Wie Anwender SAP beeinflussen können

23.10.2006
Wer bei seinem Softwarelieferanten Änderungswünsche durchsetzen will, muss sich genau überlegen, wie er seine Anliegen vorbringt und zu welchen Bedingungen er sich auf eine Kooperation einlassen will.

Software, die von Haus aus alle notwendigen Funktionen mitbringt und keine Wünsche offen lässt, bleibt ein unerfüllter Traum in den IT-Abteilungen. Die Realität sieht ganz anders aus. Fehlende Funktionen und ständig wachsende Anforderungen aus den Fachbereichen halten die CIOs auf Trab. Wem das notwendige Kleingeld fehlt, diese Mankos der eingekauften Business-Applikationen selbst aus der Welt zu schaffen, der ist auf die Kooperation mit den Softwareherstellern angewiesen.

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  • wie Anwender ihre Wünsche beim Softwarehersteller vorbringen sollten;

  • warum Kooperationen mit den Anbietern gut vorbereitet werden sollten;

  • wie beide Seiten von einer gemeinsamen Entwicklung profitieren können.

"Die Arroganz, nur im eigenen Kämmerlein zu werkeln, kann sich heute kein Softwarehersteller mehr leisten", meint Frank Naujoks, Analyst von IDC. Es sei durchaus zu spüren, dass sich die Hersteller bemühen, ihr Ohr am Kunden zu haben. Allerdings hänge es natürlich auch von der Marktmacht des Anwenders ab, wie schnell dessen Wünsche Gehör finden, schränkt Naujoks ein. "Als Betreiber der größten Installation im Land findet der Kunde einen anderen Zugang zum Softwareanbieter als jemand, der gerade einmal fünf Lizenzen gekauft hat."

"Es ist wichtig, die Anforderungen zu bündeln", meint Dieter Ziegler, Sprecher der SAP-User-Group im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). "Das erzeugt mehr Nachdruck." Die Anwendergruppe vertritt die Softwareanliegen der Versicherungsbranche gegenüber SAP. In Arbeitsgruppen definieren die beteiligten Unternehmen Themen und bringen die Anforderungen beim Hersteller vor. "Diese Bemühungen sind allerdings nicht immer von Erfolg gekrönt", räumt der Versicherungsinformatiker ein. SAP wäge die Folgen von Entwicklungsaufträgen genau ab: "Bei allen Veränderungen spielt die wirtschaftliche Tragweite eine Rolle."

Die Priorisierung der Anträge erfolge je nach Tragweite, bestätigt Harald Eckert, Vice President Product & Service Introduction von SAP. Wenn sich eine kritische Masse ergebe, dann führe dies zu einer höheren Priorisierung. Wenn es sich jedoch um einen Einzelwunsch handle, dann könne ihn sich der Kunde über das Serviceangebot von SAP, beispielsweise das "Custom Development" oder einen Partner erfüllen lassen. Die wirtschaftliche Entscheidung hänge davon ab, ob an der gewünschten Änderung noch viele andere Anwender Interesse haben könnten. Nur dann gebe es Sinn, eine Neuerung im Standard einzupflegen.

Grundsätzlich liege SAP viel an einem engen Kontakt zu seinen Kunden, beteuert Eckert. Gerade im Hinblick auf die allgemeine Marktentwicklung empfehle es sich, gut zuzuhören, wo die Interessen der eigenen Klientel liegen und wie sich neue technische Trends etablieren. SAP biete Anwendern eine Reihe von Kontaktmöglichkeiten. Eckert zählt dazu das SAP Developer Network (SDN), die User Groups, Ramp-up-Programme sowie Entwicklungsservices und -kooperationen. Welcher Weg einem Kunden nahe gelegt werde, hänge nicht von seiner Größe ab, versichert der SAP-Mann.

"Die größeren Anwender haben eine Stärkere Lobby und können deshalb ihre Wünsche besser durchsetzen", widerspricht Karin Henkel, Analystin von Strategy Partners. Auch wenn die Hersteller dies abstritten, stießen kleine und mittlere Anwender oft auf taube Ohren und würden mit ihren Problemen meist kaum wahrgenommen. Viele Firmen wüssten zudem auch gar nicht, auf welchem Wege sie ihrem Anliegen bei einem Anbieter wie SAP Geltung verschaffen könnten.

Die großen Anbieter seien komplex organisiert, bestätigt Michael Neff, CIO der Heidelberger Druckmaschinen AG. Das treffe neben SAP auch auf Microsoft und Oracle zu. Man habe oft den Eindruck, dass diese Softwarekonzerne Themen, die den Anwendern wichtig sind, aus den Augen verlieren. Der CIO empfiehlt, ein Netz zu knüpfen und zu pflegen. Für die Anwender sei es wichtig, die richtigen Ansprechpartner bei den Softwareherstellern zu kennen und diesen auch immer wieder die eigenen Anliegen vor Augen zu führen.

