Flaschenhals DSL und Mobilfunk

Werden Geschäftsprozesse ausgebremst?

24.02.2009 von Hadi Stiel
Unternehmen optimieren verstärkt ihre Geschäftsprozesse. Das treibt die Anforderungen an die WAN-Schnittstellen und die Provider in die Höhe. Im Brennpunkt stehen vor allem kleine Unternehmenseinheiten und mobile Mitarbeiter. Sie sollen, so die Aussagen der Provider, in gleicher Qualität wie innerhalb lokaler Unternehmensnetze und zwischen großen Standorten kommunizieren können.

LAN- und WAN-Bandbreiten driften derzeit himmelweit auseinander - so können PCs mit 1 Gigabit/s oder gar mit 10 Gigabit/s in Ethernet-Technik angeschlossen werden. Wählen sich Mitarbeiter vom Heimbüro oder anderen Firmensatelliten ein, müssen sie sich in der Regel mit einer Bandbreite von 6 Mbit/s (DSL 6000) bescheiden. Das ist ein 160. des 1-Gigabit-Ethernet. ADSL2+ mit einer Bandbreitenoberkante von 24 Mbit/s wird bisher in Deutschland kaum angeboten. Noch ernüchternder sehen die Voraussetzungen für die mobile Einwahl aus: 384 Kbit/s (UMTS) und 3,6 Mbit/s (UMTS-Erweiterung HSDPA). "Die geschäftliche Teilnehmerschaft, der HSDPA bisher zur Verfügung steht, ist dünn gesät. Die schnellere HSDPA-Variante mit 7,2 Mbit/s wird, wenn überhaupt, nur räumlich begrenzt geboten", registriert Mathias Hein, freier IT-Berater in Neuburg an der Donau. Somit müssten aktuell 95 Prozent der mobilen geschäftlichen Einsatzkräfte mit einer UMTS-Bandbreite auskommen, die ein 2700. des 1-Gigabit-Ethernet betrage.

WLAN-Hotspots erlaubten zwar 11 Mbit/s. Ihre Reichweite ist jedoch durch die Basisstation eng begrenzt. Jenseits des Hotspot, mit dem Eintritt ins Internet, können zudem keine Übertragungsqualitäten bereitgestellt und garantiert werden. Hein moniert, dass drahtlose Verbindungen generell weit der Qualität von kabelgebundenen Netzen hinterherhinken.

Mangelnde Performance

Mobile Anwender kämpfen noch mit hohen Latenzzeiten und geringen Geschwindigkeiten.

Die mangelnde Performance und Verfügbarkeit über mobile Verbindungen trifft die Unternehmen ins Herz ihrer Business-Pläne. "Mit der Optimierung ihrer Geschäftsprozesse erwarten die Manager, dass die mobilen Mitarbeiter genauso wie ihre Kollegen in den Hauptniederlassungen kommunizieren und handeln können", sagt Andreas Essing, Experte im Bereich Systems Integration für Kollaborationslösungen bei Siemens IT Solutions and Services. Dafür reiche derzeit aber weder die gebotene Bandbreite noch die Präsenz der drahtlosen Dienste aus. "Es bleiben für eine ständige Erreichbarkeit, wie sie von den Anbietern selbst propagiert wird, einfach zu viele Empfangslücken", lautet sein Fazit. Damit werden Kommunikations- und Interaktionskonzepte wie Unified Communications oder Online Collaboration einschließlich eines automatischen Verbindungsaufbaus über Präsenzinformationen deutlich eingeschränkt. Essing rät deshalb: "Die Entscheider sollten solche Einschränkungen innerhalb ihrer Planungen unbedingt berücksichtigen."

"Die zu geringe Bandbreite mobiler wie DSL-Verbindungen schlägt sich auch auf die Transportzeit nieder", stellt Gary Hemminger, Director of Product Management bei Foundry Networks, fest. Hemminger verdeutlicht dies an einem Zahlenbeispiel: "1 MB zu übertragen dauert über GPRS 152 Sekunden, über UMTS immer noch 21 Sekunden. Von HSDPA mit 3,6 Mbit/s und zwei Sekunden Übertragungszeit profitieren derzeit nur wenige Teilnehmer." Er spricht selbst mit dieser Perspektive im Unternehmensaußenbereich von "benachteiligten Teilnehmern". Ferner stuft er die Transportzeiten über die Festnetzverbindungen als "zu lange" ein. Hemminger verweist auf riesige Datenmengen, die mit Bewegtbildern in hoher Qualität einhergehen, und die extreme Verzögerungsempfindlichkeit dieser Ströme. "Spätestens bei einer synchronen Übertragung von Echtzeit-Sprache und -Bewegtbildern, die diesen Namen verdient, muss selbst ADSL2+ passen", erklärt der Manager. Doch genau um diese Professionalität bei der Ausgabe gehe es, wenn sich Videoconferencing und Collaboration im Geschäftsmarkt als Ersatz für persönliche Meetings in voller Breite durchsetzen soll.

