Weiterbildung ist eine Holschuld

09.05.2006 von Holger Eriksdotter
Das Fortbildungsangebot in der IT ist reichhaltig. Trotzdem fällt es schwer, ein Berufsleben lang beschäftigungsfähig zu bleiben. So fehlen speziell zugeschnittene Seminare für ältere IT-Profis.
Anette Tronnier, Gisma-Business-School: "Der MBA ist die perfekte Vorbereitung für die Management-Karriere:"

Mit 50 Jahren noch ein Studium zum Master-of Business Administration (MBA) anfangen? - Sicher nicht der beste Zeitpunkt. "Die meisten MBA-Kandidaten immatrikulieren sich bei uns nach einem abgeschlossenen Hochulstudium und drei bis fünf Jahren Berufserfahrung", sagt Anette Tronnier, Geschäftsführerin der Gisma-Business-School in Hannover. Im Vollzeitstudium verbringen sie dann elf Monate, berufsbegleitend zwei Jahre an der Business School der niedersächsischen Landeshauptstadt und der amerikanischen Partner-Universität Purdue in West Lafayette, Indiana.

Die gesamte Ausbildung findet auf Englisch statt, der begehrte MBA-Abschluss ist international akkreditiert, das Arbeiten in internationalen und interkulturellen Projektteams gehört ebenso zur Ausbildung wie Praktika in Unternehmen. Eine perfekte Vorbereitung für den Start in eine Management-Karriere also. Aber ob diese Ausbildung für das ganze Berufsleben reichen wird, darf bezweifelt werden.

Hier lesen Sie...

  • was Unternehmen unter Employability verstehen;

  • warum sich Mitarbeiter künftig selbst um ihre Weiterbildung bemühen müssen;

  • wieso traditionelle Seminaren den Bedürfnissen älterer IT-Profis nicht gerecht werden.

Arbeitsplatzwechsel wird normal

"Auch Mitarbeiter, die heute 30 bis 40 Jahre alt sind, müssen sich darauf einstellen, dass sich die Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt im Laufe ihres Berufslebens erheblich verändern werden", sagt Udo Michelbrink, Personalberater beim Zeitarbeitsunternehmen Adecco. Der Zwang zu höherer Produktivität, die Globalisierung und der demografische Wandel zwängen zunehmend zum lebenslangen Lernen. "Berufsbiografien mit nur einem oder zwei Arbeitgebern werden künftig die Ausnahme bleiben. Häufigere Arbeitsplatzwechsel, die jeweils andere Qualifikationen verlangen, werden zur Normalität", vermutet der Arbeitmarktexperte.

"Employability" wird zum Schlüsselwort. Wörtlich übersetzt als Arbeits- oder Beschäftigungsfähigkeit, verstehen Personalexperten darunter jene Kombination aus Qualifikationen und Fähigkeiten, die auf dem Arbeitsmarkt den begehrten Fachmann vom unvermittelbaren Kollegen unterscheidet. Aber was macht Employability für die IT-Branche aus? Sicher ist, dass das über Studium und Ausbildung erworbene Wissen für ein gesamtes Berufsleben nicht mehr ausreicht. Und schlimmer noch: Niemand kann heute wissen, welche Fähigkeiten in zehn Jahren gefragt sein werden. Lernen auf Vorrat hat deshalb am ehesten im Grundlagenbereich Sinn und wird ansonsten leicht zum Glücksspiel.

"Unternehmen müssen sich klar sein, dass Mitarbeiter um die 50 noch gut 15 Jahre im Haus sein werden. Die Frage lautet deshalb: Was muss der Arbeitgeber tun, um diese Leute für die nächsten Jahre so zu qualifizieren, dass er von ihrer Arbeit profitieren kann?", empfiehlt Michelbrink. Gefragt sei ein Umdenken: "Es wird immer wichtiger, dass Weiterbildung nicht nur als Anerkennung für geleistete Arbeit, sondern als natürlicher und kontinuierlicher Entwicklungsprozess verstanden wird."

Unternehmen müssen umdenken

Die Inhalte müssten Arbeitgeber und Arbeitnehmer untereinander aushandeln: Die Firmen seien in der Pflicht, genauer als bisher zu ermitteln, für welche Qualifikation es künftig Bedarf im Unternehmen gebe, die Mitarbeiter müssten klarer artikulieren, in welche Richtung sie sich entwickeln wollen. "In einem solchen Dialog lassen sich dann Vereinbarungen treffen, die beiden Seiten nützen", ermuntert der Personalfachmann.

