Audit der IT-Landschaft liefert Hinweise für bessere Abläufe

Wenn das ERP-Korsett drückt

21.04.2008 von Werner Schmid
Obwohl Unternehmen ein ERP-System betreiben, greifen Anwender oft auf Zusatzwerkzeuge zurück. Mitunter sind dann Mehrarbeit und Informationsverluste die Folge. Ein Audit kann helfen, Defizite zu erkennen.

Es gibt viele Gründe, das PPS- oder ERP-System von Zeit zu Zeit auf den Prüfstand zu stellen und zu fragen, ob es die aktuellen Anforderungen noch erfüllt. Ein deutliches Indiz für die Notwendigkeit eines ERP-Audits sind die vielen zusätzlichen Programme und Systeme, die das ERP-System teilweise ersetzen oder ergänzen. Sehr beliebt bei Anwendern sind Excel-Tabellen. Dahinter verbergen sich meist hohe Verlustleistungen durch Mehr- und Doppelarbeit, verbunden mit Informationsverlusten und fehlerhaften Daten. Manchmal führen diese parallel genutzten Systeme auch zu fatalen Situationen: Niemand weiß mehr, welches die Wahrheit enthält.

In solchen Fällen kann ein ERP-Audit helfen. Dabei wird die IT-Landschaft des Unternehmens auf Wirtschaftlichkeit geprüft und ermittelt, ob sie die Anforderungen noch erfüllt. Die Ist-Prozesse werden den ursprünglichen Erwartungen gegenübergestellt. Unabhängig von Branche und Größe der Unternehmen stellt man sehr häufig denselben "Stand der Praxis" fest: Immer mehr Geschäftsprozesse und die damit gekoppelten IT-Anwendungen laufen an den Kern-IT-Systemen vorbei, ganz gleich, ob es sich um Warenwirtschafts-, ERP- oder PPS-Systeme handelt.

Eine ganz natürliche Ursache dafür ist, dass sich die Unternehmen viel häufiger und viel stärker verändern als die ERP-Systeme. Das liegt zum einen an der Veränderung des Marktes (Stichwort "Globalisierung"), zum anderen an den Interessen der Unternehmen selbst. Vor etwa zehn Jahren war es eben wichtig, ein PPS- oder ERP-System zu haben, heute stehen die Marktpräsenz und die Kundenbindung im Vordergrund. Viele ERP-Hersteller haben auf die Einflüsse nicht schnell und gründlich genug reagiert. Die Folgen sind "Wildwuchs" bei den Anwendern, Zusatzbausteine ("Add-ons") sowie über Schnittstellen verbundene Drittsysteme.

Anzeichen für Handlungsbedarf

Während eines ERP-Audits lässt sich herausfinden, ob die Geschäftsprozesse des Unternehmens noch effizient abgewickelt werden. Zudem zeigt die Analyse die Potenziale auf, die zu erschließen sich lohnt, und den Handlungsbedarf in der IT-Landschaft, abgestuft nach Dringlichkeit und Höhe des Potenzials. Dazu ein paar typische Beispiele:

Im Service

Die Unterstützung und Steuerung des Kundenservice, angefangen bei der Reklamationserfassung über die Ersatzteillieferung, Planung und Abrechnung des Kundendiensteinsatzes bis hin zur Pflege einer Geräteakte ist eine absolute Notwendigkeit für jedes Industrieunternehmen. Dafür setzen die meisten Anwender mehrere isolierte und spezialisierte Systeme ein. Die Kopplung dieser Systeme an ein ERP-System, das sowohl die Kunden- als auch die Produktdaten enthält, erfolgt über mehr oder weniger aufwändige Schnittstellen, Zeit- und Informationsverluste eingeschlossen. In vielen Unternehmen sind die Serviceanwendungen technisch völlig isoliert. Damit geht ein riesiges Potenzial für die Pflege der Kundenbeziehung durch die Vertriebsmitarbeiter verloren. Ein Potenzial, das man durch ein integriertes System erschließen wollte.

Beim Export

Deutschland ist immer noch Exportweltmeister. Und das, obwohl die Exportabwicklung, von der Pflege der Zolltarifnummern im Artikelstamm über die Präferenzkalkulation bis zur Zollanmeldung über Atlas (Automatisiertes Tarif- und Lokales Zoll-Abwicklungs-System), in den meisten ERP-Systemen fehlt. Dafür setzen die Unternehmen isolierte, eigenständige Lösungen ein oder beauftragen externe Dienstleister. Die Kopplung an ein ERP-System bedeutet - sofern das überhaupt gemacht wird- erhebliche Mehrarbeit.

