Human-Capital-Management

Was ist die Belegschaft wert?

04.03.2005 von Ina Hönicke
Mitarbeiter sollten nicht nur als Kostenfaktor gesehen, sondern auch als Vermögenswert akzeptiert werden. Ein - wenn auch nicht ganz unumstrittenes - Hilfsmittel zur Bestimmung des Wertes der eigenen Leute in Euro und Cent ist das Human-Capital-Management (HCM).

DASS MITARBEITER für ein Unternehmen einen hohen Kapitalwert darstellen, gehört heute zum unternehmerischen Allgemeinwissen - theoretisch. Und im Profi-Fußball haben die Entscheider in der Regel auch eine recht konkrete Vorstellung von der Höhe dieses Wertes - zumindest wenn es um die umworbenen Stars des internationalen Geschäfts geht. Schließlich investieren die Spitzen-Clubs regelmäßig Millionensummen in ihr spielendes Personal. Dennoch hat der Begriff des Human- Capital-Managements im Wirtschaftsleben bislang eher eine abstrakte Bedeutung. Das soll sich ändern, fordert Professor Christian Scholz, Geschäftsführer der Prisma Prof. Scholz GmbH und Hochschullehrer in Saarbrücken. Er zählt zum HCM die Bestimmung des Mitarbeiterwertes in Geldeinheiten. Demnach ist das Humankapital Teil des

immateriellen Vermögens eines Unternehmens. Nun entwickelt Scholz gemeinsam mit Pecaso, einem Heidelberger Dienstleister für IT-gestütztes Personalmanagement, eine Softwarelösung, mit der Unternehmen den Wert ihres Humankapitals ermitteln können. Diese Lösung basiert auf der Saarbrücker Formel, die von Scholz veröffentlicht wurde (Human Capital Management - Wege aus der Unverbindlichkeit, Luchterhand Verlag).

Für den Saarbrücker Wissenschaftler steht fest, dass auch der Mitarbeiterstamm - genauso wie Patente, Gebäude und die Marke - einen Wert hat, der sich in Euro ausdrücken lässt: „Wer lediglich weiß, wie hoch seine Personalkosten sind, aber bei der Frage nach dem monetären Wert seiner Belegschaft mit den Achseln zuckt, der handelt betriebswirtschaftlich grob fahrlässig.“ Ob mit Blick auf Basel II, auf die Weiterentwicklung der Rechnungslegung, Personal-Controlling oder auf Spezialfragen wie HR-Due Dilligence - eine konkrete Bewertung des Humankapitals wird nach Meinung der HCM-Protagonisten immer wichtiger. Gerade in einer Arbeitswelt ohne Stammplatzgarantie biete dieser Ansatz die Chance, Unternehmen mitarbeiterorientiert zu führen und zu steuern. Konkrete Zahlen würden hierbei ganz sicher helfen. Vor diesem Hintergrund geht es für Scholz nicht darum, einen absoluten Wert für den Menschen zu finden, sondern einen relativen Wert

für das Human Capital der Mitarbeiter, der stets im Kontext eines spezifischen Arbeitsumfeldes zu sehen ist.

Bei einem Fußballspieler gehören hierzu beispielsweise nicht nur dessen technisches Können und seine Torjäger- Qualitäten, sondern auch seine Eignung als Werbeträger, wie das Beispiel von David Beckham zeigt. Dementsprechend muss laut Scholz die HC-Bewertung einem ganzheitlichen Ansatz folgen. Als sinnvolles Instrument eingesetzt, habe sie drei Komponenten: - die HC-Wertbasis pro Mitarbeiter, ermittelt über individuelle Fähigkeitsmessungen; - das HC-Wertrisiko, bestehend aus Eintrittswahrscheinlichkeiten von Fluktuation und Abwesenheit; - die HC-Wertminderung, die sich als Folge von Kommunikationsdefiziten einstellt. Die Berücksichtung dieser drei Komponenten in einem ganzheitlichen Ansatz führt zum HC-Wert, der als Kennzahl ausgewiesen werden kann. Dieses Verfahren, so Scholz, ermittelt

im Gegensatz zu anderen Ansätzen gegenwartsbezogene und zugleich prognostische HC-Kennzahlen. Um mit geringem Parametrisier- und Datenerfassungsaufwand die einzelnen Teilergebnisse der

Martin Braun, Pecaso

Saarbrücker Formel zu generieren, soll die von Scholz und Pecaso entwickelte Software zur HCBewertung die bereits in den Unternehmen eingesetzten Standardsysteme nutzen. Die führenden Standardsysteme im Personalbereich sollen schrittweise angebunden werden. „Als erste Lösung“, erläutert Martin Braun, CEO bei Pecaso, „wird das SAP-Personalwirtschafts- und -Rechnungswesen-System eingebunden.“ Ein klares Ziel der Softwarelösung sei ein geringer Implementierungsaufwand. Dieser werde erreicht, indem man die in jedem SAP-System obligatorisch gepflegten Strukturdaten oder beschreibenden Daten der Mitarbeiter so weit wie möglicht nutzt. Allerdings soll es möglich sein, zumindest die Grundidee der Formel auch ohne Software zu nutzen. Dazu Ralf H. Kleb, Geschäftsführender Partner des Beratungshauses

