Ein CIO in der Arktis

Wenn das Backup ein Kompass ist

18.02.2016 von Christiane Pütter
Rund zweieinhalb Monate ist CIO Karsten Häcker allein durch die hohe Arktis gewandert. Sein Backup war ein Kompass und seine Routenplanung basierte auf Angaben der Inuit wie "Die Weglänge zum nächsten Dorf? Bis du da bist." Ein Projekt mit unbekannten Variablen also.
  • Häckers Appell: Reisen mit extremer Belastung eignen sich nicht als Selbstfindungstrip
  • Viele Erfahrungen lassen sich Eins zu Eins auf das Projektmanagement übertragen
  • Solche Reisen schulen in interkultureller Kompetenz und nonverbaler Kommunikation wie Körpersprache
CIO Karsten Häcker bei seinem Streifzug durch die Arktis
Foto: Karsten Häcker

Da! Das ist einer! Zwischen dem gleißend weißen Schnee und den gelbbraun blühenden Moosflechten bewegt sich etwas großes Dunkelbraunes. Vorsichtig hebt Karsten Häcker die Kamera. Irgendwo unter dem weiten blauen Himmel schreit eine Möwe. Häcker achtet nicht darauf, er nimmt das Dunkelbraune ins Visier.

Tatsächlich: ein Moschusochse. Das große Tier mit den mächtigen geschwungenen Hörnern steht ganz still. Häcker äugt durch die Linse, der Ochse äugt zurück. Fast scheint's, das Tier ahnt, welche große Augen Häckers CIO-Kollegen machen werden, wenn er Wochen später seine Bilder zeigt.

Zweieinhalb Monate allein in der hohen Arktis. Zweieinhalb Monate viel Eis, ein überraschend früher Wintereinbruch, eine Menge Moschusochsen, Polarfüchse und Schneehasen - und wenig Menschen. Die technische Ausrüstung bestand im Wesentlichen aus einem Zelt sowie Solarpanels für GPS und Kamera. Das Backup waren ein Kompass und Karten auf Papier. "Was nicht einfach ist in der Arktis", seufzt der 46-Jährige, "der zeigt dort nämlich nicht nach Norden. Die Nadel rotiert." Kompasslesen war also wichtiger Bestandteil der Vorbereitung. Immerhin liefert das Gerät immer Daten in Realtime.

Häcker war im Sommer 2013, als er diese Reise antrat, CIO beim Potsdamer Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS), das er mit aufgebaut hat. Dieses Institut beschäftigt sich mit Klimawandel, Erdsystem und Nachhaltigkeit. Der Trip Richtung ewiges Eis war für ihn nicht nur lang gehegter Traum, sondern auch ein inhaltliches Anliegen.

"Ich habe die Gletscher dort gesehen und fotografiert", sagt Häcker, "wenn ich in Vorträgen über das Schmelzen der Gletscher berichte, ist das oft glaubwürdiger, als wenn es ein professioneller Umweltschützer tut." Eben das ist auch seine Erwiderung auf die Polemik, warum der CIO eines Umweltinstituts denn Langstrecke fliege.

Der CIO hat aber noch weitere Missionen. Die erste: "Eine solche Reise eignet sich nicht als Selbsterfahrungstrip." Wer in einer Krise stecke, solle auf keinen Fall in die Arktis, den Dschungel oder die Wüste fahren, warnt Häcker. "Die äußeren Bedingungen auf solchen Reisen sind schon extrem. Und man muss sich klar machen, dass einem in der Einsamkeit vieles hochkommt, auch verdrängte Erinnerungen." Wer nicht mit sich im Reinen sei, für den könne das richtig gefährlich werden.

