Blogs, Wikis, Social Networks

Warum der Mittelstand Web 2.0 braucht

13.07.2008 von Diego Wyllie
Web 2.0 ist erwachsen geworden und wird nach zahlreichen Experimenten zunehmend für Firmen interessant. Dabei setzen immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen auf Wikis, Blogs und Social Networks, um ihre Produktivität und Nähe zum Markt zu erhöhen.

Während das World Wide Web anfänglich hauptsächlich aus statischen HTML-Seiten bestand, auf denen Internet-Nutzer Daten ausschließlich passiv empfangen konnten, ist in der virtuellen Welt seit einigen Jahren eine neue Entwicklung auszumachen. Das Web 2.0 hat das Internet erobert und macht es zu einem Phänomen, an dem jedermann interaktiv teilhaben kann. Der vielzitierte Begriff bezieht sich nicht auf bestimmte Technologien, sondern auf eine veränderte Nutzung und Wahrnehmung des Internets. Im Vordergrund stehen dabei die Erstellung und Bearbeitung von Web-Inhalten durch einzelne User selbst: Web-Content wird nicht länger nur zentralisiert von Unternehmen erstellt, sondern auch von einer Vielzahl von Individuen, die sich mit Hilfe sozialer Software zusätzlich untereinander vernetzen. Typische Beispiele dafür sind RSS-Feeds, Wikis, Blogs, Podcasts, Foto- und Video-Portale wie Flickr und YouTube, soziale Online-Netzwerke wie MySpace oder Xing, sowie Social-Bookmarking-Portale wie Del.icio.us oder Mister Wong.

Aus Web 2.0 wird Enterprise 2.0

Vor allem Blogs und Wikis, in denen private Nutzer persönliche Erfahrungen und Informationen anderen Nutzern zur Verfügung stellen, sind inzwischen kaum mehr aus dem Internet wegzudenken. Neben den privaten Nutzern haben inzwischen aber auch Unternehmen die Vorteile des Web 2.0 erkannt. In diesem Kontext spricht man jetzt von "Enterprise 2.0". Firmen setzen auf Wikis, Blogs und Co. in erster Linie um ihre Mitarbeiter zu informieren und ihre Unternehmens- und Markenkommunikation gezielt betreiben zu können.

Im Jahr 2013 werden Unternehem weltweit rund 4,6 Milliarden Dollar in Web 2.0-Technik investieren.
Foto: Forrester Research

Das Marktforschungsunternehmen Berlecon Research belegte bereits Anfang 2007 in seiner Studie "Web 2.0 in Unternehmen", dass der nutzergesteuerte Informationsaustausch und die vernetzten Wissensstrukturen, die durch Web-2.0-Techniken und -Anwendungen möglich werden, allmählich Einzug in die innerbetrieblichen Prozesse von Unternehmen hielten. In der Studie "Global Enterprise Web 2.0 Market Forecast: 2007 to 2013" belegt heuer das Marktforschungsinstitut Forrester, dass Großkonzerne bereits jetzt viel Geld für Web-2.0-Anwendungen ausgeben; bis 2013 sollen sie laut Studie weltweit 4,6 Milliarden Dollar in entsprechende Technologien investieren (rund zehnmal soviel wie heute). In der positiven Praxiserfahrung, die die Early-Adaptors in den letzten Jahren gesammelt haben, sowie in dem von Analysten erwarteten starken Marktwachstum in diesem Bereich, spiegelt sich die Tatsache wider, dass Web 2.0 nicht nur Spielerei ist. Das partizipative Internet bringt in Unternehmen tatsächlich Erfolge; und weil Web-2.0-Tools wenig kosten, kann sie eigentlich jedes Unternehmen, egal welcher Größe, einsetzen.

Web-2.0-Vorteile für den Mittelstand

Unternehmensberatungen wie Gartner oder die bereits zitierte Forrester sind sich in Sachen Web 2.0 einig: Neben der bereits umfangreichen Nutzung des Internets als Informationskanal und Transaktionsplattform müssen Unternehmen ihre Kompetenzen bezüglich der neuen Anwendungen und Technologien aufbauen, wenn sie den Anschluss an das Internet der Zukunft nicht verpassen wollen. Dabei begrenzen sich die Nutzungsmöglichkeiten des Mitmach-Netzes nicht nur auf die Interaktion mit Außenstehenden, sondern sie bieten auch Chancen, die unternehmensinterne Zusammenarbeit entscheidend zu verbessern.

