Wenn Itil-Prozesse wuchern

31.07.2007 von Thomas Gießen
Wird das Rahmenwerk zu starr umgesetzt, bleiben Effektivität und Effizienz der IT schnell auf der Strecke.

Wenn Prozessorientierung die traditionelle funktionelle Unternehmensstruktur ersetzen soll, ist ein Leading-Practice-Prozessmodell sehr hilfreich. Insofern ist die Bilanz von Itil zunächst einmal positiv. Die Prozessqualität wurde verbessert, weil Unternehmen kontrollieren, ob sie Maßnahmen richtig umsetzen und wie sie sie optimieren können. Und nicht zuletzt hat der Quasi-Standard wichtige Fortschritte gebracht: von der besseren Verständigung dank eindeutiger Begriffsdefinitionen über die Kompatibilität von Tools bis zur Zertifizierung von Mitarbeitern.

Hier lesen Sie ...

  • Warum die buchstabengetreue Einführung von Itil Effizienz und Effektivität der IT schmälern kann;

  • wie Itil-Prozesse und etablierte Organisationsstrukturen zusammenwachsen können;

  • unter welchen Voraussetzungen Itil die Geschäftsbereiche optimal unterstützen kann.

Die Effizienz ist aus dem Blickfeld geraten: Die Zahl der Drucker pro Anwender ist gesunken, obwohl die wirtschaftlich sinnvolle Relation eher höher liegt (etwa bei zehn bis zwölf Anwendern pro Drucker).

Doch bergen gerade die Stärken von Itil auch Risiken. Das ist dann der Fall, wenn die IT-Verantwortlichen den Fokus - das zu unterstützende Business - aus den Augen verlieren und das Modell zu dogmatisch eins zu eins umsetzen. Dann kann das Ziel einer hohen Pro-zessqualität zum Problem werden - und Effektivität wie Effizienz der IT bleiben auf der Strecke.

Geschäftliche Ziele aus dem Auge verloren

Itil konzentriert sich klar auf Service-Delivery und Service-Support. Als Folge sind in den letzten Jahren immer mehr Ressourcen in diesen Bereich geflossen: Allein rund acht Prozent der jährlichen Budgets des IT-Betriebs werden für die Service-Management-Prozesse aufgewandt.

Dadurch hat beispielsweise das Service-Level-Management einen hohen Stand erreicht: End-to-End-Verfügbarkeit von Komponenten und Netzen, Wartungsfenster, Servicezeiten, Eskalationsstufen, Reaktionszeiten usw. sind in der Regel genau quantifiziert und durch Vereinbarungen abgesichert.

Muss nun die IT stets ein starres Regelwerk einhalten, kann diese Flexibilität verloren gehen. Die buchstabengetreue Umsetzung der Itil-Anforderungen zur Überwachung der Service-Management-Prozesse erzeugt einen hohen Verwaltungsaufwand. Die Folge: Der Übergang einer Anwendung von der Entwicklung in den Betrieb entspricht zwar höchsten Anforderungen - es dauert jedoch viel zu lange, bis die dringend benötigte Aktualisierung dann auch im Applikationsbetrieb selbst wirksam werden kann. Damit konterkariert die IT letztendlich das geschäftliche Ziel, statt es zu unterstützen.

IT-Effizienz vernachlässigt

Dieses Problem hat eine Ursache unter anderem darin, dass das Change-Management in Itil nicht immer optimal umgesetzt wird. Insbesondere wird nicht genügend berücksichtigt, dass die vorgesehenen Regeln zur Qualitätssicherung zwar für Major Releases sehr sinnvoll sind. Mehr als 80 Prozent der Änderungen im IT-Betrieb sind jedoch Standardanpassungen (Minor-Changes) – etwa das Einspielen von Hot Fixes und neuen Viren-Pattern - die durch automatisierte Verfahren abgewickelt werden können und für deren Inbetriebnahme Standardprozesse und Verfahren bereitstehen. In manchen Itil-Implementierungen werden jedoch auch sie dem Change-Management übertragen. Dann wird jedes Mal das komplexe Genehmigungsverfahren durchlaufen.

Die hohen Itil-Anforderungen an die Prozessqualität haben dazu geführt, dass heute sowohl im User Helpdesk als auch in der Analyse und Behebung von Fehlern (Incident- und Problem-Management) mehr Mitarbeiter tätig sind. Trotzdem blieb die Zahl der unterstützten Anrufer nahezu konstant bei monatlich rund 0,9 Kontakten pro Anwender. Damit ist die Produktivität gesunken.

Die Unterbewertung der Prozesseffizienz zeigt sich auch in der Vernachlässigung des IT-Betriebs insgesamt. Die Frage, wie eine komplexe Infrastruktur organisiert wird, damit sie die geschäftlichen Ziele kostengünstig und optimal unterstützt, tritt zurück gegenüber einem Teilaspekt, der Qualität der Serviceprozesse.

Als Folge bindet die Beschäftigung mit den Itil-Vorgaben so viele Ressourcen, dass die Produktivität darunter leidet. Beispielsweise wurde in den letzten fünf Jahren die Zahl der Mitarbeiter in den User-Helpdesks von durchschnittlich 1,51 auf 1,97 pro 1000 Anwendern erhöht, um die gestiegenen Itil-Anforderungen an den Support-Prozess zu erfüllen. Zusätzlich wurden auch die Analysekapazitäten im Incident- und Problem-Management ausgebaut. Trotz dieses deutlichen Mehraufwands für die Prozessqualität blieb die Zahl der unterstützten Anrufer mit rund 0,9 Kontakten pro Anwender monatlich nahezu konstant. Unterm Strich ist die Produktivität gesunken.

Organisationskonflikte durch Itil

Itil definiert das Change-Management als zentrale Funktion. Im Unternehmensalltag nehmen die Fachabteilungen die Rolle wahr.

Weitere Probleme treten dann auf, wenn die neu eingeführten Itil-Prozesse und -Gremien in Konflikt mit den gewachsenen Organisationsstrukturen geraten. So ist nach Itil das Capacity-Management zentral angesiedelt, um die Ressourcen optimal einzusetzen. Beispielsweise soll es vor einer geplanten Neuentwicklung einer Anwendung prüfen, ob an anderer Stelle im Unternehmen noch Hardwarekapazitäten frei sind oder ein geplanter Server etwas größer ausgelegt werden kann, damit die neue Applikation dort mitlaufen kann. Dieser sinnvolle Ansatz widerspricht jedoch einer nach wie vor starken Abteilungsorientierung bei der Kapazitätsplanung. Oft werden deshalb Strukturen doppelt implementiert.

Ein weiteres Beispiel ist das Change-Management-Board, das nach Itil jede Änderung plant, genehmigt und schrittweise umsetzt. Ihm ist eigentlich eine strategische Rolle zugedacht, etwa indem es prüft, ob eine neue Anwendung zur Gesamtarchitektur passt und ob es funktionale Redundanzen gibt. Diese Aufgabe übernehmen in Deutschland jedoch oft (fachliche) Programm-Manager auf Abteilungsebene. Das Ergebnis: Das Change-Management wird erst sehr spät eingeweiht und ist vorwiegend auf operationale Entscheidungen beschränkt. Damit hat es eine hohe Last zu tragen, ohne jedoch die IT voranzubringen.

Die sinnvolle Itil-Nutzung