Ralf Karabasz, Synergie: "In einem Alter ab 45 Jahren kommt man mit den klassischen Seminaren nicht mehr weiter."

Für ältere IT-Mitarbeiter verschärft sich das Problem. "In einem Alter ab etwa 45 oder 50 Jahren kommt man mit den klassischen Seminaren nicht mehr weiter", schildert Ralf Karabasz, Geschäftsführer vom Synergie-Network, einem Verbund eigenständiger Personal- und Organisationsentwicklungs-Unternehmen. Als Experte für Weiterbildung der Zielgruppe von 50 aufwärts - "50-plus" genannt - warnt er davor, die älteren Mitarbeiter wahllos auf klassische Seminare zu verteilen. "Dort treffen sie auf Jüngere, die beweglicher und fachlich fitter sind. In diesem Umfeld können sie ihre größere Erfahrung, ihre Systemkenntnisse und ihren Umgang mit Komplexität nicht zur Wirkung bringen", sagt Karabasz. Zudem seien ältere Arbeitnehmer oft auf Rollen festgelegt: als Abteilungs-, Gruppen- oder IT-Projektleiter.

Rolle als Mediator zu gering geschätzt

Auch deshalb seien klassische Seminare nicht geeignet für Ältere. Eher böten sich spezielle Trainings an, die für die Rolle des Coaches, Wissensvermittlers oder Mediators qualifizieren. Auch Weiterbildungsexperte Karabasz fordert ein Umdenken: "Wir brauchen eine Rollenveränderung, um langjährige Erfahrungen nutzbar zu machen und bewährtes Wissen für die Unternehmen zu erhalten." Die Unternehmenskultur stehe dem allerdings noch entgegen: "Die Rolle als Coach oder Mediator gilt als Machtverlust - nicht als etwas Positives. Hier muss sich noch einiges in den Unternehmen ändern. Wenn es darum geht, die Beschäftigungsfähigkeit älterer Mitarbeiter zu erhalten oder wieder neu zu schaffen, sind wir noch ganz am Anfang dessen, was möglich ist."

Während ältere Arbeitnehmer am Arbeitsplatz zumindest einen begrenzten Einfluss auf ihre eigene Fortbildung hätten, sehe es für Arbeitssuchende noch schlimmer aus: "Es ist heute noch die Regel, auch qualifizierte ältere Beschäftigungslose mit 20 Leuten in eine Klasse zu stecken und klassische IT-Schulung mit ihnen zu machen - ich halte das für respektlos", schimpft der Bildungsfachmann.

Online-Coaching hilft älteren IT-Profis

Gerade mit Lernenden ab 50 sei ein respektvoller Umgang gefragt, der auf ihre Geschichte und Erfahrungen eingeht. Karabasz berichtet von einem Seminar für ältere Arbeitssuchende, das auch virtuelle Lernmodule und Online-Coaching integrierte. "Die Akzeptanz war wesentlich höher. Einige Stunden individuelles Online-Coaching sind viel effektiver als ein Drei-Tages-Seminar im Klassenraum." Technisch und inhaltlich seien solche Lernformen längst kein Problem mehr. Aber es müsse vermehrt nach neuen Ansätzen gesucht werden, die Lebenswege und -umstände der Arbeitslosen einzubeziehen. "Technische Lösungen und Mittel sind vorhanden - es fehlt aber noch an der Bereitschaft der Ausbildungsinstitute", bemängelt der Synergie-Mann.

Stefan Grunwald, Cert-IT: "Die Mitarbeiter müssen ihre persönliche Entwicklung selbst in die Hand nehmen."

Am Arbeitsplatz soll das vor etwa drei Jahren eingeführte APO-Konzept (Arbeitsprozessorientierte Weiterbildung) für permanente Fortbildung sorgen. Ursprünglich hervorgegangen aus dem Bündnis für Arbeit und der Debatte um Greencard und IT-Fachkräftemangel, könnte sich die Qualifizierung am Arbeitsplatz nun als Mittel für lebenslanges Lernen erweisen. Zumindest stützt sich das Modell auf einen breiten Konsens: An der Planung waren Politik, Gewerkschaften, Industrie- und Handelskammern, der IT- und Branchenverband Bitkom, Bildungsträger und das Fraunhofer- Institut für Software und Systemtechnik beteiligt.

