Wenn IT-Experten freiberuflich arbeiten

29.10.2002 von Alexandra Mesmer
Wenn viele IT-Profis um wenige ausgeschriebene Stellen buhlen, kann die Selbständigkeit eine Alternative zur Arbeitslosigkeit sein. Der Schritt sollte wohlüberlegt sein, da auch der Markt für IT-Freiberufler von der wirtschaftlichen Flaute erfasst wurde.

Konrad Zipperlen ist Leiter der Existenzgründungsberatung der IHK München. Hier landen alle Ratsuchenden, die die Frage umtreibt: Wie mache ich mich selbständig? „Wir leisten die Einstiegsberatung kostenlos“, sagt der IHK-Berater. Die Selbständigkeit ist eine Alternative zum Angestelltendasein, vor allem aber zur Arbeitslosigkeit - auch wenn Zipperlen momentan niemandem raten würde, einfach loszulegen. „Der Markt ist auch für Selbständige schwieriger geworden.“

Die Auftragslage hat sich verschlechtert, da es weniger Projekte gibt, die Kunden Vorhaben auf die lange Bank schieben oder ihre Projekte mit eigenen Mitarbeitern umsetzen. Zu der Einschätzung kommen fast 50 Prozent der 7000 Freiberufler und kleinen Firmen, die bei der Hamburger Projektwerk GmbH registriert sind. „Ob die Freelancer für größere oder kleinere Kunden tätig sind, spielt dabei keine Rolle“, sagt Geschäftsführerin Uta Blankenfeld.

Projektanfragen auf dem Tiefstand

Stefan Symanek vom IT-Projekt-Portal Gulp, in dem mehr als 37000 IT-Selbständige registriert sind, bestätigt das: „Mittlerweile melden sich etwa zehn Prozent unserer Freiberufler als verfügbar, das heißt sie suchen noch Aufträge. Dieser Wert war in den vergangenen Jahren nur halb so hoch.“ Im September fielen die Projektanfragen (1519) auf den tiefsten Stand im Jahr 2002, so dass die Zahl der angebotenen Projekte in den ersten drei Quartalen um 42 Prozent unter dem entsprechenden Wert von 2001 lag. Allerdings sind die Rückgänge von Monat zu Monat nicht mehr so dramatisch, wie das 2001 der Fall war.

Schlecht ist das Angebot vor allem für Systemadministratoren im Microsoft-Umfeld sowie für Freiberufler, die für Banken arbeiten: „Einst kam jedes vierte Projektangebot von den Kreditinstituten, nun sind es nur noch zwischen 15 und 17 Prozent. Die Banken haben diese Situation ausgenutzt, um die Honorare teilweise um bis zu 30 Prozent zu kürzen“, berichtet Symanek. Stabiler gestaltet sich dagegen die Nachfrage nach Entwicklern mit den Spezialgebieten Java, C++ und Datenbanken in den Branchen Automotive und Chemie. Je höher die Spezialisierung, umso besser sind zurzeit auch die Chancen für IT-Freiberufler, ob sie nun im Bereich Enterprise Resource Planning (ERP) oder Supply Chain Management tätig sind.

Die Mehrheit der etwa 45000 IT-Selbständigen in Deutschland bewegt sich aber nicht im hochspezialisierten Umfeld. Eine Großzahl von Konkurrenten kämpft um relativ wenige Aufträge. „Wir registrieren im Vergleich zum Vorjahr mehr Anfragen von Arbeitslosen, die sich selbständig machen wollen. Mitte des Jahres war im Bezirk Oberbayern und München sogar das Überbrückungsgeld ausgegangen“, staunt Gründungsberater Zipperlen. Auch wenn die Regierung dieses Geld nachgeschossen hat, gerieten doch einige Arbeitsämter im Lauf des Jahres bei der Mittelvergabe für Existenzgründer in Schwierigkeiten.

Kai Schulz hat das während seiner Existenzplanung erlebt. Der 29-jährige DV-Kaufmann verlor im November 2001 seine gut dotierte Stelle als Strategic Sales Manager bei einem amerikanischen Softwareanbieter, der sich nach dem 11. September aus Deutschland zurückzog. Unterbrochen von einem Intermezzo bei einem Systemhaus ist der Vertriebsexperte, der mit elf Jahren zu programmieren begann und bei Compunet ausgebildet wurde, seit August erneut arbeitslos.

Schulz begab sich auf Jobsuche, dachte aber auch darüber nach, sich als Sales Management Consultant selbständig zu machen. Seine einschlägige Branchenerfahrung will er an kleinere und mittlere Unternehmen weitergeben, denen im Vertriebsbereich Kapazitäten fehlen. Auch ausländische Firmen, die auf dem deutschen Markt erst Fuß fassen müssen, können seine Dienste und Kontakte als IT-Vertriebsexperte gebrauchen, glaubt Schulz.

