Mittelständische Softwareanbieter

Wem kann man noch vertrauen?

31.01.2003 von von Andrea
Während die Insolvenzwelle in der deutschen Softwareindustrie an Tempo gewinnt, nehmen immer mehr Anwender die wirtschaftliche Stabilität ihres Systempartners kritisch unter die Lupe. Die Nachfrage nach SAP und Microsoft steigt.

„WIR HABEN die Vorgänge zunächst argwöhnisch verfolgt, als Brain Anfang Juli 2002 Insolvenz anmeldete“, erzählt Christian Hempell, IT-Leiter der Magna Spiegelsysteme GmbH, die zeitgleich mit der Pleite eine Brain-Automotive- Lösung produktiv schalteten. Der im fränkischen Assamstadt ansässige Automobilzulieferer, ein Tochterunternehmen von Magna International Inc., hatte sich für das Brain-Produkt „XPPS“ entschieden. „Trotz Insolvenz hat sich an der guten Beratung und Unterstützung nichts geändert. Wir erwarten, dass Brain in irgendeiner Form weiterexistiert“, gab sich Hempell noch vor kurzem zuversichtlich. Mit der Übernahme durch das US-Softwarehaus Agilisys konnte die drohende Zerschlagung des Breisacher Softwarehauses Anfang Dezember gestoppt werden. Noch ist allerdings offen, ob es wie geplant innerhalb des Magna-Konzerns, der selbst SAP R/3 einsetzt, weitere Verträge mit Brain geben wird.

Auch bei der Bäurer AG, dem zweiten großen Insolvenzfall im Standardsoftware- Bereich im vorigen Jahr, konnte das Schlimmste durch ein Sanierungskonzept im November abgewendet werden. Einer der letzten Kunden, die Bäurer vor der Zahlungsunfähigkeit gewinnen konnte, ist die Borgwaldt-Gruppe.

Gescheiterte Visionen

"Anbieterpleiten erhöhen Kosten der Anwender."

Jean-Christian Jung

Der Hamburger Tabakspezialist migrierte im August 2002 von „Dialog Total“ (BOG) zur Bäurer-Lösung „B2“. „Wir gingen davon aus, dass selbst bei einer Zerschlagung des Unternehmens das Kernprodukt der Firma weitergeführt wird“, erklärt Geschäftsführer Peter Nagel.

Während Bäurers Vision einer „SAP für den Mittelstand“ gescheitert ist, die Berliner PSI AG ihre ERP-Linie „Psipenta“ zum wiederholten Male auf den Prüfstand stellt und die Norderstedter Softmatic AG im Februar dieses Jahres unter die Räder kam, macht sich unter Anwendern Verunsicherung breit. Die zentrale Frage lautet: Kann man mittelständischen Softwareherstellern noch vertrauen?

„Auf den falschen Anbieter zu setzen kann einem Mittelständler Kopf und Kragen kosten“, erklärt Friederike Herkommer, Analystin bei der Münchner HypoVereinsbank. Investitionssicherheit wird gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten von vielen Firmen groß geschrieben. „Geht das Partnerunternehmen pleite, steigen für Anwender zwangsläufig die Kosten“, verdeutlicht Jean- Christian Jung, Seniorberater bei Pierre Audoin Consultant (PAC). Vor allem die teure Weiterentwicklung und Pflege von IT-Systemen, die in der Folge durch eigene Mitarbeiter oder externe Fachkräfte erfolgt, gefährdet den Return on Investment.

Um wirtschaftliche Risiken zu minimieren, liebäugeln immer mehr kleine Firmen mit den großen Namen der Softwarebranche. „Die Zahl der Anfragen von mittelständischen Unternehmen nach SAP- und Microsoft/ Navision-Lösungen steigt deutlich“, beobachtet Rüdiger Spies, Analyst bei der Meta Group. Bedingt durch die schwierige konjunkturelle Lage findet derzeit eine schleichende Umorientierung im Markt statt. „Am stärksten wird SAP von dieser Krise profitieren“, ist Analyst Helmut Bartsch von der BW-Bank überzeugt. Ob die Walldorfer mit „SAP Business One“ nach wiederholten Mittelstandsinitiativen endlich das Produkt haben, das die Anforderungen des Mittelstands abdeckt, bleibt jedoch abzuwarten.

