Weiterbildung muss nicht teuer sein

24.06.2005 von Helga Ballauf
Wenig kosten soll die Qualifizierung der Mitarbeiter, aber viel bringen. Manchmal gelingt diese Quadratur des Kreises sogar.

Hier lesen Sie ...

  • wie Unternehmen betriebliche Weiterbildung nützen;

  • wie sich Firmenkultur und Branchenstandards entwickeln lassen;

  • ob die IT-Szene so unkonventionell ist, wie sie tut.

Trainingsanfragen gibt es zu Linux für Anfänger, Polnisch oder Weblogic; angeboten werden Business English, Einführung in JSP oder ein Vertriebstraining: Im Intranet der Münchner Firma Consol Software melden Mitarbeiter an, was sie gerne lernen beziehungsweise anderen beibringen möchten. Wenn sich die Richtigen gefunden haben, handeln sie aus, wann während der Arbeitzeit die Kurse stattfinden.

"Im Großen und Ganzen läuft das auf Eigeninitiative der Mitarbeiter", berichtet Geschäftsführerin Andrea Stellwag. "Wir legen Wert darauf, dass Mitarbeiter ihr Wissen weitergeben. Das ist Teil der Unternehmenskultur und eng mit der Organisationsentwicklung verknüpft." Das Beratungs- und Entwicklungsunternehmen in München lebt davon, dass die 130 Beschäftigten neue Trends früh erkennen und die Kollegen auf dem Laufenden halten.

Niemand bestreitet, dass Mitarbeiterqualifizierung immer wichtiger wird. Doch oft mangelt es unter dem Projektdruck an der Zeit fürs Lernen - und Kosten sollen ohnehin nicht entstehen. Ein ähnlicher Befund also wie überall in der Wirtschaft. In der vergleichsweise jungen IT-Branche tritt allerdings noch etwas hinzu: Die Abneigung gegen übergeordnete, einheitliche Weiterbildungsstandards ist besonders groß, fühlt man sich doch gerne dynamisch, unorthodox und kreativ. Zugleich aber kommen die meisten Firmen von traditionellen Lehrgangsformen und der Orientierung an Herstellerzertifikaten kaum los.

Der Branchenriese Microsoft ist sich selbst genug. Trainings in Konflikt-Management beispielsweise laufen europaweit nach dem gleichen Konzept ab, berichtet Gregor Sabaß, Human Resource Consultant in der deutschen Niederlassung. Es sei Aufgabe der Organisation, sagt Sabaß, mehrere Jahre im Voraus geeignete Mitarbeiter auf Leitungsaufgaben vorzubereiten. "Es geht darum, dass die Erfahrungen im Unternehmen und unsere spezielle Kultur weiter getragen werden. Da wollen wir nicht vom Arbeitsmarkt abhängig sein."

Das Rollentraining steht hoch im Kurs: Wer etwa für die Vermarktung eines bestimmten Produkts verantwortlich ist, muss dieses aus dem ff kennen und mit dem Umfeld des Kunden vertraut sein. Als Richtschnur für den Kenntniserwerb gilt: 70 Prozent ist Entwicklung on-the-job, 20 Prozent Mentoring und Coaching durch Vorgesetzte und zehn Prozent klassische Schulung. Interne Zertifikate vergibt Microsoft nicht: "Die Kompetenz muss am Erfolg der Rolle sichtbar werden", sagt Sabaß.

Siegfried Lautenbach, Beck et al: "Jeder unserer Mitarbeiter kann Autor von Weiterbildungsinhalten sein."

In Klein- und Mittelunternehmen spielt die Weiterbildung im Schnitt eine geringere Rolle als in großen Konzernen. Jene Mittelständler jedoch, die auf laufende Qualifizierung setzen, haben in der Regel besonders intensive und ehrgeizige Ansätze: Mal sind es firmeneigene Akademien mit realem oder virtuellem Kursprogramm für alle Beschäftigten, mal spezielle Personalentwicklungsmaßnahmen für die Leistungsträger im Unternehmen.

Häufig allerdings gehen die Geschäftsleitungen großer und kleiner Unternehmen davon aus, dass sich die Mitarbeiter das notwendige Wissen schon irgendwie in der Freizeit aneignen werden - oder setzen darauf, im Fall des Falls das passende Personal am Arbeitsmarkt zu finden.