Nach dem Gespräch mit dem Berufsberater des Arbeitsamtes Holzkirchen bei München im August war er allerdings sauer. Der Beamte hatte ihm von der Existenzgründung mit dem Hinweis abgeraten, dass das nötige Überbrückungsgeld (eine Förderhilfe in Höhe von insgesamt 68,5 Prozent des durchschnittlichen Jahreslohns der vergangenen drei Berufsjahre) ohnehin nicht bewilligt würde. Dabei hatte Antragsteller Schulz berechtigten Anspruch auf eine sechsmonatige Unterstützung für Existenzgründer.

IHK-Experte Zipperlen bestätigt, dass einige Arbeitsämter im Sommer Antragsteller ablehnten, die unter normalen Bedingungen gefördert worden wären. Allerdings wirbt er um Verständnis: „Das Überbrückungsgeld bemisst sich nach dem letzten Einkommen des Antragstellers. In der IT-Branche gab es hohe Gehälter. Entsprechend wurden ungewöhnlich große Summen an Überbrückungsgeld fällig.“ Da jedes einzelne Arbeitsamt Haushaltshoheit hat, gab es von Ämtern, die plötzlich mit leerem Geldsäckel dastanden, keine Förderung für Unternehmensgründer mehr. Mit einem Ansturm arbeitsloser IT-Fachleute auf die Beratungsleistung und die Fördermittel der Arbeitsämter hatte offenbar niemand gerechnet.

Auch Schulz übt inzwischen Nachsicht mit den Arbeitsvermittlern. Er vermutet, dass gerade im Umfeld von München, der einstigen Hochburg für IT-Jobs, die Arbeitsvermittler schlicht keine Übung im Umgang mit arbeitslosen oder gründungswilligen IT-Profis haben. Heute interpretiert Schulz die enttäuschende Absage im Beratungsgespräch vom August als Aufforderung, es später noch einmal zu versuchen. Nach der Absage suchte Schulz wieder verstärkt nach einer Festanstellung, tüftelte aber gleichzeitig an seinem Firmenkonzept. An dem Business-Plan sollte die Selbständigkeit jedenfalls nicht scheitern: „Meinen Steuerberater, den ich als externen Fachmann meine Pläne bewerten ließ, habe ich nach zehn Minuten überzeugt“, erzählt Schulz nicht ohne Stolz.

Kundenansprache lernen

Vor wenigen Wochen nahm der Vertriebsprofi die Gespräche mit dem Arbeitsamt erneut auf. Er bekam ein bezuschusstes Vertriebs-Coaching bewilligt - bisher eine Spezialität der bayerischen Industrie- und Handelskammern, die es Existenzgründern erlaubt, bei einem Trainer ihrer Wahl Kundenansprache zu lernen. Die zuständige IHK fördert das Training mit bis zu 80 Prozent des Schulungshonorars pro Tag oder höchstens 614 Euro. „Mittlerweile ist auch die Bewilligung des Überbrückungsgeldes zu 99 Prozent sicher“, frohlockt Schulz, der bei dem Gedanken an seine neue Herausforderung nun endlich wieder ein „richtig gutes Gefühl“ hat. Ein Optimismus, den erfahrene IT-Freiberufler leider nicht uneingeschränkt teilen können.

„Das Klima hat sich verändert“, beschreibt Oliver Stiller aus München, der seit 15 Jahren als selbständiger Softwareentwickler arbeitet. „Die Aufträge kommen eher über bestehende Kontakte als über öffentliche Projektbörsen zustande. Freiberufler, die erst seit wenigen Jahren im Markt tätig sind, erfahren zum ersten Mal, dass die Kunden nicht mehr um sie werben, sondern sie selbst Aufträge an Land ziehen müssen. Es ist mitunter langwierig, immer wieder nachzuhaken, weil die potenziellen Kunden nicht zurückrufen oder auf E-Mails nicht reagieren.“

Polster für schlechte Zeiten

Vielen Freiberuflern fehlt zudem die Möglichkeit, sich früh genug um neue Aufträge zu kümmern, da sie zu 100 Prozent im Büro des Kunden arbeiten. „Dabei sollte man es vermeiden, erst nach Ende eines Projekts einen neuen Kunden zu suchen“, rät Stiller. Ansonsten kann es schon passieren, dass man vier Monate kein Projekt hat. „Das ist beunruhigend. So überlegen sich viele, ins Angestelltenverhältnis zurückzukehren“, schildert Stiller die Erfahrungen von Kollegen. Um schlechtere Zeiten überbrücken zu können und auch die nötige Zeit für Weiterbildung zu haben, sollte der jährliche Umsatz eines Freiberuflers doppelt so hoch sein wie das Bruttojahresgehalt eines vergleichbar qualifizierten Festangestellten. „Mit einem Stundensatz ab etwa 60 Euro sind solche Risiken abgedeckt, wer sich für 30 oder 40 Euro verdingt, kann nicht langfristig über die Runden kommen“, lautet Stillers Faustregel.

