IT im Gesundheitswesen

Wie Business Intelligence Leben rettet

30.03.2016 von Wolfgang Kobek
Business Intelligence ist in der Wahrnehmung der meisten Menschen ein zahlenbetontes und abstraktes Thema, bei dem der Nutzen für den Alltag oft nicht gleich sichtbar oder greifbar ist. Dabei kann die Analyse von Daten Leben retten, wie Beispiele aus den Niederlanden und Schweden zeigen.

Datenanalysen finden im Gesundheitswesen an vielen Stellen statt, bleiben für den Patienten aber oft unsichtbar: Kliniken nutzen sie, um Prozesse zu verbessern, Finanzdaten auszuwerten oder mithilfe von Business Intelligence (BI) den Vorrat und die Nachbestellung von Medikamenten zu optimieren. BI kann sogar helfen Leben zu retten, wie die folgenden Beispiele zeigen.

Business Intelligence im Krankenhaus kann helfen, Leben zu retten.
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Schnellere Behandlung bei Herzattacken

In der niederländischen Region Noord-Holland setzte sich eine Gruppe von Kardiologen und der lokale Sanitätsdienst zum Ziel, die Zeit zwischen dem Melden einer Herzattacke und der Angioplastie, also der Behandlung der verschlossenen Gefäße, zu verkürzen. Damit wollten sie die Sterblichkeitsrate verringern beziehungsweise die Lebensqualität für den Patienten nach einer Herzattacke verbessern. Im ersten Schritt analysierten sie sämtliche Prozesse, angefangen von der telefonischen Meldung des Notfalls über die Anfahrt des Krankenwagens bis zur Ankunft in der Notaufnahme und der Weiterbehandlung im Krankenhaus in einem eigens für diese Zwecke kreierten Dashboard.

Durch diese Zusammenführung von Daten konnten sie beispielsweise die Verteilung der Notfallpatienten verbessern: Das System weist Herzkranke nun dem nächstverfügbaren OP-Saal zu und nicht mehr wie zuvor dem nächstgelegenen Krankenhaus. Es berücksichtigt also Wartezeit und Anfahrtszeit und nicht mehr wie bisher nur die reine Anfahrt. Die Zeit zwischen Anruf und Operation verringerte sich so um 20 Minuten, durchschnittlich liegt sie bei zwei Stunden. Auch wenn das nach einem vergleichsweise geringen Fortschritt klingt, ist dies doch ist eine große Verbesserung bei einer Erkrankung, in der jede Sekunde bis zur Behandlung zählt.

Komplikationen bei Operationen besser vorhersagen

Aber auch der Blick nach Schweden in eines der größten Krankenhäuser Nordeuropas lohnt sich. Das Universitätsklinikum von Sahlgrenska konnten dank einer neuen BI-Lösung jährlich Millionenbeträge einsparen – dies ist selbst bei einem großen Krankenhaus mit rund 2.700 Betten und 17.000 Mitarbeitern eine stolze Summe. Drei Probleme wollte das Hospital mit dem Projekt lösen:

  1. 1. Identifizierung einer besseren Behandlungsmethode für schwere Kopfverletzungen und die Vorhersage von Komplikationen bei Operationen

  2. 2. Schnellerer Zugang zu Patienteninformationen für Ärzte und Krankenschwestern im Falle einer Komplikation bei kraniofazialen Operationen - also Operationen, die den Gesichtsbereich betreffen.

  3. 3. Zusammenführung der Patientendaten, die in über 30 verschiedenen Datenbanken gespeichert sind. Dies ermöglicht dem Ärzteteam einen ganzheitlichen Blick auf Erkrankung und Behandlung.

Die Ergebnisse überraschten selbst die Beteiligten: Die Komplikationen bei Operationen sanken gegen Null. Neben Ressourceneinsparungen in Höhe von rund 750.000 Euro pro Jahr sparte die Klinik rund eine Million Euro an nicht mehr notwendigen Tests. Indem Ärzte über einen längeren Zeitraum Operationen analysierten und die Zusammenhänge zwischen Daten visualisierten, können sie nun vorhersagen, ob und welche Art von Komplikationen auftreten könnten.

Eine weitere Erkenntnis der Datenanalyse: Je länger ein Patient nach einer Gesichtsoperation in der Klinik verweilt, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit postoperativer Komplikationen. Das Universitätsklinikum Sahlgrenska entschied sich deshalb, diese Patienten schneller zu entlassen – eine Entscheidung, die nicht nur der Patientengesundheit zu Gute kommt, sondern auch die Verfügbarkeit der Betten erhöht und Kosten reduziert.

