SAP vs. Non-SAP im Mittelstand

Wer ist David und wer ist Goliath?

20.11.2008
"SAP und der Mittelstand" ist seit Jahren ein heiß diskutiertes Thema. Kaum eine Frage in Bezug auf "SAP und der Mittelstand", die nicht schon durchgekaut wurde. Trotzdem bekommt fast jede Pressemitteilung aus dem SAP-Umfeld zum Thema Mittelstand eine hohe Aufmerksamkeit in einschlägigen IT-Medien. Warum ist "SAP und der Mittelstand" so ein interessantes Thema?

Es liegt zum einen an der großen volkswirtschaftlichen Bedeutung des Mittelstandes in Deutschland. Sicherlich brauchen SAP und Partner den Mittelstand nicht, um gutes Geld zu verdienen. Allerdings ist es auch für die SAP in den letzten Jahren immer schwieriger geworden, ein hohes Wachstum bei großen Bestandskunden in Deutschland zu erzielen. SAP braucht den Mittelstand, um zu wachsen. Nur Wachstum wird an der Börse honoriert.

Markentrichter für Nicht-Kunden: Stufen Awareness und Evaluation
Foto: RAAD Research

Zum anderen liegt es aber auch daran, dass SAP und deren Leistungen mittlerweile eine eigene Industrie darstellen. So hat SAP allein in Deutschland mehr als 300 Partnerunternehmen. Mehrere zehntausend Arbeitsplätze hängen direkt und indirekt am Geschäft mit SAP Software. Zudem arbeiten in deutschen Unternehmen ca. 2.5 Mio. Arbeitnehmer mit Programmen der SAP. Die Bedeutung der SAP in Deutschland lässt sich nicht bestreiten. Und immer wenn es einen Goliath auf dem Markt gibt, gibt es mindestens einen David, der die Herausforderung gegen den scheinbar übermächtigen Rivalen sucht. Ein solcher mit dem Sport vergleichbarer Wettstreit - man erinnere sich an den fleischgewordenen Kampf der Softwarehersteller SAP und Oracle zu hoher See, in Form von Segelregatten zwischen Hasso Plattner und Larry Ellison – fasziniert uns Menschen immer wieder aufs Neue. Kann Energie Cottbus (Nicht SAP-Kunde) gegen Bayern München (SAP Kunde) gewinnen? Ja, sie können, wie die Saison 2007/08 gezeigt hat. So reduziert sich das Thema "SAP und der Mittelstand" in unserer Wahrnehmung oft auf einfache Fragen: Wird SAP im Mittelstand gewinnen oder verlieren? Für beide Positionen gibt es Wetten am Markt.

SAP vs. Non-SAP

Interessant dabei ist die Frage, gegen wen SAP gewinnen oder verlieren könnte. Oft wird diese Frage sehr reduziert beantwortet: Gegen Non-SAP-Anbieter. Alle Anbieter werden in einen Topf geworfen. Aus dieser Sicht ist dann allerdings im Mittelstand eher SAP der David und die Übermacht von mehr als 300 ERP-Herstellern in Deutschland als Einheit gesehen der Goliath. SAP hat eigentlich keine Chance. Alle Non-SAP-Hersteller zusammen gewinnen weit über 90% der ERP-Software-Deals im Mittelstand, während sich SAP mit Kundenzuwächsen im einstelligen Prozentbereich zufriedengeben muss, wie Studien von RAAD ergaben. Aber welches andere Ergebnis könnte man realistischer Weise von SAP erwarten? Schließlich sind 20 Jahre ins Land gezogen, bis SAP die Großkunden in Deutschland für sich gewonnen hatte. Die Realität ist natürlich nie schwarz oder weiß, nicht SAP oder Non-SAP, sondern geprägt von einer Vielzahl von Softwareoptionen für den Mittelstand. Dadurch ist der Wettbewerb auf allen Seiten geprägt von harter Arbeit bei der Bestandskundenentwicklung und vor allem Neukundengewinnung.

Zudem ist SAP bei letzterer nicht allein im Markt unterwegs, sondern greift in vielen Branchen nur indirekt über Partner in den Markt ein. Neben der eigenen Vertriebskompetenz ist der Vertriebserfolg der SAP-Partner somit stark davon abhängig, wie die Marke SAP im Mittelstand wahrgenommen wird. Je positiver die Strahlkraft der Marke SAP im Mittelstand, desto eher kommen Partner mit potenziellen Käufern überhaupt ins Gespräch. Dies gilt nicht nur für SAP-Partner, sondern auch für alle anderen Softwareanbieter, die über einen indirekten Vertriebskanal verfügen, wie zum Beispiel Microsoft.

Studie zum Einsatz von Business-Software

RAAD hat deshalb diesen Markenaspekt für mehrere Softwareanbieter mit Hilfe einer reduzierten Markentrichteranalyse in der Studie "Einsatz von betriebswirtschaftlicher Standardsoftware in der mittelständischen Fertigungsindustrie" untersucht. Hierzu wurden im Zeitraum von Juni bis September 2008 in 861 Non-SAP-Anwenderunternehmen mit 100 bis 2.000 Mitarbeitern insgesamt 1.206 unterschiedliche Ansprechpartner in Leitungsfunktionen befragt.

