Cloud im Mittelstand

Vom Lückenbüßer zum strategischen Instrument

19.09.2012 von Holger Eriksdotter
Schon seit einiger Zeit beobachten Marktforscher den zunehmenden Einsatz von Cloud-Lösungen im Mittelstand. Der Cloud-Index von HP und Techconsult sieht nicht nur eine quantitative Zunahme, sondern verzeichnet auch eine neue Qualität: Wurde Cloud Computing bisher oft zur Beseitigung temporärer Engpässe eingesetzt, wird es in jüngster Zeit immer häufiger zum strategischen Bestandteil der Enterprise-IT.
Stefan Neitzel, Analyst bei Techconsult, sagt eine positive Entwicklung für Cloud Computing im Mittelstand voraus.
Foto: Techconsult

Ohne Zweifel: Trotz nach wie vor bestehender Vorbehalte ist Cloud Computing im Mittelstand angekommen. Zwar zeichnet sich nach den Zahlen des Cloud-Index von HP und Techconsult, die seit Anfang 2011 vierteljährlich erhoben werden, eine leichte Verlangsamung des Wachstums ab. Auf der anderen Seite steigt aber die Anzahl der Unternehmen, die sich intensiv mit Cloud Computing beschäftigen, deutlich stärker als der Cloud-Einsatzgrad. Im ersten Quartal 2012 hatten sich 42 Prozent der teilnehmenden Unternehmen bereits intensiv oder sehr intensiv mit der Cloud beschäftigt – im selben Zeitraum 2011 waren es nur 27 Prozent.

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Für Stefan Neitzel, Analyst bei Techconsult und Leiter der Studie, ist das ein deutliches Signal für die insgesamt positive Entwicklung von Cloud Computing im Mittelstand. Mehr als ein Drittel der Unternehmen hatten ohnehin für 2012 konkrete Cloud-Planungen. „Dieser Wert dürfte angesichts der steigenden Angebotsvielfalt, der zunehmenden Auflösung des Informationsdefizits und der finanziellen Attraktivität weiter zunehmen“, sagt Neitzel. In der Zunahme der Intensität spiegelten sich auch die konkreten Erfahrungen mit ersten Cloud-Projekten wider, die immer häufiger nur ein erster Schritt waren und einer Vertiefung des Cloud-Einsatzes den Weg bereiteten.

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Wichtigstes Modell ist und bleibt die Private Cloud, die der Public Cloud aus Sicherheits- und Compliance-Gründen vorgezogen wird. Die Hoheit über Daten und Systeme wird nur ungern an einen Dienstleister ausgelagert, gleichzeitig sehen insbesondere mittelständische Industrieunternehmen in der starken Individualisierbarkeit der Private Cloud einen Wettbewerbsvorteil.

Unter den Unternehmen, die eine Private Cloud implementiert haben, ist ein überdurchschnittlicher Grad bei IT-Virtualisierung-, -Standardisierung und –-Automatisierung erkennbar. Einerseits haben diese Unternehmen bereits im Vorfeld oftmals intensive Bemühungen zur Virtualisierung und Standardisierung ihrer IT-Infrastruktur betrieben, andererseits verstärkt die Private Cloud diese Effekte noch einmal deutlich.

Private Clouds bevorzugt

Services aus der Public Cloud verzeichnen dagegen nur ein geringes Wachstum, etablieren sich aber dennoch zusehends im Mittelstand und sind unterdessen in vielen Unternehmen fest verwurzelt. Einen Rückgang im Vergleich zum vierten Quartal 2011 weist dagegen das Bereitstellungsmodell Hybrid Cloud auf, wobei die jüngste Erhebung im zweiten Quartal 2012 auf ein wiederkehrendes Wachstum hindeutet.

