Was Bewerber im Vorstellungsgespräch erwartet

21.04.2006
Immer mehr Firmen testen das Wissen der Bewerber. Berater lassen die Kandidaten gern eine Fallstudie bearbeiten. Wer hier überzeugen will, muss sich gut vorbereiten.

Mit feuchten Händen schüttelt Rolf K. dem Personalleiter die Hand. Seine Stimme zittert, auf seinem Hals zeichnen sich rote Flecken ab. "Was wird man während des Vorstellungsgesprächs wohl von mir wissen wollen?", fragt er sich. Rolf K. bewirbt sich als Entwickler für .NET-Lösungen bei einem Beratungsunternehmen. Nach zwei telefonischen Interviews wurde er zum persönlichen Gespräch eingeladen. Der Personalleiter und ein technischer Architekt erwarten ihn.

Fallstudie als Arbeitsprobe

Das Gespräch verläuft bis zu dem Moment gut, als der Personalleiter ihn auffordert, eine Fallstudie zu bearbeiten. Er solle sich in die Rolle eines Beraters versetzen und eine Aufgabe lösen, wie sie in einer Kundensituation auf ihn zukommen könnte. Rolf merkt, wie sein Herz bis zum Hals klopft, wie sich Schweißtropfen auf der Stirn bilden. Darauf war er nicht vorbereitet. Schließlich ist er Hochschulabsolvent und hat noch keine Erfahrung als Berater. Ihm bleiben 20 Minuten Zeit, bis er sein Ergebnis präsentieren muss. Er fängt an, die Aufgabe zu lesen, kann sich aber nicht konzentrieren. Auf einige Fragen weiß er keine Antwort. Die Zeit ist um. Er fängt an, die Aufgabe vorzulesen - und bricht nach etwa fünf Minuten von sich aus ab. Enttäuschung auf beiden Seiten. Ein Jobangebot erhält er nicht.

Yasemine Limberger Avanade: "Bei einer Fallstudie kommt es darauf an, ein Problem zu analysieren, zu strukturieren und eine skizzierte Lösung zu präsentieren."

Wie hätte der Bewerber an die Fallstudie herangehen sollen? Worauf Personalverantwortliche bei Fallstudien achten, erklärt Yasemine Limberger, die beim IT-Dienstleister Avanade, einem Joint Venture von Microsoft und dem Beratungsunternehmen Accenture, für das Recruiting verantwortlich ist:

Eine Fallstudie ist in erster Linie eine Art Arbeitsprobe. Viele Unternehmen nutzen dazu eine realistische Situation aus der zu besetzenden Rolle, oder sie konfrontieren den Bewerber mit einer Aufgabe, die völlig losgelöst ist von der künftigen Tätigkeit. Verlangt wird jedoch immer, ein Problem zunächst zu analysieren, zu strukturieren und danach eine skizzierte Lösung zu präsentieren.

Zunächst sollte der Kandidat wissen, welche Aspekte ein Personaler anhand der Fallstudie bewerten will. Meist liegt das Hauptaugenmerk auf folgenden Punkten:

- Fachwissen: Je nachdem, wie speziell die Fallstudie aufgebaut ist, bewertet der Beobachter, wie tief das vorhandene Fachwissen ist.

- Analytische Fähigkeiten: Wie geht der Bewerber generell mit einem Problem um? Erkennt er das Kernproblem? Welche Mittel nutzt er, um die Informationen zu strukturieren und auszuwerten? Stellt er noch Fragen, bevor er mit seiner eigentlichen Präsentation beginnt, um sicherzugehen, dass er alle Aspekte berücksichtigt hat?

- Strukturierte Arbeitsweise: Wie baut der Bewerber seine Argumentation und seine Lösung auf? Schafft er es, die Kernpunkte und die Lösung auf den Punkt zu bringen?

- Soziale Kompetenz: Wie sensibel geht der Bewerber auf seine Gesprächspartner ein? Wählt er eine verständliche Sprache? Lässt er sich von provokativen Fragen aus dem Konzept bringen oder bleibt er sachlich?

