Buchtipps zum Fest

Weihnachtszeit ist Lesezeit

13.12.2012 von Ingrid  Weidner
Zwischen den Jahren haben auch IT-Profis mal Zeit, abzuschalten innezuhalten. Hier unsere ausgewählten Begleiter für eine Gedankenreise ganz ohne Smartphone.

Die Zeit zum 24. Dezember verfliegt auch dieses Jahr im Eiltempo. Hier noch ein Meeting, dort noch ein Projekt, das abgeschlossen werden soll, und dann steht Weihnachten auch schon vor der Tür. Ausschlafen, Spazierengehen, mit den Kindern die neue Eisenbahn aufbauen, etwas mit der Familie streiten, Gänsebraten essen – alles Dinge, auf die Sie sich freuen können. Doch wenn es draußen stürmt und schneit, lockt sie ein gutes Buch auf eine kleine Reise aus dem Alltag. Wir hätten da ein paar Tipps für Sie. Neues ausprobieren hilft, flexibel im Kopf zu bleiben, meint ein altes Sprichwort. Deshalb eine Bitte: Falls Sie der ein- oder andere Titel neugierig macht, dann bestellen Sie das Buch doch in einer (kleinen) Buchhandlung um die Ecke. Weshalb? Nun, das fördert die lokale Wirtschaft, den Buchhändler freut es und vielleicht finden Sie dort selbst noch das ein- oder andere Geschenk.

Klug sein will jeder

Ein kluger Schachzug des Autors, sein neues Buch „Die Kunst des klugen Handelns" zu nennen und nur im Untertitel darauf hinzuweisen, was es zu vermeiden gilt: „52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen". Das spricht Managerinnen und Angestellte genauso an wie Studenten oder Hausmänner. Rolf Dobelli widmet sich alltäglichen Phänomenen, sammelt eifrig Beispiele und erklärt an Hand von wissenschaftliche Thesen, weshalb wir in Fettnäpfchen tapsen. Die 52 kurzen Kapitel, der einfache Schreibstil sowie Situationen aus dem (Berufs-) Alltag, machen das Büchlein zur wahren Schatztruhe. Selbst wer das ein oder andere psychologische oder mathematische Experiment kennt, lernt für das Arbeitsleben hinzu. Etwa weshalb sich finanziell ein MBA nicht lohnt, auch wenn die Anbieter das Gegenteil vorrechnen. Bei so vielen Aha-Erlebnissen denkt sich der Leser, „das klingt logisch, zukünftig tappe ich nicht mehr in diese Falle?. Doch wie sich mit den beschriebenen Theorien und den wertvollen Hinweise auch das Verhalten ändern lässt, das muss jeder Leser selbst herausfinden. Ein kluges Leben durch gründliches Lesen klingt jedenfalls plausibel.

Fazit: Die leicht zu lesenden Wissenshäppchen vermitteln den Eindruck, im kommenden Jahr besser gegen gängige Denkfehler gewappnet zu sein.

Rolf Dobelli: Die Kunst des klugen Handelns. 52 Irrwege, die Sie besser anderen überlassen. Carl Hanser Verlag, München 2012. 235 Seiten, 14,90 Euro. Auch als e-Book erhältlich.

Macht Karriere glücklich?

Eigentlich hat der Protagonist von Stephan Thomes Roman „Fliehkräfte" alles erreicht, was sich der moderne Mann so wünscht: Frau, Kind und Karriere. Doch so ganz traut Philosophie-Professor Hartmut seinem Glück nicht. Die Bologna-Reform wirbelt das geordnete Arbeitsleben an den Hochschulen durcheinander, mittelmäßige Studenten reichen Doktorarbeiten ein, die nur mit viel gutem Zureden den Weg durch die universitären Instanzen gehen. Und dann kommt das Jobangebot eines Verlages. Ist eine Karriere jenseits der akademischen Welt mit Mitte 50 noch möglich? Hartmut denkt über sein Leben nach, wie er wurde, was er ist ,und lässt den Leser in Schleifen zwischen Gegenwart und Vergangenheit an seiner Midlife-Krise teilhaben. Zwar kein neues Thema, doch dem Autor gelingt es, den Leser auf diese Lebensreise mitzunehmen. Manches kommt sicher auch Managern bekannt vor, etwa die Situation des Ehepaars, das seit Jahren zwischen Berlin und Bonn pendelt. Doch nicht nur die räumliche Distanz sorgt für Unmut, auch die Gefühle des Protagonisten geraten durcheinander.

