Wenn Projekte in Schieflage geraten

16.01.2008
Viele IT-Projekte enden vor Gericht. Mit einer juristischen Bestandsaufnahme, einer intelligenten Eskalationsstrategie und der beiderseitigen Bereitschaft zur Kommunikation müsste das nicht sein.

Geplant hatte die große deutsche Ausbildungsorganisation den Relaunch ihres Internet-Auftritts eigentlich für den April 2006. Aber daraus wurde nichts. Stattdessen lag das Unternehmen seit Oktober desselben Jahres mit seinem Dienstleister im Clinch. Der Grund: Mängelansprüche und unterschiedliche Auffassungen über die Fälligkeit von Vergütungszahlungen.

Im April des Folgejahres waren 80 von insgesamt 120 angeschlossenen Bildungsinstituten immer noch nicht online. Sie erhoben schwere Vorwürfe gegen die Dachorganisation, die das Projekt für alle angeschlossenen Ausbildungshäuser leitete.

Doch damit nicht genug: Jetzt zog auch noch der Dienstleister seine Berater vorzeitig vom Projekt ab. Seine Begründung: Sämtliche Leistungen seien vertragsgemäß erbracht worden. Seit nunmehr zwei Wochen laufe die fünfwöchige Test- und Abnahmephase. Darüber hinaus forderte er die Ausbildungsorganisation zur Zahlung einer bestimmten Summe auf, die mit der Bereitstellung des Web-Auftritts zur Abnahme fällig wurde.

Kurzum: Auf allen Seiten war die Situation festgefahren. Das Projekt stand still. Nichts schien mehr voran zu gehen.

Die Suche nach einem Ausweg

Diese oder ähnlich lähmende Zustände erleben Unternehmen jeglicher Größe immer wieder. Jedes Mal stellt sich die Frage: Wie kommen wir aus der Schieflage wieder heraus? Wie kann das Projekt trotz verhärteter Fronten noch erfolgreich beendet werden? Auf welches Vorgehen und welches Know-how kommt es in einer solchen Situation an?

Wenn ein Projekt erst einmal in Schieflage geraten ist, empfiehlt sich schnelles und kompetentes Handeln. Schließlich möchte jeder Verantwortliche das Vorhaben möglichst schnell wieder zum Laufen bringen. Niemand hat Interesse daran, das Ganze vor Gericht eskalieren zu lassen. Denn daraus entsteht ein langwieriges Verfahren mit erheblichen Kosten ? und als meist unausweichlicher Konsequenz das definitive Ende des Projekts (mehr zum Thema auch unter: "Chaotische Softwareentwicklung kostet Milliarden").

Zuerst die Bestandsaufnahme

Projektschieflagen gehen häufig einher mit unterschiedlichen Rechtsauffassungen über die jeweiligen Pflichten aus den zugrunde liegenden Verträgen. Deshalb sollte das Anwenderunternehmen, sinnvollerweise mit Hilfe eines Anwalts, die Ursachen für die verworrene Situation herausarbeiten und eine juristische Standortbestimmung vornehmen. Darauf aufbauend, lässt sich eine Sanierungsstrategie entwickeln. Dazu sind im Schnellverfahren alle Vertragsunterlagen, Pläne und Protokolle sowie der gesamte Schriftverkehr zwischen den Parteien, einschließlich der E-Mails, zu sichten. Darauf folgen Interviews mit den Projektmitarbeitern. So lassen sich auch jene Fakten ermitteln, die nicht in den Unterlagen stehen.

Mit Hilfe dieser Bestandsaufnahme kann der Anwalt den Entscheidern aufzeigen, wie es ? zumindest nach der aktuellen Faktenlage ? überhaupt zu einer solchen Situation kommen konnte und wer ? aus juristischer Sicht ? die aufgetretenen Probleme zu verantworten hat. Oft stellt sich dabei heraus, dass es mehr als nur einen Grund gibt und die Rechtsposition nicht der vom Mandanten unterstellten Ausgangslage entspricht.

Dann die richtige Eskalationsstrategie

Sind die Ursachen und juristischen Verantwortlichkeiten herausgearbeitet, gilt es, die richtige Eskalationsstrategie zu entwickeln. Um in beiderseitigem Einvernehmen zu einer Lösung zu gelangen, müssen beide Vertragsparteien Gesprächsbereitschaft signalisieren. Diese Bereitschaft lässt sich oft nur mit Forderungen erzielen, wobei die eigene juristische Ausgangslage angemessen zu berücksichtigen ist. Hierzu sind Fingerspitzengefühl und Erfahrung notwendig. Überzogene Forderungen könnten die Gegenseite so abschrecken, dass sie eine außergerichtliche Einigung für unmöglich hält. Andererseits muss der anderen Partei aber auch klar werden, dass ihr erhebliche rechtliche Nachteile drohen, wenn sie das Gesprächsangebot ablehnt.

