Roundtable Machine Learning

Vom Prototyp zum praktischen Projekt

01.04.2021 von Iris Lindner
Dass die Technik funktioniert, ist längst bewiesen. Dennoch schaffen es nicht alle KI-Cases vom PoC zum breiten Roll-out.
Noch haben viele Machine-Learning-Projekte Schwierigkeiten über den Prototypen-Status hinauszukommen.
Foto: Skorzewiak - shutterstock.com

Die Idee dahinter ist klar, ein paar Use-Cases sind weit bekannt, die Werkzeuge vorhanden. Trotzdem haben Projekte im Bereich Machine Learning und Künstliche Intelligenz so ihre Schwierigkeiten damit, über den Prototypen-Status hinauszukommen.

Woran KI-Projekte scheitern

Woran das liegt? Kurzum: Die Herausforderungen liegen nicht auf der technischen Seite. Machine-Learning- oder KI-Projekte scheitern häufig daran, dass man von Anfang an das Business nicht berücksichtigt. Oft wird auch vergessen, diejenigen miteinzubeziehen, die es hinterher betreiben müssen. Doch es gibt auch positive Erfahrungen aus der Praxis: Unternehmen zum Beispiel, die mit einem Team aus Data Scientists eine zentrale Anlaufstelle für die Fachbereiche etabliert haben. Know-how und Kommunikation ermöglichen es ihnen, Ideen innerhalb kürzester Zeit dahingehend zu überprüfen, ob das Ergebnis für die Fachbereiche auch wirklich interessant ist. Denn nur so erreicht man Akzeptanz für die Technik und die Unterstützung bei deren Anwendung.

Bewährt hat sich ferner, bereits in einer frühen Phase Datenschützer sowie Mitglieder des Betriebsrats in Workshops für die Use-Case-Evaluation einzuladen. Das schafft nicht nur Transparenz, sondern gibt den Beteiligten auch die Möglichkeit, frühzeitig auf eventuelle Probleme hinzuweisen. Und dies sollte schon vor dem Proof of Concept stattfinden, um die spätere Operationalisierung bereits im Vorfeld betriebswirtschaftlich zu steuern. Je nach Größe des Projekts empfiehlt sich ferner ein Steering Committee. Durch regelmäßiges Reporting kann dabei verhindert werden, dass auf dem Weg vom PoC über das MVP zum Roll-out ein Monolith aufgebaut wird.

