VoIP: Standard ist nicht gleich Standard

04.10.2001 von IDG-Bericht 
FRAMINGHAM (IDG) ? Mit der herstellerübergreifenden Interoperabilität von Lösungen zur Übertragung von Sprache über Datennetze ist es nicht weit her. Zwar existieren Standards, die das Zusammenspiel regeln sollen. Doch diese sind zum Teil sehr komplex, außerdem werden sie auch nicht von allen Anbietern gleich interpretiert und umgesetzt.

In letzter Zeit ist es etwas still geworden um VoIP. Nachdem Hersteller wie Cisco oder 3Com jahrelang lauthals das Ende der klassischen Telefonie beschrien haben, ist nun die Zeit angebrochen, da ihre Lösungen ihre Praxistauglichkeit beweisen müssen. Zahlreiche Anwender auch in Deutschland sammeln intern bereits Erfahrungen mit dem Telefonieren über Datennetze.

Sie wissen: Wer sich auf das Abenteuer VoIP einlässt, der ist gut beraten, dies nur mit Lösungen eines einzigen Herstellers zu tun. Die meisten Unternehmen geben offen zu, dass das Zusammenspiel mit Komponenten der Konkurrenz noch sehr zu wünschen übrig lässt. Dies belegt auch das Ergebnis einer von der CW-Schwesterpublikation "Network World" und dem Beratungsunternehmen Miercom organisierten Befragung von knapp 100 Anbietern: Nur in einem von drei Fällen funktionieren demnach zwei von verschiedenen Firmen stammende, aber auf den gleichen Standards basierende VoIP-Lösungen ohne Anpassung reibungslos miteinander. Beispiel IP-Telefone: Die Chancen, dass ein Gerät von Anbieter A mit dem Telefonie-Server des Herstellers B kommunizieren kann, sind gering.

Besserung in Sicht

Innerhalb der nächsten zwei Jahre soll sich das leicht verbessern: Dann soll die Interoperabilität "out of the box" in zwei von drei Fällen gegeben sein. Dabei helfen sollen die Normen H.323 der International Telecommunication Union (ITU) sowie das von der Internet Engineering Task Force (IETF) definierte Session Initiation Protocol (SIP). Momentan überwiegen Produkte, die auf Version 2 des Standards H.323 fußen: Drei Viertel aller Hersteller erfüllen diese Norm. SIP und das gemeinsam von ITU und IETF erarbeitete Megaco/H.248 erfreuen sich daneben wachsender Beliebtheit.

30 Prozent der Anbieter unterstützen eigenen Angaben zufolge bereits jetzt das im Gegensatz zu H.323 nicht ganz so komplexe und einfachere SIP. Weitere 51 Prozent planen, ihre Lösungen um Support für das Protokoll zu ergänzen. Experten gehen davon aus, dass SIP sich spätestens im nächsten Jahr als das wichtigste Protokoll im VoIP-Umfeld etabliert. Wer Investitionen im Bereich VoIP plant, sollte also bei der Anschaffung der entsprechenden Komponenten darauf achten, dass diese Norm unterstützt wird. Doch damit sind die Interoperabilitätsprobleme noch lange nicht gelöst: Selbst bei einer Beschränkung auf wenige Normen gibt es noch immer genug Fallstricke, die ein reibungsloses Zusammenspiel von VoIP-Komponenten erschweren.

Extras hemmen Interoperabilität

Die meisten Protokoll-Implementierungen sind nämlich sehr komplex. Dabei müssen nicht alle Bestandteile eines Standards auch immer zwingend implementiert werden, außerdem haben Hersteller zuweilen unterschiedliche Vorstellungen, wie bestimmte vorgeschriebene Funktionen umgesetzt werden müssen. Ein reibungsloses Zusammenspiel ist also selbst bei einer nach außen kommunizierten Standardtreue beileibe keine Selbstverständlichkeit.

Die Hersteller selber sehen sich diesbezüglich in einer Zwickmühle: Einerseits müssen sie eine Reihe von Normen in ihre Lösungen integrieren, andererseits verlangen die Kunden nach Produkten, die sich durch Zusatzfunktionen von denen der Konkurrenz unterscheiden. Solche Extras seien jedoch nur über proprietäre Erweiterungen zu realisieren, was wiederum zu Lasten der Interoperabilität gehe. Noch ein weiterer Faktor erschwert das Zusammenspiel: Fast die Hälfte der von Miercom befragten Unternehmen gab an, "gewisse führende Anbieter" nähmen das Thema Interoperabilität nicht besonders ernst.

Glossar VoIP

H.323: Von der ITU definierter Standard, der notwendige Bestandteile (wie Gateways oder Endterminals) und Verfahren (zum Beispiel Komprimierung von Sprache) für die Telefonie über paketvermittelte Netze beschreibt. Die sehr komplexe Norm umfasst eine ganze Reihe von Protokollen, die Funktionen wie Signalisierung, den Austausch von Statusinformationen oder Verbindungs- und Datenflusskontrolle ermöglichen.

IETF: Die Internet Engineering Task Force ist zuständig für die Weiterentwicklung von Technologien, die auf der Protokollfamilie Transport Control Protocol/ Internet Protocol (TCP/IP) basieren. Sie definiert Standards, an denen sich Hersteller bei der Entwicklung neuer Lösungen orientieren müssen. Das schafft das Gremium jedoch nicht alleine, sondern in Kooperation mit den Körperschaften Internet Research Task Force (IRTF), Internet Architecture Board (IAB), Internet Engineering Steering Group (IESG) und Internet Society (Isoc).

ITU: Die International Telecommunication Union kümmert sich international um Fragen der Regulierung, Standardisierung Koordination und Entwicklung im Bereich der öffentlichen Telekommunikationsnetze.

Megaco/H.248: Hierbei handelt es sich um eine gemeinsam von ITU und IETF erarbeitete Ergänzung zu H.323, die den Austausch von Sprach-, Video-, Fax- und Datenverkehr zwischen klassischen Telefonnetzen und IP-basierten Umgebungen über spezielle Gateways reglementiert (daher auch der Zusatz Megaco = Media Gateway Control). Dabei geht es unter anderem darum, Signalisierungsinformationen nach SS7 aus der herkömmlichen TK-Welt in paketorientierte Netze zu übertragen.

SIP: Von der Internet Engineering Task Force (IETF) definierter Standard für die Übertragung von Echtzeitdaten über paketbasierte Netze. SIP ist funktional vergleichbar mit der ITU-Norm H.323, ist aber weniger komplex und einfacher zu implementieren. Es beinhaltet unter anderem Funktionen wie die Übermittlung der Identität des Anrufers oder die Anrufweiterleitung in IP-basierten Netzen. Darüber hinaus ist es verantwortlich für die Gesprächssignalisierung und das Lokalisieren von Anwendern.

SS7: Das Signalling System 7 ist eine für öffentliche Fernsprechnetze entwickelte Protokollfamilie. Zu den Funktionen gehören unter anderem der Verbindungsauf- und -abbau. Es ist vor allem für ISDN-Netze und Übertragungen mit 64 Kbit/s optimiert.