Fazit: Wer sich fragt, ob der eingeschlagene Karriere- und Lebensweg der richtige ist, kann sich mit diesem Buch auf eine fiktive Reise eines anderen Zweiflers begeben, ohne selbst ein Risiko einzugehen.

Stephan Thome: Fliehkräfte. Suhrkamp Verlag, Berlin, 2012. 474 Seiten, 22,95 Euro.

buchtipps zu Weihnachten 2013
Lesen, lesen, lesen
Legen Sie ihr Smartphone weg und nehmen Sie ein Buch zur Hand. Ingrid Weidner hat für Sie die besten Bücher zu Karriere, Wirtschaft, Europa, Familie, Kochen und Kunst ausgewählt.
Rolf Dobelli: Die Kunst des klugen Handelns
Rolf Dobelli widmet sich alltäglichen Phänomenen, sammelt eifrig Beispiele und erklärt an Hand von wissenschaftliche Thesen, weshalb wir in Fettnäpfchen tapsen. Die leicht zu lesenden Wissenshäppchen vermitteln den Eindruck, im kommenden Jahr besser gegen gängige Denkfehler gewappnet zu sein.
Stephan Thome: Fliehkräfte
Ist eine Karriere jenseits der akademischen Welt mit Mitte 50 noch möglich? Philosophie-Professor Hartmut denkt über sein Leben nach, wie er wurde was er ist und lässt den Leser in Schleifen zwischen Gegenwart und Vergangenheit an seiner Midlife-Krise teilhaben.
Juli Zeh: Nullzeit
Jurist Sven scheitert an einer Prüfungsfrage und gründet eine Tauchschule auf Lanzarote. Ein kluges und schön gestaltetes Buch über Fragen wie Lebens- und Karrierekonzepte. Nebenbei lernen Laien auch einiges über das Tauchen.
Arnold Retzer: Miese Stimmung. Eine Streitschrift gegen positives Denken.
Der Arzt und Psychotherapeut Arnold Retzer erläutert in einer sehr nüchternen Sprache, wie schädlich ein zu hoch dosierter Hoffnungsglaube für das Leben sein kann.
Michael Köhlmeier: Das große Sagenbuch des klassischen Altertums.
Für eine Portion klassische Bildung ist es nie zu spät, selbst moderne Alphatiere profitieren davon. Der Österreicher Michael Köhlmeier punktet mit einer moderneren Erzählweise der alten Sagen.
David Graeber: Schulden.
Keine leichte, jedoch durchaus lohnende Lektüre für alle, denen die oberflächliche Berichterstattung der Schuldenkrise nicht reicht und die gerne verstehen möchten, was dahinter stecken könnte.
Joseph Stiglitz: Der Preis der Ungleichheit.
Nobelpreisträger Joseph Stiglitz zeigt in seiner Analyse, dass sich ein entwickeltes Wirtschaftssystem und eine liberale Gesellschaft Ungleichheit nicht leisten können.
Florian Illies: 1913. Der Sommer des Jahrhunderts
Wie ein Mosaik aus Begegnungen und Anekdoten montiert Florian Illies das historisches Material des Jahres 1913 und setzt es nach Monaten geordnet wieder zusammen. Es entsteht ein Kaleidoskop an Begegnungen, Ideen, Zeitströmungen und Entwicklungen.
Christian Strich, Tatjana Hauptmann: Das große Märchenbuch. Die hundert schönsten Märchen aus ganz Europa.
Dieser Prachtband eignet sich besonders gut zum Vorlesen für die Großen und zum Staunen für die Kleinen.
Burkhard Spinnen: Nevena.
Der Autor schildert die Annäherungsversuche von Vater und Sohn nach dem Tod der Mutter. Von Frustrationen, vergeblichen Versuchen und kleinen Erfolgserlebnissen auf diesem Weg, seinem 17-jährigen Sohn in die Untiefen von World of Warcraft zu folgen.
Harald Martenstein: Ansichten eines Hausschweins
Politik, Familie, Vater-Sohn-Geschichten und vieles mehr zerlegt Kolumnist Harald Martenstein Woche für Woche aufs Neue. Für scheinbar alltägliche Nichtigkeiten findet er immer wieder einen besonderen Dreh, der den Leser schmunzeln lässt.
Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern
Zwei Jahre zog sich der ehemalige Lehrer und Landvermesser Henry David Thoreau im Jahr 1845 in ein einsames Blockhaus an den Waldensee in Bundesstaat Massachusetts zurück. Ein Klassiker der Aussteigerliteratur.
Nigel Slater: Gemüse.
Slater rückt seinen eigenen Gemüsegarten in den Mittelpunkt. Was er dort anbaut und was sich damit kochen lässt, stellt er in 29 Gemüse-Rubriken von A wie Aubergine bis Z wie Zwiebel vor. Ein gutes Geschenk für visuell veranlagte Menschen mit Koch- und Gartenambitionen.
Stefan Palkoska: Kochbuch für Ingenieure
Der Titel hält was er verspricht, nämlich präzise Angaben dazu, wie technisch begabte Menschen pannenfrei Speisen zubereiten können. Mit gängigen Rezepten erleichtert der Autor Stefan Palkoska, selbst Ingenieur, dieser Berufsgruppe das Kochen.
Susanne Partsche: Wer hat Angst vor Rot, Blau Gelb?
Mit 60 ausgewählten Kunstwerken erklärt die Kunsthistorikerin Susanne Partsche moderne Kunst. Gut strukturiert, einfach und gut verständlich geschrieben, eine Zeitachse mit Erläuterungen am unteren Bildrand sowie hervorragend ausgesuchte Beispiele.
Andreas Altmann: Gebrauchsanweisung für die Welt
Andreas Altmann möchte zum Reisen verführen. Zwar erzählt der Reisejournalist ausgiebig von seinem abenteuerlichen Leben, doch eine gewisse Arroganz schwingt mit. Wenn er sich auf seine Geschichte konzentriert und das Macho-Gehabe für einige Seiten weg lässt, weiß er Spannendes zu erzählen.
Susanne Gretter: Wie immer unverhofft. Neue Weihnachtsgeschichten
Wer noch nach einer Einstimmung auf die fröhlichen Tage sucht, dem sei das freche Buch mit vielen modernen Weihnachtsgeschichten empfohlen.