Lernen am realen Projekt

Das Prinzip: In realen Projekten am Arbeitsplatz sollen sich Mitarbeiter während ihres gesamten Berufslebens weiterqualifizieren und bundesweit anerkannte Zertifikate erwerben können. Der Mitarbeiter bewährt sich am Arbeitsplatz in anspruchsvollen Projekten, dokumentiert sie und stellt sich danach der Prüfung bei der Zertifizierungsstelle Cert-IT. Ganz nebenbei könnte das Fortbildungsmodell ein wenig Ordnung in die mehr als 400 IT-Berufsbezeichnungen bringen. Von 29 Ausprägungen des "IT-Spezialisten", der auf den IT-Ausbildungsberufen oder vergleichbarer Berufserfahrung ansetzt, über den "operativen Professional", der dem Niveau des Bachelor-Abschlusses entspricht, bis zum "strategischen Professional" als Äquivalent zum Master-Abschluss eröffnet die APO-Qualifikation innerbetriebliche Fortbildungsmöglichkeiten für IT-Fachkräfte.

"Kombiniert mit der Personalzertifizierung ist die APO-Weiterbildung bestens geeignet für das praxisnahe, lebenslange Lernen, weil die Qualifizierung am Arbeitsplatz stattfindet, mit intensivem Coaching und meist auch Fachseminaren begleitet wird", sagt Stefan Grunwald, Geschäftsführer der Cert-IT. Zudem sorge die Pflicht, die Prüfung nach fünf Jahren zu wiederholen, dafür, dass das Wissen auf dem neuesten Stand bleibe. "Der Arbeitnehmer hat damit stets einen aktuellen Nachweis vom unabhängigem Dienstleister, der bestätigt, dass Tätigkeit und Niveau noch stimmen", sagt Grunwald. Mehr als 100 Unternehmen, darunter Branchengrößen wie Siemens und die Deutsche Telekom, nutzten inzwischen die APO-Fortbildung als strategisches Instrument der Mitarbeiterentwicklung.

APO: Lernen und Projektarbeit verbinden

Das Besondere an der Arbeitsprozessorientierten Weiterbildung (APO), dass sie unter normalen Arbeitsbedingungen im eigenen Unternehmen erfolgt. Die Teilnehmer erledigen ihre gewohnte Projektarbeit im Unternehmen, die aber dokumentiert und abschließend bewertet wird. Vor allem durch diesen praxisorientierten Ansatz unterscheidet sie sich von den traditionellen Fortbildungen.

Zugrunde liegt die Erfahrung, dass IT-Anfänger oft nicht die Zeit haben, die Schulbank zu drücken. Außerdem bieten viele Kurse nicht das im Arbeitsalltag geforderte Wissen an. Deshalb entwickelten Wissenschaftler des Fraunhofer Instituts für Software- und Systemtechnik (ISST) mit Experten aus der Praxis dieses Konzept.

Den Teilnehmern stehen so genannte Lernprozessbegleiter zur Seite, die sie bei der Auswahl des geeigneten Projekts, bei der Umsetzung und der Dokumentation methodisch, didaktisch und fachlich unterstützen. Lernprozessbegleiter können Spezialisten aus der eigenen Fachabteilung oder Dozenten aus der firmeneigenen Ausbildungsabteilung sein. Kleinere Betriebe können sich extern durch Experten aus Bildungsinstituten unterstützen lassen. Den Abschluss der etwa einjährigen Weiterbildung stellt eine mündliche Prüfung dar. Die Teilnehmer präsentieren ihr Projekt vor den Prüfern der Zertifizierungsstelle Cert-IT und führen ein Fachgespräch über Projekt und Dokumentation, nach dem sie das Zertifikat für einen der 29 IT-Spezialistenberufe erhalten.

Mitarbeiter müssen Fortbildung selbst in die Hand nehmen

Der Cert-IT-Geschäftsführer weist auf einen weiteren Aspekt hin: "Das APO-Modell verlangt nicht nur ein Umdenken in den Betrieben. Die Mitarbeiter müssen erkennen, dass sie ihre persönliche Entwicklung selbst in die Hand nehmen müssen." In vielen traditionellen Branchen, in denen sichere Beschäftigung die Regel war, berichtet Adecco-Mann Michelbrink, "trifft man noch auf die Mentalität: Wenn mein Arbeitgeber will, dass ich was lerne, kommt er schon auf mich zu." Mit dieser Einstellung, da sind sich die Bildungsexperten einig, wird es schwer im globalisierten Arbeitsmarkt. Denn nicht nur Seminaranbieter und Unternehmen stehen in der Pflicht: In Zukunft werden Arbeitnehmer ihre Fortbildung weit mehr als bisher selbst in die Wege leiten müssen.