Abhängig von der Vertragsgestaltung und den tatsächlichen Umständen bei der Projektumsetzung haften IT-Freiberufler für die Einhaltung von Plankosten, Terminen und Qualitätskriterien bezüglich ihrer Arbeiten, obwohl allgemein anerkannt ist, dass Softwareprojekte hohen Planungsunsicherheiten unterliegen. Gegebenenfalls müssen solche Risiken in eine seriöse Preisgestaltung einfließen. „Manche naiven Freiberufler sind im Kopf Angestellte geblieben und setzen sich nicht mit unternehmerischen Risiken und deren Konsequenzen auseinander. Oft ist es auch erforderlich, ungünstige Konditionen zu akzeptieren, da ein wirtschaftlich starker Einkäufer einem schwachen Verkäufer gegenübersteht“, sagt Softwareentwickler Stiller.

„Derzeit ist erkennbar, dass sich der Markt im nächsten Jahr wieder beleben wird“, so Hans Jörg von Schönfeldt, Vorstand der Pass Partner Consulting, die Freiberufler in so genannte Festpreisprojekte einbindet. Da in diesen Projekten die zu erbringende Leistung, das Budget sowie der Abgabetermin von Anfang an festgeschrieben sind, sieht von Schönfeldt hier ein größeres Potenzial, zumal die Firmen eine stabile Kalkulationsgröße haben. Freiberufler hätten hier den Vorteil, dass sich die Aufträge meist über mehrere Monate, mitunter gar Jahre erstreckten. Allerdings ist das Anforderungsprofil hoch: „Allround-Entwickler sind nicht mehr so gefragt. Auch Softwarespezialisten brauchen gute soziale und kommunikative Kompetenzen sowie ein sehr gutes Wissen über die Geschäftsprozesse in der betreffenden Branche.“

Checkliste

1. Erkennt das Finanzamt Ihre Tätigkeit als freiberuflich an. Das schafft Vorteile bei der Mehrwertsteuer. Außerdem: Sie dürfen mit der „Einnahmeüberschussrechnung“ ein vereinfachtes Verfahren der Buchführung nutzen und sind von der Gewerbesteuerpflicht entbunden. Auskunft gibt das IFB - Institut für freie Berufe, Nürnberg. Alternative: Melden Sie ein Gewerbe an. Wenn Sie für nur einen Kunden arbeiten, besteht die Gefahr der Scheinselbständigkeit. Klären Sie das mit der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg. 2. Stellen Sie ein Unternehmenskonzept auf. Schätzen Sie den Markt ein. Was macht die Konkurrenz? Existiert ein Netzwerk aus einer früheren Tätigkeit? Halten und akquirieren Sie Kontakte zu potenziellen Kunden und Auftraggebern. 3. Machen Sie eine Rentabilitätsvorschau. Wie viel Geld brauchen Sie für den Lebensunterhalt? Wie hoch sind Ihre Kosten? Wie hoch müssen die Einnahmen sein, damit Sie kostendeckend wirtschaften können? Planen Sie auf ein bis zwei Jahre. 4. Welche finanziellen Hilfen kommen für Ihre Pläne in Frage? a) Das sechsmonatige Überbrückungsgeld vom Arbeitsamt berechnet sich auf der gleichen Grundlage wie das Arbeitslosengeld und beträgt höchstens 67 Prozent des durchschnittlichen Monatsgehalts der letzten drei Jahre. Zusätzlich gibt es Zuschüsse zur Sozial-, Renten- und Krankenversicherung. Die Höchstgrenze liegt bei 652,94 Euro pro Woche. Voraussetzung: Anspruch auf Arbeitslosengeld oder -hilfe. Achtung: Mit der Bewilligung des Überbrückungsgeldes stellt das Arbeitsamt etwaige Zahlungen des Arbeitslosengeldes ein. b) Staatliche Kredite für Investitionskosten wie PC oder Büroausstattung. Nicht alle Finanzierungsprogramme fördern Betriebsmittel wie Personalkosten oder Miete. Förderdarlehen der Deutschen Ausgleichsbank (DtA) beispielsweise beziehen Betriebsmittel mit ein.