Normung der Programmdokumentation:

Werden Anwenderprogramme endlich vergleichbar?

02.02.1979

BERLIN - Die Entwicklung der Norm DIN 66 230 "Programmdokumentation" nähert sich mit dem Erscheinen des neuen Norm-Entwurfs dem Abschluß.

Die ersten Diskussionen über Normung der Programmdokumentation begannen in den beiden Arbeitsauschüssen zunächst unabhängig voneinander in den Jahren 1974 und 1975. Die für die Entwicklung einer Norm recht lange Dauer hat mehrere Ursachen, von denen einige besonders hervorzuheben sind:

- Die Abgrenzung des Normungsgegenstandes, Aufbau, Gliederung und Darstellungsform der Norm und schließlich die Detaillierungstiefe und damit der Umfang der Norm waren zunächst offen. Erst Ende 1977 entschloß sich der AA7, die Programmentwicklungsdokumentation abzutrennen und zum Gegenstand einer eigenen Norm zu machen. Und die Stellungnahmen zu den drei vorangehenden Entwürfen führten erst 1978 dazu, auch die Datei- und Datendokumentation herauszulösen und in einer eigenen Norm DIN 66 232 zu regeln, deren Entwurf ebenfalls demnächst erscheinen soll. Die drei vorangehenden Entwürfe spiegeln verschiedene Realisierungsmöglichkeiten der Norm wider.

- In den beiden Normausschüssen waren die Vertreter der Hersteller und der Benutzer von Programmen naturgemäß oft verschiedener Meinung. Dazu kamen die gegensätzlichen Auffassungen der (vorwiegend dem Ausschuß Il 63 angehörenden) Praktiker, die die Normung auf die Dokumentation technischer und kommerzieller Anwenderprogramme im Bauwesen beschränken wollten, und der (im AA7 überwiegenden) Vertreter einer fachlich ungebundenen und umfassenden Programmdokumentation,

- Weit hinderlicher als diese Interessen- und Auffassungsunterschiede erwiesen sich jedoch die begrifflichen Schwierigkeiten. In den Diskussionen während der Erarbeitung der Norm-Entwürfe zeigte sich immer wieder, daß gängige Begriffe der Datenverarbeitung zum Teil sehr verschieden verstanden werden. In vielen Fällen boten die Begriffsnormen, insbesondere DIN 44 300, schon wertvolle Hilfe. In vielen anderen Fällen mußten sich die Ausschüsse mangels genormter Begriffe vorläufig intern auf bestimmte Interpretationen einigen.

Die aus den Problemen herrührende Gliederung in mehrere Teile konnte nun aufgehoben werden. Beide Ausschüsse entwickelten den neuen Entwurf in der schon beim Teil 2 erprobten Zusammenarbeit.

Wie ist nun diese Norm zu verstehen und anzuwenden, welchen Arbeitsaufwand erfordert sie und welchen Nutzen kann man davon erwarten? Die Beantwortung dieser Fragen beginnt mit einem kurzen Überblick über wesentliche Teile ihres Inhalts:

- Im Abschnitt 1 leitet sich aus der hierarchischen Struktur von Programmsystemen die rekursive Anwendung der Norm auf die Hierarchiestufen ab.

- Im Abschnitt 3 wird ergänzend dazu der Verweis auf andere normgerechte Dokumentationen ausdrücklich als normgerechte Vorgehensweise deklariert. Der Verweis kann sich beziehen auf die Dokumentation

- eines Programms höherer Hierarchie stufe

- eines Programms niederer Hierarchiestufe

- eines in sonstiger Weise verbundenen Programms, z. B. eines Übersetzers, Betriebssystems, Test- oder Hilfsprogramms

- der vorn Programm benötigten, erzeugten oder bearbeiteten Dateien und Daten.

Dadurch kann man mit tragbarem Arbeitsaufwand normgerechte und überschaubare Programmdokumentation anfertigen. Das setzt allerdings genau definierte und weitgehend änderungsunabhängige Schnittstellen voraus, damit sich Änderungen in einem Programm möglichst nicht über seine in sich abgeschlossene Dokumentation hinaus auswirken. Die Verweismethode läßt die Wahl, in welcher Dokumentation die Schnittstellen beschrieben werden.