Microsoft drängt nach der Übernahme von Navision und Great Plains ebenfalls in den Markt für Mittelstandssoftware. Für viele kleine Softwarehersteller indes hat der Wettlauf mit der Zeit längst begonnen. Branchenbeobachter räumen allerdings nur wenigen Firmen gute Überlebenschancen ein. Nach Einschätzung von HypoVereinsbank-Analystin Herkommer hat sich vor allem die Münchner SoftM AG im schwierigen Marktumfeld „erstaunlich gut“ gehalten.

An einer Gewinnwarnung für das Gesamtjahr 2002 kam allerdings auch der bayerische ERPAnbieter nicht vorbei. Auch ein Umsatzplus von 38 Prozent auf 53,8 Millionen Euro in den ersten drei Quartalen änderte daran wenig. Die Zuwächse resultieren stark aus Hardwareverkäufen, während das margenstarke Lizenzgeschäft hinter den Erwartungen zurückblieb. SoftM musste sich in der Neun-Monats-Bilanz mit einem Gewinn von 110 000 Euro begnügen.

Lizenzgeschäft läuft mäßig

Konkurrent Infor in Friedrichsthal bekam im gleichen Zeitraum die Investitionszurückhaltung schmerzhafter zu spüren. Die Einnahmen lagen mit 53,8 Millionen Euro lediglich auf Vorjahresniveau. Infor-Chef Joachim Hertel gibt außerdem zu: „Wir sind mit der Rentabilität nicht zufrieden.“ Zusätzlich überraschte der ERP-Anbieter die Investoren bei der Vorlage der Neun-Monats-Zahlen mit hohen Wertberichtigungen. Unterm Strich kletterte der Vorsteuerverlust auf 14,1 Millionen Euro. Um die wirtschaftliche Solidität des Unternehmens zu betonen, verweist CEO Hertel auf die hohe Eigenkapitalquote von 78 Prozent. Analysten jedoch geben sich vorsichtig: Aufgrund hoher Positionen in Goodwill, immaterieller Vermögenswerte und latenter Steuern sei das Eigenkapital möglicherweise immer noch aufgebläht. Da Infor jedoch nahezu schuldenfrei ist, könnte das Unternehmen noch weitere hohe Abschreibungen verkraften.

Anbieter mauern

"SAP und Microsoft stärker gefragt."

Rüdiger Spies

Während börsennotierte Companies ihre Zahlen im Quartalsrhythmus offenlegen müssen, lässt sich das Gros der deutschen Softwarehersteller nur ungern in die Karten blicken. „Generell ist es ein Problem, Firmen zu bewerten, für die es keine am Kapitalmarkt zugängliche Bilanz gibt“, macht BWAnalyst Bartsch deutlich. Noch schwieriger dürfte es für potenzielle Kunden sein, anhand weniger Unternehmenszahlen eine Kaufentscheidung zu treffen.

Davon abgesehen wachsen einige nicht börsennotierte Anbieter auch in Krisenzeiten. Die Proalpha Software AG in Weilerbach brachte es im Geschäftsjahr 2001 (Ende: 31. März) auf ein Plus im Lizenzgeschäft von 34 Prozent. Für den gleichen Zeitraum meldete der einstige Börsenkandidat - im November 2000 geriet das Unternehmen auf dem Weg zur Börse ins Straucheln - 33,2 Millionen Euro Umsatz und ein positives Ergebnis.