Wie hießt Montesquieu mit Vornamen?

In Krisenzeiten überlegen manche, ob Aussteigen eine Option wäre. Den ehrgeizigen Juristen Sven in Juli Zehs neuem Roman „Nullzeit" bringt eine Prüfungsfrage nach dem Vornamen von Montesquieu aus dem Konzept. Aussteigen und auf Lanzarote eine Tauchschule gründen sind seine Antworten auf den Prüfungsschock. Spanisch und Englisch spricht er zwar nur mäßig gut, doch unter Wasser fühlt er sich wohl. Dort gelten klare Regeln. Im Alltag über Wasser legt sich Sven ungern fest, bleibt vage und unentschlossen. Mit dem extravaganten Paar Jola und Theo, das viel Geld für einen Tauchkurs ausgibt, kommt das sorgfältig austarierte Lebensmodell des Aussteigers in Schieflage. Sven und Jola erzählen im Rückblick die Geschichte aus ihrer Perspektive und lassen den Leser mit der Frage zurück, was wirklich beim verhängnisvollen Tauchgang passierte.

Fazit: Ein kluges und schön gestaltetes Buch über Fragen wie Lebens- und Karrierekonzepte. Nebenbei lernen Laien auch einiges über das Tauchen.

Juli Zeh: Nullzeit. Schöffling & Co., Frankfurt am Main, 2012. 256 Seiten. 19,95 Euro.

Lob der Depression

Glücksratgeber mit den immer gleichen Versprechungen dominierten viele Jahre die Bestsellerlisten. Alle versprachen mehr oder weniger überzeugend, dass jeder alles erreichen könne, wenn er sich nur redlich bemühe. Danach eroberten Burn-out-Ratgeber die Regale. Auch dort kam oft mit einem dünnen Mäntelchen verhüllt das gleiche Versprechen daher, dass es mit der richtigen Methode schon wieder klappen könnte mit der Turbo-Karriere. Eine Art Gegengift zu diesen Heilsversprechen lieferten einige Verlage zur diesjährigen Frankfurter Buchmesse: So traute sich der S. Fischer Verlag „Miese Stimmung" auf den Markt zu bringen. Der Arzt und Psychotherapeut Arnold Retzer erläutert in einer sehr nüchternen, manchmal auch etwas langweiligen Sprache, wie schädlich ein zu hoch dosierter Hoffnungsglaube für das Leben sein kann. Dagegen argumentiert er, dass Krisen auch die Chance einer tiefgreifenden Korrektur alter Denk- und Glaubensgewohnheiten eröffnen.