Auf Social Networking entfällt rund die Hälfte der Investitionen in Web 2.0.
Foto: Forrester Research

Denn richtig eingesetzt ermöglichen Web-2.0-Lösungen es Unternehmen, ihre Produktivität, Effizienz und Nähe zum Markt kostengünstig zu erhöhen. Dabei sind diese Instrumente kein Selbstzweck, sondern dienen dazu, etwa Daten rund um die Nachfolgeregelung besser zu strukturieren, Ideen beispielsweise zur Kostensenkung zu sammeln und weiter zu entwickeln, internationale Vertriebsprojekte besser zu steuern oder auch Informationen zu neuen Produkten oder Märkten zu bündeln und besser zugänglich zu machen. Blogs, Wikis und Social-Bookmarking-Portalen können im Intranet ferner dazu dienen, das interne Wissensmanagement zu optimieren und die Erfahrungen der Mitarbeiter im Firmengedächtnis zu speichern.

Die Qualität muss nicht leiden

Viele Mittelständler haben noch Vorbehalte gegenüber dem neuen, scheinbar unkontrollierbaren Internet. In der Praxis hat sich jedoch gezeigt, dass die Angst vor Wildwuchs und schlechter Qualität der Beiträge meist unbegründet ist, da die Mitarbeiter sehr sorgsam bei der Generierung eigener Inhalte umgehen, wenn ihnen entsprechende Ziele deutlich vermittelt werden, sie sich mit diesen identifizieren und den Nutzen für sich erkennen. Denn Web-2.0-Anwendungen stellen den Menschen in den Vordergrund und können schließlich dazu beitragen, seine Interessen und Ideen zu fördern und gleichzeitig seine Erfahrungen als mächtige Ressource für das Geschäft zu nutzen.

Corporate Blogs als effektives Kommunikationsmedium

Weblogs oder kurz Blogs sind Web-Seiten, auf denen ein Autor ohne große technische Kenntnisse Inhalte publiziert, die sich dank einer Kommentarfunktion auch diskutieren lassen. Im Unternehmenseinsatz ist dabei von "Corporate Blogs" die Rede. Diese sind in der internen Unternehmenskommunikation ein Kanal für den Dialog über Hierarchie- und Abteilungsgrenzen hinweg, nach Außen hin können sie als ein mächtiges und zugleich kostengünstiges Marketing- beziehungsweise Öffentlichkeitsarbeits-Instrument eingesetzt werden.

Neuer Kommunikationskanal zur Kundenansprache

Corporate Blogs sind inzwischen in Unternehmen aller Größen vertreten. Sie richten sich an die eigenen Mitarbeiter, wie sie etwa Siemens einsetzt, informieren ausgewählte Geschäftspartner und Kunden, eine Möglichkeit die unter anderem die SAP für sich in Anspruch nimmt, oder dienen der öffentlichen Kommunikation mit dem breiten Internet-Publikum, wie es zum Beispiel Skype in seinem Business-Blog für Unternehmenskunden praktiziert. Insbesondere für KMU, die in speziellen Marktsegmenten tätig sind, können Blogs von Vorteil sein. So liefert etwa die Solifer Solardach GmbH in ihrem Blog regelmäßig Informationen aus der Solarbranche und die mittelständische Kelterei Walther berichtet Alltägliches und Außergewöhnliches in ihrem Saftblog und tritt dabei in direkten Kontakt mit ihren Kunden. Diese und andere Mittelständler gestalten durch den Einsatz von Blogs den Meinungsbildungsprozess im Hinblick auf ihr Unternehmen aktiv mit und stellen die Kommunikation mit den Kunden und der Öffentlichkeit auf eine neue Basis, auf der Debatten und offene Diskussionen Vertrauen schaffen können.

