ERP-Software goes China

Was Sie beim IT-Projekt in Fernost beachten müssen

08.05.2009 von Frank Naujoks
Ein weltweit einheitliches ERP-System ist der Anspruch. Doch in China treffen europäische Unternehmen auf die eine oder andere Besonderheit, die sie beim Management von Projekten berücksichtigen müssen.

Wollen Unternehmen weltweit agieren, müssen sie ihre Prozesse und Führungssysteme darauf abstimmen. Eine wichtige, doch oft unterschätzte Rolle spielen dabei ERP-Systeme. Vor besonderen Herausforderungen stehen Firmen, die ERP-Software in China ausrollen möchten. Neben den notwendigen landesspezifischen Anpassungen der Software zählt dazu, dass die europäischen Auffassungen über ERP-Prozesse nicht ohne Reibungsverluste mit den chinesischen Gepflogenheiten zwischen Kreativität und Reglementierung in Einklang zu bringen sind.

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In vielen Fällen ist der Schritt ins Ausland am Anfang eher ein Abenteuer als ein straff geplantes Vorgehen. Zwei Drittel der im Rahmen der i2s-Studie "ERP goes China" befragten 106 deutschsprachigen Anwenderunternehmen geben an, dass sie ihre Niederlassung in China wegen der Nähe zum Kundenmarkt eröffnet haben. 62 Prozent betreiben dort eine eigene Produktionsniederlassung, ein Drittel möchte näher an seinen Lieferanten sein. Nur logisch, dass in all diesen Fällen auch die Geschäftsapplikation mitziehen muss.

Effiziente Prozesse auch im Billiglohnland

Beweggründe von Firmen, in China aktiv zu werden.

Mit der Zeit spielen Kosten- und Prozesseffizienz auch in den vermeintlichen Billiglohnländern eine erhebliche Rolle. Damit gewinnt die Prozesssteuerung über ERP-Software an Bedeutung, führt jedoch auch zu erheblichen Problemen. Die Mehrheit der auf dem deutschsprachigen Markt präsenten ERP-Anbieter, die Software für kleine und mittelständische Betriebe (KMU) entwickeln, ist noch immer eher national ausgerichtet. Ihre Produkte sind weder für einen internationalen Betrieb an verschiedenen Standorten mit durchgängigen Prozessen ausgerüstet, noch erfüllen sie die Lokalisierungsanforderungen in vielen Ländern. Es fehlt an getesteten Sprachversionen und häufig auch am Support.

Welche ERP-Hersteller sind in China aktiv?

Nicht verwunderlich, dass mehr als die Hälfte der befragten Unternehmen auf ERP-Software von globalen Anbietern wie SAP, Oracle, Lawson, Infor oder Microsoft setzt. Immerhin 16 Prozent vertrauen auf chinesische Softwarehäuser wie Ufida oder Kingdee. 14 Prozent nutzen ihren Stammlieferanten, der aus dem deutschsprachigen Europa kommt und in der Regel aufgrund von Kundenwünschen auch eine chinesische Version seiner Software bereithält.

China ist, trotz der weltweiten Wirtschaftskrise, eine Boom-Region. Mehrheitlich sind mittlerweile KMU dort aktiv, wobei die Größe der chinesischen Niederlassungen von wenigen Personen bis hin zu ausgewachsenen Fabriken variieren kann.

ERP-Software soll chinesische Töchter mit der Zentrale verbinden

Das Management einer Firma will mit Hilfe einer ERP-Software in erster Linie die chinesische Tochter an das Mutterunternehmen und dessen Prozesse anbinden.

ERP-Software im Mittelstand
Raad-Studie ERP im Mittelstand
In der Raad-Studie wurden die Anwender unter anderem gefragt, welche Anbieter sie für relevant halten. SAP-Nutzer waren nicht darunter. Hier gehen offenbar Markenbekanntheit und tatsächliche Verbreitung deutlich auseinander.
Raad-Studie ERP im Mittelstand
Die Fertigungsindustrie ist eine Kernbranche der ERP-Anbieter. Der SAP trauen die befragten Leiter des Finanzwesens/Controlling eine hohe fachspezifische Kompetenz zu. Microsoft kommt hier auf 37 Prozent. Lässt man die Microsoft-Kunden außen vor, sinkt die Quote auf 28 Prozent. Infor leidet Raad Research zufolge darunter, dass vielen Nutzern in den Fachabteilungen noch nicht klar geworden ist, dass die von ihnen genutzte Software (etwa das Rechnungswesen von Varial oder die auf Fertigung spezialisierte ERP-Lösungen „Baan“ beziehungsweise „ERP LN“) nun zu diesem Softwarekonzern gehören.
Raad-Studie ERP im Mittelstand
Auch die Vertriebsleiter kennen vor allem SAP und Microsoft. Ihr Votum ähnelt dem der Finanzverantwortlichen im Unternehmen. Auch hier liegt Infor etwas hinten, da laut Raad Research den Firmenbereichen mit wenig Softwareherstellerbezug wie dem Vertrieb Infor als Markenname nur schwer zu vermitteln ist.
Raad-Studie ERP im Mittelstand
Produktionsleiter beurteilen SAP und Microsoft ebenfalls gut. Sind aber deutlich skeptischer als ihre Vertriebs- und Finanzkollegen. Unklar bleibt dabei, welche bestehende Software die befragten Unternehmen einsetzen.