- Kommunikative Fähigkeiten: Spricht der Bewerber laut und deutlich, in einer Sprache, die jeder versteht? Ist er in der Lage, die Präsentation notfalls auch in einer Fremdsprache (etwa in Englisch) zu halten? Setzt er sprachliche Impulse, oder ist seine Tonlage monoton?

- Selbstbewusstsein: Wie geht der Bewerber unter Druck mit der Situation um, wie arbeitet er unter Zeitdruck? Bleibt er gelassen und konzentriert? Steht er aufrecht und selbstbewusst vor seinem Publikum?

- Präsentation: Wie baut der Bewerber seine Präsentation auf? Nutzt er visuelle Hilfsmittel (etwa White Board oder Flipchart)? Wendet er sich seinem Publikum zu? Hält er Blickkontakt? Bezieht er sein Publikum mit ein?

Als Bewerber sollte man einen kühlen Kopf bewahren, die Aufgabe im Detail durchlesen und sich auf einem Nebenblatt oder am Rand erste Notizen machen. Nach dem Lesen der Aufgabe sollte er die Situation und die Informationen strukturieren sowie die einzelnen Punkte auf einem gesonderten Blatt aufschreiben. Bei der Struktur der Präsentation ist Folgendes zu beachten:

1. Wie sieht die Ist-Situation aus? Was ist die Ausgangslage?

2. Was ist das Problem, welche Ursachen hat es?

3. Könnten weitere Probleme auftauchen?

4. Welche Informationen fehlen unter Umständen?

5. Welche Maßnahmen sind notwendig, um das Problem zu lösen?

6. Was muss bei der Umsetzung dieser Maßnahmen beachten werden?

7. In welcher Reihenfolge sollten diese Maßnahmen ergriffen werden?

8. Welche Schnittstellen gilt es zu beachten?

9. Welche Risiken könnten auftreten?

Am Ende sollen die wichtigsten Punkte noch einmal zusammengefasst werden.

Bleibt als Letztes noch die Frage offen: Was ist mit dem Fachwissen? Die Antwort darauf ist in der Tat schwierig. Bezieht sich die Fallstudie auf Themen, bei denen man ohnehin der Experte ist, sollte man sein Fachwissen einfach strukturiert und zielgerichtet einbringen. Es gilt dabei, nicht alles aufzutischen, was man zum Thema weiß, sondern sich auf die gefragten Punkte zu konzentrieren. Beinhaltet die Fallstudie auch Themen, bei denen man sich nicht sicher ist, dann sollte man auf keinen Fall den Fehler machen, seinem Publikum falsche Thesen oder mutmaßliche Lösungen zu verkaufen. Das kommt schnell ans Licht und führt zur direkten Absage.

Feedback einfordern

Der Bewerber muss davon ausgehen, dass seine Gesprächspartner die richtigen Lösungen kennen und sich nicht für dumm verkaufen lassen. Außerdem ist die Fallstudie kein Schauspiel, sondern die Simulation einer realen Arbeitssituation. Was also tun, wenn man sich mit den Technologien oder dem Thema aus der Fallstudie nicht auskennt? Nun, die Ist-Analyse und die Problemstellung kann man dennoch strukturiert vortragen. Das ist schon mal ein großer Teil dessen, worauf es ankommt. Gäbe es eine Alternativlösung mit einer anderen Technologie oder Methodik, dann sollte man diese vorschlagen und offen ansprechen, dass man eher auf diesem Gebiet der Experte ist. Die Personalentscheider erkennen dann, dass es sich um einen klugen Kopf handelt, der sich auch andere Technologien und Methodiken schnell aneignen kann.

In den meisten Fallstudien geht es nicht darum geht, die einzige, perfekte Lösung zu präsentieren, denn oft gibt es mehrere Lösungen. Es kommt Personalern vielmehr darauf an, den Bewerber in einer bestimmten Situation agieren zu sehen. Die Lösung ist dabei nur ein Aspekt von mehreren. Falls es am Ende mit dem Jobangebot nicht geklappt hat, sollte man sich von den Gesprächspartnern ein ausführliches Feedback geben lassen, woran es lag. Beim nächsten Mal lassen sich dann die gleichen Fehler vermeiden.