Fazit: Keine wirklich neuen Thesen, doch lesenswerte Beispiele und Denkanstöße, wie eine Balance zwischen utopischem Hoffen und Realitätssinn die Sinne schärfen kann.

Arnold Retzer: Miese Stimmung. Eine Streitschrift gegen positives Denken. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2012. 19,99 Euro.

Europa & Wirtschaft

Die alten Griechen

Foto: Piper

Nachrichten aus Griechenland lösen immer wieder neue Schockzustände aus. Wenn heute von dem südeuropäischen Land die Rede ist, mischt sich Mitleid, Ungeduld und manchmal auch Häme in die Diskussion. Wer all das Lamentieren nicht mehr hören kann, dem sei die Lektüre der klassischen Mythen ans Herz gelegt. Eskapismus hilft. Wessen Altgriechisch etwas eingerostet ist, muss sich mit einer Übersetzung begnügen. Zwar gelten die von Gustav Schwab übertragenen Sagen als der Klassiker schlechthin, doch wer eine modernere Erzählweise bevorzugt, dem könnten die Nacherzählungen des Österreichers Michael Köhlmeier gefallen. Leicht amüsiert erzählt er, weshalb die lieblich anzusehende, jedoch etwas naive Königstochter Europa auf einen Stier hereingefallen ist. Trotzdem trägt ein ganzer Kontinent ihren Namen. Natürlich nehmen allseits bekannte Helden wie Odysseus oder Achill viel Raum ein. Außerdem schildert der Autor ausführlich, welche Kommunikationsprobleme Götter und Menschen plagten. Tragische Figuren wie Orpheus und Eurydike erklärt uns der Autor ebenso in den neu erzählten Sagen wie die Alphatiere der griechischen Mythologie, inklusive ihrer Schwächen.

Fazit: Für eine Portion klassische Bildung ist es nie zu spät, selbst moderne Alphatiere profitieren davon.

Michael Köhlmeier: Das große Sagenbuch des klassischen Altertums. Piper, München, 2011. 631 Seiten, 12,99 Euro.

Als Podcast sind einige von Köhlmeiers Nacherzählungen über BR-alpha verfügbar.

Schulden machen

Seit Jahren dominieren Schulden die Wirtschaftsnachrichten. Scheinbar jede Talkshow nimmt sich des Themas an, ohne irgendetwas Substanzielles erklären zu können. Wer sich abseits der Aufgeregtheit dem Thema nähern möchte und etwas Zeit für die Lektüre mitbringt, dem sei David Graebers umfangreiches Werk „Schulden" empfohlen. Glaubt man dem Autor, begannen seine Recherchen mit der simplen Frage auf einer Party: Gibt es eine moralische Verpflichtung, Schulden zurückzuzahlen? Fundiert und pointiert erläutert der Ethnologe, wie sich in den vergangenen 5000 Jahren Kredite immer mehr dazu entwickelt haben, Abhängigkeiten zu schaffen und Schuldner in die Sklaverei zu treiben.

Fazit: Keine leichte, jedoch lohnende Lektüre für alle, denen die oberflächliche Berichterstattung der Schuldenkrise nicht reicht und die verstehen möchten, was dahinter stecken könnte.

David Graeber: Schulden. Die ersten 5.000 Jahre. Klett-Cotta, Stuttgart, 2011. 536 Seiten, 26,95 Euro. Auch als e-Book erhältlich.

Ungleichheit hat ihren Preis

Nobelpreisträger Joseph Stiglitz schreibt und spricht gern Klartext. So hat er etwa in der Vergangenheit auf die Schattenseiten der Globalisierung hingewiesen. In seinem im Oktober erschienenen Buch „Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht", widmet sich der 69-jährige Professor für Volkswirtschaft einem Thema, das auch hierzulande diskutiert wird. Ob und weshalb geht die Schere zwischen Arm und Reich immer mehr auseinander und was bedeutet das für Wirtschaft und Gesellschaft? Stiglitz zeigt, dass das Credo der Chancengleichheit, ein uramerikanischer Wert, längst passé ist. In den USA entscheiden zunehmend sozialer Status der Eltern und Herkunft über die Zukunft. Auch die Annahme, dass sich Reichtum und Wohnstand von oben nach unten verteilen, stimmt dort nicht mehr.

