Was globale Teams erfolgreich macht

06.01.2006 von Ingrid  Weidner
Internationale Projektteams leben von der Kompetenzvielfalt ihrer Mitglieder. Wer sich den Herausforderungen stellt, profitiert auch persönlich davon.

Die Kollegen von Martin Ondas sitzen in Budapest, Palo Alto, Philadelphia und Walldorf. Der Schreibtisch des 30-jährigen Solution Managers steht im SAP-Entwicklungslabor in Philadelphia: "Ich arbeite oft gleichzeitig an mehreren Projekten in unterschiedlichen virtuellen Teams; mein direkter Vorgesetzter kann also durchaus in Deutschland sitzen", beschreibt Ondas sein Arbeitsumfeld. Mit seinen Kollegen entwickelt er eine Softwarelösung. Die Aufgaben werden so verteilt, dass jedes Teammitglied für eine bestimmte Zeit relativ selbständig arbeiten kann.

Hier lesen Sie ...

  • wie virtuelle Teams über Kontinente hinweg zusammenarbeiten;

  • woran deutsche Manager im Ausland scheitern;

  • wie man in internationalen Teams am besten Kritik äußert.

Der Projektleiter koordiniert und bespricht mit allen regelmäßig die Zwischenergebnisse. "Jeder Einzelne ist dafür zuständig, sich mit den Kollegen abzustimmen und offene Fragen zu klären. Wir legen viel Wert auf Eigeninitiative und Verantwortung", erläutert Ondas die Arbeitsweise. Die Teammitglieder tauschen sich meist über Telefonkonferenzen aus. "Bei einigen Projekten gibt es Kick-off-Treffen der Schlüsselpersonen, im Verlauf eines Projekts werden reale Treffen nach Bedarf organisiert", erklärt der SAP-Mann. Wollen einige Teammitglieder für kurze Zeit vor Ort ein Problem bearbeiten, neue Ideen entwickeln oder einen bestimmten Ansatz gemeinsam ausarbeiten, ist das meist möglich, ergänzt Ondas.

Von Mannheim über Prag nach Palo Alto

Internationale Berufserfahrung konnte der 30-Jährige schon in einigen Projekten sammeln. Nach seinem Betriebswirtsschaftstudium an der Berufsakademie Mannheim mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsinformatik arbeitete er für ein knappes Jahr für SAP in Prag, anschließend als SAP-Berater für Tory Consulting in Hamburg. 2001 zog er von dort ins sonnige Kalifornien, um für die nächsten dreieinhalb Jahre im SAP-Forschungslabor in Palo Alto tätig zu sein. Seit einem Jahr lebt Ondas in Philadelphia. Projektbezogenes Arbeiten ist für ihn seit vielen Jahren gängige Praxis. "Häufig sind Europäer, Amerikaner und Asiaten an einem Projekt beteiligt."

Jörg Brüwer, IT-Architekt von Hellmann Worldwide Logistics, arbeitet von Osnabrück aus in einem virtuellen Team mit einem deutschen und drei amerikanischen Kollegen. Gemeinsam entwickeln sie ein Tracing- und Monitoring-System für Kunden in den USA. Koordiniert werden die Aufgaben vom US-amerikanischen Projektleiter, der die Kundenwünsche in Arbeitsschritte für seine Mitarbeiter zerlegt und diese weitergibt. "Die Kommunikation läuft vor allem über E-Mail und Instant Messaging", sagt der 34-jährige Brüwer. Das Tool habe sich unternehmensweit bewährt, offene Fragen ließen sich direkt klären. Dennoch treffen sich der amerikanische Projektleiter und die deutschen Mitarbeiter auch in Osnabrück, um Entwicklungsschritte zu klären und offene Fragen zu besprechen.

Kommunikation, Kommunikation, Kommunikation

Wenn virtuelle Teams erfolgreich zusammenarbeiten sollen, ist regelmäßige Kommunikation wichtig. Idealerweise sollten alle Mitglieder anfangs persönlich zusammenkommen, um eine gemeinsame Arbeitsatmosphäre zu schaffen. "Es ist vorteilhaft, sich mindestens einmal zu treffen", weiß Oliver Müller, IT-Manager bei Procter and Gamble aus eigener Erfahrung. "Die Zusammenarbeit funktioniert besser, man hat ein Bild von seinen Kollegen."

Melissa Lamson:"In Indien wollen die Teammitglieder regelmässig informiert werden."