Die Bewertung des Nutzens von Cloud-Lösungen steht in direktem Zusammenhang mit dem Grad der Auseinandersetzung mit dem Thema. 70 Prozent der Unternehmen, die sich intensiv oder sehr intensiv mit Cloud Computing beschäftigt hatten, bewerteten sie positiv. Insgesamt ist jedoch die knappe Mehrheit des Mittelstandes nach wie vor nicht von den Vorteilen der Cloud überzeugt: „Ein Großteil der Unternehmen, die Cloud Computing ablehnen, hat sich aber bislang nur oberflächlich oder gar nicht mit Cloud auseinandergesetzt“, sagt Analyst Neitzel. Unter diesen 58 Prozent der Befragten befänden sich insbesondere Firmen, die nur in geringem Umfang oder gar nicht auf effizienzsteigernde Maßnahmen in der IT setzen und die vorhandenen Systeme einfach „am Laufen halten“ möchten. IT werde in diesen Unternehmen häufig nicht als geschäftskritische Variable wahrgenommen.

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Folgerichtig ist eine geringe Auseinandersetzung mit dem Thema Cloud Computing bislang insbesondere in Unternehmen zu verzeichnen, die nur in begrenztem Umfang oder gar nicht auf Virtualisierung setzen und auch hinsichtlich ihrer Automatisierungs- und Standardisierungsanstrengungen deutlich hinter dem Durchschnitt der Mittelständler zurückbleiben. Bei ihnen ist die Infrastruktur über die Jahre gewachsen und stark auf die individuellen Bedürfnisse des Unternehmens zugeschnitten. Mit innovativen Technologien findet meist keine Auseinandersetzung statt, weil die Ressourcen in der Regel in der Aufrechterhaltung des IT-Betriebs gebunden sind.

Entscheidendes Argument sei oft, dass die unternehmenseigene IT alle Bedürfnisse erfülle und dass es an Einsatzszenarien für Cloud-Lösungen fehle. Aber auch IT-Sicherheit ist – bei Befürwortern wie Skeptikern – ein wichtiges Thema. Berichte über Stromausfälle und Datenverlust bei Public-Cloud-Diensten bestätigten und bestärkten die Befürchtungen hinsichtlich der Auslagerung von IT-Leistungen und Daten aus dem Unternehmen heraus.

Dennoch nimmt die Verbreitung von Cloud-Services kontinuierlich zu. Dabei wird nach Neitzels Beobachtungen die Nutzungsintensität neben dem allgemeinen Cloud-Einsatzgrad zukünftig zu einem wichtigen Gradmesser. So sei neben der Erhöhung der Nutzer-Anzahl im SaaS-Bereich mittelfristig die Erschließung weiterer Einsatzfelder und Lösungsbereiche eine weitere wichtige Messgröße für die Etablierung der Cloud im Mittelstand. Gerade unter den Nutzern der Private-Cloud-Modelle zeigte sich im vergangenen Quartal ein zunehmend breiteres Einsatzspektrum.

Positive Erfahrungen treiben Cloud-Einsatz

Während im ersten Quartal 2011 nur rund 20 Prozent der Unternehmen, die eine Private Cloud nutzen, mehr als zwei Lösungsbereiche mit solchen Cloud-Services unterstützten, sind es jetzt schon mehr als 40 Prozent. „Auffällig ist dabei, dass zunehmend geschäftskritische Systeme in die Cloud gebracht werden“, sagt Neitzel. Der Trend gelte auch für die Public Cloud. Hier würden häufig punktuelle und temporäre Cloud-Services von einem externen Dienstleister bezogen, um einen konkreten und aktuellen Bedarf abzudecken. Positive Erfahrungen mit dem Modell führten dazu, dass Public-Cloud-Services auch für andere Einsatzbereiche evaluiert werden und sich so den Weg hin zu einem strategischen Cloud-Einsatz bahnten.

Demnach sinkt die Zahl der Unternehmen, die die Cloud zugunsten einer dauerhaften Nutzung der Cloud „ab- und anschalten“. So gaben in den letzten beiden Erhebungswellen mehr als 90 Prozent der Cloud-Nutzer an, Cloud-Services auch in den kommenden drei Monaten und darüber hinaus nutzen zu wollen. Zum Jahreswechsel 2010/2011 war das nur bei etwa der Hälfte der Cloud-Nutzer der Fall. „Heute wird die Cloud sehr viel stärker als Alternative angesehen und strategisch in die Unternehmens-IT integriert“, interpretiert Neitzel seine Untersuchungsergebnisse.