Zukunft der Arbeit

Warum das Büro "großartig" scheitern musste

09.04.2015 von Christiane Pütter
Ein Microsoft-Manager, der es mit Karl Marx hält, und die Einsicht, dass das Versprechen des Büros "großartig gescheitert" ist – starke Thesen von Thorsten Hübschen. Hübschen verantwortet das Office Geschäft bei Microsoft Deutschland und fordert eine Neu-Erfindung der Arbeit.

Junge Menschen in strengem Schwarz. Sie nennen sich "Cover Junkie" oder "Mr. Bingo". Sie sind Cradle-to-Cradle-Experten für nachhaltige Produkte, Architekten, Art Direktoren - und Informatiker. München versammelt Ende Februar zur Munich Creative Business Week eine illustre Schar junger Professionals, die über "Metropolitan Ideas" brüten. Diese sollen sich auch um das Leben und Arbeiten in den großen Städten drehen. Und das ist das Thema von Thorsten Hübschen, der das Office Geschäft bei Microsoft Deutschland verantwortet.

Gemeinsam mit Elke Frank hat Hübschen das Buch "Out of Office" geschrieben. Das passt: Seit dem Frühling vorigen Jahres hat sich der Konzern die Umgestaltung der Arbeitswelt auf die Fahnen geschrieben. Microsoft rief gar ein "Manifest für ein neues Arbeiten" aus - selbstredend in Berlin. Ergänzt wird das Manifest der neuen Wissensarbeiterschaft von 33 Regeln erfolgreicher digitaler Pioniere. Beispielhaft sei Regel 31 zitiert: "Früher galt Komplexitätsreduktion durch Vorgesetzte und Strukturen als Erfolgskriterium. Heute ist es ungelenkte Serendipity."

Im heimischen München klingt das bei Thorsten Hübschen dann so: "Was ist gute Arbeit?" Das ist die Leitfrage seines Vortrags, der in der Alten Kongresshalle steigt, unmittelbar neben dem Verkehrsmuseum mit seinen historischen Straßenbahnen und nostalgischen Kutschen. Den Platz zwischen Alter Kongresshalle und Museum ziert eine überdimensionale Schnecke, vor der die Young Professionals über Minimalismus als Lebenskonzept fachsimpeln. "Nebst ein, zwei Bierchen und famosen Soundeffects sneak previewen wir die Zukunft von Mensch und Automobil", sagt jemand im Vorbeigehen.

Die Stadt bildet denn auch den Ausgangspunkt für Microsoft-Manager Hübschen. Früher seien Städte um Fabriken herum aufgebaut worden, erklärt er und erinnert an Henry Ford, der an seinen Fließbändern die sequentielle Arbeit einfacher Tätigkeiten eingeführt hat. Das Ergebnis war deutlich mehr Produktivität - und, dass der einzelne Arbeiter nicht mehr wusste, was für ein Auto das wird und warum er die immer gleichen Handgriffe zu tun hat. Entfremdete Arbeit nannte Karl Marx das.

Entfremdete Arbeit kann Menschen depressiv machen

Hübschen auch. "Marx' Analyse ist noch immer brandaktuell", erklärt er. Denn das Versprechen der Büros, die in den 1940er, 1950er-Jahren aufkamen, sei am Prinzip der sequentiellen Arbeit "großartig gescheitert". Seinerzeit hatten die Menschen noch geglaubt, mit ihren weißen Kragen an den sauberen Schreibtischen in einer besseren Arbeitswelt angekommen zu sein. Man "durfte" ins Büro und war stolz darauf. Heute habe sich das ins Gegenteil verkehrt. "Die Menschen wissen nicht, an was für Produkten sie eigentlich arbeiten", sagt Hübschen. "Sie wissen auch nicht, für wen." Eine solche Entfremdung könne Menschen depressiv machen.

Eben da will Microsoft nach eigener Darstellung ansetzen. Im Herbst des vorigen Jahres hat das Unternehmen den Vertrauensarbeitsort eingeführt. Vertrauensarbeitszeit besteht seit 1998 und wird durch eine Betriebsvereinbarung geregelt. Sichtbar sein soll das auch an Microsofts neuem Gebäude, das derzeit im Münchner Norden hochgezogen wird. "Parkstadt Schwabing" nennt sich idyllischerweise der Stadtteil. Das Gebäude liegt an der Autobahn, was die Anbindung an den Flughafen erleichtern soll.

Microsoft baut im Norden Münchens seine neue Deutschlandniederlassung.
Foto: Rene Schmöl

Glaubt man Hübschen, folgt der neue Firmensitz den drei Prinzipien People, Technology, Space. Konkret: es gibt keine festen Schreibtische mehr. Wollen sich Kollegen besprechen, finden sie geeignete Räume, wo sie niemanden stören. Muss sich jemand auf eine knifflige Aufgabe konzentrieren, findet er Ecken, wo er nicht gestört wird. Die Technologie sorgt für die jeweils passenden Tools und Anwendungen.

Jeder ist heute Wissensarbeiter

"Heute ist jeder ein Wissensarbeiter", sagt Hübschen. Die Bezeichnung sei nicht mehr Ingenieuren oder Anwälten vorbehalten. Die Technologie automatisiert Prozesse und nimmt Sachbearbeitern Routine-Tätigkeiten ab. Das soll ihnen Zeit für Anspruchsvolleres geben. Firmen müssten verstehen, dass die alte Vorstellung von Personalkosten nicht mehr greift. "Es muss heißen: Personell Assets", führt er aus. "Die Wissensarbeiter sind das Produktionsmittel selbst."

Das heiße zweierlei: Wissensarbeiter sind nicht ersetzbar und nicht skalierbar. Ein Duo aus zwei Wissensarbeitern kann gegenüber dem Einzelnen eine Produktivitätssteigerung vom Faktor 1,2 bringen - wenn die beiden sich nicht verstehen. Oder vom Faktor zehn, wenn sie sich gegenseitig beflügeln. Als sicher gilt für Hübschen: Eins plus Eins ist ungleich Zwei.

Health Management statt Schutzhelme

Idealerweise finden Wissensarbeiter in ihrem Unternehmen die richtige Balance aus Team- und Einzelarbeit, Entspannung und Fokussierung. Zudem plädiert Hübschen für einen neuen Blick auf den Arbeitsschutz. "Wenn es um das Verteilen von Schutzhelmen und Verordnungen gegen Arbeitsunfälle geht, sind wir in Deutschland ziemlich gut", sagt er. Health Management für Wissensarbeiter sei aber etwa anderes. Es setze den Menschen ins Zentrum.

Diesen Grundgedanken fordert Hübschen auch von den Knowledge Workern selbst. Sätze wie "Ich bediene die Maschine" oder "Ich bediene den Computer" will er nicht mehr hören. Richtig müsse es heißen "Der Computer dient mir".

Würden all diese Prinzipien vom Arbeiten wo und wann man will umgesetzt, gelte tatsächlich die Idee von "The cities are the office of the future", sagt Hübschen.

Rund 80 Young Professionals haben dem Microsoft-Manager gelauscht. Nach dem Vortrag ziehen sie ihre puristischen schwarzen Jacken wieder an, schwingen ihre kastigen Umhängetaschen über die Schulter und schlendern über den Platz zwischen Kongresshalle und Verkehrsmuseum. Dort ist es inzwischen wie ausgestorben. In München haben viele Museen nur von neun bis fünf geöffnet. Die Schnecke ist freilich noch da.

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