Betriebsbedingte Kündigungen

Was ist ein "freier Arbeitsplatz"?

04.01.2012 von Renate Oettinger
Wird Personal abgebaut, müssen Dauer-Leiharbeitnehmern als Erste gehen. Dr. Norbert Pflüger nennt Einzelheiten.
Foto: Andreas Wolf - Fotolia.com

Über das Thema Leiharbeit wird von Arbeitgeber- wie Gewerkschaftsseite immer wieder heftig diskutiert. Letztere fürchten um die Aushöhlung der Tarifverträge und fordern seit Längerem gleichen Lohn für gleiche Arbeit, auch Equal Play genannt. Für die Unternehmensseite ist Leiharbeit auch deshalb attraktiv, weil sie einen bestimmten Teil der Belegschaft flexibel halten können: Gegenüber Leiharbeitnehmern müssen bei notwendiger Personalreduzierung keine Kündigungen ausgesprochen werden. Das Unternehmen beendet einfach den Vertrag mit dem Entleiher.

Vor diesem Hintergrund ist eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg vom 03.03.2009 (Az. 12 Sa 2468/08) von Interesse. Ein Entsorgungsunternehmen hatte betriebsbedingt gekündigt. Der gekündigte Arbeitnehmer griff diese Kündigung vor dem Arbeitgericht an. Er wandte sich mit dem Argument gegen die Kündigung, die Arbeitgeberin solle zunächst den Einsatz der Leiharbeitnehmer beenden.

Der gekündigte Arbeitnehmer hatte in der ersten Instanz Erfolg. Auch in zweiter Instanz wurde die Berufung des Unternehmens zurückgewiesen. Die Kündigung war damit nicht rechtswirksam.

Die fünf größten Irrtümer beim Thema Kündigung
Die fünf größten Irrtümer beim Thema Kündigung
Wann ist eine Kündigung rechtens und wann nicht. Wir klären über die fünf häufigsten Mythen zum Thema Kündigung auf.
Irrtum 1: Ein krankgeschriebener Arbeitnehmer kann nicht gekündigt werden.
Eine Krankheit kann den Ausspruch einer Kündigung nicht verhindern. Ein Arbeitgeber kann grundsätzlich auch während einer Krankschreibung eine Kündigung aussprechen; dies macht die Kündigung nicht "per se" unwirksam.
Irrtum 2: Jede Kündigung muss eine Begründung enthalten.
Eine Kündigung muss nicht begründet werden. Aus Arbeitgebersicht ist es sogar eher unklug, eine Begründung in die Kündigung aufzunehmen, da dies in der Regel "Angriffsfläche" in einem nachfolgenden Kündigungsschutzprozess ergibt. Gekündigte Arbeitnehmer hingegen sollen unverzüglich um Rechtsrat nachsuchen, ob die ausgesprochene Kündigung auch wirksam ist.
Irrtum 3: Eine Kündigung kann auch mündlich ausgesprochen werden.
Arbeitsverträge kann man zwar mündlich abschließen, aber nicht beenden. Es bedarf nach dem Gesetz immer einer schriftlichen Kündigung. Vorsicht ist auf Arbeitgeberseite im Übrigen auch geboten bei Kündigungen per Mail oder per SMS, während Arbeitnehmer, die eine Kündigung in dieser Form erhalten, ebenfalls sofort um Rechtsrat nachsuchen sollten. Dies sollte unverzüglich erfolgen.
Irrtum 4: Vor der Kündigung muss immer drei Mal abgemahnt werden.
Eine sog. verhaltensbedingte Kündigung setzt nur eine Abmahnung voraus. Dabei gilt des Weiteren, was häufig verkannt wird: Ist in dem Betrieb ein Betriebsrat installiert, muss dieser einer Kündigung nicht etwa zustimmen; er muss nur angehört werden. Dieser kann der Kündigung zwar widersprechen. Dies führt aber nicht zu einer Unwirksamkeit der Kündigung.
Irrtum 5: Gekündigte Mitarbeiter haben stets einen Anspruch auf eine Abfindung.
Das Kündigungsschutzgesetz ist in erster Linie ein "Bestandsgesetz". Damit richtet sich der Schutz zunächst auf den Erhalt des Arbeitsplatzes. Zwar enden in der Tat tatsächlich viele Kündigungsschutzverfahren letztendlich mit dem Abschluss eines Abfindungsvergleichs. Bestehen allerdings Gründe für die Kündigung. greift diese rechtlich auch durch, und der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, eine Abfindung zu zahlen.

Wie hat das LAG Berlin-Brandenburg seine Entscheidung begründet? Bei jeder Kündigung hat der Arbeitgeber zu prüfen, ob im Betrieb vergleichbare freie Arbeitsplätze vorhanden sind. Eine Kündigung ist nämlich dann nicht sozial gerechtfertigt, wenn im Unternehmen alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen. Einen Arbeitsplatz, der durch einen Dauer-Leiharbeitnehmer besetzt war, wertete das Landesarbeitsgericht als "frei" in diesem Sinne. Die Kündigung sei allein deshalb sozial ungerechtfertigt, weil der Entsorgungsunternehmer den gekündigten Arbeitnehmer auf einem Arbeitsplatz eines Dauer-Leiharbeitnehmers hätte einsetzen müssen.

In der Konsequenz führt diese Entscheidung dazu, dass den von Personalabbau betroffenen Arbeitnehmern vor Ausspruch einer Kündigung die Stellen von Dauer-Leiharbeitnehmern angeboten werden müssen. Der Einsatz von Dauer-Leiharbeitnehmern also muss vor der betriebsbedingten Kündigung von Stamm-Arbeitnehmern beendet werden. (oe)

Kontakt:

Der Autor Dr. Norbert Pflüger ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Mitglied des VDAA Verband deutscher Arbeitsrechtsanwälte e. V. - www.vdaa.de. Dr. Norbert Pflüger, c/o Pflüger Rechtsanwälte GmbH, Kaiserstraße 44, 60329 Frankfurt am Main, Tel.: 069 242689-0, E-Mail: info@k44.de, Internet: www.k44.de