitnah, damit sich dieses nicht zu einem Verhaltensmuster verfestigt.
Tipp 11
Äußern Sie Kritik jedoch stets unter vier Augen - speziell wenn sie auch persönliche Verhaltensmuster des Mitarbeiters betrifft.
Tipp 12
Machen Sie Ihren Mitarbeitern nie (finanzielle) Zusagen, von denen Sie nicht sicher wissen, dass Sie diese auch hundertprozentig einhalten können.

Die Abteilungsleiter von Projektron in Berlin sprechen alle sechs Monate mit ihren Mitarbeitern, Materna in Dortmund entzerrt den Jahresendspurt dadurch, dass an den meisten Standorten das neue Jahr mit einem Mitarbeitergespräch beginnt. Unabhängig vom Termin ist es wichtig, sich genügend Zeit zu nehmen und offen über die Arbeit und Perspektiven zu sprechen. In Zeiten, in denen die Loyalität dem Arbeitgeber gegenüber nachlässt, kann das Mitarbeitergespräch ein Instrument sein, die Bande zwischen Mitarbeiter und Führungskraft enger zu knüpfen.

Jahresendgespräch: Der Chef hört zu

Die Wirtschaftspsychologin Elisabeth von Hornstein rät Führungskräften, sich in Jahresgesprächen zurückzuhalten und die meiste Redezeit dem Mitarbeiter zu überlassen.
Foto: von Hornstein

Viele Manager sehen Mitarbeiterjahresgespräche als lästige Pflicht. Die Wirtschaftspsychologin und Professorin Elisabeth von Hornstein aus München berät Unternehmen, wie sie das Instrument erfolgreich einsetzen können.

CW: Wie können sich Führungskräfte auf Mitarbeitergespräche vorbereiten?

von Hornstein: Jedes Unternehmen, das Jahresgespräche einführt, sollte seine Führungskräfte vorab schulen. Gesprächsdramaturgie oder differenziertes Feedback werden in Rollenspielen eingeübt. Manche Chefs schaffen es auch nicht, ihre Mitarbeiter zu loben. Auch das kann man lernen. Wichtig ist, dass nur Manager aus der gleichen Führungsebene an den Trainings teilnehmen. Nur dann trauen sie sich, Schwierigkeiten anzusprechen. So wächst auch die Führungsmannschaft enger zusammen.

CW: Welche Fehler sollten Führungskräfte in den Gesprächen vermeiden?

von Hornstein: Der Mitarbeiter sollte 70 Prozent des Gesprächs bestreiten, die Führungskraft moderierend agieren. Leider spricht häufig der Chef die meiste Zeit. Die Führungskraft sollte Du-Botschaften vermeiden, daran scheitern 60 Prozent der Gespräche.

CW: Wie sollen Vorgesetzte Mitarbeiter kritisieren?

von Hornstein: Aussagen wie "Sie sind desinteressiert" zerstören das Gespräch, der Gesprächspartner fühlt sich angegriffen und verletzt. Besser wäre es zu sagen: "Ich habe den Eindruck gewonnen, dass Sie mit weniger Engagement an Ihre Aufgaben herangehen." Das gibt dem Mitarbeiter die Chance, seine Sicht zu schildern, und er fühlt sich nicht direkt angegriffen.

CW: Hilft ein Gesprächsleitfaden?

von Hornstein: Ja, aber er sollte nicht mit zu vielen Themen überfrachtet sein. Hilfreich ist es, wenn beide Seiten einige Wochen zuvor den Bogen ausfüllen und im Gespräch über ihre Einschätzungen diskutieren.

CW: Wie läuft ein ideales Mitarbeiterjahresgespräch ab?

von Hornstein: Nach der Begrüßung nennt die Führungskraft das Gesprächsziel und übergibt an den Mitarbeiter. Seine Standortbestimmung, Perspektive und Entwicklungsziele stehen im Mittelpunkt. Über das Gehalt sollte man separat diskutieren. Es ist schwierig, offen über persönliche Defizite zu sprechen und gleichzeitig mehr Geld zu fordern. Erfahrungsgemäß dauern die Jahresgespräche eine bis eineinhalb Stunden. Am Ende fasst der Mitarbeiter die Inhalte zusammen, um der Führungskraft zu signalisieren, dass die Botschaft angekommen ist und er sich damit auch identifiziert.

CW: Viele amerikanisch geprägte Firmen fordern ihre Manager auf, eine Rangliste ihrer Mitarbeiter zu erstellen. Trägt das zur Leistungssteigerung bei?

von Hornstein: Das geht zu Lasten einer offenen Fehler- und Feedback-Kultur. Wenn Mitarbeiter Angst haben, als Low-Performer abgestempelt zu werden, wirkt sich das negativ auf ihre Leistung aus. Auch die Teamarbeit leidet darunter. Zu strikte Vorgaben an die Führungskräfte engen auch deren Handlungsspielraum ein und führen zu Frustrationen.