Eine Erfahrung, die Christina Mankus laufend macht. Sie leitet bei der Zeitarbeitsfirma DIS AG seit 1999 den Geschäftsbereich Information Technology. Derzeit erlebt sie bei den IT-Firmen wenig Bereitschaft, selbst etwas für die Weiterbildung des Personals zu tun: "Unsere Kunden möchten Kandidaten, die zu 105 Prozent ihrem Anforderungsprofil entsprechen. Selbst wer zu 95 Prozent passt, wird nicht genommen, weil man die Zeit, um fehlende Kenntnisse zu vermitteln, nicht investieren will." Die Zeitarbeitsfirma bietet Unternehmen etwa 300 qualifizierte IT-Spezialisten mit Hochschul- oder Ausbildungsabschluss an. Diese Fachkräfte können - vor allem in einsatzfreien Zeiten - auf ein eigenes E-Learning-Portal zugreifen.

"Wissen wird bei uns praxisnah in unsere interne Akademie und damit auch in den Arbeitsalltag eingebracht. Jeder der rund 40 Mitarbeiter kann Autor elektronischer Weiterbildungsinhalte sein", berichtet Siegfried Lautenbacher, Geschäftsführer des IT-Dienstleisters Beck et al Services. Das gelingt, weil die Firma für diesen Zweck ein eigenes Softwarewerkzeug entwickelt hat und vermarktet. Doch das Lernen am Computer hat seine Grenzen - etwa dann, wenn es um Rhetorik und Körperbeherschung geht. Dann holt das Unternehmen Unterstützung von außen - etwa die einer Choreografin. Zertifikate gibt es nicht. Lautenbacher ist der Ansicht, "dass unsere Mitarbeiter so souverän auftreten, dass sie keine Zettel brauchen, um Kompetenz unter Beweis zu stellen."

Bei der Sage Software GmbH dagegen feilt Ayse Gül an einer strukturierten Ist-Soll-Kompetenzanalyse als Teil der Personalakte. Sage, Anbieter betriebswirtschaftlicher Software, bietet allen 430 Mitarbeitern in Deutschland ein Standardprogramm zur Weiterbildung an. Human-Resource-Leiterin Gül setzt aber vor allem auf die "proaktive und strategische Personalentwicklung" der Leistungsträger. "Wir sehen uns die Wertschöpfungskette an - von der Anforderungsanalyse bis zum Vertrieb. Dann erheben wir die Kompetenzen der Mitarbeiter, analysieren die erfolgskritischen Faktoren, beziehen künftige Trends ein und richten danach die Personalentwicklung aus", sagt Gül. So ist ein differenziertes Bild von den Prozessen im Unternehmen, den Rollen, Funktionen und Verantwortlichkeiten entstanden. Anlass, um etwa zum Thema "Risiko-Management" einen externen Trainer ins Haus zu holen.

Eine Praxis, an der Gregor Berghausen seine Freude haben dürfte. Der Berufsbildungsexperte der IHK Düsseldorf empfiehlt bei der betrieblichen Qualifizierung einen Dreischritt: Weiterbildungsbewusstsein im Unternehmen etablieren; auf der Basis eines Ist-Soll-Abgleichs bestimmen, wer auf welche höherwertigen Aufgaben vorbereitet werden soll; Formen für den Nachweis des Lernerfolgs festlegen.

Berghausen gehört zu den Wegbereitern des IT-Weiterbildungssystems, das auf arbeitsprozessorientiertes Lernen (APO) und die Personalzertifizierung setzt - ein Konzept der Sozialpartner, das einheitliche Branchenstandards einführen will, bisher aber erst auf schwache Resonanz stößt. "Vielleicht haben wir uns übernommen, weil wir zu viel Neues auf einmal wollten", gibt der Arbeitgebervertreter zu bedenken. Man habe den "Konservativismus" in einer Branche, die sich gern flexibel und unorthodox zeige, unterschätzt, vermutet Berghausen: "Die Unternehmen bevorzugen nach wie vor lehrgangsorientiertes Lernen und Herstellerzertifikate."