Wer dennoch mit seinen Entwicklungsanträgen auf taube Ohren stößt, muss sich andere Mittel und Wege einfallen lassen, beispielsweise über eine Entwicklungspartnerschaft mit dem Softwarelieferanten. In den zurückliegenden Jahren haben sich vor allem im SAP-Umfeld eine Reihe dieser Kooperationen etabliert, gerade im Hinblick auf Branchen- und Industrielösungen.

Fünf Tipps für den Umgang mit dem Softwarehersteller

  • Gemeinsam ist man stärker. Bündeln Sie Ihre Interessen mit Gleichgesinnten aus der Branche. Treten Sie beim Hersteller zusammen auf.

  • Knüpfen Sie Kontakte in die Entwicklungsabteilung Ihres Anbieters und pflegen Sie diese. So bleiben Ihre Anliegen im Blickfeld.

  • Machen Sie dem Hersteller Ihre Änderungswünsche schmackhaft. Wenn auch er Vorteile für sich erkennt, wird er eher darauf eingehen.

  • Legen Sie im Vorfeld von Entwicklungsprojekten genau fest, wer welchen Teil beizutragen hat und wie die Rechte an den Ergebnissen aufgeteilt werden sollen.

  • Geben Sie Ihr Branchen-Know-how nicht blindlings preis. Der Softwarehersteller profitiert schließlich auch davon. Das sollte sich für Sie als Anwender bezahlt machen.

Dabei schienen die SAP-Verantwortlichen an diesem Feld zunächst kaum interessiert, erinnert sich Herbert Reichelt, Vorstandsbevollmächtigter des AOK-Bundesverbands. "Mit der Idee, eine Branchenlösung für Krankenkassen zu bauen, haben wir uns Mitte der 90er Jahre zunächst eine Abfuhr eingehandelt." Es sei ein zu kleiner Markt, habe es von Seiten der SAP geheißen. Erst nach der Entscheidung des Managements in Walldorf, einzelne Industrien gezielt mit Branchensoftware zu adressieren, sei die Krankenkasse wieder ins Gespräch gekommen. Im Jahr 2000 beschlossen beide Seiten, parallel an Versicherungslösungen zu arbeiten.

Reichelt zieht eine positive Zwischenbilanz des Projekts "Oscare", ehemals "SAP-AOK-Master" (SAM). Nur im Rahmen einer solchen Entwicklungskooperation habe man Einfluss auf SAPs Standard nehmen können. Das eine oder andere, was die eigene IT-Abteilung sonst hätte selbst entwickeln müssen, habe der gesetzliche Krankenversicherer im SAP-Versicherungsstandard unterbringen können, berichtet der AOK-Manager.

Dieser Prozess dauert nach wie vor an, erläutert Klaus Schmitt, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters AOK Systems. Demnach habe der Versicherer in den ersten Modulen von Oscare einen wesentlich höheren Anteil Eigenentwicklung einbringen müssen. Verschiedene Eigenheiten des Gesundheitswesens wie beispielsweise die vielfältigen Beziehungen zu Arbeitgebern, Ärzten, Krankenhäusern und Apotheken habe das SAP-System nicht abbilden können. Schmitt schätzt die Anteile zwischen SAP-Standard und AOK-Add-on in den ersten Versionen auf fifty-fifty. In Zukunft soll der SAP-Anteil der AOK-Lösung auf zwei Drittel wachsen.

Eine komplette SAP-Lösung für die AOK will Reichelt nicht. "Das ist auch eine Frage der Abgrenzung von Interessen." Die AOK wache mit Argusaugen darüber, dass keine Geschäftsgeheimnisse in der SAP-Software landen. Kein Kunde auf der Welt habe ein Interesse daran, dass seine IT-strategischen Innovationen im Rahmen einer Standardsoftware Allgemeingut würden. Die Versicherungsbranche tue sich schwer, SAP in die Kernsysteme einzulassen, bestätigt Verbands-Manager Ziegler. Hier ließen sich die Unternehmen nur ungern hineinschauen. Die Grenze zwischen generischen Abläufen im SAP-System und den oft noch mit Eigenentwicklungen abgedeckten Kernfunktionen bleibe gewahrt.

Anwenderunternehmen müssten sich genau überlegen, worauf sie sich einließen, warnt Analystin Henkel. Gerade wenn es um Entwicklungskooperationen geht, müsse im Vorfeld festgelegt werden, bei wem das Know-how liege und wie die Rechte an der Software zwischen den Beteiligten aufgeteilt werden sollen. Henkel berichtet von einem Fall, in dem ein Anwender SAP kräftig zugearbeitet habe, am Ende jedoch der Softwarehersteller alle Rechte an dem Endprodukt in der Hand gehalten habe. Der Anwender habe seine eigenen Entwicklungen von SAP in Lizenz nehmen und bezahlen müssen.