Glasfaser verspricht Besserung

Genügend Bandbreite wird es wohl erst mit Glasfaseranschlüssen geben.
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"Für einen multimedialen Geschäftsauftritt in den Außenstellen oder unterwegs, beispielsweise im Hotel, greift DSL einfach zu kurz", moniert auch Jörg Fischer, Leiter für strategische Geschäftsentwicklung bei Alcatel-Lucent in Deutschland. Bei Mobilfunknetzen komme generell die zu niedrige Verfügbarkeit hinzu. Daran werde sich auch mit HSDPA und 7,2 Mbit/s nichts ändern, prognostiziert Fischer. "Was nützt die höhere Geschwindigkeit in die eine Richtung, wenn sich die andere Richtung als Übertragungsschnecke erweist", kritisiert er. Anders bei den Festnetzanschlüssen: "Hier kann Fiber-to-the-Home und Fiber-to-the-Building, kurz: FTTx, 100 Mbit/s und mehr in beide Richtungen im Anschlussbereich auf die Beine stellen." Dies setze allerdings voraus, dass die Provider progressiv in FTTx-Technologien und ihre Installation investierten. Den wachsenden Bandbreiten- und Handlungsbedarf hätten aber erst wenige City-Carrier erkannt. Fischer nennt als positive Beispiele Netcologne (Köln), Hansenet (Hamburg) und M-Net (München): "Der schnelle Festnetzzugang bleibt bisher in der Fläche auf der Strecke." VDSL mit bis zu 55 Mbit/s ist für ihn keine Alternative, weil es auf der Kupferleitung aufsetze.

Mit Empfangs- gleich Verfügbarkeitslücken beim Mobilfunk müssen die Teilnehmer auf Dauer leben. Anders bei der Bandbreite: Hier ist mit HSDPA und 7,2 Mbit/s noch etwas Luft nach oben. In der Praxis und in der Fläche ist diese Luft für viele Mobilfunkbetreiber jedoch zu dünn. So sprach zwar Vodafone auf der letzten CeBIT von der "Zündung der nächsten Stufe beim mobilen Breitband-Internet", nannte aber keinen konkreten Starttermin für HSDPA mit mehr Bandbreite. Also müssen sich die Vodafone-Kunden mit 3,6 Mbit/s bescheiden. 7,2 Mbit/s werden von Vodafone bisher nur an auserlesenen Lokationen, etwa auf Messen, Bahnhöfen und Flughäfen, geboten.

Auf die SLAs kommt es an

Solche Erfahrungen treffen die Mitarbeiter jenseits des Firmengeländes - und ihre Kommunikationspartner im Büro gleich mit. Zu den Betroffenen unterwegs gehören die technischen Einsatzkräfte. Sie sollen online inklusive Sprach- und Video-Unterstützung bei den Kunden Anlagen sowie Geräte besser und schneller warten und pflegen. "Schon rollt die nächste Optimierungswelle an: die der Industrialisierung der IT-Prozesse per IT-Service-Management", kommentiert Martin Bagsik, Leiter Competence Center Business Service Management bei RDS Consulting. "Wenn diese Industrialisierung End-to-End greifen soll, dürfen die Außenstellen der Unternehmen beim ITSM nicht außen vor bleiben." Bisher, räumt Bagsik ein, würden die Provider solche Einheiten eher als Anhängsel der Unternehmen begreifen. Durchgehend genügend Bandbreite und hohe Quality of Services (QoS) für Echtzeitapplikationen wie Video-Conferencing ließen sich so kaum bewerkstelligen. "Die Anbieter investieren erst, wenn sich der Markt für sie lohnt", beklagt Bagsik. So warten die Anwender auf die Anbieter und umgekehrt. Die Folge: Die Anwender können ihre Geschäftsprozessoptimierung inklusive Sprach- und Videoanteilen in Echtzeit mit einem umfassenden Kommunikations- und Aktionsradius kaum planen. Bagsik fordert deshalb die Provider auf, "endlich in voller Breite die Servicesicht ihrer Kunden mit deren Prozessanforderungen aufzunehmen und ihr Service-Management dahingehend progressiv auszubauen".