Webshop-Anbindung

Unzufriedenheit mit ERP-Software ist nur zum Teil durch das System selbst bedingt. Viel häufiger sind Um- oder parallele Wege durch mangelndes Wissen über die Zusammenhänge, Nachlässigkeiten bei der Nutzung und die häufig emotionalen Vorstellungen über den Ablauf eines Geschäftsprozesses verursacht.

Viele Unternehmen wünschen sich ein Shop-System, um Kunden auch via Internet Artikel sowie Informationen über die eigenen Produkte anbieten zu können. Manchen Firmen genügt schon ein Download für technische Unterlagen oder von Geschäftsberichten. Vermehrt errichten Unternehmen Web-Geschäfte für Fan-Artikel wie T-Shirts oder Modelle ihrer Produkte. Die Anbindung eines E-Commerce-Systems an die Dokumentenverwaltung (dort stehen die Verweise auf die aktuellen Informationen), an ein Zentrallager und an die aktuellen Preislisten mit Preisfindungslogik ist schwierig. Vor allem dann, wenn es sich um ein isoliertes Shop-Programm handelt. Wenn die Datenstrukturen von Webshop und ERP-System nicht übereinstimmen, entstehen durch manuelle Arbeit hohe Kosten. Anbieter von Shop-Software versuchen, das Problem mit Standardschnittstellen zu entschärfen.

Wunsch und Wirklichkeit

Der Löwenanteil an den durch lückenhafte IT-Unterstützung verursachten Kosten entfällt auf selbst gestrickte Spreadsheet- und Datenbankanwendungen. Ein ERP-Audit kann verdeutlichen, warum Fachabteilungen isolierte Applikationen verwenden. Oft lautet die Begründung, das ERP-System sei nicht in der Lage, die Aufgaben mit vertretbarem Aufwand abzuarbeiten, wohl aber die individuelle Lösung. Mit dieser Aussage kommen die Anwender bei ihrem Management durch. Andere Nutzer fragen nicht lange, sondern entwickeln ihre Privatlösung im Stillen.

Symptome wie diese lassen sich in fast jedem Unternehmen finden. Mit Hilfe einer Checkliste für jeden Anwendungsbereich können Firmen Defizite selbst erkennen:

Fragen zum Rechnungswesen

Fragen zum Vertrieb

Ein Unternehmen hat rund 60 bis 80 verschiedene Funktionen (Aufgaben), die mit Software gesteuert beziehungsweise unterstützt werden. Genauso lange ist die Checkliste des ERP-Audits, nach Anwendungsbereichen strukturiert und bis auf Datenebene detailliert. Die Fragen sind ganz einfach: woher (und auf welchem Medium) kommen die Daten, wohin und wie fließt der Output nach der Verarbeitung?

Typische ERP-Situationen

Am Ende einer systematischen Begehung der IT-Landschaft im ERP-Audit zeichnet sich ein klares Bild ab: Die aktuellen Anforderungen an die IT-Unterstützung sind höher und größer als die genutzten Funktionen des installierten ERP-Systems. Nach der Bewertung muss die Firma überlegen, was zu tun ist. Sprechen die Ergebnisse für eine Migration oder eine Neuorientierung? Hier ein paar typische Situationen, mit denen sich Betriebe befassen müssen:

Neue Ausgangssituation

Liefert das Audit solche Ergebnisse, befindet sich das Unternehmen in einer neuen Ausgangssituation. Macht man die Potenziale einer Veränderung sichtbar und berechnet sie, wie das die Betriebswirte unter den Managern gerne tun, zeigt sich eine andere, durchaus attraktive Alternative. Wie teuer wäre es, die Geschäftsprozesse mit Bordmitteln zu verbessern, also ohne Systemwechsel?

Im ERP-Audit wurde genau festgehalten, worauf es bei der Steuerung der Geschäftsprozesse ankommt. Natürlich gibt es keine Veränderung ohne Investition. Das Ziel dieser Alternative ist, in das intellektuelle Kapital des eigenen Unternehmens zu investieren. Der Großteil fließt in die Mitarbeiter, der andere Teil in Aktualisierung der Software.

Die neuralgischen Punkte einer ERP-Anwendung sind in vielen Unternehmen ganz ähnlich. Sie sind die Auslöser vieler Parallel-Anwendungen, die zwar viel Mehrarbeit verursachen, von den Anwendern aber gerne akzeptiert werden, weil sie das für die bessere Lösung halten. Die Ursachen dafür könnten mit wenig Aufwand und eher geräuschlos behoben werden. Dazu ein paar Beispiele:

Die andere Möglichkeit ist, sich neu zu orientieren und nach einem besser geeigneten ERP-System zu suchen. Doch auch dieses System wird eines Tages wieder zu eng sein und erneut die Frage aufwerfen: Was tun? (fn)


Bei der Suche nach Ihren ERP-System hilft Ihnen der ERP-Matchmaker von Trovarit und der COMPUTERWOCHE.