Entwicklung mit Problemen

Wer sich auf eine Entwicklungskooperation mit SAP einlässt, braucht vor allem eines - Zeit. Trotz der Darstellungen von Seiten der AOK und Karstadt Quelle lässt sich nicht verbergen, dass in den Projekten an der einen oder anderen Stelle Sand im Getriebe knirscht. Laut Martin Schleinhege, Sprecher von Karstadt-Quelle, liegt das Retail-Projekt zwar im Terminplan, die Mitteilungen der vergangenen Jahre sagen jedoch etwas anderes. Im Frühjahr 2003 hieß es noch, die Software werde 2004 zur Verfügung stehen. Ende August dieses Jahres sprach das Handelshaus von abgeschlossenen Pilotprojekten und einer Einführung im Herbst 2007. Schleinhege zufolge läuft das Vorhaben noch ein paar Jahre.

Auch das AOK-Projekt sollte eigentlich 2006 abgeschlossen werden. Mittlerweile rechnen die Verantwortlichen bis 2010. Eine Software dieser Art werde nie fertig sein, wiegelte AOK-Vorstand Herbert Reichelt ab. Gesetzliche Änderungen machten eine ständige Weiterentwicklung nötig. Auch das Budget für das Vorhaben "Oscare", ehemals "SAM", geriet unter Beschuss. Aus den ursprünglich veranschlagten 360 wurden 540 Millionen Euro. Diese Summe beziehe sich auf den kompletten Zeitraum von 2000 bis 2010, verteidigte Reichelt das Budget. Die Entwicklungs- und Pflegekosten beliefen sich auf insgesamt 300 bis 400 Millionen Euro. Das seien 30 bis 40 Millionen Euro pro Jahr - laut AOK ein vertretbarer Rahmen.

Diese Bedenken teilen die Verantwortlichen bei Karstadt-Quelle nicht. Der Handelskonzern arbeitet seit 2002 gemeinsam mit SAP an einer Standard-Retail-Lösung. Martin Schleinhege, Sprecher für den Bereich Services des Konzerns, hat kein Problem damit, dass das eigene Know-how auch anderen Nutzern von SAPs Industrielösung für den Handel zur Verfügung steht. Er sieht seine Wettbewerbsvorteile durch die enge Kooperation mit SAP dennoch gewahrt. Schließlich sei die Software speziell auf die eigenen Anforderungen zugeschnitten. Wettbewerber müssten das Produkt implementieren und auf die jeweiligen Bedürfnisse hin anpassen. Ein weiterer Vorteil für Karstadt-Quelle liege darin, dass die Software als Standardlösung von SAP weiterentwickelt und gepflegt werde. Damit entfielen für das Handelshaus mühevolle Anpassungen.

Auch Schleinhege bewertet die Kooperation mit SAP positiv. Es habe sich ausgezahlt, das Projekt im Vorfeld exakt zu definieren und auch die Abläufe, was beispielsweise Änderungsanträge betrifft, genau festzulegen. Damit sei es bislang gelungen, das Vorhaben im Rahmen der Termin- und Budgetplanungen zu halten.

Karstadt-Quelle wie auch die AOK sehen in der Kooperation mit SAP Vorteile für beide Seiten. Während die Anwenderunternehmen speziell an ihre Bedürfnisse angepasste Software erhalten, sammelt der Softwarehersteller Branchen-Know-how, mit dem er seine Lösungen aufwerten kann. Da sich die Produkte damit besser vermarkten lassen, machen sich für SAP die Kooperationen in der Kasse positiv bemerkbar.

Inwieweit sich die Zusammenarbeit auch für die Anwenderseite in barer Münze auszahlt, darüber wollen die SAP-Kunden nicht sprechen. Man sei zum Schweigen verpflichtet, sagt ein Manager, der in diesem Zusammenhang nicht genannt werden möchte. In einer solchen Kooperation erwarte der Kunde natürlich, dass der Softwarehersteller Konditionen einräume, die nicht marktüblich sind. Umgekehrt verpflichte man sich als Kunde, diese Konditionen nicht im Markt herumzuposaunen.

"Die Prozesse und Prozeduren in der Zusammenarbeit mit unseren Kunden sind so weit formalisiert wie möglich, um allen Kunden unabhängig von ihrer Größe die gleichen Rechte zu bieten", versichert SAP. Trotz dieser Beteuerung scheinen die Klauseln nicht in Stein gemeißelt. SAP arbeite mit Standardverträgen, die auch einen gewissen Raum für Verhandlungen ließen, um auf die individuelle Kundensituation einzugehen, heißt es weiter.

"Hier sind der Verhandlungsphantasie im Grunde keine Grenzen gesetzt", meint IDC-Analyst Naujoks. Nachlässe bei den Lizenzgebühren oder der Wartung beziehungsweise frühere Auslieferung von Software-Releases - jeder Hersteller habe Spielräume für derartige Szenarien. Zwar wird niemand die Software zum Nulltarif herausrücken, ein Rabatt dürfte aber durchaus drin sein. Letztlich muss jede Seite für sich selbst entscheiden, was ihr die Kooperation wert ist. "Es ist ein Geben und Nehmen, wie es in einer Partnerschaft eigentlich funktionieren sollte."