Das Gesundheitswesen bedarf neuer Strukturen

Die Beispiele zeigen, dass die Analyse von Daten Leben retten kann. Die Grundlage dafür ist auch in Deutschland vorhanden: Bereits jetzt wird eine Vielzahl von Informationen erfasst. Sie sind aber in verschiedenen Systemen gespeichert und lassen sich deshalb nicht auswerten. Es versteht sich von selbst, dass beim Zusammenführen dieser Informationen die Privatsphäre des Patienten geschützt werden muss. Dies zeigen nicht zuletzt die Diskussionen der vergangenen Monate um die elektronische Gesundheitsakte. Nicht jeder Mitarbeiter des Klinikbetriebs darf Zugriff auf alle Daten haben. Hier sind klare Governance-Strukturen innerhalb der BI-Lösung unverzichtbar.

Business Intelligence: Die Trend-Top-Ten 2016
10. Neue Technologien
Es gibt eine Reihe neuer Technologien im Ökosystem der Business Intelligence. Mit ihrer Markteinführung werden auch Lücken sichtbar, die es noch zu füllen gilt. Neu gegründete Unternehmen werden genau das tun. Hadoop-Beschleuniger, NoSQL-Datenintegration, Integration von Daten des Internet der Dinge, verbesserte Social-Media - alles Ansatzpunkte für neue Start-Ups. In 2016 werden wir den Aufstieg dieser „Lückenfüller“ und damit einhergehend eine Konsolidierung des Marktes beobachten können. Unternehmen werden sich zunehmend vom Ansatz der Einzellösung verabschieden und auf einen offenes und flexibles Arsenal setzen, das neue Technologien beinhaltet.
9. Daten aus dem Internet der Dinge
Das Internet der Dinge (IoT) schickt sich an, 2016 den Mainstream zu erobern. Es scheint so, als hätte bald alles einen Sensor, der nach Hause telefoniert. Man muss sich nur die Masse an Daten vorstellen, die von Mobilgeräten rund um die Uhr erzeugt werden. Mit dem Wachstum des IoT-Datenbestands steigt auch das Potenzial für neue Erkenntnisse. Firmen werden nach Mitteln und Wegen suchen, Anwender Daten erforschen und ihre Ergebnisse teilen zu lassen - und das auf sichere, geregelte und interaktive Art und Weise.
8. Mobile Analytik-Lösungen werden eigenständig
Die Mobile Analytik ist erwachsen geworden. Sie ist nicht länger nur eine Schnittstelle der herkömmlichen Business-Intelligence-Produkte. In 2015 kamen Produkte auf den Markt, die eine fließende, auf Mobilgeräte optimierte Benutzererfahrung boten. Unterwegs mit Daten zu arbeiten wird von einer lästigen Pflicht zu einem dynamisch integrierten Teil des Analyseprozesses.
7. Kompetenzzentren für Analytik spielen zentrale Rolle
Immer mehr Unternehmen werden Kompetenzzentren (CoE) einrichten, um die Verbreitung und Implementierung von Self-Service-Analytik zu fördern. Diese Zentren spielen eine kritische Rolle bei der Umsetzung einer datengesteuerten Unternehmenskultur. Durch Online-Foren und Einzeltraining versetzen sie auch Nicht-Experten in die Lage, Daten in ihre Entscheidungsprozesse einzubinden. Mit der Zeit führt dies dazu, dass sich die Arbeitsabläufe im gesamten Unternehmen auf Daten stützen und an ihnen orientieren.
6. Cloud-Daten und -Analytics starten durch
2015 war das Jahr, in dem die Cloud salonfähig wurde. Die Unternehmen merkten, dass die Speicherung von Daten in der Cloud einfach und sehr gut skalierbar ist; und dass man mit Cloud-Analytik sehr agil ist. Nicht zuletzt dank neuer Tools, die es einfacher machen Daten aus dem Web zu verwenden, werden 2016 noch mehr Unternehmen in die Cloud wandern. Die Early Adopter lernen jetzt schon von diesen Daten, und alle anderen stellen fest, dass sie besser nachziehen sollten. Mehr Unternehmen werden dank der Cloud größere Datenmengen schneller analysieren - die Cloud etabliert sich als unternehmenskritisches System.
5. Advanced Analytics nicht mehr nur für Analysten
