Gründer

Wer vom Risiko lernt, wird wachsen

17.09.2008 von Claudia Erben
Gründer sollten mit Gefahren nicht ängstlich, sondern bewusst umgehen. Dabei sollten Einsteiger durchaus eher die Chancen als die Risiken des Marktes im Blick haben.

Erfolgreiche Gründer konzentrieren sich zu Recht vollständig darauf, ein neues Angebot am Markt zu platzieren. Doch kein Geschäft ist risikolos, das lehrt nicht zuletzt die weltweite Finanzkrise. Risiko-Management für Gründer setzt jedoch andere Akzente als bei etablierten Unternehmen: Gründer brauchen eine Vorwärtsstrategie, um erfolgreich zu sein. Zugleich sollten sie lernen, den Blick über den Tellerrand des eigenen Geschäftes zu richten - denn Märkte sind heute vielfältig miteinander verwoben. Wo liegt also die gesunde Mitte zwischen kalkuliertem Risiko und Wahnwitz?

"Chancen" oder allenfalls "Herausforderungen" bieten sich Existenzgründern, doch kaum jemand warnt sie vor den Kehrseiten des Erfolgs. Hier geht es nicht um die Angst vor dem Scheitern. Stattdessen sollte durchaus über "Risiko" und "Gefahr" gesprochen werden, statt mit euphemistischen Bezeichnungen zu übergehen, dass Chancen immer auch Gefahren bergen. Einige der Gefahren liegen in der eigenen Geschäftspraxis, andere in Fehlsteuerungen des Marktes. Gutes Risiko-Management sollte helfen, Untiefen zu vermeiden und dennoch hart am Wind zu segeln.

Risiken ungleich verteilt

Weder "Schwarzseher" noch "Optimisten" verfolgen die richtige Strategie, lehrt Matthias Haller, Professor im Ruhestand der Universität St. Gallen und Gründer der Stiftung "Risiko-Dialog". Er weist darauf hin, dass ein Unternehmer wie jedermann unbewusst davon ausgeht, Risiken unterlägen einer Art Normalverteilung: Der Gründer unterstellt, dass in einer durchschnittlichen Gewinnsituation eine Abweichung nach oben nur Chancen birgt, nach unten nur Verluste. Diese Vorstellung basiert jedoch auf der eigenen - beschränkten und kurzfristigen - Erfahrung, weniger auf der Realität.

Matthias Haller lehrte in St. Gallen Betriebswirtschaft und hat die Stiftung "Risiko Dialog" gegründet.

Denn zunächst sollte eine gute Planung darauf hinaus laufen, ein angestrebtes Ergebnis auch zu erreichen. Mit gleichem Einsatz mehr zu erreichen ist möglich, jedoch unwahrscheinlich. Anzunehmen ist eher, dass im Verlauf der Etablierung eines Unternehmens verstärkte Anstrengungen unternommen werden müssen, um den Gewinn weiter zu steigern. Das Risiko eines Scheiterns ist jedem bewusst, doch ein entsprechendes Risiko-Management für die Zwischentöne fehlt häufig.

Sieben gute, sieben schlechte Jahre

Wenn jedes "Mehr" zur Planung unwahrscheinlich ist, dann zeigt die Wirklichkeit einen anderen Verlauf als eine Normalverteilung. Ergebnisse sind "volatil", das Risiko schwankt im Verlauf der Zeit. Und wer genau hinschaut, entdeckt, dass sich die alte Regel der sieben guten und sieben schlechten Jahre bestätigt. Das bedeutet, dass nicht nur für Ehen, auch für Unternehmen im siebten und achten Jahr ihres Bestehens statistisch eine Ausnahmegefahr besteht. Gerade bei anhaltenden Gewinnen sollte sich der Unternehmer immer stärker der heraufziehenden Gefahren - in finanzieller, technologischer und sozialer Hinsicht - bewusst sein.

Der Abschwung nach der deutschen Wiedervereinigung, das Platzen der Dotcom-Blase und zuletzt die Subprime-Krise stellen solche Ausnahmerisiken dar. Hinzu kommt, dass eine ausgeprägte Gewinnstrategie immer höhere Risiken mit sich bringt. Sind die Economies of scale einmal ausgeschöpft, lässt sich eine weitere Gewinnsteigerung nur durch Inkaufnahme erhöhter Gefahren erzielen. Wer zum Beispiel von mehreren Produktionsstätten nur eine erhält, das Personal ausdünnt bis auf die besten Performer oder sich gar den besten Kunden zum einzigen Kunden macht, baut seine wachsende Wertschöpfung auf ein immer riskanteres Fundament. Je mehr ein Unternehmen auf Diversifikation verzichtet und sich ausschließlich auf eine Kernkompetenz beschränkt, desto verwundbarer wird es. Dieser Zusammenhang wird häufig vernachlässigt, wie Professor Haller betont.