Ingo Wupper, Director Solutions Consulting bei Reliance Globalcom, bestätigt: "Die Provider werden sich gegenüber kleineren Unternehmenseinheiten mit ihren Service-Level-Agreements (SLAs) neu positionieren müssen." Nur technische SLAs auf Netzwerkebene reichten nicht aus. "Sie werden sich mit ihren Services und Servicegarantien enger an den Anwendungs- und Prozessanforderungen ihrer Kunden anlehnen müssen. Und sie werden zumindest mit SLAs einstehen müssen, die die Anforderungen der Kundenprozesse und -anwendungen eins zu eins als Leistungswerte auf Netzebene widerspiegeln", konstatiert Wupper. Er spricht vom Application Aware Networking. Der nächste Schritt, Ende-zu-Ende-SLAs auf Sitzungsebene, bleibt nach Wupper der Zukunft vorbehalten. "Zumal solche SLAs aufgrund des hohen Serviceaufwands und der höheren Verbindlichkeit gegenüber den Nutzern ihren Preis hätten", so der Manager weiter. Nur über SLAs auf Sitzungsebene kann der Anbieter die Servicesicht seiner Kunden aufnehmen. Die mobilen Verbindungen mit ihren Bandbreiten-, aber vor allem Verfügbarkeitseinschränkungen werden diesem Ende-zu-Ende-Servicetrend aber kaum folgen können.

Hilfe per MPLS

Die benötigten SLAs sollten sich Anwender vertraglich zusichern lassen.

Frank Westermann, verantwortlich für Strategie und Marketing-Kommunikation Telekommunikation bei T-Systems, ist zumindest bezüglich der Festnetzverbindungen optimistisch: "Übernimmt zwischen den DSL-Anschlüssen ein MPLS (Multi-Protocol Label Switching)-Netz den Transfer, ist selbst Video-Conferencing und Online-Collaboration in hoher Qualität über Bandbreiten von 2 Mbit/s möglich." In diesem Fall werde die Performance durchgehend vom Sender bis zum Empfänger per Bandbreitenreservierung garantiert. Er verweist auf Drom Fragrances, einen Duftstoff- und Parfümhersteller. "Das MPLS-Netz schlägt hier die Brücke zwischen 14 Niederlassungen auf vier Kontinenten", erläutert Westermann. Die Parfümeure des Unternehmens, insgesamt 21, komponieren neue Düfte im Videokonferenz- und Online-Collaboration-Kontakt. "Im Verlauf des Jahres 2007 wurden auf diese Weise rund 50.000 Düfte kreiert", informiert Ferdinand Storp, Geschäftsführer von Drom Fragrances. "Wichtig für die Supernasen ist, die Mimik des Gegenübers genau zu erkennen, um zu den richtigen Rohstoffformeln zu finden", unterstreicht er die Bedeutung von Videokonferenzen. Die Formeln werden von den Parfümeuren online bearbeitet und danach direkt aus der Konferenz heraus an die Produktion übermittelt.

Fest vereinbarte Bandbreiten für eine gute Ausgabequalität haben ihren Preis. Inwieweit sich für kleine Einheiten ein schneller Transfer via MPLS-Netz lohnt, so T-Systems-Mann Westermann, müsse jedes Unternehmen selbst entscheiden. Gleiches gelte für Ende-zu-Ende-SLAs auf Sitzungsebene. "Bei solchen SLAs muss der Betreiber sowohl die Telekommunikations- als auch die IT-Seite beherrschen und beeinflussen. T-Systems bietet solche SLAs bereits, allerdings nur auf Projektbasis", schränkt Westermann ein. Dafür werde für vereinbarte Aufbauzeiten und Performance-Werte innerhalb der Sitzung über Musteranfragen das typische Verhalten jedes Benutzers simuliert und gemessen. Nur auf diese Weise, so Westermann, könnten über die gesamte Ausführungskette mit allen daran beteiligten Provider-Systemen die erforderlichen SLAs auf Sitzungsebene abgeleitet und später eingehalten werden.