Zulieferer geraten zunehmend unter Druck

Weniger Marktplätze machen mehr Geschäft

01.03.2002
Obwohl die Konsolidierungswelle unter den Betreibern elektronischer Marktplätze weiter rollt, müssen sich die Zulieferer etlicher Branchen verstärkt mit dem Thema befassen: Spätestens wenn wichtige Großkunden mitteilen, ihren Einkauf künftig über eine elektronische Handelsplattform abzuwickeln, besteht Handlungsbedarf.

Seit dem Gründungsboom im Jahr 2000 geht die Marktbereinigung unter elektronischen Marktplätzen unaufhaltsam weiter: Während sie im letzten Jahr vorwiegend technologisch und finanziell unzureichend ausgestattete Startup-Plattformen dahingerafft hatte, schließen mittlerweile auch Marktplätze ihre Pforten, die mit Branchen-Know-how und größerem Startkapital angetreten waren.

Besonders unabhängige Marktplätze sehen sich einem starken Druck ausgesetzt: Einerseits verfügen sie nur über beschränkte Einnahmen, andererseits fordern die Plattformnutzer immer mehr Funktionen wie Logistik- und Finanzdienstleistungen. Ronald Bogaschewsky, Professor für Betriebs- und Informationswirtschaftslehre an der Universität Würzburg und Vorstandsmitglied des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), beobachtet drei Grundmuster, mit denen Betreiber auf das Dilemma reagieren: Aufgabe, Spezialisierung, Zusammenschluss mit anderen Marktplätzen.

"Im Prinzip können offene Marktplätze nur eine Basisstruktur aufbauen, die von allen Nutzern Kompromisse fordert. Deshalb gibt es immer mehr Einkaufsmarktplätze von Großunternehmen, weil diese dort ihre eigenen Vorstellungen verwirklichen können", so Bogaschewsky, der neben seiner akademischen Tätigkeit zusammen mit dem BME auch den "B2B Marktplatzführer - Virtuelle Handelsplattformen für Deutschland" herausgibt. Konzerne haben sich so ein erweitertes Einkaufsinstrumentarium geschaffen und öffnen ihre Plattformen oftmals auch für andere Nachfrager. Das Modell ist im Vergleich zu öffentlichen Marktplätzen relativ risikolos, wenn mit dem Einkaufsvolumen des Gründungsunternehmens eine kritische Masse an Transaktionen sichergestellt ist. Zu dieser Kategorie zählen beispielsweise T-Mart (Deutsche Telekom), Click2procure (Siemens) oder Emaro (Deutsche Bank und SAP).

Auch im Bereich Kunststoffe und chemische Industrie nutzen die großen Konzerne bevorzugt ihre eigenen Plattformen, wodurch vor allem die Zukunft der 40 bis 50 unabhängigen Marktplätze für den Handel mit Rohmaterialien gefährdet scheint. Diese Anbieter kämpfen zusätzlich mit dem Problem, dass in der Branche ein großer Teil der Rohstoffe nach wie vor auf Basis von langfristigen Verträgen geliefert wird. Die Konsolidierungswelle hat mittlerweile auch große Player erfasst: Chemdex strich im Dezember 2000 die Segel, Petrocosm im April letzten Jahres, und die Zukunft von Enron online ist ebenfalls unklar. Hinzu kommen die Übernahme von Chematch durch Chemconnect Anfang dieses Jahres sowie der Zusammenschluss von CC-Markets und Chemplorer zu CC-Chemplorer Ende 2001.

Für Akteure, die auch dieses Jahr überleben, sehen die Umsatzprognosen allerdings recht günstig aus. Allein in der deutschen Chemieindustrie wurden laut Deutsche Bank Research 2001 insgesamt 16 Milliarden Euro über den B-to-B-Handel umgesetzt. Den überwiegenden Teil wickelten jedoch Hersteller direkt mit ihren Kunden ab, lediglich ein Fünftel des gesamten Internet-Geschäfts entfiel auf elektronische Marktplätze. Im Jahr 2005 soll der B-to-B-Gesamtumsatz auf 25 Milliarden Euro steigen, wobei der Marktplatzanteil deutlich zunehmen werde. Für 2010 prognostizieren die Analysten der Deutschen Bank einen Anteil von 60 Prozent. So ist es wenig erstaunlich, dass sich große Chemiekonzerne parallel an mehreren Marktplätzen beteiligen. Bayer sitzt beispielsweise bei CC-Chemplorer, Chematch, Elemica und Omnexus als Investor mit im Boot.