Virtueller Round Table "Machine Learning"
Dr. Rudi Schäfer, Adesso SE
„Der Ansatz sollte nicht sein, erst zwei Jahre lang eine Datenplattform aufzubauen und erst dann über ML-Cases zu sprechen. Es gilt eine gute Balance zu finden, indem man erste konkrete Cases betrachtet und überlegt, was man dazu von einer imaginären, zentralen Datenplattform benötigt. Welche Anforderungen hat man – auch hinsichtlich Operationalisierung und Data Governance – und wie kommt man da hin? Auf diese Art und Weise kann man mit ersten ML-Cases bereits Mehrwerte schaffen und behält gleichzeitig das Gesamtbild im Auge und kann sich diesem nähern. Das kann ein Prozess sein, manchmal ist die Antwort aber auch eine schlüsselfertige Lösung. Und ab und an ist die Quintessenz der Gespräche über Strategie und Datenrealität im Unternehmen tatsächlich, Dinge erst in Ordnung zu bringen und den KI-Case hinten anzustellen.“
Hendrik Nieweg, Device Insight
„Man muss die Themen nicht immer mit den neuesten ML-Methoden angehen. Oft lassen sich auch mit mathematisch-statistischen Ansätzen bereits erhebliche Verbesserungspotenziale erzielen. Vor allem in der Produktion beobachten wir bei der Umsetzung von KI zudem häufig ein Flughöhenproblem, welches die eigentliche Herausforderung darstellt. Wenn man nämlich nur ein Data-Scientist-Team losschickt, was sich um die Bits and Bytes auf dem Shopfloor kümmern soll, ist es fast immer zum Scheitern verurteilt. Man muss viel Toleranz auf den verschiedensten Ebenen schaffen und in gemeinsamen Teams daran arbeiten. Von Shopfloor zu Topfloor müssen das integrierte Teams sein. Und das umzusetzen, ist sehr schwierig.“
Björn Heinen, INFORM DataLab
„Der Hype – Hauptsache KI – hat auch Schattenseiten: Überhöhte Hoffnungen wurden bereits enttäuscht. Teils stoßen wir im Management auf verbrannte Erde, weil erste, kopflose Projekte wegen schlechter Rahmenbedingungen oder fehlender Skillsets gescheitert sind. Mal sollte ein einzelner Data Scientist pauschal alles richten, ein experimentierendes Start-up oder sogar Studenten sollten den Use Case bearbeiten oder mangelhafte Datenqualität wurde ignoriert. Hier besteht Aufklärungsbedarf: Das Management muss zwar den Support für KI-Projekte gewährleisten. Gleichzeitig ist es aber die Pflicht des Dienstleisters (intern oder extern), die strategischen Aspekte eines Projekts und der Datenarchitektur im Blick zu halten und transparent zu machen.“
Dr. Susan Wegner, Lufthansa Industry Solutions
„Unternehmen müssen auch ihre Datenhausaufgaben machen – den Schritt, den niemand gerne hören möchte. Wie schafft ein Unternehmen eine einheitliche Datenplattform? Wie sieht meine Data Governance aus und wie implementiere ich diese, damit mein Unternehmen auf einer hoch qualitativen Standarddatenbasis aufsetzen kann und sich Use Cases auch rechnen? Andernfalls besteht die Gefahr, dass ein Unternehmen jedes Mal wieder mit entsprechendem wiederholten Aufwand von vorne beginnt. Ganz wichtig ist, dass die Geschäftsleitung mit einer klaren strategischen Ausrichtung dahintersteht. Ansonsten hat man viele kleine Cases, die in einzelnen Bereichen gut funktionieren, sich aber nicht skalieren lassen und dadurch die Kosten in die Höhe treiben.“
Alexander Britz, Microsoft
„Projekte, die rein auf die Technologie fokussiert sind, sind oft zum Scheitern verurteilt. Wichtig ist zunächst einmal ein klar definiertes Unternehmens- oder ein Prozessziel. Mit welchen Instrumenten, also zum Beispiel KI oder Big Data Analytics, ist zunächst erstmal zweitrangig. Wer sich auf eine Technologie fokussiert, fokussiert sich auch automatisch auf die Daten, die dafür nötig sind. Wenn dann die Frage auftaucht, ob es sich lohnt, diese Daten zu erheben, ist das ein Zeichen dafür, dass am Anfang der Business Case nicht sauber festgelegt wurde. Liegt hingegen ein klares Unternehmensziel vor, kann man sehr schnell beantworten, was einem die Datengenerierung wert ist.“

Deutschland – Land der Piloten

Wenn es um die technische Umsetzung von Machine-Learning- oder KI-Projekten geht, so sollte man die Notwendigkeit beziehungsweise den Umfang eines PoC durchaus einmal kritisch hinterfragen. Mittlerweile ist die Technik genügend erprobt, um zu wissen, was man davon erwarten kann. Muss man also wirklich noch im Detail zeigen, dass die Technologie an sich funktioniert? In den meisten Fällen nicht. Predictive Maintenance ist so ein Beispiel. Anstatt hier einen aufwendigen Piloten aufzusetzen, sollte man sich auf die verfügbaren Daten konzentrieren. Mit anderen Worten: Sind überhaupt die Rahmenbedingungen gegeben, um die Technologie für diesen Business Case wirklich einzusetzen? Ob es mit den vorhandenen Daten funktioniert und wie es mit deren Einbettung aussieht, kann bei Predictive Maintenance relativ schnell geklärt werden. Dennoch braucht es eine Phase, in der man mit wenig Investment auch scheitern kann.

Wesentlich mehr Investment erfordert hingegen die Datengenerierung. Ob es sich lohnt, die Daten zu erheben, hängt ausschließlich vom anfangs definierten Business Case ab. Dessen Erfolg lässt sich im Vorfeld betriebswirtschaftlich nicht immer leicht berechnen, geschweige denn messen. Typische Beispiele hierfür sind Customer-Experience-Projekte. Einsparungen, die sich durch Verbesserungen der Effizienz oder Reduzierung des Materialverbrauchs ergeben, lassen sich hingegen sehr gut dem Investitionsaufwand gegenüberstellen.