- Im Abschnitt 5 werden die Formen - inhaltlich normgerechte Programmdokumentation PRODOK DIN 66 230-1, und

- zusätzlich normgerecht gegliederte Programmdokumentation PRODOK DIN 66 230-G

eingeführt.

- Die Abschnitte 6 bis 9 bilden den substantiellen Kern der Norm und nehmen 10 von 25 Seiten ihres Umfangs ein; sie bestimmen den Inhalt der Programmdokumentation, jedoch nicht die Darstellungsform:

- 6: Programmkenndaten

- 7: Funktion und Aufbau des Programms

- 8: Installierung und Test des Programms.

- 9: Betrieb des Programms

Hier ist nicht der Platz, und es erscheint auch nicht unbedingt notwendig, die weitere Unterteilung und die ausführlichen inhaltlichen Erläuterungen dieser Abschnitte wiederzugeben.

Die Anwendung der Norm mag an zwei Beispielen erläutert werden:

- Eine Firma H bietet ein bei ihr hergestelltes Programm(system) einer Firma oder Behörde N zur entgeltlichen Nutzung an. N ändert das Programm nicht und korrigiert es nicht im Fehlerfall, sondern die Programmpflege verbleibt bei H. Die Angaben zum Abschnitt 7 über Funktion und Aufbau des Programms beschränken sich diesem Zweck entsprechend auf die Beschreibung der Benutzerschnittstelle. H kann auch ein berechtigtes wirtschaftliches Interesse daran haben, ein dem Programm zugrunde liegendes Verfahren nicht zu offenbaren. Die Geheimhaltung der Interna eines Programms kann ferner kriminelle Manipulationen an kommerziellen Programmen erschweren oder durch das Datenschutzgesetz geboten sein. Interne Schnittstellen sind oft nicht gegen unsachgemäßen Gebrauch gesichert, oder sie werden bei Verbesserungen des Programms geändert; daher ist es angebracht, N von der Benutzung interner Schnittstellen fernzuhalten. Schließlich kann die Offenlegung der Interna eines Programms den Umfang der Programmdokumentation vervielfachen und die Kosten für die Nutzung des Programms wesentlich erhöhen.

- Bei einem Softwarehersteller übergibt eine Abteilung ein bei ihr entwickeltes Programm an eine andere Abteilung zur Qualitätskontrolle, Fehlerbehebung, Änderung und Pflege. Selbstverständlich müssen für diesen Zweck die Angaben zu Abschnitt 7 über Funktion und Aufbau des Programms viel ausführlicher sein.

DIN 66 230 ist als Checkliste für jede erdenkbare Programmdokumentation gedacht. Je nach Programmaufgabe, Hierarchiestufe des Programms und beabsichtigter Verwendung der Programmdokumentation und des Programms selbst sind dagegen im Einzelfall nicht immer alle Abschnitte und Unterabschnitte der Norm relevant. Diese Einschränkung entwertet die Norm keinesfalls; sie ist zwar nicht als Liste aller in jedem Fall erforderlichen Angaben anzuwenden, aber als Mittel zur schnellen, zweckmäßigen und zweifelsfreien Verständigung über die im Einzelfall zu liefernden beziehungsweise erwarteten Angaben. Durch den nach dieser Betrachtungsweise sinnvollen Gebrauch der Norm ist zu erwarten, daß der wirtschaftliche Nutzen der Programmdokumentation den Aufwand für ihre erstmalige Anfertigung und ständige Aktualisierung rechtfertigt und daß sie die im Abschnitt genannte Zielsetzung erfüllt: "Durch diese Norm werden Vollständigkeit und Vergleichbarkeit der für die Anwendung wichtigen Angaben über Programme ermöglicht."

Diesem Norm-Entwurf gingen drei weitere Entwürfe voraus:

DIN 66 230, Teil 1, "Programmdokumentation, Rahmenangaben", entwickelt vom AA7 im FNI (jetzt NI), erschienen Juni 1976, verlängerte Einspruchsfrist bis Juni 1977

DIN 66 230, Teil 5 "Programmdokumentation von DV-Programmen im Bauwesen". entwickelt vom Arbeitsausschuß II 63 im FNBau (jetzt NA-Bau), erschienen August 1976, Einspruchsfrist bis Juni 1977

DIN 66 230, Teil 2, "Programmdokumentation, Detaillierung", gemeinsam entwickelt vom AA7 und Il 63, erschienene Mai 1977, Einspruchsfrist bis September 1977.