Fazit: Joseph Stiglitz zeigt in seiner Analyse, dass sich ein entwickeltes Wirtschaftssystem und eine liberale Gesellschaft Ungleichheit nicht leisten können.

Joseph Stieglitz: Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht. Siedler Verlag, München, 2012. 509 Seiten, 24,99 Euro.

Rainer Maria Rilke hat Schnupfen

Foto: S.Fischer Verlag

Wie ein buntes Mosaik aus Begegnungen und Anekdoten montiert Florian Illies das historisches Material des Jahres 1913 und setzt es nach Monaten geordnet wieder zusammen. Es entsteht ein Kaleidoskop an Begegnungen, Ideen, Zeitströmungen und Entwicklungen. Vor hundert Jahren schrieben sich zwar die Menschen noch Briefe und Telegramme, fuhren nicht zum Mond, und auch eine Reise von Prag nach Berlin war beschwerlich. Langweilig war es 1913 aber keineswegs. Ob in all den Episoden jedoch wirklich eine Ahnung mitschwingt, dass sich Europa nur ein Jahr später dramatisch veränderte, das muss der geneigte Leser selbst herausfinden.

Fazit: Viele kleine Geschichten die dazu anregen, dem ein- oder anderen angedeuteten Gedankengang zu vertiefen.

Florian Illies: 1913. Der Sommer des Jahrhunderts. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main, 2012. 19,99 Euro.

Inspiration & Familie

Zum Vorlesen bestens geeignet

Foto: Diogenes

Es war einmal... vor langer Zeit. Wer sich nur vage an all die vielen Geschichten von bösen Hexen, guten Feen oder dem reichen Herrn Kannitverstan erinnert, für den könnte das schön gestaltete „Große Märchenbuch“ die passende Nachhilfe bieten. Hundert europäische Märchen wählte Christian Strich aus. Tatjana Hauptmann griff zu Pinsel und Bleistift, um sie zauberhaft zu illustrieren. Natürlich sind die Gebrüder Grimm prominent vertreten, auch Hans Christian Andersen und weitere Märchen aus Spanien, Irland oder dem Balkan finden sich in der Sammlung. Altbekanntes und völlig Neues begegnet dem Leser in dem schön gestalteten Schmöker gleichermaßen.

Fazit. Dieser Prachtband eignet sich gut zum Vorlesen für die Großen und zum Staunen für die Kleinen.

Christian Strich, Tatjana Hauptmann: Das große Märchenbuch. Die hundert schönsten Märchen aus ganz Europa. Diogenes, Zürich, 2012. 663 Seiten. Geschenkausgabe im Schuber 49,90 Euro.

Verloren in einer Spielwelt

Foto: Schöffling & Co

Eine Vater-Sohn-Geschichte erzählt Burkhard Spinnen in seinem neuen Roman, die manchen Eltern von ihren eigenen Teenagern kennen. Wenn nämlich die virtuelle Welt am PC wichtiger wird als die reale. Ohne erhobenen Zeigefinger schildert der Autor die Annäherungsversuche von Vater und Sohn nach dem Tod der Mutter. Von Frustrationen, vergeblichen Versuchen und kleinen Erfolgserlebnissen auf diesem Weg, seinem 17-jährigen Sohn in die Untiefen von World of Warcraft zu folgen. Spannend wird es, als sich beide mit dem alten Auto der Mutter auf eine reelle Reise ins ehemalige Jugoslawien begeben. Dort lebt die aus der Online-Welt verschwundene Spielpartnerin des Sohnes. Gerade für Erwachsene, denen virtuelle Spielwelten fremd sind, eröffnet der Roman einen Zugang zur Gedankenwelt von Jugendlichen. Auch wenn der Autor mitunter zu viele Themen in die Geschichte gepackt hat, etwa die Folgen des Krieges im ehemaligen Jugoslawien und die reale Entfremdung innerhalb der Familie. Übrigens scheint auch der Autor kein leidenschaftlicher Computerspieler zu sein, denn er bedankt sich im Nachwort für die kompetente Beratung seines Sohnes.

Fazit: Eine spannende Familiengeschichte, die in der On- und Offline-Welt spielt.

Burkhard Spinnen: Nevena. Schöffling & Co., Frankfurt am Main, 2012. 384 Seiten. 19,95 Euro.