Data Governance schaffen

Betriebswirtschaftlich ebenfalls schwer zu erfassen ist der Aufwand, um eine einheitliche Datenplattform sowie eine einheitliche Data Governance zu schaffen. Eine unternehmensweite Datenplattform ist zwar für den Anfang keine Notwendigkeit; ohne sie würde es aber eventuell entweder nur bei einem Use Case bleiben oder im Laufe der Zeit würden für jeden weiteren Case erneute Kosten verursacht.

Die Tatsache, dass Digitalisierung wichtig ist und man Data Governance betreiben soll, ist laut den Erfahrungen einiger Experten und Expertinnenbei der Geschäftsleitung kleinerer Unternehmen noch lange nicht angekommen. Hier ist man in Deutschland noch sehr rückständig.

Studie "Machine Learning 2021": Sie können sich noch beteiligen!

Zum Thema Machine Learning führt die COMPUTERWOCHE derzeit eine Multi-Client-Studie unter IT-Entscheidern durch. Haben Sie Fragen zu dieser Studie oder wollen Sie Partner werden, helfen Ihnen Regina Hermann (rhermann@idgbusiness.de, Telefon: 089 36086 384), René Krießan (rkriessan@idg.de, Telefon: 089 36086 322) und Bastian Wehner (bwehner@idg.de, Telefon: 089 36086 169) gerne weiter. Informationen zur der Studie Machine Learning finden Sie auch hier zum Download (PDF).

Erneuter Hype Cycle oder Abkühlungsphase?

Vor vier, fünf Jahren war KI in aller Munde und wurde als die Zukunftstechnologie gefeiert. Entsprechend hoch waren die Erwartungen - so hoch, dass es unmöglich war, sie zu erfüllen. Dies führte bei vielen sowohl zur Resignation als auch zu der Erkenntnis, dass KI-Projekte viel Basisarbeit benötigen. Wurde KI durch Machine Learning nun wieder ein Hype-Cycle-Thema oder befinden wir uns in einer Abkühlungsphase?

Heute wird pragmatischer über KI nachgedacht: Statt blind darauf loszulaufen, setzt man nun gezielt auf Data Scientists und Weiterbildung. So wird KI mehr und mehr zur Commodity: Sie ist verfügbar und man kann sie schneller austesten. Das Ergebnis: Es entstehen viele kleine PoCs.

IT versus Data Scientists

Der Wunsch der Data Scientists nach Operationalisierung widerspricht oft den Vorstellungen der IT. Und so scheitern nicht wenige der Projekte an den unterschiedlichen Vorstellungen über die Machbarkeit. Diese Verständnislücke zu schließen - und Künstliche Intelligenz damit ein Stück weit zu entmystifizieren -, ist Aufgabe der Geschäftsleitung. Sie muss die klare, strategische Ausrichtung vorgeben, um viele kleine PoC-Inselchen ohne Möglichkeit der Skalierung zu vermeiden. Eine zentrale Datenplattform zeichnet sich hierbei zunehmend als Trend ab, deren Aufbau sollte aber den KI- oder ML-Projekten nicht vorangestellt werden. Erstens würde ein Projekt dieser Größenordnung nur abschrecken, zweitens lassen sich nach einer genauen Einzelfallbetrachtung oft mit dem vorhandenen Datenbestand schon sehr produktive Cases aufsetzen.

Der Roll-out, also die unternehmensweite Nutzung einer Technologie, ist eine Reise, auf der man sich in modularen Schritten dem großen Ziel nähert. "Think big, but start small, scale fast or fail early", lautet dabei ein Ratschlag an die Unternehmen. Wer die Rahmenbedingungen schafft, bei der Anzahl der Projekte nicht übertreibt und deren Skalierung realistisch einschätzt, den wird auch ein Fail nicht zurückwerfen. Im Gegenteil: Derjenige hat dadurch die Möglichkeit, Prozesse agiler zu gestalten.

Informationen zu den Partner-Paketen der Studie Machine Learning