Auch die Nicht-Analysten werden immer anspruchsvoller. Sie erwarten mehr als nur ein Diagramm, das auf ihren Daten aufsetzt, sondern tiefer gehende und sinnvolle analytische Möglichkeiten. Unternehmen werden Plattformen implementieren, mit denen Anwender statistische Methoden anwenden, eine Reihe von Fragen stellen und im Fluss ihrer Analyse bleiben können.
4. Datenintegration wird agiler
Viele Firmen verlangen heutzutage sehr viel Agilität im Controlling. Sie wollen den richtigen Mitarbeitern die richtigen Daten zur richtigen Zeit liefern. Das ist keine Kleinigkeit, da Daten an vielen verschiedenen Orten generiert und gespeichert werden. Datenquellenübergreifend zu arbeiten kann mühsam, unmöglich, oder beides zugleich sein. 2016 werden wir viele neue Wettbewerber mit Lösungen zur Datenintegration sehen. Dank ausgeklügelter Werkzeuge und ständig neu hinzukommenden Datenquellen werden Firmen sich davon verabschieden, alle Daten an ein und demselben Ort speichern zu wollen. Wer Daten erforschen will, wird dort auf die einzelnen Datensätze zugreifen, wo sie sich befinden und sie mit agileren Werkzeugen und Methoden kombinieren, verschmelzen oder verknüpfen.
3. Demokratisierung der Daten-Wertschöpfungskette
Self-Service Analytikwerkzeuge haben unsere Erwartungshaltung für immer verändert. In 2016 werden Nutzer eine Wertschöpfung aus dem gesamten Lebenszyklus von Daten anstreben, insbesondere durch den Eintritt der Milleniums-Generation in den Arbeitsmarkt. Für sich wiederholende Aufgabenstellungen müssen Geschäftsanwender bestimmte Daten spontan umformen können. Dementsprechend wird als natürliche Folge von Self-Service-Analytik die Nachfrage nach Self-Service-Tools zur Datenaufbereitung und Self-Service Data-Warehousing steigen. Diese Demokratisierung wird es uns ermöglichen, schnell auf Prioritätenwechsel zu reagieren.
2. Visuelle Statistik wird zur Weltsprache
Daten verändern den Diskurs in Chefetagen, den Medien und in sozialen Netzwerken. Menschen visualisieren ihre Daten, um Antworten auf Fragen zu suchen, Erkenntnisse zu gewinnen und ihre Geschichten mit anderen zu teilen, egal ob diese Datenexperten sind oder nicht. Mit dem Anstieg der Nutzung von Daten wird auch die Zahl der Anwender steigen, die geschäftliche oder persönliche Fragestellungen mithilfe von Daten beantworten. Arbeitgeber werden verstärkt nach Kandidaten suchen, die in der Lage sind, sich kritisch mit Daten auseinanderzusetzen. Die visuelle Analytik wird dabei als die gemeinsame Sprache dienen, mit der Menschen schnell zu Erkenntnissen gelangen, sinnvoll zusammenzuarbeiten und eine Community auf der Grundlage von Daten aufbauen können.
1. Governance & Self-Service-BI werden beste Freunde
Viele sehen Governance und Self-Service als natürliche Feinde an. Deshalb dürften auch Viele überrascht sein, die beiden friedlich nebeneinander grasen zu sehen. Es wächst zusammen, was zusammen gehört: die kulturelle Kluft zwischen Business und IT schließt sich. Die Unternehmen haben verstanden, dass richtig auf- und eingesetzte Sicherheit eine analytische Unternehmenskultur fördern und die Anforderungen der Business-Abteilungen erfüllen kann. Man setzt sich schließlich viel eher intensiv mit seinen Daten auseinander, wenn man zentrale, bereinigte Datenquellen zur Verfügung hat und weiß, dass sich jemand (IT) um Sicherheit und Performance kümmert.

Dennoch: Handlungsbedarf besteht, denn die Kosten im deutschen Gesundheitswesen explodieren. Viele Kliniken kämpfen um das finanzielle Überleben. Die Folgen für den Versicherten wurden zuletzt Anfang des Jahres sichtbar: Zum ersten Januar haben viele Krankenkassen die monatlichen Beiträge erhöht. Egal ob es "nur" um Kosten geht oder um das Leben beziehungsweise die Lebensqualität des Patienten: Es ist wichtig, im Gesundheitswesen neue Wege einzuschlagen. (haf)