EuroSIG-Projekt

Warum die Migration der HVB so lange gedauert hat

04.08.2010 von Karin Quack
Am vergangenen Wochenende ist die HVB endlich auf ihr neues Kernbanksystem umgestiegen. Das wurde aber auch höchste Zeit. Eine weitere Verzögerung wäre teuer geworden.

Nach beinahe drei Jahren hat die HypoVereinbank (HVB) das Projekt "EuroSIG" zu einem vorläufigen Abschluss gebracht. Seit dem 1. August laufen die meisten Bankanwendungen in der neuen Umgebung. Zweimal hatte der Einführungstermin verschoben werden müssen. Er war zunächst für den 1. Januar, dann für den 1. Mai dieses Jahres geplant. Wie der für IT zuständige HVB-Vorstand Heinz Laber erläutert, war der Bank damals das Risiko zu groß, dass das Zusammenspiel zwischen den kundenorientierten Applikationen und den internen Finanzsystemen ("Hauptbuch") Diskrepanzen aufweisen würde. "Auf der Kundenseite war beide Male alles klar, aber wir hatten Zweifel hinsichtlich der regulatorischen Anforderungen."

Genau wegen dieser Anforderungen wurde es jetzt allerdings höchste Zeit für den Umstieg. Mit den vorhandenen Systemen, die teilweise mehr als ein Vierteljahrhundert auf dem Buckel haben, hätten sich die immer zahlreicheren Compliance-Anforderungen nur noch mit erheblichen Anstrengungen abbilden lassen, so Laber: "Auch ein renommiertes externes Beratungsunternehmen hat uns bestätigt, dass der Aufwand mit unseren klassischen Anwendungen exponentiell gestiegen wäre. In schätzungsweise sechs Monaten wäre die Kosten deutlich gestiegen."

Das Projekt in Zahlen

  • Der Startschuss für EuroSIG fiel im vierten Quartal 2007.

  • Zunächst war der Umstieg für den Jahreswechsel 2009/2010 geplant.

  • Den zweiten Anlauf nahm die HVB Ende April dieses Jahres.

  • Letztlich wurden die System am 31. Juli und 1. August umgestellt.

  • Rund 2000 Mitarbeiter aus acht Ländern waren an dem Vorhaben beteiligt.

  • Angewendet wird EuroSIG von 18.000 Mitarbeitern allein in Deutschland.

  • Bis 2011 soll die Software auch in Österreich und Polen eingeführt sein.

Ein Viertel billiger als die Alternativen

Die HVB-Zentrale in München

Schon 2004 war der HVB klar geworden, so berichtet der Vorstand, dass ihre Anwendungen zu einem großen Teil nicht zukunftsträchtig waren. Damals standen zwei Möglichkeiten zur Diskussion: Entweder man entwickelte selbst, oder man wählte ein System von der Stange. Der damalige CIO Klaus Rausch bevorzugte die zweite Option, sprich: das Standardsystem "Avaloq".

Wenig später kam eine dritte Möglichkeit hinzu: Nachdem die HVB von der italienischen Unicredit übernommen worden war, empfahl sich der Umstieg auf deren Eigenentwicklung EuroSIG. Laut Laber war diese Option deutlich schneller umzusetzen sowie um etwa 25 Prozent kostengünstiger als die beiden Alternativen.

Ganz so schnell wie geplant ging es dann bekanntlich doch nicht. Doch nach Ansicht des HVB-Vorstands "können wir uns mit einer Projektlaufzeit von etwas mehr als zweieinhalb Jahren durchaus sehen lassen". Tatsächlich hat die Deutsche Bank für die Einführung der Standardsoftware von SAP von vornherein drei Jahre veranschlagt. Der deutsche Softwareriese habe übrigens zu der Zeit, als die Entscheidung in der HVB fiel, "nichts auf der Stange, was uns gepasst hätte", so Laber.

Rund 3000 Anpassungen nötig

Allerdings ließ sich die italienische Software auch nicht ohne weiteres auf den deutschen Finanzdienstleister übertragen. Sowohl die Produkte als auch die regulatorischen Formate weichen teilweise erheblich ab. "Zum Beispiel gibt es in Italien keine FC-Bayern-Sparkarte", scherzt Laber. Insgesamt fanden die HVB-Experten rund 3000 "Gaps", die mit mehr oder weniger großem Aufwand - zwischen drei und 100 Manntagen - angepasst werden mussten.