Markentrichter für Nicht-Kunden: Stufen Awareness und Evaluation
Foto: RAAD Research

Der sogenannte Markentrichter unterstützt die Analyse der Stärken und Schwächen von Marken. Dabei werden die Marken-Dimensionen - von der Bekanntheit, über das Image und die engere Auswahl, bis hin zum Kauf und der Loyalität gegenüber den einzelnen Anbietern - in einer Zielgruppe empirisch ermittelt, untersucht und mit einander verglichen. In der vorliegenden Studie wurden zunächst die Stufen Awareness und Evaluation des Markentrichters hinsichtlich der Marken SAP, Microsoft, Infor Global Solutions, Datev, ProAlpha, Sage, Abas und SoftM untersucht. Dafür wurde bei den IT-Leitern in den Unternehmen die gestützte Markenbekanntheit (Awareness-Stufe) abgefragt. Anschließend wurde gefragt, ob die Produkte des Anbieters generell für das Unternehmen in Betracht kommen (Evaluation-Stufe). Um die Chancen der jeweiligen Anbieter bei der Neukundenakquise bewerten zu können, wurden als Zielgruppe nur Unternehmen betrachtet, die nicht Kunden des jeweiligen Softwareanbieters sind. Dadurch entsteht ein Bild über die Ausgangssituation jedes einzelnen Herstellers bei der Neukundenakquise.

Zunächst fällt auf, dass SAP die höchste gestützte Markenbekanntheit besitzt. Lediglich Microsoft und Datev haben eine ähnlich hohe Awareness bei Nicht-Kunden wie SAP bei Non-SAP-Kunden. Infor Global Solutions hat, das zeigt die vorliegende RAAD-Studie ebenfalls, weit mehr Kunden innerhalb der mittelständischen Fertigungsindustrie als Microsoft. Die Bekanntheit der Marke ist dennoch bei Nicht-Infor-Kunden wesentlich geringer. Gleiches gilt erstaunlicher Weise auch für Infor-Kunden. Dort ist der Name Infor Global Solutions vielen Kunden nicht bekannt. Der Grund für die schlechtere Markenbekanntheit ist, dass Infor in den letzten Jahren Marken und Produkte wie Baan, Brain, Varial usw. aufgekauft hat und bisher noch keine einheitliche Markenkommunikationsstrategie gefunden hat. Erstaunlich ist, dass wesentlich kleinere Unternehmen wie Abas, ProAlpha und SoftM ähnlich gut am Markt wahrgenommen werden wie Infor oder Sage. Die letztgenannten generieren jährlich Milliardenumsätze und haben im Vergleich sicherlich wesentlich höhere Marketingbudgets als ProAlpha und SoftM. Deren Budgets scheinen hinsichtlich der Stärkung der Markenbekanntheit sinnvoller allokiert zu werden, als dies bei Infor oder Sage der Fall ist.

Vertrauensbonus für SAP

Auch die Evaluation-Stufe des Markentrichters offenbart erstaunliche Ergebnisse. Von den betrachteten Softwareanbietern besteht nur gegenüber Microsoft eine höhere Bereitschaft zur generellen Zusammenarbeit als gegenüber SAP. Bei 52% der Unternehmen die Microsoft kennen, kommt Microsoft als Lieferant von betriebswirtschaftlicher Standardsoftware in Betracht. Bei SAP sind dies immerhin noch 36%. Der Vergleich mit direkten Wettbewerbern im Mittelstand zeigt also, dass SAP sich mit den erzielten Werten auf der Evaluationsstufe wahrlich nicht verstecken muss. Ob der Status Quo allerdings ausreicht, um den Mittelstand in kurzer Zeit ähnlich stark zu durchdringen, wie es im Bereich der großen und größten Unternehmen der Fall ist, darf aber bezweifelt werden. Zu groß ist dort noch die Übermacht der kleineren Anbieter, von denen jeder einzelne wie ersichtlich eine beachtliche Reichweite erzielt. Auch Microsoft als Schwergewicht im Markt ist aufgrund der hohen Akzeptanz im Mittelstand nicht zu unterschätzen. Außerdem offenbart der hohe Abfall bei der Marke SAP von der Markenbekanntheit zur Evaluationsstufe auch hohe Hemmschwellen gegenüber SAP bei mittelständischen Unternehmen. Hier kommen die bekannten Vorurteile "zu groß" und "zu teuer" zum Tragen (siehe: SAP - automatisch teuer?). Gerade bei Unternehmen, die sich noch nicht intensiv mit SAP beschäftigt haben, hat sich diese Assoziation mit der Marke SAP festgesetzt – aktuell laufende Befragungen von RAAD Research belegen dies.

Die SAP ist also in ihrer Kommunikation gefordert, zu überzeugen und diese Vorurteile auszuräumen, um die Kontaktzahl für ihre Partner weiter zu erhöhen. Nicht umsonst arbeitet SAP seit geraumer Zeit auch in ihrer Werbung genau daran. Unter dem Slogan: "SAP. Wie für mich gemacht!", verspricht SAP dem Mittelstand "Software, die bezahlbar, schnell einzuführen und ausbaufähig ist". Dieses Markenversprechen wirkt vor der aktuellen Debatte um die Wartungskostenerhöhung von 17% auf 22% etwas verloren. Viele Unternehmen im Mittelstand werden sich in ihren Vorurteilen bestätigt sehen. Auch werden sich SAP-Vertriebspartner im Mittelstand fragen müssen, wie ernst es der SAP mit dem Mittelstand ist. Aber anscheinend spülen 5% höhere Wartungserlöse mehr Einnahmen in die Kassen, als sich die SAP vom Neukundengeschäft im Mittelstand verspricht.

RAAD Research GmbH

Beratungsschwerpunkt: RAAD Research erstellt Marktstudien und Analysen im Umfeld von betriebswirtschaftlicher Standardsoftware. Die relevanten Markttrends in Bezug auf Softwaresysteme, Infrastruktur und IT-Dienstleistungen werden durch empirische Marktforschung auf wissenschaftlich fundierter Basis ermittelt, analysiert und verständlich aufbereitet.