Auf Wachstumskurs befindet sich eigenen Angaben zufolge auch die Karlsruher AP Software AG. Auf ihrer Homepage gibt die Company für das abgelaufene Geschäftsjahr (Ende: 31. 08. 2002) ein Umsatzplus von 41 Prozent bekannt - ohne allerdings die Einnahmen zu beziffern. Die genaue Umsatzhöhe (25 Millionen Euro) und die Information, dass in den Zahlen auch Partnererlöse enthalten sind, gibt es nur auf Nachfrage. Bei der ebenfalls in Karlsruhe ansässigen Abas Software AG stagnieren dagegen die Umsätze seit vier Jahren. Im Geschäftsjahr 2001 stammten 28 von 35 Millionen Euro von Softwarepartnern. Genaue Angaben zur Ergebnisentwicklung macht keiner der beiden Anbieter.

Während Infor die Bereiche Automotive, Maschinenbau und Elektrotechnik fokussiert, zielen die Produkte von SoftM stark auf den Lebensmitteleinzelhandel und die Chemiebranche. Trotz der Marktmacht großer Hersteller sehen Branchenbeobachter in diesen Bereichen auch in Zukunft Potenzial für Mittelständler. „SAP fehlt bislang noch der Zugang zur mittelständischen Fertigung“, behauptet Meta-Analyst Spies. Viele Anbieter fühlen sich deshalb von dem neuen SAP-Produkt Business One, das Unternehmen bis 100 Mitarbeiter adressiert, nicht wirklich bedroht.

Was im Mittelstand zählt, sind Kundennähe, Flexibilität und die richtige Produktstrategie. Gefragt sind schlanke Lösungen, die sich schnell implementieren lassen und benutzerfreundlich sind. „Es darf nicht sein, dass bei der Neueinführung eines PPS-Systems der Ablauf der Firma an den Ablauf der Software angepasst werden muss“, erklärt Eugen Kübler, DV-Leiter bei Hummel Formen GmbH. Der Einzelteilfertiger für die Automobilindustrie führt derzeit die PPSLösung von Proalpha ein.

CRM- und E-Business-Funktionalitäten sowie Supply-Chain- Management- und DMS-Komponenten gehören auch bei Proalpha ins Lösungsangebot. Im IT-Alltag ist weniger allerdings oft mehr. „E-Business ist für uns noch keine Notwendigkeit“, verdeutlicht Kübler. Eine Erfahrung, die auch für Infor-Chef Hertel nicht neu ist: „Im Mittelstand hat der Run auf CRM und E-Business noch nicht stattgefunden“. Lediglich 30 EBusiness- Applikationen kann Infor bei 2000 Kunden in Deutschland aufweisen. „Im Vergleich zur Gesamtinstallationszahl ist das nichts“, muss Hertel einräumen.

Doch die überzeugendste Strategie hilft wenig, wenn es den Unternehmen an kritischer Masse fehlt. „Probleme werden vor allem die Firmen bekommen, die weniger als zehn Millionen Euro Umsatz pro Jahr erzielen“, schätzt PAC-Consultant Jung. Wer nicht über genügend Ressourcen verfügt, bleibt bei den immer kürzeren Innovationszyklen auf der Strecke.

Schicksalsjahr 2003

Auch wirtschaftlich angeschlagene Unternehmen werden im Markt vielfach nicht mehr als ernstzunehmende Wettbewerber wahrgenommen. Beispiel Bäurer: „Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass in größerem Umfang Neuaufträge abgeschlossen werden können, setzt das Sanierungskonzept vor allem auf das Bestandskundengeschäft“, ließ das Unternehmen im November verlauten. Laut BW-Bank-Analyst Bartsch hat sich das Unternehmen „schon Mitte 2001 weitgehend aus dem Neukundengeschäft verabschiedet“.

Angesichts des anhaltenden Konzentrationseffekts dürfte für viele kleine und mittlere Softwareschmieden das kommende Jahr ein echtes Schlüsseljahr werden. „Die Unternehmen, die 2003 überleben, werden noch mehrere gute Jahre vor sich haben und am nächsten Aufschwung partizipieren“, prophezeit PAC-Analyst Jung. (uk)

* Andrea Goder ist freie Journalistin in München.