Für viele Zulieferer stellt sich dagegen die Frage nicht, ob die Teilnahme an Marktplätzen lohnt. Spätestens wenn von einem wichtigen Großkunden die Mitteilung kommt, er werde seinen Einkauf in Zukunft ausschließlich über eine elektronische Plattform abwickeln, hat der Lieferant wenig Spielraum, will er den Geschäftspartner nicht verlieren. Diesem Druck sind insbesondere Zulieferer in Branchen ausgesetzt, wo die Verbindungen von Lieferanten und Herstellern traditionell sehr eng sind.

Handel mit strategischen Gütern nimmt zuEine Vorreiterrolle nimmt hier die Automobilbranche ein. Während sich in den meisten Branchen der Online-Handel weitestgehend auf MRO- oder C-Teile beschränkt, die sich in elektronischen Katalogen abbilden lassen, spielt im Fahrzeugbau auch die elektronische Beschaffung von Zeichnungsteilen und Baugruppen über Marktplätze eine zunehmend wichtige Rolle.

Neben den in der Branche ausgeprägten Machtstrukturen, die es den großen Playern erlauben, starken Druck auf ihre Zulieferer auszuüben, wirken sich hier auch die traditionellen Verbindungen zwischen den beteiligten Firmen nachhaltig aus: Viele Unternehmen tauschen auf Grund der hohen Abhängigkeit bereits seit Jahren Daten über EDI-Verbindungen aus, da sich Konzepte wie die Just-in-Time-Fertigung nur über diese enge Integration umsetzen ließen. Zumindest mittelfristig soll die EDI-Kommunikation durch die neuen Plattformen ersetzt werden.

Das Beratungsunternehmen Cell Consulting hat Ende letzten Jahres für eine Studie zur Nutzung von elektronischen Marktplätzen in der Automobilindustrie rund 200 der größten Zulieferer und Hersteller befragt. Dabei gaben 70 Prozent der antwortenden Unternehmen an, bereits Erfahrungen mit elektronischen Marktplätzen gesammelt zu haben.

Eine der dort momentan am meisten genutzten Funktionen ist die elektronische Angebotsabgabe. Ausgewählte Zulieferer erhalten die Information, wo sie die Spezifikationen eines ausgeschriebenen Bedarfs abrufen können, und werden aufgefordert, ein entsprechendes Angebot abzugeben (Request for Quotation). Für die Teilnahme benötigen Zulieferer lediglich Internet-Zugang und Browser. Laut Alexander Nase, Berater bei Cell Consulting, stellt dies heute keine Hürde mehr dar: "Vor zwei Jahren war es durchaus noch problematisch, Zulieferer auf Mitarbeiterebene per E-Mail zu erreichen."

Während die elektronische Angebotsabgabe lediglich einen Wechsel des Kommunikationskanals bedeutet, stellt die Verauktionierung von Bedarfen eine neue Qualität von Geschäftsprozessen dar, die viele Zulieferer überfordert. Große Unsicherheit herrscht vor allem, weil herkömmliche Taktiken nicht mehr anwendbar sind.

Aufgrund der schlechten Erfahrungen, die einige der insgesamt 8000 in der Arbeitsgemeinschaft Zuliefererindustrie organisierten Firmen in der Vergangenheit gemacht haben, hat die Interessenvertretung ein Papier "Fairness für elektronische Marktplätze" veröffentlicht, das Eckpunkte für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit auf elektronischen Plattformen auflistet (www.argez.de). "Die Liste der hier versammelten Punkte können Sie als Erfahrungsbericht unserer Mitglieder ansehen", so Klaus Urbat, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Zuliefererindustrie und Vorsitzender des Deutschen Gießereiverbands. Zu den dort erhobenen Forderungen zählen die Kommunikation klarer Spielregeln, die Einhaltung einer ausreichenden Vorbereitungsfrist und der vereinbarten Auktionsdauer sowie die Verbindlichkeit des Zuschlags. "Es gab einzelne Fälle, wo ein Zulieferer zuerst den Zuschlag erhalten hatte, der Auftrag später jedoch anderweitig vergeben wurde", so Urbat. Einen Graubereich stelle außerdem die Frage dar, welches Recht bei internationalen Versteigerungen gelte. In der Praxis werde allerdings ohnehin nicht versucht, entsprechende Ansprüche einzuklagen, da betroffene Zulieferer den Kunden nicht komplett verlieren wollten.

