Sozialpsychologie

Warum "das Wir" nicht gut entscheidet

28.04.2014 von Ferdinand Knauß
Entscheidungen werden oft unter einem verheerenden Gruppenzwang getroffen, der blind macht für Alternativen. Sozialpsychologen wissen, wie Organisationen das verhindern können.

Wichtige politische Entscheidungen werden häufig in Gruppen getroffen. Davon versprechen sich die Entscheider nicht nur die gleichmäßige Aufteilung der Verantwortung auf vielen Schultern, sondern auch bessere Entschlüsse, nach dem Motto "vier Augen sehen mehr als zwei". Die Forschung zeigt jedoch, dass Gruppen diesen Vorteil häufig nicht wirklich nutzen. Hildesheimer Psychologen glauben nun ein Mittel gefunden zu haben, wie kollektive Entscheidungen verbessert werden können.

Warum "das Wir" nicht gut entscheidet
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"Wichtige Entscheidungen können bei einer Gruppe starken Stress hervorrufen, Zweifel werden unterdrückt. Das Streben nach Einmütigkeit, das bekannte 'Schließen der Reihen', ist ein Mittel, um Stress abzubauen. Es verstellt den Blick für eine kritische Analyse der Sachlage und kann zu kritikloser Anerkennung der Gruppenmeinung führen", sagt Andreas Mojzisch, Professor für Sozialpsychologie an der Universität Hildesheim. Auch engstirniges Vorgehen und die Tendenz zur Selbstüberschätzung könne zu vermeintlich "alternativlosen" Entscheidungen führen.

Viele Untersuchungen der vergangenen 30 Jahre zeigen, so Mojzisch, dass meinungshomogene Gruppen, in denen jedes Mitglied die gleiche Antwort auf eine Problem favorisiert, stärker nach Belegen für diese eine Meinung suchen als heterogene Gruppen, in denen mehrere Alternativen vertreten werden. Einigkeit in Gremien steht also einer unvoreingenommenen, möglichst objektiven Herangehensweise an ein Problem im Wege.

Für besondere Engstirnigkeit in einer Gruppe von Entscheidern - "Groupthink" genannt - machte schon 1982 der Sozialpsychologe Irvin Janis drei Bedingungen fest: hoher Zusammenhalt der Gruppe und Loyalität zum Vorsitzenden, strukturelle Fehler der Organisation sowie ein aufgeheizter Kontext, der die Entstehung von Stress begünstigt. Strukturelle Fehler seien vor allem: Abschottung nach außen, autoritäre Führung, Fehlen standardisierter Entscheidungsprozeduren sowie Homogenität des sozialen und ideologischen Hintergrunds der Gruppenmitglieder.

Vorlieben statt Sachargumente

Diskussionen in Gremien vor wichtigen Entscheidungen beginnen oft damit, dass die Mitglieder bereits ihre Vorlieben für bestimmte Lösungen verkünden, anstatt zunächst Sachargumente zu diskutieren. Die Entscheidung wird dann nicht auf Basis von Argumenten getroffen, sondern verhandelt oder einfach durch gegenseitige Bestärkung verfestigt. "Sind alle in der Runde zu Beginn der gleichen Meinung, wird häufig überhaupt kein Bedarf für eine vertiefende Diskussion gesehen", sagt Mojzisch. Sein Kollege Häusser, der an der Universität Hildesheim ein Projekt zum Thema Gruppenentscheidungen leitet, hat festgestellt, dass in solchen Gruppen mehr über Argumente gesprochen wird, die die Meinung der Mehrheit bestätigen als über Gegenpositionen: "Die Gruppe spricht vor allem über das, was ohnehin schon alle wissen. Die ungeteilten Informationen, also das Spezialwissen einzelner Mitglieder, bleibt dagegen auf der Strecke. Geteilte Informationen werden außerdem tendenziell als wichtiger bewertet als ungeteilte Informationen."

Die Lösung, die Mojzisch und Häusser anbieten, ist einfach: Gruppen sollten ihre Diskussion über Entscheidungen grundsätzlich in zwei Phasen aufteilen. In der ersten Phase sollten alle vorhandenen Informationen zusammengetragen werden, ohne dass die Teilnehmer ihre Vorlieben äußern. "Erst nach dem vollständigen Informationsaustausch sollten sich die Gruppenmitglieder über die Entscheidung Gedanken machen", rät Mojzisch. In einer Studie, bei der die Versuchsgruppe ein schwieriges Entscheidungsproblem zu lösen hatten, konnte so die Lösungsrate von 7 auf 40 Prozent gesteigert werden.

Die Untersuchungen zeigen auch, dass Gruppen meist bessere Entscheidungen treffen, wenn ihre Mitglieder zu Beginn unterschiedliche Alternativen bevorzugen. Profitieren politische und andere Gremien also von Störenfrieden, die sich nicht der Mehrheitsmeinung anpassen? Tun Abweichler, Neinsager, Querdenker und Außenseiter gut? "In der Regel ja", sagt Häusser. Wichtig sei daher ein Diskussionsklima absoluter Freiheit, abweichende Meinungen zu äußern, sagt Mojzisch.

Er empfiehlt Institutionen, in denen mehr oder weniger alle Entscheider einer Meinung sind, auf das alte Mittel des "Advocatus Diaboli" zurückzugreifen: Jemand wird dazu bestimmt, notfalls gegen seine eigene Überzeugung konsequent eine Gegenposition zu vertreten. "So werden die Argumente einer kritischen Probe unterzogen und Alternativen nicht aus den Augen verloren", sagt Mojzisch.

(Quelle: Wirtschaftswoche)