Automatische Rechnungsverarbeitung

Volltreffer für die Buchhaltung

06.09.2004 von Holger Eriksdotter
Rechnungen automatisiert prüfen, kontieren, buchen und ablegen - immer bessere, selbst lernende Systeme rücken der Belegflut zu Leibe.

DER UELZENER Milchverarbeiter Nordmilch liegt mit seinem neuen System zur automatischen Rechnungsverarbeitung voll im Trend: Immer mehr Mittelständler entscheiden sich für die automatische Rechnungsverarbeitung. Zwischen 500 und 600 Rechnungen von 8000 verschiedenen Lieferanten gehen täglich in der Buchhaltung von Nordmilch ein. „Unser Ziel war nicht nur, der Papierflut Herr zu werden, sondern auch, die Fehlerquote bei der Eingabe in das ERP-System zu senken und den manuellen Aufwand zu verringern“, sagt Nordmilch-Projektleiter Jens Witten. Dieses Ziel wurde erreicht.

Witten hat vor Projektbeginn eine genaue RoI-Berechnung durchgeführt: „Ich denke, dass sich die Investition innerhalb von etwa 18 Monaten amortisiert. Den personellen Aufwand für die Rechnungsverarbeitung konnten wir schon jetzt, vor dem endgültigen Ende des Projekts, um 28 Prozent verringern. Dabei haben wir geschaut, wie sich die Arbeit der Kreditoren-Buchhalter ändert, und ihren Arbeitsaufwand in Minuten pro Rechnung vor und nach Einführung des Systems verglichen.“

Direkt ins SAP-System

Bei Nordmilch werden die Daten der fehlerfrei erkannten Belege direkt in das unternehmenseigene SAP-System übernommen. „Das ist bei Rechnungen mit Bestellbezug natürlich einfacher“, sagt Witten, „weil wir dann im Abgleich mit unseren Bestellungen automatisch und zweifelsfrei feststellen können, ob Rechnungsdaten und Beträge stimmen.“ Aber auch Rechnungen ohne Bestellbezug, wie etwa die des Telekommunikations- Providers oder Energieversorgers, werden das System in Zukunft durchlaufen: Komplett erkannte Eingangsbelege mit Bestellbezug werden dann automatisch verbucht, alle anderen vorerfasst und von einem Sachbearbeiter nachbearbeitet. Selbst dabei ist der Aufwand deutlich geringer als früher bei der vollständigen manuellen Erfassung.

Ein weiterer Vorteil: Die gescannten Belege werden automatisch auf einem Archiv-Server abgelegt und sind dann auch für das SAP-System zugänglich. „Bei Nachfragen mussten wir früher immer nachvollziehen, in welchem Bearbeitungsvorgang die Rechnung gerade ist - jetzt haben wir von jedem SAP-Arbeitsplatz aus Zugriff auf den Beleg“, sagt Witten.

Fünf verschiedene Systeme hat der Projektleiter sich in der Evaluationsphase angeschaut - und sich schließlich für das Programm „4Invoice“ der Freeformation GmbH entschieden. Seit dem Start im Dezember vergangenen Jahres lernt das System im Realbetrieb mit den Rechnungen der Lieferanten. Noch muss ein Mitarbeiter jede Rechnung am Bildschirm mit den erkannten Daten vergleichen. Doch wenn bei Lieferanten mehrfach Korrekturen an derselben Stelle gemacht werden, erkennt das System eine Regelmäßigkeit, stellt sich darauf ein und korrigiert in Zukunft selbstständig die Eingaben.

Lernfähigkeit nutzen

„Häufig unterschätzt werden die Vielfalt, Qualität und dieQuantität der Eingangsrechnungen“, sagt der Geschäftsführer DMS-Consulting, Reiner Kappus, der als Berater für Dokumenten-Management arbeitet. „Mangelnde Erkennungsleistungen liegen häufig nicht am System, sondern an der unzureichenden Qualität der Belege, die nicht immer alle notwendigen Daten aufweisen.“ So sei es manchmal ein Problem, dass Lieferanten die Bestellnummer nicht aufführen. Solche Rechnungen seien dann automatisiert nur erschwert zu verarbeiten, beispielsweise wenn man die Positionen automatisch abgleichen möchte.

„Wir sind jetzt äußerst zufrieden mit unserem System zur automatischen Rechnungsverarbeitung“, resümiert Projektleiter Witten. Zwar erkennt das Rechnungsverarbeitungsprogramm 4Invoice zurzeit nur etwa 50 Prozent der Eingangsrechnungen komplett und fehlerfrei, „aber das liegt daran, dass wir in der Anfangsphase das System bewusst so sensibel eingestellt haben, dass es beim geringsten Zweifel Alarm schlägt. Denn auf diese Weise können wir die Lernfähigkeit des Systems besonders gut ausnutzen.“ Im Regelbetrieb liegen die Erkennungsratendannbei deutlich über 80 Prozent - einige Unternehmen erreichen mit Training sogar mehr als 95 Prozent.