Andreas Luber, Projekleiter EuroSIG bei der HVB

Da stellt sich die Frage, ob es sich bei EuroSIG überhaupt noch um eine konzernweit einheitliche Softwareplattform handelt. Andreas Luber, Projektleiter auf Seiten der HVB, bejaht das ganz entschieden. Es handle sich lediglich um ein Customizing, die "Grundlogik" des Systems sei nicht verändert worden. Und IT-Vorstand Laber ergänzt: "Man muss immer die Balance zwischen Markt und Standard suchen. Ich kenne jedenfalls kein Unternehmen, das eine SAP-Software zu hundert Prozent im Standard eingeführt hätte."

Aus Sicht der beiden IT-Manager bringt eine gemeinsame Softwareplattform für den Konzern große Vorteile mit sich: "Mit einer Eigenentwicklung haben wir alle Möglichkeiten für die Weiterentwicklung", sagt Luber. "Und wenn eine Idee, die wir haben, auch in anderen Ländern funktioniert, können wir sie als Mehrwert in das System einbringen", ergänzt Laber. Ein Produkt müsse nur noch ein einziges Mal entwickelt und dann auf die jeweilige Landesgesellschaft angepasst werden.

Umstieg ging nur als Big Bang

Einige wenige Applikationen wird die HVB nicht anrühren, weil sie landesspezifisch sind und anstandslos laufen. Um das Zusammenspiel zwischen ihnen und EuroSIG stabil zu haben, musste die Softwaremigration in einem Rutsch erfolgen, so IT-Vorstand Laber. Dieser "Big Bang" sei jedoch sorgfältig vorbereitet worden. Die Mitarbeiter seien via Computer-based Training (CBT) mit den Funktionen vertraut gemacht worden und hätten insgesamt sieben Mal die Gelegenheit gehabt, die neue Software in der Praxis auszuprobieren. Als "innovativ" bezeichnet Laber den Ansatz, die CBT-Lerneinheiten weiter im Zugriff zu halten - als Online-Hilfe für die tägliche Arbeit.

Die Kunden hätten unter der Umstellung kaum gelitten, beteuern die beiden HVB-Manager. Das Look and Feel sei für sie ohnehin dasselbe wie vor der Migration. Auch die die Behinderungen des laufenden Betriebs hätten sich im Rahmen gehalten. Entsprechend gering sei negatives Feedback gewesen.

Migration übers Wochenende

Bis zum Freitagabend lief der Bankbetrieb ganz normal durch, berichtet Luber. Nach dem Monatsabschluss seien ab dem frühen Samstagmorgen die Daten in EuroSIG übertragen worden. Es folgten insgesamt vier Tests: zunächst die "Reconciliation Checks", mit denen sich die korrekte Datenübernahme belegen ließ, dann die Überprüfung der Datenqualität, die "Shake-down-Tests" für den Ablauf-Check und schließlich die Tests in den Filialen. Schon am späten Sonntagabend seien die SB-Zonen und das Online-Banking wieder funktionstüchtig gewesen.

Einige "kleinere Beeinträchtigungen" habe es allerdings doch gegeben, räumt die HVB ein. So sei das Online-Banking am Montagmorgen für 50 Prozent der Kunden eine halbe Stunde lang nicht möglich gewesen. Aber das komme auch im Normalbetrieb ab und an einmal vor. Gewisse Performance-Probleme seien am Montagmittag gelöst gewesen. Kritisch waren die Batch-Verarbeitungsläufe in den ersten beiden Nächten nach der Umstellung. Doch diese Hürde wurde offenbar ebenfalls gemeistert.

Weniger Kosten für den IT-Betrieb

Heinz Laber, IT-Vorstand der HVB
Foto: HVB

Die neue Software ist für die Web-basierende Verarbeitung in Echtzeit konzipiert. Das bedeutet unter anderem, dass Finanztransaktionen ohne die bislang übliche Verzögerung wirksam werden. Zudem ist sie Workflow-orientiert und erleichtert den Mitarbeitern viele Abläufe. Neben der verbesserten Funktionalität erwartet die HVB aber auch sinkende IT-Betriebskosten. Genau genommen habe sich EuroSIG schon in den vergangenen beiden Jahren positiv auf die laufenden IT-Kosten ausgewirkt, berichtet Laber - dadurch, dass auf eine Modernisierung der alten Plattform verzichtet wurde.

Mit welcher Investitionssumme diese Vorteile erkauft wurden, will der IT-Vorstand nicht verraten. Die aus unternehmensinternen Quellen kolportierte Summe von einer Milliarde Euro bezeichnet er immerhin als "reines Fantasierprodukt". Die tatsächlichen Kosten lägen weit darunter.