Ein bisschen was von allem

Es gibt fast kein Thema, das einer der bekanntesten Kolumnisten noch nicht aufgegriffen hat. Politik, Familie, Vater-Sohn-Geschichten und vieles mehr zerlegt Harald Martenstein Woche für Woche aufs Neue. Das Sympathische an seinen kleinen Textwunderwerken ist, dass er für scheinbar alltägliche Nichtigkeiten immer wieder einen ganz besonderen Dreh findet, der den Leser schmunzeln lässt. In der Sammlung „Ansichten eines Hausschweins" sind einige der in ZEIT und Tagesspiegel erschienen Kolumnen zusammengefasst.

Fazit: Bestens geeignet zum Verschenken an Menschen, die sich eine Spur Selbstironie erhalten haben.

Harald Martenstein: Ansichten eines Hausschweins. Neue Geschichten über alte Probleme. C. Bertelsmann Verlag, München, 2011, 207 Seiten, 16 Euro.

Ein früher Aussteiger berichtet

Zwei Jahre zog sich der ehemalige Lehrer und Landvermesser Henry David Thoreau im Jahr 1845 in ein einsames Blockhaus an den Waldensee in Bundesstaat Massachusetts zurück. Die später veröffentlichten Erinnerungen an diese Zeit „Walden; or Life in the Woods" gilt als Klassiker der Aussteigerliteratur. Die Zivilisationskritik des Autors verpackte der Diogenes Verlag in eine neue, schön gestaltete Leinenausgabe. Die zahlreichen Erläuterungen im Anhang sowie Zeittafel erleichtern die Lektüre dieses Experiments.

Fazit: Abenteuergeschichte mit philosophischem Tiefgang für Leser jeder Altersstufe.

Henry David Thoreau: Walden oder Leben in den Wäldern. Diogenes Verlag, Zürich, 2012. 492 Seiten, 16,90 Euro.

Kunst, Genuss & Reisen

Haben Sie schon mal in eine Aubergine verliebt?

„Bei mir war es Liebe auf den ersten Biss; gebacken, bis das Fleisch fast geschmolzen war, schwer von Olivenöl, mit den kräftigen Aromen von Zimt und Piment, Kreuzkümmel und Ingwer, süß von goldenen Sultaninen", diese Zeilen finden sich nicht in einer neuen Vampir-Trash-Geschichte, sondern in dem informativen und schön gestalteten Buch „Tender – Gemüse" von Nigel Slater.

Foto: DuMont

Kochen und das kluge Plaudern darüber ist mittlerweile ein sicheres Smalltalk-Thema. Immer exotischere Kochbücher überfluten jeden Herbst den Büchermarkt, gleichzeitig breiten sich in den Supermärkten die Tiefkühlfächer mit Fertiggerichten aus. Doch „Tender – Gemüse" ist anders. Seit Jamie Oliver traut man auch Engländern zu, dass sie etwas von der Speisezubereitung verstehen. Slater rückt seinen eigenen Gemüsegarten in den Mittelpunkt. Dieses ehemalige, zwölf Quadratmeter große Stück Rasen hinter seinem Londoner Reihenhaus verwandelte er in Gemüsebeete. Was er dort anbaut und was sich damit kochen lässt, stellt er in 29 Gemüse-Rubriken von A wie Aubergine bis Z wie Zwiebel vor. In einem Sammelkapitel packt er noch all die Sorten, die ihm entweder nicht schmecken oder für die er keinen Platz in einem kleinen Gartenreich hat. Manche Gemüsearten liegen ihm näher, andere handelt er ziemlich kurz ab. Doch die Rezepte lesen sich gut und regen zum Ausprobieren an. Allerdings nimmt er es mit den Mengenangaben nicht immer so genau. Die Anleitungen sollen Inspiration für die Leser sein, selbst etwas zu wagen. Im Frühjahr 2013 erscheint auch der zweite Band der Reihe „Obst". Selbst wer keinen Garten anlegen möchte, findet in dem schön gestalteten Buch viel Informatives zu Gemüsesorten, Eigenheiten der Pflanzen, Saatgut, Ernte und Pflege.

Fazit: Gutes Geschenk für visuell veranlagte Menschen mit Koch- und Gartenambitionen.

Nigel Slater: Gemüse. DuMont, Köln, 2012. 624 Seiten, 39,95 Euro.