Ziel muss es aber auch sein, in China für jene Zuverlässigkeit und Güte der Geschäftsprozesse zu sorgen, die man von einem Unternehmen aus Deutschland, der Schweiz oder Österreich erwarten kann.

Finanzielle Risiken mit Controlling beherrschen

An zweiter Stelle steht die Absicht, die chinesische Tochter in das eigene Controlling einzubinden. Dies ist umso wichtiger, als sich eine China-Expansion auch schnell zu einem finanziellen Risiko auswachsen kann. Zwar bestehen immer noch erhebliche Kostenvorteile, die Kosten wachsen aber kräftig.

Chinesische Kultur, Bildungssystem und Arbeitsethik

Firmen können kein so großes ERP-Wissen bei den späteren Anwendern der Software vorausseten. Der für den Zeit- und Budgetplan Manager muss das berücksichtigen.

Ausländische Unternehmen in China müssen sich auf kulturelle und gesetzgeberische Besonderheiten einstellen. Chinas Kultur ist uns großteils unbekannt; auch das Bildungssystem und die Arbeitsethik weichen deutlich vom Standard von Ländern in der DACH-Region ab. Das wirkt sich auch auf die Nutzung von ERP-Software aus.

Chinesische Gesetzgebung

Auch chinesische Gesetze verlangen Unternehmen einiges ab. Das beginnt schon mit der Firmengründung und setzt sich bis auf die Prozess- und IT-Ebene fort. Beispielsweise ist es in China nicht möglich, einfach eine Rechnung zu schreiben. Die Rechnungsstellung muss in einer vom chinesischen Staat gestellten und überwachten Fiskalsoftware, dem "Golden-Tax-System", erfolgen. Selbst für einfache Handrechnungen sind spezielle nummerierte Vordruckblöcke zu benutzen. Ein Durchschlag geht an die entsprechenden Behörden. Ein Unternehmen mit Projekterfahrung in China ist Friwo (siehe "Friwo meistert ERP-Umstieg durch gute Vorbereitung").

Spricht das ERP-System chinesisch?

Ein ERP-Projekt in China lässt sich nur realisieren, wenn die Software die länderspezifischen Lokalisierungsanforderungen erfüllt. Unabdingbar ist eine Unicode-Unterstützung, da die Buchführung in chinesischer Sprache erfolgen muss. Außerdem empfiehlt es sich, die wichtigsten Prozesse, Formulare und Korrespondenzen in der Landessprache abzuwickeln. Die Rechnungslegung muss zwar behördlich vorgeschrieben in Chinesisch erfolgen, ausländische Firmen dürfen aber parallel eine andere Sprache verwenden.

Chinesen fehlt oft die Praxis im Umgang mit ERP-Software

Aufgrund der noch vergleichsweise geringen Verbreitung von ERP-Installationen in chinesischen Unternehmen verfügen die meisten lokalen Firmen über keine Anwenderkenntnisse. Zwar befassen sich Hochschulen mit ERP-Software - dort avancierte Geschäftssoftware sogar zum Modethema -, allerdings vermitteln die Bildungseinrichtungen statt Praxiswissen reine Theorie amerikanischer Prägung. Firmen müssen also die späteren Anwender erst noch ausbilden. Das braucht Zeit und Ressourcen.

Ein weiteres, häufig hausgemachtes Problem ist der Spagat zwischen internationaler Gruppenstrategie und lokalen Besonderheiten. Standardisierte Prozesse versprechen effiziente Abläufe. Wer aber lokale Gegebenheiten nicht trotzdem berücksichtig, wird scheitern. (fn)

Fazit

Auf der ERP-Suche?

Bei der Suche nach einem passenden ERP-System hilft Ihnen der ERP-Matchmaker von Trovarit und der COMPUTERWOCHE.