„Für eine hohe Trefferquote reicht eine gute Texterkennung allein nicht aus: Erst eine Validierung - also der Abgleich mit Datenbanken wie Kundenstamm, Bestell- und Artikeldaten - macht vernünftige Erkennungsraten möglich“, so Experte Kappus. Dabei kommen Verfahren aus der Künstlichen Intelligenz (KI) zum Einsatz, die im Zusammenspiel mit Wissensdatenbanken Trefferquoten erreichen, die weit über denen einer reinen Optical Character Recognition (OCR = optische Zeichenerkennung) liegen. Software- Anbieter sprechen deshalb gerne von Intelligenter Texterkennung oder ICR - Intelligent Character Recognition. Die Eignung der Systeme für bestimmte Einsatzzwecke hängt aber noch von weiteren technischen Besonderheiten ab. Zwei unterschiedliche Technologien streiten um die Gunst der Kunden im Bereich der automatischen Rechnungsverarbeitung. Bei so genannten Template- basierten Systemen muss das Rechnungsformular jedes Lieferanten anfänglich einmal hinterlegt werden. Auf Basis dieser Schablone erkennt dann das System die relevanten Felder wie Rechnungsnummer, Beträge, Datum oder Umsatzsteuer-Ident-Nummer.

Nordmilch hingegen benutzt ein so genanntes Freiform-System. Diese Systeme arbeiten Schlüsselwort-basiert, sie können nicht nur spezielle Positionen auf dem Formular auslesen, sondern Schlüsselwörter finden und mit hinterlegten Regeln verarbeiten. Beispiel: Finde das Wort „Rechnungsnummer“, suche rechts davon oder darunter nach einer Zeichenfolge und übernimm diese anschließend in das Feld Rechnungsnummer.

„Ein Template-basiertes System kam für uns nicht in Frage“, betont Nordmilch- Projektleiter Witten. „Bei unseren über 8000 Lieferanten hätte der Aufwand für die Erfassung der Rechnungsformulare den Rahmen gesprengt.“

Dabei verwischt die Grenze zwischen den verschiedenen Systemen zunehmend: Auch ursprünglich Template-basierte Systeme setzen zusätzlich Schlüsselwortund Regelmechanismen ein. Zudem sind meist beide Typen in der Lage, die Plausibilität der erkannten Felder im Abgleich mit Lieferantenstamm, Kreditoren-Buchhaltung, Bestelldaten oder Artikeldatenbank zu überprüfen und so dieQualität der Erkennung weiter zu erhöhen.

Hohe Trefferquote

Bis zu 300 Rechnungen täglich bearbeitet die Kreditoren-Buchhaltung der Volkswagen Originalteile Logistik Vertriebszentrum West (VW OTLG). Anders als Nordmilch nutzt das 500 Mitarbeiter große Unternehmen an den Standorten Köln und Ratingen derzeit nur einen kleinen Teil des technisch Machbaren: Lediglich zur Klassifizierung der gescannten und im digitalen Archiv abgelegten Rechnungen setzt das Unternehmen auf Optical Character Recognition. „Kern unserer Lösung ist ein Archivsystem von Docuware, das wir vor allem aus Gründen der revisionssicheren Ablage angeschafft haben“, sagt Dirk Bell, stellvertretender Leiter des Rechnungswesens und Projektleiter für das Dokumenten-Management- System bei dem Mittelständler. Bells Mitarbeiter prüfen, kontieren und buchen nach wie vor manuell. Erst danach werden die Rechnungen gescannt, die wichtigsten Felder wie Lieferant, Betrag, Rechnungsnummer und -datum per Texterkennung ausgelesen und mit den digitalisierten Dokumenten gespeichert. Nur anhand dieser Zusatzinformationen können sie zugeordnet und künftig wieder aufgefunden werden. „Das könnten wir natürlich auch per Hand erfassen, aber die OCR-Lösung ist schneller und vermeidet Eingabefehler“, erklärt der Projektleiter.

Möglich wird das nur durch die ausgesprochen hohe Trefferquote von über 95 Prozent. „Zu Anfang haben wir nur zwischen 45 und 50 Prozent erreicht“, erinnert sich Bell. Inzwischen arbeitet das System seiner Ansicht nach aber nahezu perfekt, so dass sein Unternehmen bereits überlegt, die Lösung auf alle elf Standorte auszudehnen. Auch über eine weitere Automatisierung der Rechnungsverarbeitung denkt Bell nach.