Große Zulieferer bleiben gelassenGroße Automobilzulieferer wie die Webasto AG oder Eberspächer sehen das Thema Auktionen bislang gelassen. "In die Marktplatzaktivitäten der Hersteller waren wir bislang kaum eingebunden, weil unsere Produkte auf Grund ihrer Komplexität dafür nur bedingt geeignet sind", so Klaus Teubner, Sprecher der Eberspächer GmbH & Co. Auch Wolfgang Scheerer, Leiter E-Business bei Webasto, hält das Thema Auktionen für überbewertet: "Letztendlich geht es um die Nutzung des Internet für die zwischenbetrieblichen Geschäftsprozesse. Auktionen stehen zwar zur Zeit im Fokus des öffentlichen Interesses, spielen aber in der Praxis nur eine untergeordnete Rolle. Prozentual bewegen sie sich im Verhältnis zum gesamten Transaktionsvolumen meist im einstelligen Bereich."

SCM noch ZukunftsmusikBerater Nase warnt dagegen davor, diesen Aspekt zu unterschätzen. "Die Komplexität von Produkten erfordert seitens der Abnehmer eine längere Vorbereitungszeit, um Zulieferer mit ausreichend genauen Spezifikationen für eine Angebotsabgabe zu versorgen. Auktionen, auch von Komponenten und Baugruppen, werden aber zunehmen." Daimler-Chrysler habe beispielsweise bereits die Auftragsvergabe von Pressanlagen für Karosserieteile via Online-Auktionen abgewickelt.

Technisch wesentlich aufwändiger sind die Versuche der Automobilhersteller, die Organisation ihrer Lieferketten über Marktplätze abzubilden, um so eine durchgängige Kapazitätenplanung über mehrere Zuliefererebenen hinweg zu ermöglichen. Dazu müssten allerdings zunächst die Backend-Systeme der Beteiligten miteinander kommunizieren können. BME-Vorstand Bogaschewsky sieht hier aber einige Probleme: "Die Betreiber großer Marktplätze bieten Schnittstellen, welche die Integration ermöglichen sollen. In der Praxis müssen diese jedoch für jedes Unternehmen neu gestrickt werden." Zu unterschiedlich seien die firmenspezifischen Abbildungen der Geschäftsprozesse. Berater Nase gibt außerdem zu bedenken, dass kleinere Unternehmen häufig nicht über ausreichendes IT-Know-how verfügten, um eine Backend-Integration zu stemmen. Außerdem zeige sich, dass auch OEMs und Marktplätze wie Covisint hier noch einen weiten Weg zurückzulegen hätten.

Die Studie von Cell Consulting kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: Das Angebot zu Supply-Chain- und Entwicklungsthemen sowie zu ergänzenden Transport-, Finanz- und Beratungsleistungen ist bisher deutlich eingeschränkt. Trotz der Versprechen der Marktplatzbetreiber zur Integration von Entwicklungs-, Bedarfsplanungs und Bestandsverwaltungsmodulen seien die meisten Applikationen immer noch im Anfangsstadium der Einsetzbarkeit oder wiesen lediglich einen mittleren Reifegrad auf. Von der Unterstützung einer Internet-basierenden Versorgungskette mit Echtzeit-Supply-Chain-Management über multiple Fertigungsstufen sind also auch die Marktplätze der Automobilbranche noch weit entfernt.

Robert Gammel,

rgammel@computerwoche.de

Das Standard-DilemmaFast jeder Lieferant ist Teil mehrerer Lieferketten. Zulieferer, die in die elektronische Organisation dieser Supply Chains eingebunden waren, standen in der Vergangenheit nicht selten vor dem Problem, spezielle EDI-Verbindungen zu den einzelnen Kunden aufzubauen. Das Gleiche droht den Lieferanten nun bei der Teilnahme an elektronischen Marktplätzen, denn auch trotz XML ist keine Lingua franca für den elektronischen Geschäftsverkehr in Sicht. In einzelnen Branchen zeichnet sich zwar der zunehmende Gebrauch von Industriestandards und XML-Dialekten ab, von einer wirklichen Standardisierung kann alllerdings keine Rede sein (siehe CW 6/02, Seite 42: "Zahlreiche B-to-B-Standards konkurrieren").