Baumgartner & Partner in Hamburg: „Theoretisch geht das auch mit dem Taschenrechner.“ Schließlich hätten nicht alle Unternehmen die erforderlichen Daten in einem Personalinformationssystem abgespeichert. Scholz ergänzt: „Die Studenten in unserem MBA-Programm arbeiten ebenfalls mit der Formel, allerdings ohne Software und nur mit extern verfügbaren Informationen. Auf diese Weise bekommt man zumindest einen ersten Einstieg in die Thematik. Denn es geht nicht nur um das Bestimmen einer Zahl, sondern um das Verstehen von Zusammenhängen und das Aufzeigen von Handlungsoptionen.“ Chance für bessere Personalarbeit

Diese differenzierte Betrachtungsweise hat sich in der Öffentlichkeit allerdings noch nicht durchgesetzt. Viele sehen im HCM ein inhumanes Vorgehen, bei dem Menschen auf Zahlen reduziert und zu Abschreibungsobjekten degradiert werden. „Vorwürfe dieser Art sind durchaus ernst zu nehmen“, meint auch Scholz. Allerdings sei es relativ einfach zu sagen: Wir sind gegen Human-Capital-Management, denn es ist entmenschlicht, mitarbeiterfeindlich und bürokratisch. Der Saarbrücker Experte: „Bevor Unternehmen dieses Spielfeld anderen überlassen - Wirtschaftsprüfern, Beratern oder wer sonst sich dazu berufen fühlt -, besteht jetzt die Chance, die Entwicklung durch eine verbesserte Personalarbeit selbst zu beeinflussen.“ Darüber hinaus würde dieser Ansatz den Wert der Belegschaft im positiven Sinne hervorheben

und die Mitarbeiter aus ihrem derzeitigen De-facto-Status als reiner Kostenfaktor befreien. Scholz: „Was wir gegenwärtig in einer ,HCM-freien Zone‘ sehen, ist ein makabres Spiel. In guten Zeiten wird der Mitarbeiter unverbindlich als Kapital gewürdigt, in schlechten Zeiten verbindlich als Kostenfaktor wegrationalisiert.“ Dieses Vorgehen hat seiner Meinung nach auch zur Entscheidung beigetragen, das Wort „Humankapital“ zum Unwort des Jahres 2004 zu erklären. „Hier wird teilweise vollkommen falsch und grotesk argumentiert“, erklärt Scholz. Er empfindet es aber als durchaus positiv, dass über das Thema Humankapital jetzt offensiv diskutiert wird. Modernes Personalmanagement habe nämlich mit dem Wunsch nach Entlassungen sehr wenig zu tun. Sein Resümee: Falsches HCM

ist genauso abzulehnen wie falsche Personalarbeit. Richtiges HCM aber sei ein wichtiger Schritt zu einem wirklichen Bekenntnis zum Mitarbeiter als Vermögenswert. Gerade der Mittelstand, der in Deutschland die meisten Arbeitsplätze bereitstellt, müsse die Grunderfordernisse eines zeitgemäßen Personalmanagements erfüllen. So meint Scholz: „Viele der kleineren und mittleren Unternehmen leisten wirklich gute Personalarbeit und verfügen über qualifizierte und motivierte Mitarbeiter.“ Dieser Vorteil werde aber in den Basel-II-Ratings nicht berücksichtigt. Scholz hofft, dass der Unternehmer irgendwann zur Bank gehen, seinen verbesserten HC-Wert vorlegen und damit seine Verhandlungsposition stärken kann. Für Unternehmensberater Kleb ist in puncto Mittelstand noch ein weiterer Punkt entscheidend: „Die Formel stellt das Know-how, die wichtigste Ressource Deutschlands, in den Vordergrund.“ Durch sie kann ein Unternehmen den drohenden

Wissensverfall erkennen, der sowohl durch Fluktuation als auch durch veraltetes Wissen bei den Mitarbeitern entsteht. Davon sei auch die IT-Branche mit ihrem kurzlebigen Halbwertszeit-Wissen betroffen. Kleb: „Defizite im Know-how müssen unbedingt durch Personalentwicklungsmaßnahmen kompensiert werden.“ Mehrwert durch Qualifizierung Anhand der Formel könnten die Personaler viel besser als bisher für Fortbildungsaktivitäten argumentieren. Grundsätzlich aber sei die Bedeutung für Mittelstand und Großunternehmen gleichermaßen hoch, denn beide benötigten Innovationen sowie qualifizierte und motivierte Mitarbeiter. Inwieweit die IT-Lösung, die im Juni dieses Jahres freigegeben werden soll, von den Anwendern angenommen wird, bleibt abzuwarten. Da sie sich momentan noch für einen

ersten Kreis von Unternehmen in Entwicklung befindet, wollen sich die Personaler mittelständischer Unternehmen dazu auch nicht konkret äußern. So viel jedenfalls scheint sicher: Am teilweise grotesken Theater um den monetären Wert von Fußballspielern und -vereinen wird vorerst keine Software der Welt etwas ändern. (uk) . Ina Hönicke, freie Journalistin in München.