Dabei profitieren sie von einem schnellen Informationsfluss, einer einfachen Bedienung der notwendigen Werkzeuge, sowie von einem kostengünstigen Betrieb. Denn die Veröffentlichung von Informationen in einem Blog ist um ein Vielfaches schneller als dies in Büchern, Fachzeitschriften oder Zeitungen möglich ist. Kommentare und Trackbacks helfen zudem dem Unternehmen, Kritik oder Lob der Leser unmittelbar zur Kenntnis zu nehmen und entsprechend rasch zu reagieren. Die meiste für den Betrieb eines Blogs notwendige Software ist als Open-Source, oft unter der General Public License (GPL), im Internet kostenlos erhältlich. Zum Beispiel mit dem freien, weit verbreiteten Wordpress steht Unternehmensanwendern ein leistungsfähiges und zugleich intuitiv zu bedienendes Weblog-System, das allen Ansprüchen an einen professionellen Web-Auftritt gerecht wird.

Einführung eines Firmen-Blogs

Um ein Blog in Unternehmen einzurichten, bedarf es in der Regel keines großen Projekts, da zumeist nur einzelne oder wenige Mitarbeiter zunächst das Medium nutzen. Diese sollten allerdings vom Beginn des Projekts an eingebunden werden. Vor der Einführung eines Firmen-Blogs gilt es, eine Reihe wichtiger Aspekte zu berücksichtigen. 2.0-Experte empfehlen dabei vor allem Zielgruppe, Autoren, Rechte und Pflichten, Themen, Regelmäßigkeit der Veröffentlichungen, sowie derer Präsentation genau zu definieren bevor das Firmen-Blog live geht. (Vergleiche dazu "Corporate Blog: Die wichtigsten Regeln für die Einrichtung")

Erst denken, dann bloggen

Firmen, die die Einführung eines Corporate Blogs planen, sollten sich allerdings der möglichen Risiken bewusst sein, die Online-Tagebücher mit sich bringen. Denn neben den genannten Vorteilen, gibt es auch Nachteile, die vor allem auf Firmen-Blogs zutreffen. Blogs sind in den meisten Fällen stark untereinander vernetzt. Dies kann dazu führen, dass sich Informationen innerhalb nur weniger Stunden durch zahlreiche Kommentare und Trackbacks in der "Blogosphäre" verbreiten. Die Schnelligkeit und Reichweite, mit der die Informationen sich verbreiten, kann dabei positiv wie negativ gewertet werden, je nach dem wie der ursprüngliche Blog-Beitrag aufgenommen und interpretiert wird. Dies kann unter Umständen zu Imageschäden führen. Ein weiteres Risiko dabei besteht in dem möglichen Verrat von Betriebsgeheimnissen. Blogs geben die subjektiven Meinungen ihrer Autoren wieder. Kommentare und Trackbacks zu Beiträgen veranlassen die Autoren oft, ihre Meinung über die eigentliche Notwendigkeit hinaus zu verteidigen, was unter Umständen dazu führen kann, dass Betriebsgeheimnisse an die Öffentlichkeit gelangen. Ein vertrauensvoller Umgang mit diesem modernen Kommuikationsmedium ist für alle Autoren daher unerlässlich und sollte sich generell an bestehenden Betriebsvereinbarungen orientieren. Mehr über die mit Blogs verbundene Risiken erfahren Sie im COMPUTERWOCHE-Beitrag "Erst denken, dann bloggen".

Wikis im Unternehmenseinsatz

Spätestens seit dem Start der freien Enzyklopädie Wikipedia im Jahr 2001 sind Wikis auch dem breiten Internet-Publikum bekannt. Dabei handelt es sich um editierbare Websites, deren Inhalte jeder berechtigte User auf intuitiver Weise und ohne Programmierkenntnisse modifizieren beziehungsweise erweitern kann. Während Blogs die Informationen statisch bereitstellen, unterstützen Wikis deren dynamische Entwicklung. Deshalb eigenen sie sich in erster Linie für die Zusammenarbeit von zeitlich und räumlich getrennt operierenden Mitarbeitern.