Wann lohnt sich die Absicherung?

Eine Welt, in der Gefahren existieren, die zwar selten auftreten, jedoch außerordentlich gefährlich sind, erfordert, Abhängigkeiten und Verflechtungen genauer unter die Lupe zu nehmen. Das nennt man dann unternehmerische Weitsicht - und bedeutet mehr als die operative Management-Verantwortung. Ab wann lohnt es sich, sich gegen unwahrscheinliche Risiken abzusichern, etwa gegen Systemzusammenbrüche oder den größten anzunehmenden Unfall, den Super-Gau? Eine Frage, die sich Gründer im Zuge der Abwägung jetzt zu stellen haben, wäre etwa: "Welche Tatsache betrachten wir als selbstverständlich, die morgen nicht mehr gegeben sein könnte?"

Claudia Erben, Geschäftsführerin des Gründernetzwerkes Forum Kiedrich: Das siebte Jahr ist nicht nur in Ehen, sondern auch für Firmen schwierig.

Die gegenwärtige Bankenkrise stellt ein solches Ausnahmerisiko dar - ausgelöst durch Vergabe "fauler" Immobilienkredite in den USA. Banken und Hedge-Fonds versuchten, das Risiko der Subprime-Kredite in neuen Anlageformen (Collaterized Debt Obligations) zu bündeln und so zu minimieren. Die Risiken wurden versteckt weiter gegeben. Selbst die schlechteste Anlage wurde noch in Kategorien des Besten, Mittelmäßigen und Schlechten unterteilt und damit so strukturiert, dass selbst institutionelle Anleger den Sinn für Gefahren verloren. Auch sie verstanden offensichtlich nicht, in welche Produkte sie investierten oder ignorierten Risiken nach dem Prinzip "Augen zu und durch". Die Rating-Agenturen spielten das Spiel aus eigenem Interesse mit. Jetzt trifft diese Krise den Jungunternehmer noch mehr in Form von Kreditverweigerungen.

Eigenes Angebot mit Realwirtschaft abgleichen

Unternehmen, die einen Bezug zu realen Kunden haben, werden es leichter finden, ihre Risiken aktiv zu managen. Wenn aber die Wertschöpfung zersplittert über eine lange Kette erfolgt, ist es für diejenigen, die am Ende der Wertschöpfungskette stehen, sehr schwierig, Risiken am Anfang der Kette zu erkennen. Unternehmer sollten deshalb immer wieder prüfen, wie ihre Angebote mit der Realwirtschaft verknüpft sind. Gibt es einen Endkunden? Hat der überhaupt den Willen und die Bonität das zu kaufen, was der Markt ihm augenscheinlich anbieten will? Welche von beliebig vielen neuen Funktionalitäten ist es ihm wert, hierfür Geld hinzulegen - und zwar alternativ zu anderen Ausgaben in einer Zeit, in der das individuelle Geld knapp wird.

Im Falle der Bankenkrise waren sowohl Frühwarnsignale - etwa in der seriösen Presse - oder später Hinweise auf die Gefahren der Kreditvergabe an wenig solvente Kunden sichtbar. Doch jeder Banker wollte weiteren Gewinn abschöpfen.

Ganze Märkte brechen weg

Eine Betrachtung von außen kann helfen, denn Unternehmen besitzen Systemcharakter: Innerhalb des Systems lassen sich immanente Fehler nicht erkennen. Weil gerade Gründer dazu tendieren, sich in erster Linie auf ihr Marktsegment zu konzentrieren, trifft sie das mit besonderer Härte. Zwar ist es verständlich, dass sie zunächst Mitbewerber und Absatzmärkte im Blick haben.

Doch ein Einigeln im Elfenbeinturm trägt dazu bei, das Wegbrechen ganzer Märkte zu übersehen. Wer ein Call-Center für eine Reiseauskunft aufbaut, wird in Kürze von der Macht einer Suchmaschine verdrängt werden. Wer das Schärfen eines Digitalbildes anbietet, sollte wissen, dass bald Drucker auf den Markt kommen, die mit integrierter Erkennungssoftware diesen Zwischenschritt überflüssig machen. Nur wer den Markt als Ganzes im Blick behält, kann Neuigkeiten bemerken und bewerten, um so rechtzeitig Gegenstrategien einzuschlagen. "Risiko ist die Bugwelle des Erfolgs", sagt Risikoforscher Haller. Für Gründer bedeutet dies: Vom Risiko lernen, heißt wachsen lernen.