Allerdings ist es aus zeitlichen oder finanziellen Gründen oft nicht möglich, dass sich gerade große, global agierende Teams treffen. Deshalb rät Melissa Lamson, Beraterin für interkulturelles Training aus Frankfurt am Main, dass die Kollegen täglich miteinander telefonieren und sich über die Entwicklungen auf dem Laufenden halten. Allerdings kommt der regelmäßige Austausch nicht immer gut an: "In Indien erwarten die Teammitglieder, dass sie ständig informiert werden; in Deutschland hingegen fühlen sich viele dadurch gestört", sagt die Beraterin.

Tipps für die virtuelle Teamarbeit

  • Idealerweise trifft sich das Team zu Beginn des Projekts an einem Ort, um sich kennen zu lernen und eine persönliche Arbeitsbeziehung zu etablieren.

  • Gerade wenn Teammitarbeiter an unterschiedlichen Orten arbeiten, ist ein regelmäßiger Austausch wichtig; die Kollegen sollten möglichst täglich miteinander telefonieren.

  • Die Gruppe sollte Konflikte ansprechen, wenn sie entstehen, anstatt zu lange warten.

  • Der Teamleiter sollte über das nötige Feingefühl verfügen, um Änderungen und schwelende Ressentiments früh zu erkennen und zu klären.

  • Es herrscht ein Klima der Toleranz, des Respekts und Großzügigkeit gegenüber den anderen Teammitgliedern.

  • Jeder kennt seine Vorurteile und schiebt sie zur Seite, um der realen Person eine Chance zu geben.

"Wir wissen wo es lang geht" - nach diesem Motto agieren meist Menschen, die aus einem wirtschaftlich erfolgreichen Land kommen, deren internationale Erfahrungen sich oft in pauschal gebuchten Urlaubsreisen erschöpfen und denen häufig das nötige Fingerspitzengefühl fehlt, respektvoll mit anderen umzugehen. "Sie sind überzeugt, dass ihr Weg der bessere ist", hat der Münchner Kommunikationstrainer Herbert Nestler in vielen Situationen besonders bei Deutschen und Amerikanern beobachtet. Doch diese Arbeitsweise erschwere die Zusammenarbeit erheblich. Mancher Manager oder Mitarbeiter tarne mit Überheblichkeit lediglich seine Unsicherheit und flüchte sich in Pauschalurteile.

Interesse für Land und Leute ist wichtig

"Deutsche sind bekannt für ihre direkte Kommunikation und kommen oft ohne Umschweife zum Punkt. In fast allen anderen Kulturen wird mehr Zeit in die Beziehung investiert", erläutert Marion Dathe, Geschäftsführerin der interkulturellen Unternehmensberatung Interculture aus Jena. Während hierzulande zwischen Sach- und Personenkritik getrennt wird, ist diese Aufteilung in anderen Kulturen unüblich. Dort geht es vor allem darum, das Gesicht nicht zu verlieren. Dathe empfiehlt deshalb, die direkte Art des Kommunikationsstils abzubauen. Außerdem sollten gerade Manager ihr enges Zeitkorsett überdenken und stärker in die Beziehungspflege investieren, denn das zahle sich über das Engagement der Mitarbeiter wieder aus.

Diesen Rat hätte auch der deutsche Manager eines Konzerns berücksichtigen sollen. Seit acht Monaten arbeitete er in Budapest und leitete ein Team aus 25 ungarischen Kollegen. Jedes Wochenende jettete er zurück in die heimatliche rheinländische Provinz. Das Projekt in der ungarischen Hauptstadt kam nicht voran. Er hielt seine Mitarbeiter für unmotiviert und engagierte einen Trainer, um das Motivationsproblem zu beheben. Dieser reiste einen Tag früher von Deutschland aus an, bat den Manager, ihm eine Besichtungstour zu empfehlen, um sich einen Eindruck von der Stadt zu verschaffen. Zur Überraschung des Beraters begleitete ihn der Chef. Es stellte sich heraus, dass der Düsseldorfer noch kein einziges Wochenende in Budapest verbracht hatte. Außer dem Hotel, dem Flughafen und einigen Restaurants auf dem Weg in die Firma war ihm Budapest völlig unbekannt. Dieses Desinteresse war einer der Punkte, weshalb die Arbeit in der Niederlassung schleppend lief. "Er behandelte seine ungarischen Mitarbeiter wie Maschinen und hatte keinerlei persönlichen Beziehungen entwickelt", stellte der eingeflogene Berater schnell fest. Mit dieser Arroganz musste er scheitern.