Kochen mit dem Zollstock

Nüchtern, sachlich und ziemlich spartanisch präsentiert sich das „Kochbuch für Ingenieure". Der Titel hält was er verspricht, nämlich präzise Angaben dazu, wie technisch begabte Menschen pannenfrei Speisen zubereiten können. Mit gängigen Rezepten zu Vor-, Haupt- und Nachspeisen erleichtert der Autor Stefan Palkoska, selbst Ingenieur, dieser Berufsgruppe das Kochen. Natürlich nennt er exakte Mengenangaben, liefert Empfehlungen für den zu reichenden Wein und vergisst auch nicht den Hinweis, den Tisch zu decken. Das Besonders ist die Zeitachse zu jedem Gericht. Dort wird genau erklärt, in welcher Reihenfolge die einzelnen Aufgaben erledigt werden sollten und wie viel Zeit die Köche einplanen sollten, um sicher zum Ziel zu kommen. Für nüchterne Kochanfänger mit technischer Ausbildung ein ideales, wenn auch nicht ganz billiges Geschenk.

Fazit: Wer es mit diesem Manual nicht schafft, ein genießbares Coq au vin auf den Tisch zu bringen, kann vermutlich nicht lesen.

Stefan Palkoska: Kochbuch für Ingenieure. 24,99 Euro. ISBN 9783000321160.

Endlich Verreisen

Jede neue Woche mit einer Gedankenreise beginnen, dazu lädt der „Literarische Reisekalender“von Schöffling & Co ein. Ein ansprechendes Foto sowie ein Zitat aus einem Buch sollen den Betrachter dazu animieren. Elsemarie Maletzke wählte eine vielversprechende Reiseroute aus. Neben neuen Ideen für künftige Ziele liefert der Kalender mit den kleinen Ausschnitten aus Büchern auch Stoff für neue Leseabenteuer.

Ähnlich funktioniert die „Gebrauchsanweisung für die Welt“. Auch Andreas Altmann möchte zum Reisen verführen. Zwar erzählt der Autor ausgiebig von seinem abenteuerlichen Leben als Reisejournalist, doch eine gewisse Arroganz schwingt in all seinen Geschichten mit. Einmal beschimpft er alle, die eine komfortable Reise vorziehen, dann stellt er die These auf, dass die meisten Leser doch zu feige sind, ähnliche Risiken einzugehen wie er selbst. Doch wenn sich der Autor auf seine Geschichte und das Erzählen konzentriert und das abgegriffene Macho-Gehabe für einige Seiten weg lässt, weiß er Spannendes zu erzählen. Ob aber wirklich alles Erzählte wahr ist, das könnte nur Altmann selbst beantworten.

Fazit: Reisen als Gedankenspiel auf zwei ganz unterschiedlichen Routen.

Andreas Altmann: Gebrauchsanweisung für die Welt. Piper, München, 2012. 211 Seiten, 14,99 Euro.

Der literarische Reisekalender 2013. Schöffling & Co., Frankfurt am Main, 2012. 22,95 Euro.

Noch mehr Smalltalk-Stoff

Mit 60 ausgewählten Kunstwerken erklärt die Kunsthistorikerin Susanne Partsche moderne Kunst. Gut strukturiert, einfach und gut verständlich geschrieben, eine Zeitachse mit Erläuterungen am unteren Bildrand sowie hervorragend ausgesuchte Beispiele. Was braucht es mehr?

Fazit: Nach der Lektüre hat garantiert keiner mehr Angst vor Rot, Blau Gelb.

Susanne Partsche: Wer hat Angst vor Rot, Blau Gelb? C.H. Beck, München, 2012. 208 Seiten mit 60 Abbildungen. 19,95 Euro.

Ja ist denn schon wieder Weihnachten?

Noch nicht ganz. Wer noch nach einer Einstimmung auf die fröhlichen Tage sucht, dem sei das freche Buch mit vielen modernen Weihnachtsgeschichten empfohlen, das Susanne Gretter zusammengestellt hat. Auch Geschäftsideen finden sich darin, womit wir fast wieder bei beim Anfang und dem Thema Karriere wären.... Nein, keine Sorge. Abschalten, Ausspannen, Lesen.

Fazit: Weihnachten bleibt.

Susanne Gretter: Wie immer unverhofft. Neue Weihnachtsgeschichten. Suhrkamp Verlag, Berlin, 2012. 191 Seiten, 8 Euro.