Anwender brauchen viel Freiraum

Die Anwendungsmöglichkeiten eines Wiki sind vielfältig: Bereits zahlreiche Unternehmen nutzen diese Collaboration-Plattformen unter anderem zur Dokumentation, als Nachschlagewerk oder Informationssammlung, zur Projektplanung oder als Diskussionsforum sowohl für einzelne Abteilungen oder Gruppen von Mitarbeitern als auch für die gesamte Belegschaft. Damit die Errichtung eines Wiki auch funktioniert, sollten Unternehmen möglichst nicht allzu viele Regeln aufstellen, empfehlen Web 2.0-Experten. Um eine Wiki-Plattform zum Wachsen zu bringen und es auch langfristig am Leben zu erhalten, mache es Sinn, den Usern zunächst viel Freiraum zu gewähren. Ein neues Wiki sollte am besten schon teilweise befüllt sein, bevor es live geht, damit die Benutzer an diese Inhalte anknüpfen können. Und nicht zuletzt sollten die Mitarbeiter und besonders das mittlere Management in die Erstellung einbezogen und bei Bedarf geschult werden. Anreizsysteme für die Nutzung von Wikis können auch hilfreich sein, um die Motivation der Mitarbeiter zu steigern.

Am Markt gibt es zahlreiche Wiki-Lösungen sowie Wiki-Hosting-Services. Für den Fall, dass das Wiki auf einem eigenen Server betrieben werden soll, können Firmen beispielsweise auf das quelloffene und kostenlose Enterprise-System Twiki oder auf das ebenfalls freie Wiki-Softwarepaket MediaWiki zurückgreifen. Wiki-Hosting als professionelle Dienstleistung für Betriebe jeder Größe bieten unter anderem die Firmen PBWiki, SocialText oder Wikia.

Interaktion in professionellen Online-Communities

Soziale Netzwerke im WWW dienen der Vernetzung von Personen zu einem Kontakt- oder auch Freundesnetzwerk und stellen ein zentrales Phänomen der Web-2.0-Welt dar. Private Community-Websites wie MySpace oder Facebook zählen heute mehrere Millionen Mitglieder weltweit (MySpace nach eigenen Angaben circa 180 Millionen, Facebook rund 64 Millionen) und sind aus dem Leben vieler Menschen - vor allem von Jugendlichen - nicht mehr wegzudenken. Mit dem großen Erfolg solcher Online-Gemeinschaften wurde das Konzept in den letzten Jahren auch verstärkt auf die Geschäftswelt übertragen. So sind berufliche Social Networks zum Knüpfen und Pflegen geschäftlicher Kontakte wie das in Deutschland gegründete soziale Netzwerk Xing (vormals als OpenBC bekannt) oder das englischsprachige Linkedin entstanden.

Personalsuche via Social Network

Zielgruppen dieser Netzwerke sind neben Angestellten insbesondere Freiberufler sowie Gewerbetreibende. Die Profiloptionen der Mitglieder sind diesem Anspruch angepasst. Es lässt sich dabei auswählen, welche Art geschäftlicher Kontakte man sucht und welche Kenntnisse und Skills man selbst einbringen kann. Zusätzlich lassen sich ehemalige wie aktuelle Arbeitgeber sowie die jeweiligen Positionen im Unternehmen erfassen, um gezielte Suchen zu ermöglichen. Für Mittelständler bieten diese Plattformen umfangreiche Nutzungsmöglichkeiten. Die offen verfügbaren Profilinformationen können nicht nur zur Anbahnung geschäftlicher Kontakte genutzt werden, auch passende Mitarbeiter für temporäre Projekte oder Dauerstellen werden darüber identifiziert. Insbesondere Personalberater und -Verantwortliche haben so die Möglichkeit, in sozialen Netzwerken gezielt nach Personen zu suchen, die einem geforderten Profil entsprechen.

Second Life: Paradebeispiel für ein Social Network.
Foto: Linden Lab

Ein weiteres Einsatzgebiet beruflicher Netzwerke stellt die Informationsgewinnung hinsichtlich potentieller Kunden dar. Die Profilinformationen werden genutzt, um geeignete Gesprächspartner in Unternehmen zu identifizieren sowie sich im Vorfeld auf ein Gespräch mit diesen Kontakten vorzubereiten. Der Umfang dieser Informationen übertrifft dabei deutlich die beispielsweise auf einer Visitenkarte vorhandenen Informationen. Ein soziales Netzwerk der ganz besonderen Art mit weiteren Nutzungsmöglichkeiten, in dem Firmen zunehmend aktiv werden, ist die virtuelle Welt Second Life. Dort verkauft zum Beispiel Adidas virtuelle Schuhe für die Avatare, während Dell Computersysteme konfigurieren lässt, die man dann über die "traditionelle" Website des Hersteller bestellen kann.