Was beflügelt die Arbeit von internationalen Teams, unabhängig davon, ob sie in einem Bürogebäude arbeiten oder über den Globus verteilt sind? "Je gemischter, desto effektiver", empfiehlt etwa Beraterin Lamson. So sei sichergestellt, dass stark vertretene Länder keine eigenen Untergruppen bilden und damit andere ausschließen. Erfolgreiche Teammitglieder kennen und nutzen kulturelle Unterschiede für ihre Arbeit. "Ganz homogene Teams sind weniger kreativ; das funktioniert höchstens bei Fließbandarbeit", sagt Nestler.

Direkte Kritik ist tabu

Oliver Müller, Procter und Gamble: "Kritik sollte man mit einem vorausgehenden Lob verknüpfen."

Klare Absprachen, Zielvereinbarungen, Treffen oder regelmäßige Telefonate helfen, den Zeitplan einzuhalten, Frust zu vermeiden und den unterschiedlichen Arbeitsstilen gerecht zu werden. Zudem brauchen Projektleiter wie Teammitglieder viel Fingerspitzengefühl. "Man muss sich selbst zurücknehmen können", sagt Müller von Procter and Gamble. Er kennt die flexiblen Definitionen von Abgabefristen einiger Kollegen. "Inzwischen gebe ich entweder keinen exakten Termin mehr vor oder ich baue Pufferzeiten ein", erklärt er seinen Trick. Auch für den Umgang mit Kritik hat er einen Tipp parat: "Es kommt sehr stark auf die Verpackung an. Direkte Kritik ist absolut tabu, aber mit der richtigen Wortwahl und verpackt mit einem vorausgehenden Lob lässt sich das gut lösen. Wenn ein englischer Kollege zu mir sagt: "I see an opportunity", dann ist das meist eine ziemlich harte Kritik, auch wenn sich das auf den ersten Blick ganz anders anhören mag. Auch das kann einen ziemlich treffen."

Nie war es einfacher, internationale Berufspraxis zu sammeln. Viele Unternehmen befördern nur noch Mitarbeiter, die diese Kenntnisse mitbringen. Ob in einem Konzern im virtuellen Team oder vor Ort in fernen Ländern - Möglichkeiten gibt es viele, mit Kollegen aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen zusammenzuarbeiten. Doch die erste Euphorie verfliegt mitunter schnell, wenn Persönlichkeiten und Weltbilder aufeinander prallen. Mindestens genauso wichtig wie die fachliche Qualifikation ist deshalb der kulturelle Hintergrund, meint Ricarda Bouncken, Professorin für Betriebswirtschaft, Organisation und Personal sowie Innovationsökonomie an der Universität in Greifswald: "Menschen aus dem Mittelmeerraum, Lateinamerika oder arabischen Ländern können verschiedene Aufgaben parallel erledigen, mehrere Dinge gleichzeitig tun und empfinden Unterbrechungen als Bereicherung." Amerikaner und Deutsche dagegen arbeiten gern nacheinander und bevorzugen Standardisierungen. Von einer unkonventionellen Arbeitsweise fühlen sie sich gestört und empfinden sie als unpassend. "Manche interpretieren es sogar als Boshaftigkeit ihrer Person gegenüber und vermissen die Wertschätzung", ergänzt Bouncken.

Zu viel Autorität schadet

Was nach althergebrachten Vorurteilen klingt, ist das Ergebnis von verschiedenen Forschungsprojekten der Professorin: "Arbeiten Amerikaner und Franzosen in einem Subteam zusammen, knallt es." Vermutlich eskalieren Konflikte besonders dann, wenn der Projektleiter seine Aufgabe nur unzureichend erfüllt. "Der Leiter wird als Koordinationspunkt gesehen, und die Mitglieder müssen viel Verantwortung und Eigeninitiative zeigen", sagt SAP-Mann Ondas. Auch die interkulturelle Trainerin Marion Dathe sieht den Projektleiter in einer ganz neuen Rolle: weniger autoritär, sozial und fachlich versiert, mit hoher interkultureller Kompetenz. Niemand sollte verzweifelt versuchen, sich wie ein Chamäleon an immer neue Situationen anzupassen. Hilfreich ist es dagegen, einige Vorurteile und Gewissheiten über Bord zu werfen, um Platz für neue Eindrücke und Erfahrungen zu schaffen.