Beispiel für einen Maßnahmenplan

Im Fall des Ausbildungsinstituts wurde der Dienstleister dazu aufgefordert, innerhalb einer kurzen Frist mitzuteilen, ob und in welcher Besetzung er bereit sei, einen letzten Versuch zur außergerichtlichen Konfliktlösung zu unternehmen. In dem diesbezüglichen Schreiben waren die juristischen Problemzonen des Dienstleisters sauber herausgearbeitet. Und nach Beratung mit seinen Anwälten nahm der Auftragnehmer das Gesprächsangebot an.

Am Ende eines solchen Krisengesprächs muss ein klarer Maßnahmenplan stehen, mit dem das Projekt wieder aus der Schieflage geholt werden kann. Im geschilderten Beispiel sah dieser Plan wie folgt aus:

Die Verträge sind sofort anzupassen

Wenn ein Maßnahmenplan erst einmal von beiden Seiten akzeptiert wird, empfiehlt es sich, die bestehenden Verträge umgehend an die getroffenen Veränderungen anzupassen. So schwindet die Gefahr, dass eine der Parteien von den Verhandlungsergebnissen später wieder abrückt oder die Erfolgsfaktoren für das Gelingen des Projekts in der Erinnerung anders interpretiert, als sie vereinbart wurden. (Zum Thema IT-Verträge siehe auch: "Warum IT-Verträge scheitern" und "Wie man Fußangeln vermeidet").

Aber auch wenn das Verhandlungsergebnis vertraglich fixiert ist, haben die Anwälte oft noch genug zu tun. Es hat sich bewährt, dass sie den Projektfortschritt überwachen und gegebenenfalls eingreifen, damit die vereinbarten Meilensteine in die Tat umgesetzt werden und nicht wieder neue Konflikte entstehe. Rechtsanwälte, die mit der Projektsanierung beauftragt werden, sollten also ? neben juristischem Fachwissen und Branchenkenntnissen ? auch über Coaching-Kompetenz verfügen.

Das als Beispiel dienende Ausbildungsinstitut konnte auf diesem Weg seinen Web-Relaunch doch noch erfolgreich abschließen. Sechs Monate, nachdem es einen konsequenten Sanierungskurs eingeschlagen hatte, waren sämtliche Funktionen vereinbarungsgemäß installiert und abgenommen. Und das bei Projektbeginn vereinbarte Budget wurde nur um zehn Prozent überschritten, obwohl es sich mit Ausnahme weniger Arbeitspakete um ein "Aufwandsprojekt" handelte. Einige zusätzliche Funktionen hat der Dienstleister als Kompensation für die geltend gemachten Verzögerungsschäden über den ursprünglichen Projektumfang hinaus kostenlos realisiert.

In fünf Schritten zur Projektsanierung

  1. Bestandsaufnahme: Identifikation der Ursachen für die Schieflage sowie der rechtlichen Position anhand der maßgeblichen Verträge, der Projektpläne, des gesamten Schriftverkehrs und der Protokolle; danach Ermittlung der nicht schriftlich dokumentierten Projektfakten (wie persönliche Einschätzungen des Projektverlaufs) durch Interviews mit den eigenen Mitarbeitern.

  2. Wahl einer dem juristischen Risiko der Gegenseite entsprechenden Form der Eskalation, um die andere Partei zu einer zielführenden Reaktion zu bewegen (beispielsweise Brief an die Geschäftsleitung des Dienstleisters, durch den Anwalt verfasst); der Gegenseite klarmachen, dass Vergleichsgespräche das geringere Übel sind, eine klare Win-Win-Situation aufzeigen.

  3. Gemeinsame Ausarbeitung eines Maßnahmenplans mit Milestones und Erfolgskriterien; alle Maßnahmen und Ergebnisse festhalten, die notwendig sind, damit das Projekt erfolgreich beendet werden kann.

  4. Aktualisierung des Projektplans und Anpassung der Verträge an die gemeinsam beschlossenen Änderungen; schriftliche Dokumentation von Vereinbartem hilft dem Erinnerungsvermögen auf die Sprünge und vermeidet künftige Konflikte.

  5. Überwachung des Projektfortschritts und der getroffenen Vereinbarungen sowie rechtzeitige Eskalation von Planabweichungen und neuen Konflikten; das ist ein wesentlicher Punkt innerhalb des gesamten Sanierungsverlaufes, nur wenn neue Probleme schnell erkannt und umgehend konstruktiv gelöst werden, ist der Projekterfolg gesichert.

Zudem haben die Parteien das gegenseitige Vertrauen wiedergefunden. Derselbe Dienstleister wurde sogar mit Folgeprojekten beauftragt.

Fazit

Projektschieflagen müssen nicht vor Gericht enden. Durch gezielte rechtliche Risikoanalyse, zielführende Eskalation und konsequentes Legal Management während der Umsetzung lassen sich Projekte wieder flottmachen und erfolgreich beenden. (qua)