Die zweite Mission prägt Häckers heutige Berufstätigkeit. Beim IASS ist er nicht mehr, jetzt arbeitet er beim Forschungsverband Berlin und bietet zum Beispiel Weiterbildungen in Sachen Projektmanagement an. "Viele der Erfahrungen aus der Arktis lassen sich Eins zu Eins übertragen", sagt er. Das beginnt bei der guten Vorbereitung, also dem Beschaffen von Daten und Informationen über Reisezeit sowie -route. Und stößt wie bei jedem anderen Projekt auch schnell an seine Grenzen.

Man lernt, zu vertrauen

So setzte während Häckers Trip der Winter in der Arktis einen Monat zu früh ein. Eben noch hatte das Moos geblüht, plötzlich fiel die Temperatur auf bis zu 25 Grad minus. "Ich wachte morgens auf und war eingeschneit", erinnert er sich. Allein hockte er im Zelt, die nächste Siedlung war meilenweit weg. Was macht man dann? "Cool bleiben", sagt Häcker. Und das abstrakte Schlagwort vom Change Management wörtlich nehmen.

Stichwort wörtlich nehmen: Daten über geografische Lage und Entfernungen sind in der Arktis nicht einfach auf einen Klick zu bekommen. Zwar sprechen die heimischen Inuit Englisch. Hervorragende Ortskenntnisse haben sie auch. Aber andere Metriken. Auf Häckers Frage, wie lang er denn circa bis dort und dort brauche, antworteten sie: "Bis du da bist!"

Qualitäten wie Gelassenheit und Vertrauen sind es, die man von solchen Reisen mitbringt. Das präge auch seinen Führungsstil, sagt Häcker. Die Mitarbeiter machen lassen, nicht immer alles kontrollieren, bei Veränderungen schnell umplanen. Nicht von Meilenstein zu Meilenstein hetzen, sondern beobachten, offen sein, flexibel sein.

Der Trip in die Arktis war nicht das erste Projekt dieser Art für den CIO. So ist er früher schon mit dem Rad durch die Mongolei gefahren. Von der Kommunikation her war das eine größere Herausforderung als der Norden, sagt Häcker. Denn anders als die Inuit sprachen Mongolen im Landesinneren nicht Englisch. Zwar hatte Häcker, in der DDR aufgewachsen, sein Russisch im Gepäck. Das aber hätten seine Gesprächspartner überhaupt nicht zu schätzen gewusst. In solchen Situationen lernt man Körpersprache und Zeichnen, sagt Häcker. Selbstbewusst wirken und gegebenenfalls auch wehrhaft, aber immer freundlich und niemals aggressiv - diese Haltung hilft auch in Meetings.

Zudem lerne man, wie wenig aussagekräftig das gesprochene Wort sein kann. Häcker weiß, dass ein zustimmendes "sehr gut, sehr gut", egal in welcher Sprache, bei internationalen Projektteams noch lange nicht heißen muss, man habe sich geeinigt.

Ein Abbruch als kluge Entscheidung

Ganz wichtig bei solchen Reisen ist, sich mit der Familie zu einigen, so Häcker weiter. Kein Problem mit seiner Frau, die ihren Mann gut genug kennt. Ebenso wenig mit dem erwachsenen Sohn. Schwierig war das Ganze für die achtjährige Tochter. Die anderen Kinder - und deren Eltern - in der Grundschule glaubten dem Mädchen nicht, dass der Papa zweieinhalb Monate im Eis unterwegs war. Oder ließen sie spüren, ein Familienvater solle so etwas nicht tun.

Häcker aber sind solche Reisen wichtig und sicher wird der Ausflug in die Arktis nicht der letzte gewesen sein. Eine faszinierende Welt, die aber auch ebenso lebensfeindlich sein kann. "Wer mal testen will, ob das was für ihn ist, der kann im rumänischen Hochgebirge üben", grinst Häcker. Dort gebe es sehr unwirtliche Gegenden mit viel Schnee. Wichtigstes Kriterium eines solchen Tests laut Häcker: "Man muss das Ganze problemlos abbrechen können. Und anerkennen, dass das keine Schande ist. Sondern eine kluge Entscheidung."

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